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Deutsche Aufholjagd

Wettlauf um Ressourcen und Absatzmärkte: Am Sonntag beendete Außenminister Frank-Walter Steinmeier seine viertägige Afrika-Tour

Von Jörg Kronauer *

»Deutschland befindet sich in einer Charmeoffensive, um seinen Einfluss in Afrika auszuweiten«: Trocken kommentierte die Daily Nation, Kenias auflagenstärkste und einflussreichste Tageszeitung, den Besuch von Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier am vergangenen Wochenende in Nairobi. Klar, die Deutschen würden – wie immer in Afrika – den angeblich uneigennützigen Wohltäter mimen; tatsächlich aber würden sie Geschäfte machen und strategische Vorteile erzielen wollen. Und so fragte der Interviewer von der Daily Nation den Berliner Sozialdemokraten denn vor allem nach den ökonomischen Zielen seiner Reise und nach seinen politischen Absichten im Land. Die Zeitung übertitelte ihr Steinmeier-Interview schließlich: »Mehr deutsche Firmen wollen anlässlich der Öl- und Gasfunde in Kenia investieren.«

Kenia hat für die Berliner Politik in den vergangenen Jahren durchaus einige Bedeutung erlangt. Neben strategischen Ursachen (vgl. dazu den Text unten) gibt es vor allem ökonomische Gründe dafür. Einer davon liegt in Kenia selbst. Die Wirtschaft des Landes, das immerhin das höchste Bruttoinlandsprodukt Ostafrikas verzeichnet, hat in den vergangenen Jahren regelmäßig um Raten von gut fünf Prozent zugenommen. Umfangreichere Öl- und Gasfunde befeuern die Hoffnung der kenianischen Eliten und der aufstrebenden Mittelschichten auf ein weiteres Wachstum, und wenngleich der zur Zeit sehr niedrige Erdölpreis die Förderprojekte aktuell zu bremsen droht: Früher oder später könnte es zu einem gewissen Ressourcenboom kommen. Dabei fallen deutsche Unternehmen in Kenia seit einiger Zeit gegenüber der Konkurrenz zurück. Während Steinmeier die deutschen Investitionen in Kenia in seinem Interview mit der Daily Nation auf rund 100 Millionen Euro bezifferte, erreichten die chinesischen 2014 den fünffachen Wert; und während das deutsch-kenianische Handelsvolumen 2013 bei eher schlappen 400 Millionen Euro lag, stieg der chinesisch-kenianische Handel 2014 um 53 Prozent auf fast das Elffache – 4,4 Milliarden Euro.

Der deutsche Rückstand fällt auch deswegen ins Gewicht, weil sich Kenia – nicht zu Unrecht – als wirtschaftliches Zentrum eines größeren Staatenbundes betrachtet, der »East African Community« (EAC). Diese ist, auf ältere Wurzeln zurückgehend, im Jahr 2000 von Kenia, Uganda und Tansania neu begründet worden und hat 2007 Ruanda und Burundi aufgenommen. Letzteres war ein bemerkenswerter Schritt: Beide Länder gehören traditionell zur Einflusssphäre Frankreichs, haben sich aber nach dem ruandischen Genozid von 1994 und dem auf ihn folgenden Machtwechsel in Kigali auf die anglophone Welt umorientiert, zu der die EAC gehört. Deren nun fünf Mitglieder bilden aus deutscher Sicht einen nicht unattraktiven Absatzmarkt, der in den kommenden Jahren wegen größerer Erdölfunde in Uganda und der Entdeckung bedeutender Erdgasvorräte in Tansania umso interessanter werden kann. Wer in Kenia investiere, investiere in einen Markt, der deutlich mehr Menschen als die 44 Millionen Einwohner des Landes umfasse, umwarb die kenianische Außenministerin Amina Mohamed denn auch am Sonntag die deutschen Unternehmer, die Steinmeier nach Nairobi begleiteten.

Hinzu kommt, dass die EAC weiter expandieren will. Theoretisch haben die fünf EAC-Staaten vor, Somalia eines Tages in ihren Bund aufzunehmen. Das kann man guten Gewissens als ehrgeizige Vision für eine doch eher ferne Zukunft verbuchen. Konkretere Gestalt hatte allerdings vor zwei Jahren der Plan angenommen, den Südsudan in die EAC zu integrieren. Das würde bedeuten, dass einer der wirklich relevanten Erdölproduzenten Afrikas Teil des Staatenbundes würde – im Südsudan liegen rund 80 Prozent der Vorräte des einstigen Gesamtsudan. Der Beginn neuer Kämpfe im Südsudan Ende 2013 lässt das Integrationsprojekt zwar stocken. Gelänge es aber, den Bürgerkrieg zu beenden, dann käme die Aufnahme des so rohstoffreichen Landes in die EAC mit ihrem kenianischen Gravitationszentrum wieder in den Blick.

