Nach der Angst ist vor der Angst
Stehen wir vor einer Rüstungsspirale bei Biowaffen? Ein Kommentar des Sunshine Project und ein besorgniserregender Bericht der New York Times
Die Milzbrand-Fälle in den USA sind der mit Angst besetzte Hintergrund für eine neue unheimliche Rüstungsspirale, die der Welt ins Haus steht: die Aufrüstung mit biologischen Waffen. Lesen Sie dazu einen Kommentar des "Sunshine Project" vom 23.Oktober 2001 sowie einen am selben Tag erschienen Internetbeitrag der "Netzeitung" (www.netzeitung.de), der sich auf einen Bericht der New York Times bezieht.
Nach der Angst ist vor der Angst
Die US-Regierung setzt auf biologisches Wettrüsten - Die
Bundesregierung setzt auf uneingeschränkte Solidarität
Mitten in der größten Biowaffen-Angst aller Zeiten stellt die
US-Regierung plötzlich große Teile des globalen Biowaffenverbotes in
Frage. Statt auf Prävention und internationale Kooperation setzt die
Bush-Administration jetzt offensichtlich auf Wettrüsten und
Repression. Heute noch gilt, dass wohl keine Terrorgruppe und kaum
ein Land in der Lage ist, mehr als nur punktuelle biologische
Angriffe durchzuführen - es ist fraglich, ob wir das auch in zehn
Jahren noch so sicher sagen werden können. Es ist jetzt unsere
Verantwortung, ein biologisches Wettrüsten zu verhindern, bei dem es
am Ende nur Verlierer geben kann.
Während internationale Beobachter noch gehofft hatten, dass die
Milzbrandattacken in Florida, New York und Washington ein Umdenken in
der Bush-Administration auslösen würden, scheint jetzt das genaue
Gegenteil der Fall zu sein.
Am 10. Oktober hat Avis Bohlen, eine der ranghöchsten
Abrüstungsdiplomat/innen der USA, in einer Rede vor den Vereinten
Nationen in New York die Kernpunkte der Biowaffen-Konvention in Frage
gestellt. So machte sie deutlich, dass die USA sich im Kampf gegen
Biowaffen ausdrücklich nur auf tödliche Erreger beschränken wird.
Zitat: "... and by weapons I mean here biological agents used with
lethal intent". Zudem betonte sie, dass die US-Regierung sich nunmehr
auf die Anwendung biologischer Waffen konzentrieren werde: "... the
events of September 11 have reinforced our view that the priority
focus must be on use." (Vollständiger englischer Text ihrer Rede auf
der Website unserer amerikanischen Kollegen unter
www.sunshine-project.org).
Damit hat sie den Kern der Biowaffen-Konvention in zwei Punkten in
Frage gestellt:
-
Prävention: Die Beschränkung auf den Gebrauch biologischer Waffen
ist ein Rückfall auf das Genfer Protokoll von 1925. Die große
Errungenschaft der Biowaffen-Konvention von 1972 war es gerade, auch
die Entwicklung Produktion oder Lagerung von biologischen Waffen zu
verbieten und damit ein biologisches Wettrüsten bereits in den
Anfängen zu ersticken.
-
Allumfassendes Verbot: Die Biowaffen-Konvention verbietet ohne
Einschränkung jegliche Entwicklung bzw. Produktion von lebenden
Organismen zu feindseligen Zwecken. Nicht nur Pocken, Pest und
Cholera sind verboten, auch Tier- oder Pflanzenkrankheiten und selbst
Material-zerstörenden Organismen fallen unter dieses Verbot. Sich
jetzt auf tödliche Krankheitserreger zu beschränken bedeutet, große
Teile der Konvention vom Tisch zu wischen. Dahinter steht nicht
zuletzt das bereits öffentlich geäußerte Interesse der USA an
nicht-tödlichen biologischen Waffen, zum Beispiel ölfressende
Bakterien oder Pilze zur Vernichtung von Drogenpflanzen.
Die Rede von Avis Bohlen vermittelt den Eindruck, dass die
US-Regierung jetzt im Windschatten der globalen Terrorbekämpfung
Dinge durchzusetzen versucht, die vor dem 11. September undenkbar
gewesen wären.
