Deutschlands Streben nach einem ständigen Sitz im UN-Sicherheitsrat:
Ein "Irrweg", sagt eine Analyse aus dem Institut für Entwicklung und Frieden-INEF. Auszüge
Die Studie, deren Einleitung unsd Schlusskapitel wir im Folgenden dokumentieren, analysiert die deutsche UN-Reformpolitik der letzten Jahre. Im Mittelpunkt steht
eine kritische Auseinandersetzung mit der politischen Zielsetzung, einen nationalen ständigen Sitz für Deutschland im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen zu erlangen. Vor dem Hintergrund prominenter Vorschläge zur Reform des Sicherheitsrats wird zunächst die Genese dieses Anspruchs rekonstruiert. In einem weiteren Schritt werden die Positionen wichtiger Verbündeter und Partner untersucht. Dabei wird deutlich, wie wenig Unterstützung Deutschland selbst
von seinen wichtigsten Partnern erfährt und wie sehr diese Unterstützung in den letzten Jahren abgenommen hat. Die anschließende Analyse der wichtigsten Argumente für einen ständigen deutschen Sitz zeigt, dass sie einer kritischen Prüfung nicht Stand halten können. Die Studie schließt mit einem Plädoyer und konkreten Vorschlägen für eine Wiederbelebung einer europäischen Option. Titel der Studie: "Das deutsche Streben nach einem ständigen Sitz im UN-Sicherheitsrat. Analyse eines Irrwegs und Skizzen eines Auswegs". Die Autoren: Gunther Hellmann und Ulrich Roos.*
Wir haben bei unserer Dokumentation auf den wissenschaftlichen Apparat verzichtet.
Einleitung und Überblick
(Seite 6-8)
Die Vereinten Nationen sind in gewisser Weise ein Produkt deutscher Politik.
Die Betonung liegt dabei natürlich auf dem Zusatz „in gewisser Weise“, denn
dass es eine solche internationale Organisation geben würde, war seitens deutscher Politik alles andere als intendiert. Das Gegenteil ist der Fall. Zumindest mittelbar aber hatte die deutsche Politik beträchtlichen Anteil sowohl an der Entstehung der UN wie auch der konkreten institutionellen Form. Bereits zwei Jahre vor Beginn des Zweiten Weltkrieges bewirkte die Aggressionspolitik
Hitlers ein wesentliches Umdenken auf Seiten der bis dahin isolationistischen
USA, das letzten Endes zur Gründung der Vereinten Nationen führte. Die
„Epidemie der weltweiten Gesetzlosigkeit“, die US-Präsident Roosevelt in
seiner berühmten „Quarantäne“-Rede vom 5. Oktober 1937 als Metapher zur
Beschreibung der Politik Nazi-Deutschlands, Italiens und Japans wählte, legte
aus seiner Sicht eine klare Politikempfehlung nahe: die Gesetzlosen mussten
isoliert werden, um den Rest der Staatengemeinschaft vor der Ausbreitung des
Virus der Gesetzlosigkeit zu bewahren (Roosevelt 1937). Und dafür, das zeichnete
sich bereits 1937 ab, bedurfte es neuer Instrumente der Staatengemeinschaft.
Dass die Vereinten Nationen einen nicht unwesentlichen Teil ihres Ursprungs
in der Politik jener, gegen Nazi-Deutschland, Italien und Japan „vereinten
Nationen“ hatte, fand im Gründungsakt der UN u.a. in den Artikeln 53,
77 und 107 der UN-Charta Ausdruck. Darin wurden jene Staaten, die „während
des Zweiten Weltkriegs Feind eines Unterzeichners dieser Charta“ waren, von
bestimmten Rechten, die anderen Mitgliedern der UN zukamen, explizit ausgenommen.
Diese sogenannten „Feindstaatenklauseln“ sind trotz langjähriger
Bemühungen (nicht zuletzt der verschiedener Bundesregierungen), sie abzuschaffen, formal weiter in Kraft, denn für ihre Abschaffung bedarf es genauso einer Änderung der Charta wie, etwa, für die Erweiterung des Sicherheitsrats.
Faktisch jedoch haben die Feindstaatenklauseln jegliche Bedeutung verloren.
Pikant ist dieser historische Bezugspunkt vor dem Hintergrund der aktuellen
UN-Politik Deutschlands (wie auch Japans) trotzdem, denn mit der Formulierung
ihres Anspruches auf einen ständigen Sitz im UN-Sicherheitsrat kehren
zwei der drei großen, ehemaligen „Feindstaaten“ auch formal in den Kreis jener
zurück, die einen besonderen weltpolitischen Gestaltungsanspruch geltend
machen.
Die Frage, wie die Welt im 21. Jahrhundert regiert werden soll, stellt sich
daher in verschärfter Dringlichkeit nicht nur vor dem Hintergrund der zunehmenden Verdichtung der zwischenstaatlichen wie auch der zwischengesellschaftlichen Beziehungen, sondern auch im Blick auf neue machtpolitische Ansprüche von Staaten wie Deutschland.4 Die Vereinten Nationen und hier vor allem der mit besonderen Kompetenzen ausgestattete Sicherheitsrat sind immer der erste Adressat, wenn nach Antworten auf diese Frage gesucht wird.
