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"Designerwaffen" aus dem Labor

Brisante Forschungen erhöhen Gefahr durch biologische Kampfstoffe

Von Wolfgang Kötter *

Im Genfer „Palais des Nations“ begann am Montag (10.12.) die Jahresskonferenz zur Konvention über das Verbot biologischer Waffen. Unter Vorsitz von Idriss Jazaïry aus Algerien werden die Vertreter der 165 Mitgliedstaaten ihr Hauptaugenmerk auf die Frage richten, welche neuen wissenschaftlich-technischen Entwicklungen berücksichtigt werden müssen, damit ein Missbrauch von natürlich oder künstlich hergestellten mikrobiologischen und anderen biologischen Stoffen und Toxinen auch künftig verhindert werden kann. Außerdem geht es darum, wie die Teilnahme an vertrauensbildenden Maßnahmen erhöht werden kann.

Krankheit als Waffe

Die enormen Fortschritte der Wissenschaft machen biologische Kampfstoffe militärisch aber auch als Terrorwaffe attraktiv. Vor allem Erkenntnisse der Molekular- und Zellgenetik, aber auch die Synthetische Biologie haben die bedrohlichen Potentiale von Biowaffen dramatisch erweitert. Besonders mit letzterer können künstliche biologische Systeme, sogenannte Designerwaffen, erzeugt werden, darunter beispielsweise auch pathogene Viren. Welches Gefahrenpotential die Synthetische Biologie bereits heute besitzt, wurde in den letzten Jahren bereits an mehreren Beispielen deutlich. Schon im Jahre 2002 entwickelte der US-amerikanische Virologe Eckard Wimmer im Labor aus Gensequenzen, die er per Post bestellt hatte, das Polio-Virus, den Erreger der Kinderlähmung. 2005 erweckten Forscher im US Armed Forces Institute of Pathology in Washington das Influenca-Virus der „Spanischen Grippe“ wieder zum Leben, mit dem in den Jahren 1918-20 ein Drittel der Erdbevölkerung infiziert wurde und mehrere Dutzend Millionen Menschen starben.

Gerade in der heutigen globalisierten und vernetzten Welt ist ein wirksames Verbot von Biowaffen unverzichtbar, denn der Ausbruch einer Seuche selbst in einer noch so fernen Gegend könnte zu einer apokalyptischen Lebensbedrohung für die Menschen allerorts werden. Aids, SARS und Schweinegrippe haben gezeigt, wie rasant sich Krankheiten über den Erdball verbreiten. Die Vogelgrippe erreichte Anfang 2006 nach zahlreichen Todesfällen in Asien und Afrika auch Europa und trat ebenfalls in mehreren deutschen Bundesländern auf; die Urlauberinsel Rügen musste unter Quarantäne gestellt werden. Hunderttausende Tiere wurden notgeschlachtet.

Die Angst grassierte, als Wissenschaftler vor der Gefahr einer verheerenden Influenzapandemie warnten, wenn das Virus derart mutiert, dass es auch zwischen Menschen übertragen wird. Das ist keine unverantwortliche Panikmache, sondern durchaus real möglich.

Bioforschung mit Risikopotential

Bereits im Herbst vergangenen Jahres hatten ein Forscher-Team um den Virologen Ron Fouchier vom niederländischen Erasmus Medical Center in Rotterdam sowie US-amerikanische Kollegen unter Leitung von Yoshiro Kawaoka an der University of Wisconsin in Madison herausgefunden, dass nur fünf Mutationen notwendig sind, um das Vogelgrippevirus H5N1 in einen Erreger zu verwandeln, der auch von Mensch zu Mensch übertragen werden kann. Im September hatte Fouchier seine Ergebnisse auf einem internationalen Influenza-Kongress in Malta erstmals öffentlich vorgestellt.