Und zugleich könnten dann in Kenia die Pläne für den »Lamu-Korridor« ihre volle Wirkung entfalten. Lamu ist ein verschlafenes Provinznest an der kenianischen Küste unweit der Grenze zu Somalia, das bislang vom Strandtourismus und seiner berühmten Altstadt lebt. Nun soll dort ein Tiefseehafen gebaut werden – der größte Ostafrikas. Weshalb? Nairobi plant den Aufbau eines Verkehrskorridors direkt in den Südsudan, der nicht nur Straßen und eine Eisenbahnstrecke für den Gütertransport, sondern auch eine Pipelineverbindung umfassen soll, um das Erdöl des Südsudan unter Umgehung des arabisch-islamisch dominierten (Nord-)Sudan abzutransportieren. Das Projekt ist überaus ambitioniert, es wird, sofern es zustande kommt, mindestens 23 Milliarden US-Dollar kosten – die Hälfte des kenianischen Bruttoinlandsprodukts. Dafür soll es weitere Infrastruktur umfassen, eine Erdölraffinerie etwa sowie Straßen und Zugstrecken nach Äthiopien und in andere EAC-Staaten. Kenia könnte damit seine Position als Zentrum einer boomenden EAC festigen.

Chancen sind da, auch wenn man noch nicht weiß, was daraus wird. China investiert kräftig. Will Berlin nicht ins Hintertreffen geraten, muss es sich ins Zeug legen. Am 6. Juni 2014 hat Exbundespräsident Horst Köhler in Nairobi das erste »East African-German Business Colloquium« eröffnet – ein Treffen, auf dem interessierte deutsche Unternehmer Kontakte zu EAC-Firmen und -Regierungsstellen knüpfen konnten und das wiederholt werden soll. Außenminister Steinmeier hat sich jetzt in Nairobi ebenfalls bemüht, neue Geschäfte auf den Weg zu bringen. »Deutschland ist in Kenia nicht gut positioniert«, warnte noch vor wenigen Tagen kurz und trocken die bundeseigene Außenwirtschaftsagentur »Germany Trade & Invest«. Es gebe ein »großes Interesse am Ausbau der bestehenden Wirtschaftsbeziehungen«, teilte das Auswärtige Amt jetzt mit. Ob aus der deutschen Aufholjagd in Ostafrika etwas wird? Steinmeier jedenfalls hat sich am Wochenende Mühe gegeben.

* Aus: junge Welt, Dienstag, 24. Februar 2015


Berlins Ostafrikapolitik: Im Bund mit Regionalmächten

Von Jörg Kronauer **

Deutschland wird Kenia bei seinen Bemühungen unterstützen, die Kriege in Somalia und im Südsudan unter Kontrolle zu bekommen. Das hat Außenminister Frank-Walter Steinmeier am Sonntag in Nairobi bekräftigt.

Die deutsche Außenpolitik setzt in Ostafrika seit dem Abzug der Bundeswehr aus Somalia im Jahr 1994 darauf, vorwiegend über regionale Mächte zu intervenieren und selbst nur mit der Ausbildung von Soldaten oder mit sehr kleinen Kontingenten steuernd einzugreifen. Bestes Beispiel ist Somalia. Dort werden die westlichen Bemühungen, eine kooperationswillige Regierung zu installieren, militärisch von Truppen aus der »East African Community« (EAC) unterstützt. Zunächst taten sich dabei Uganda und Burundi hervor. Seit Oktober 2011 sind Einheiten aus Kenia im Süden Somalias stationiert, wobei das Establishment in Nairobi durchaus auch eigene Interessen verfolgt – es erhofft sich größeren Einfluss im Nachbarland. Schon lange operieren zudem äthiopische Truppen in Somalia; Äthiopien, die stärkste Militärmacht Ostafrikas, gibt seit Jahren den loyalen Statthalter des Westens in der Region. Die Bundeswehr hat im Jahr 2010 Militärberater nach Äthiopien entsandt, bildete eine Zeitlang in Uganda somalische Truppen aus und beteiligt sich heute in Mogadischu am Training somalischer Soldaten durch die EU. Hinzu kommen natürlich US-Drohnenattacken sowie die Marineeinsätze von EU und NATO vor dem Horn von Afrika, die sich allerdings auf die Piratenbekämpfung auf See beschränken – in sicherem Abstand zu den Kämpfen an Land.

