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Außenpolitik muss Friedenspolitik sein

Arne Seifert über die Aufgabe der LINKEN, die Antikriegsposition hochzuhalten *

Es gibt nur ein Wesensmerkmal, durch das linke Außenpolitik sich von der aller anderen Parteien unterscheidbar machen kann – das ist ihre friedenspolitische Substanz. Das gilt sowohl für die Einschätzung von Rahmenbedingungen europäischer bzw. deutscher Außenpolitik als auch für Handlungsstrategien. Alle anderen Ansätze, so wichtig sie sein mögen – wie etwa Koalitionsfähigkeit, NATO ja oder nein, Verhältnis zu der UN und deren Charta, ja sogar zu Auslandseinsätzen der Bundeswehr – sind dem friedenspolitischen Gesamtvermögen einer linken Partei nachgeordnet. Wo liegen Prioritäten?

Erstens: Ein solches Vermögen bezieht seine Energie vor allem aus einem klugen, dialektischen Zusammenbinden von Antikriegs- und Pro-Friedensstrategien parlamentarischer und außerparlamentarischer Initiativen. Erst dann wird die LINKE für sich und den Frieden den hohen gesellschaftlichen Wert erschließen können, den die unter den Deutschen noch tief verankerte Aversion gegen Krieg in sich birgt. Sie sollte für die Antikriegsposition der LINKEN von höchstem Rang sein.

Nicht weniger wesentlich ist zu erkennen, dass Anti-Krieg und Pro-Frieden nicht identisch zu sein brauchen. Zwar kann eine Anti-Kriegspositionierung bei bestimmten politischen Intentionen und Konstellationen Frieden meinen und wollen, braucht aber nicht gleichwertig zu sein mit dem allgemeinem Frieden der Völker. Frieden ist mehr als »kein Krieg«. Frieden ist das erste und elementarste Menschenrecht, weil nur er die Verwirklichung allgemeiner Überlebens- und Sicherheitsrechte garantieren kann. Und was besonders wichtig ist: Frieden erweist sich für die meisten Deutschen als eine dominante politische Zielvorstellung.

Aber die LINKE hat es bisher im Großen und Ganzen nicht geschafft, diese Antikriegsemotionen produktiv anzusprechen und zu mobilisieren. Die erste große, gesellschaftlich wirkungsvolle Positionierung der LINKEN war die gegen die Agenda 2010. Sie konnte den qualitativen Sprung zur »materiellen Gewalt« in der Gesellschaft dann schaffen, als sie ihre Anti-Agenda2010-Position durch eine Pro-Gerechtigkeitsstrategie veredelte, mit der sie den Massen zu vermitteln vermochte, dass eine sozial gerechtere Politik möglich wäre. Aus dieser Erfahrung leitet sich bezogen auf internationale Politik das Erfordernis einer eigenständigen, kohärenten Standortbestimmung der LINKEN zu den zentralen Weltproblemen ab, die durch nationale und internationale Politik friedlich und kooperativ zu regeln und zu lösen sind.

Zweitens. Eine friedenspolitische Diskussion sollte sich intellektuell und politisch auf das »Verarbeiten« grundlegender globaler Veränderungen einstellen. Sie werden unter anderem bewirkt durch global rasant voranschreitende ökonomische und politische Differenzierungsprozesse, sich vertiefende soziale und wirtschaftliche Disparitäten, das Aufbrechen tradierter internationaler Machtverhältnisse und regionale Blockbildungsprozesse als Ausdruck tiefgreifender Interessenkonflikte mit der Tendenz zu neuen internationalen Antagonismen. Das führt schon heute zur Zusammenballung und Gewalteruption innerer, regionaler und internationaler Konfliktstoffe.

Es ist offensichtlich, dass diese globalen Prozesse nicht nur vorübergehenden Charakters sind. Vielmehr entbindet sich in ihnen und durch sie ein neues Weltgefüge, dessen Geburtsvorgang sich nicht aufhalten lassen wird. Gleichzeitig entzieht dieser allem Denken und Handeln in den überlieferten Kategorien des Kalten Krieges den Boden. Obgleich politische und intellektuelle Auslaufmodelle, bedrohen letztere jenen Geburtsvorgang an seiner verletzbarsten Stelle: seinem nicht-kriegerischen Verlauf. Da er für alle Betroffenen langwierig, konfliktreich und schmerzhaft sein wird, bestehen die wichtigsten friedenspolitischen Herausforderungen darin, ihn von Kriegen frei zu halten und kräftige, tragbare, durchsetzungsfähige Strukturen friedlicher Koexistenz zu schaffen. Das setzt voraus, dass sich die Staaten zueinander konsequent demokratisch verhalten und, was von brennender Aktualität ist, dass eine neue politische Kultur für den Umgang mit innerstaatlichen Konflikten zu entwickeln ist.

Solche Ansätze würden modernen, zukunftsgerechten friedenspolitischen Ansprüchen entsprechen, mit denen in diesem Land keine andere politische Kraft bisher aufzuwarten vermag. Die ihnen inhärente Friedenslogik und -kultur entspräche der Prävention von Kriegen, welche eine Mehrheit der Deutschen von der Politik erwartet.

* Dr. Arne Seifert war in den 1980ern Botschafter für die DDR in Kuwait.

Aus: neues deutschland, Freitag, 21. März 2014



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