Aber die Wissenschaftler stehen in solchen Fragen vor einem grundsätzlichen Dilemma: Sollen die Daten derartiger Forschungen und Experimente veröffentlicht werden, um breiter nach wirksamen Medikamenten forschen zu können? Oder ist das zu gefährlich, weil sie als Blaupause für tödliche Biowaffen missbraucht werden könnten? Das Beratungsgremium der US-Regierung für Biosicherheit (National Science Advisory Board for Biosecurity, NSABB) war der Meinung, eine Verbreitung des Wissens sei zu gefährlich. Aus Angst, Terroristen könnten das veränderte Vogelgrippe-Virus nachbauen und als Biowaffe einsetzen, forderte das NSABB, bestimmte Details der Experimente nicht zu veröffentlichen. Obwohl die Zeitschriften „Science“ und „Nature“ dem zunächst gefolgt waren und die Manuskripte entsprechend überarbeiten ließen, halten viele Wissenschaftler ein Verbot solcher Publikationen für den falschen Weg. Nach langer Diskussion entschied man sich schließlich doch für die Veröffentlichung sämtlicher Daten und begründete den Schritt damit, dass andernfalls das Tätigkeitsfeld lediglich in die Grauzone der militärischen oder illegalen Forschung verlagert würde, und einmal erworbenes Wissen könne jederzeit erneut erworben werden. Ohnehin hatten in diesem konkreten Fall zahlreiche Mitarbeiter und Gutachter die eingereichten Manuskripte bereits gelesen.

Balance zwischen Geheimnisschutz und Transparenz

In einer öffentlichen Stellungnahme räumte "Science"-Chefredakteur Bruce Alberts ein: „Die Ergebnisse zeigen, dass es viel leichter ist, das Virus in eine hochgefährliche Variante zu verwandeln, als man je zuvor gedacht hätte." Alberts zufolge ist der Vorgang ein Präzedenzfall. Dementsprechend werde man sich gut überlegen, wie jetzt zu verfahren sei - um sowohl die Öffentlichkeit vor Gefahren als auch das Fachinteresse der wissenschaftlichen Gemeinde zu schützen. Die Wissenschaftsgemeinde müsse an dieser Stelle eine große Verantwortung übernehmen, so Alberts. Noch für diesen Monat lädt das Nationale Institut für Allergien und Infektionskrankheiten der USA zu einer internationalen Beratung über die Verhinderung des Missbrauchs biologischer Forschungen ein.

Auch die heute beginnende Überprüfungskonferenz zu Biowaffen steht in der Pflicht, gemeinsames Handeln der Staaten zu vereinbaren, das zweierlei Ziele vereint: Einerseits dürfen derart brisante Forschungen nur in zuverlässig geschützten Hochsicherheitslabors durchgeführt werden, denn neben dem Missbrauch könnte ein hochgefährlicher Erreger auch versehentlich aus dem Labor in die Umwelt gelangen, mit verheerenden Folgen. Andererseits muss unter den Wissenschaftlern Transparenz herrschen und Kooperation betrieben werden. Viele Forscher könnten dann beispielsweise gemeinsam daran arbeiten, wirksame Impfstoffe und Medikamente gegen die Krankheitserreger zu entwickeln. Bereits im Sommer haben Wissenschaftler auf einem Vorbereitungstreffen dafür wichtige Vorarbeit geleistet.

Was ist Synthetische Biologie?

Synthetische Biologie ist ein Forschungsfeld, das sich seit etwa 10 Jahren zunächst in den USA entwickelt hat. Wissenschaftler erforschen komplexe zelluläre Prozesse und Strukturen auf molekularer Ebene, um sie durch Computer-Modelle und -Nachbildungen technisch nutzbar zu machen. Es geht vor allem um die Erzeugung von Bakterien mit Eigenschaften, wie sie in der Natur nicht zu finden sind. Diese Technologien sollen erlauben, einzellige Lebewesen komplett nach eigenen Wünschen zu modellieren und so ganz neue Lebensformen zu schaffen. Mögliche Anwendungen wären z.B. Mikroben, die pathogene Veränderungen im Körper aufspüren, Schadstoffe im Boden unschädlich machen oder Energieträger erzeugen.
Definition: nach dialog<>gentechnik



Verbreitung der Vogelgrippe bei Menschen

LandAnzahl FälleAnzahl Todesfälle
Ägypten16860
Aserbaidschan 8 5
Bangladesch 6 0
China 4328
Dschibuti 1 0
Indonesien 191 159
Irak 3 2
Kambodscha 21 19
Laos 2 2
Myanmar 1 0
Nigeria 1 1
Pakistan 3 1
Thailand 25 17
Türkei 12 4
Vietnam 123 61
Gesamt 608 359

Quelle: WHO (Stand Nov. 2012)

* Eine gekürzte Fassung dieses Beitrags erschien am 11. Dezember 2012 in "neues deutschland".


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