Seit Ende 2013 neue Kämpfe im Südsudan begonnen haben, sind – durchaus in Abstimmung mit dem Westen, wie Steinmeiers jüngste Gespräche in Nairobi erneut belegten – einige EAC-Staaten und Äthiopien auch dort aktiv. Uganda hat Truppen entsandt, um die Dinge zumindest punktuell unter Kontrolle zu bekommen. Kenia versucht gegenwärtig, zwischen den verschiedenen Fraktionen im Südsudan zu vermitteln; dasselbe tut Äthiopien. Kenia und Uganda haben echte Eigeninteressen: Geschäftsleute aus beiden Ländern verdienten vor dem Beginn der Kämpfe Ende 2013 im Südsudan gutes Geld – ugandische Händler vor allem mit dem Verkauf von Lebensmitteln, kenianische Unternehmer auf dem Bankensektor und in der Telekommunikationsbranche. Und der Südsudan soll ja über den »Lamu-Korridor« (siehe Artikel oben) gewinnbringend an Kenia angebunden werden. Die Interessen der EAC-Staaten decken sich hier zu einem guten Teil mit denjenigen Berlins, was die Durchsetzung der deutschen Pläne erleichtert.

** Aus: junge Welt, Dienstag, 24. Februar 2015


Visite im Kongo

Von Jörg Kronauer ***

Lang ist es her, dass ein deutscher Außenminister in die Demokratische Republik Kongo reiste. Hans-Dietrich Genscher sollte 1977 für Jahrzehnte der letzte gewesen sein – bis Ende vergangener Woche Frank-Walter Steinmeier in die kongolesische Hauptstadt Kinshasa und anschließend noch nach Goma ganz im Osten des Landes aufbrach. Berlin entwickelt seit einigen Jahren ein neues, vorsichtiges, aber doch spürbares Interesse an dem rohstoffreichen Staat im Herzen Afrikas. Im Juli 2013 schickte die Bundesregierung den Diplomaten Martin Kobler, der zuvor in Afghanistan und im Irak tätig gewesen war, in den Kongo: Er wurde Chef der UN-Blauhelmtruppe Monusco. Das war nicht unattraktiv, weil die stetigen Rangeleien der westlichen Mächte es der Monusco damals gestatteten, Milizen, die von Ruanda unterstützt wurden und im Ostkongo wüteten, aus dem Land zu jagen, was ihr Sympathien einbrachte. In deutschen Medien hieß es denn auch bald triumphierend, Kobler sei im Ostkongo sehr beliebt – beliebter vielleicht sogar als Präsident Joseph Kabila.

Parallel hat Berlin sich um den Ausbau der Wirtschaftsbeziehungen bemüht, die daniederliegen. Im vergangenen September besuchte der kongolesische Ministerpräsident Augustin Matata Ponyo die deutsche Hauptstadt – auf Einladung von Bundeskanzlerin Merkel, wie die kongolesische Presse ausdrücklich vermerkte. Matata Ponyo traf sich mit diversen Regierungsvertretern und vor allem mit deutschen Unternehmern, für die der Außenwirtschaftsverband »Afrika-Verein« ein »Wirtschaftsgespräch« mit ihm organisierte. Es diente der Vorbereitung einer Unternehmerreise des Verbandes in die Demokratische Republik Kongo. Mitten in die Bemühungen platzt nun die Nachricht, dass Kabila mit den jüngsten Vorhaben von Monusco-Chef Kobler nicht mehr einverstanden ist und sich querstellt – immerhin ist er gewählter Präsident. Steinmeier musste letzte Woche also auch im Ostkongo, dem Wirkungsfeld des Monusco-Chefs, nach dem Rechten sehen und persönlich nach Goma reisen, als erster deutscher Außenminister überhaupt – übrigens fast auf den Tag genau 130 Jahre nach dem Ende der Berliner Kongo-Konferenz am 26. Februar 1885, mit der Deutschland seine »ordnenden« Aktivitäten in Afrika begann. (jk)

*** Aus: junge Welt, Dienstag, 24. Februar 2015


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