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"Wir weisen alle Versuche zurück, das historische Verdienst der Anti-Hitlerkoalition oder einzelner Alliierter zu schmälern"

Erklärung von Attac zum 60. Jahrestages der Befreiung vom Faschismus

Im Folgenden dokumentieren wir eine Erklärung, die Attac Deutschland zum 8. Mai 2005 veröffentlicht hat.


Erklärung von Attac zum 60. Jahrestages der Befreiung vom Faschismus

Am 8. Mai 2005 jährt sich zum sechzigsten Mal der Tag der Befreiung vom deutschen Faschismus. Wir gedenken an diesem Tag den Opfern des Nazi-Terrors und des Vernichtungskrieges der Wehrmacht.

Wir danken den Millionen von Frauen und Männern der Sowjetunion, die die Hauptlast des Krieges tragen musste. Wir danken allen Menschen in den USA, Großbritannien und Frankreich und allen anderen Staaten der Anti-Hitlerkoalition, die zur Zerschlagung der Nazi- Barbarei beitrugen und dabei zu großen Opfern bereit waren. Unser Dank gilt auch allen Partisanen und Partisaninnen und Widerstandskämpfern in den okkupierten Ländern. Er gilt den deutschen Widerstandskämpfern und –kämpferinnen, der Weißen Rose wie der Roten Kapelle, der Bekennenden Kirche und all den anderen Frauen und Männern, die sich unter Todesgefahr und sehr oft um den Preis ihres Lebens der Barbarei entgegenstellten. Wir bekunden unseren Respekt vor Wehrmachtsdeserteuren und alle jenen, die sich der Kollaboration mit dem Regime verweigerten.

Wir weisen alle Versuche zurück, die Geschichte umzudeuten, das historische Verdienst der Anti-Hitlerkoalition oder einzelner Alliierter zu schmälern und die Täter, ihre willigen Helfer und Mitläufer zu Opfern zu stilisieren. Die europäische Katastrophe wurde von Deutschen ausgelöst und organisiert. Ursache und Wirkung dürfen nicht verwechselt werden.

Der Holocaust - historische Verantwortung heute und zukünftig

Nazi-Deutschland unterscheidet sich von anderen Diktaturen und verbrecherischen Regimes auf einzigartige Weise. Auch anderswo gab es fürchterliche Massaker, Völkermord und barbarische Greueltaten. Aber die Vernichtung der Juden ist insofern einmalig, als sie in einem Land stattfand, das als zivilisiert galt, und in dem dieses singuläre Menschheitsverbrechen undenkbar erschien. Der Holocaust fand nicht im Affekt, nicht im Blutrausch oder in hochgepeitschter Massenpsychose statt, sondern mit industriellen Methoden, auf dem technologischen Niveau des 20. Jahrhunderts. Er geschah planvoll, mit bürokratischer Sachlichkeit.

Beteiligt waren gewissenhafte Ämter und renommierter Institutionen - von der Reichsbahn über die Justiz bis zur Deutschen Bank und der Chemieindustrie. Der Massenmord an den Juden wurde nicht von notorischen Killern, sondern ordentlichen Beamten und pflichtbewussten Befehlsempfängern vollzogen.

Millionen Deutsche beteiligten sich an Denunziation, Ausgrenzung und Ausplünderung der Opfer - oder profitierten davon. Viele sahen weg und verschlossen die Augen vor den Verbrechen. Nur eine Minderheit hatte die Kraft, sich zu verweigern und Widerstand zu leisten. Wir können aus dieser deutschen Geschichte nicht einfach austreten. Zwar gibt es keine Kollektivschuld, aber wir tragen eine historische Verantwortung, alles zu tun, damit Auschwitz sich nicht wiederholen kann.

Den Anfängen wehren

Dabei gilt es, den Anfängen zu wehren. Der Mord an Sinti und Roma, die sozialdarwinistische Selektion, die für Behinderte, „Asoziale“, Homosexuelle und andere Minderheiten keinen Platz in der Gesellschaft sah, zeigen die Gefährlichkeit inhumaner Ideologien der Abwertung und Ausgrenzung. Auch heute sind Antisemitismus, Rassismus, Nationalismus, Nationalstolz, Großmachtstreben, das „Wir sind wieder wer“ und andere Formen von Überlegenheitsideologie weit verbreitet - bis in die Funktionseliten hinein. Dem stellen wir die aktive Entfaltung von Humanität und Demokratie, politisches Engagement von unten und Zivilcourage entgegen. Demokratie ist keine abgeschlossene Errungenschaft, sie ist mehr als Institutionen und ein Gang zur Urne alle vier Jahre. Sie muss immer wieder neu erstritten und mit Leben gefüllt werden.

Armut und Prekarisierung – Nährboden für Neonazis

Heute entsteht mit der neoliberalen Umgestaltung der Gesellschaft umfassende soziale Verunsicherung. Durch die Orientierung an Profitinteressen und den Abbau von sozialen Sicherungssystemen breiten sich Armut, Ausgrenzung und Prekarisierung immer weiter aus. Davon versuchen Neonazis zu profitieren. Sie offerieren die „Volksgemeinschaft“ als Problemlösung. Diese Art von Antiglobalisierung basiert auf der ebenso inhumanen wie realitätsfernen Idee, „das deutsche Volk“ müsse sich ökonomisch und kulturell gegen die Außenwelt abschotten. Attac wendet sich gegen jegliche völkisch orientierte Politik. Attac tritt ein für eine emanzipatorische Alternative zur neoliberalen Globalisierung im Interesse aller Menschen auf unserem Planeten.

Globalisierung emanzipatorisch wenden

In der Globalisierung liegt auch emanzipatorisches Potential. Kommunikation und Mobilität von Menschen über nationale Grenzen hinweg, Austausch und interkulturelle Vermischung sind Chancen, die wir in den Traditionen des humanistischen „Alle Menschen werden Brüder“ und des Internationalismus’ aufgreifen.

Es gilt, jenseits von Markt und Profitinteressen, die Möglichkeiten globaler Zusammenarbeit im Interesse aller Menschen zu nutzen. Wir treten ein für die Globalisierung von Solidarität, sozialer Gerechtigkeit, umfassender Lebensqualität und einem verantwortungsvollen Umgang mit der Natur. Diese Ziele können nur grenzüberschreitend und durch weltweite soziale Bewegung durchgesetzt werden.

Kein Raum für Neonazis

Am 8. Mai will die NPD in Berlin ihren Ungeist demonstrieren und ihre Umdeutung der Geschichte propagieren. Dem stellen wir uns entschieden entgegen. Uns geht es dabei nicht nur um Verteidigung symbolischer Orte, wie das Brandenburger Tor. Aber wenn Nazis versuchen, öffentliche Räume zu besetzen, ist Widerstand notwendig. Faschismus ist keine Meinung, sondern ein Verbrechen.

Attac ruft daher seine Mitglieder und Mitgliedsorganisationen auf, sich überall an den Gedenkveranstaltungen zur Befreiung und den Aktionen gegen die Neonazis zu beteiligen.


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