Zur Zeit reisen US-Diplomaten durch Europa, um die neue
Biowaffen-Politik der USA den Verbündeten schmackhaft zu machen. Nach
unbestätigten Informationen war Chefunterhändler Botschafter Don
Mahley bereits am Montag in London, es steht zu vermuten, dass er
diese Tage auch noch in Berlin beim Auswärtigen Amt vorsprechen
wird. Bislang hat das Fischer-Ministerium jeglichen Dissens mit den
Amerikanern in der Frage der Biowaffen vermieden. Selbst als die
Bush-Administration im Sommer internationale Laborkontrollen und
Offenlegungspflichten verhinderten, hat sich die rot-grüne Regierung
loyal hinter die USA gestellt. Zu eindeutigen Verletzungen der
Biowaffenkonvention durch die USA ließ das Außenministerium im
September lapidar mitteilen, es habe keinen Zweifel an Erklärungen
des US-Verteidigungsministeriums, nach denen alle Forschungsprojekte
in den USA rein defensiven Zwecken dienen. (Zur Erinnerung: Dazu
gehörte unter anderem der Nachbau einer sowjetischen Biobombe, der
Bau ein Biowaffen-Produktionsanlage in Nevada oder Pläne zur
gentechnischen Veränderung von Milzbrand).
Jetzt muss die Bundesregierung Flagge zeigen und die allumfassende
Gültigkeit der Biowaffen-Konvention betonen. Mit einem biologischen
Wettrüsten, mit einem Aufweichen der Biowaffen-Konvention darf es
keine "uneingeschränkte Solidarität" geben. Damit wir auch in zehn
Jahren noch sicher sagen können, dass wir keine Angst vor
biologischen Angriffen haben müssen.
Sunshine Project e.V.
Dr. Jan van Aken
US-Regierung will «Super-Anthrax» herstellen lassen
Eine besonders
aggressive Form des
Milzbrand-Erregers soll
helfen, Impfstoffe und
Abwehrmaßnahmen gegen
Anthrax zu verbessern.
Sie soll jetzt von
US-Forschern
gentechnisch hergestellt
werden.
Nach Informationen der
«New York Times» sollen
Wissenschaftler der
US-Regierung jetzt einen
besonders gefährlichen
Stamm von Anthrax-Bakterien herstellen.
Verteidigungsminister Donald Rumsfeld soll das
Projekt schon in der vergangenen Woche auf den Weg
gebracht haben.
«Super-Erreger»
Vorher, so die Zeitung,
hätten Regierungsjuristen
überprüft, ob die
Entwicklung eines solchen
«Super-Erregers» vereinbar
mit dem Biowaffen-Vertrag
von 1972 ist. Sie seien zu
dem Ergebnis gekommen,
dass das Projekt im «vollen
Einklang» mit dem
Abkommen stehe, das die
Entwicklung und
Verbreitung von Biowaffen
weltweit verbietet. Die USA waren 1972 eine der
treibenden Kräfte beim Zustandekommen dieses
Vertrages gewesen.
Bereits 1997 hatten russische Wissenschaftler nach
eigenen Angaben einen solchen Erreger gentechnisch
hergestellt. Dieser war damals bei Versuchen mit
Hamstern in der Lage gewesen, die Tiere trotz Impfung
zu töten. Die Wissenschaftler hatten hierfür ein Gen aus
einem nahe verwandten Bakterium (Bacillus cereus)
auf die Milzbrand-Erreger übertragen. Dadurch
änderten sich die Oberflächenstrukturen des
Bakteriums, so dass es von den nach einer Impfung
produzierten Antikörpern nicht mehr angegriffen
werden konnte.
Die US-Regierung will, so die «New York Times»,
den Erreger für friedliche Zwecke herstellen: Die zur
Verfügung stehenden Impfstoffe sollten getestet und
neue Impfstoffe und Medikamente entwickelt werden.
Aus: Netzeitung, 23. Oktober 2001
Zur Seite "Biologische Waffen"
Zur "Terrorismus"-Seite
Zurück zur Homepage