Seit mehr als zehn Jahren beschäftigen sich daher die Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen mit einer grundlegenden Reform ihrer Institutionen. Dies gilt
gerade auch für die deutsche Außenpolitik, die seit Mitte der 1990er Jahre und
verstärkt seit Mitte 2004 eine Chance sah, im Zuge einer Erweiterung des Sicherheitsrats einen nationalen ständigen Sitz für Deutschland zu erlangen. Die
kritische Analyse dieser Bemühungen steht im Mittelpunkt dieser Studie. In
einem größeren Zusammenhang kann sie als eine Fallstudie sowohl der Veränderung
der deutschen Außenpolitik wie auch speziell seiner europäischen
Ausrichtung begriffen werden (vgl. Hellmann 2004, 2006).
Die Studie ist wie folgt aufgebaut. Im nachfolgenden zweiten Kapitel werden
die zentralen Inhalte der wichtigsten Reformansätze der vergangenen Jahre
zusammengefasst. Im dritten Kapitel wird die Entwicklung der deutschen
Reformvorschläge über Zeit rekonstruiert, beginnend mit der zurückhaltenden
Positionierung nach der Vereinigung unter der Regierung Kohl/Genscher, über
die Formulierung des „Wunsches“ nach Beteiligung durch Genschers Nachfolger
Kinkel, bis zur offenen Kampagne für einen nationalen ständigen Sitz unter
der Regierung Schröder/Fischer. Das vierte Kapitel analysiert die Positionen
wichtiger Verbündeter und Partner. Im fünften Kapitel werden die wichtigsten
Argumente, die für einen ständigen Sitz Deutschlands ins Feld geführt werden,
einer kritischen Prüfung unterzogen. Dabei werden drei Argumentationsdimensionen
unterschieden, a) eine realpolitische Dimension, die in erster Linie
durch die Höhe der von deutscher Seite erbrachten materiellen Leistungen
sowie bestimmten machtpolitischen Konzeptionen geprägt wird; b) eine stärker
normative Dimension, in deren Mittelpunkt die Forderungen nach einer Verbesserung der Effektivität und Repräsentativität des Rates sowie das für die
deutsche Außenpolitik zentrale handlungsleitende Grundkonzept des Multilateralismus stehen; sowie schließlich c) die europäische Dimension der Debatte, bei der es um die Klärung der Frage geht, wie überzeugend die Argumentation ist, dass ein ständiges Sicherheitsratsmitglied Deutschland als europäischer „Treuhänder“ fungieren würde. Das abschließende sechste Kapitel bilanziert die derzeitige Situation aus deutscher Perspektive und unterbreitet Vorschläge für einen Ausweg aus der konstatierten Krise. Wir argumentieren, dass angesichts der festgefahrenen Positionen mittelfristig nur dann eine Aussicht auf Erfolg besteht, wenn gewichtige Akteure wie Deutschland zur Revision ihrer
Position bereit sind. Die Ausgangslage dafür, dass Deutschland zu einem
solchen Akteur werden könnte, sind dabei insgesamt nicht schlecht, sprechen
doch sowohl innenpolitische wie europapolitische Aspekte für die Möglichkeit
einer Öffnung. Wie die deutsche Politik diese Situation für eine „Wiederbelebung“ der europäischen Option nutzen könnte, wird abschließend diskutiert.
Von englischen Windhunden und künstlichen Hasen oder:
Wie Deutschland durch die Wiederbelebung einer europäischen Option zur Überwindung der UN-Reform-Blockade beitragen kann
(Seite 51-56)
Betrachtet man (...) die derzeitige Lage, dann ist großer
Optimismus über schnelle Fortschritte hinsichtlich einer Reform des UN-Sicherheitsrats sicherlich fehl am Platz. Ob die Wiederbelebung der Diskussion
seit dem Frühjahr 2007 allerdings nur das letzte „Zucken“ eines „Leichnams“
ist (so der pakistanische UN-Botschafter (Ross 2007)), hängt nicht zuletzt davon
ab, wie sich die deutsche Außenpolitik zukünftig positioniert. Im Moment hat
es den Anschein als ob die Bundesregierung den „intermediary approach“ der
sogenannten „Fazilitatoren“ als einziger G4-Staat vor allem deshalb unterstützt,
weil nur auf diesem Wege die Chance gewahrt werden kann, den Fuß in die
Tür des Sicherheitsrates zu bekommen, um aus einer quasi-permanenten Mitgliedschaft mittelfristig gleichsam per Gewohnheitsrecht eine ständige zu
machen. Wenn der nationale ständige Sitz das höchste Gut deutscher UN-Politik
bleibt, ist diese Torschlusspanik auch gerechtfertigt, denn mittel- bzw.
langfristig kann Deutschland nur verlieren. Japan und Indien können genauso
wie Brasilien zumindest auf die deutliche Unterrepräsentation Asiens bzw.
Lateinamerikas verweisen und hoffen, im Falle einer Neuverteilung der Sitze
zusammen mit ein oder zwei Staaten Afrikas berücksichtigt zu werden.
Deutschland hingegen bleibt (ironischerweise!) nur der Verweis auf die kollektiven Leistungen der EU als Argument für einen nationalen Sitz.
Alle Anwärterstaaten übersehen allerdings geflissentlich, wie sehr sie zum
Spielball der ständigen Mitglieder geworden sind. Denn sie alle ähneln immer
mehr jenen englischen Windhunden, die einem gelenkten künstlichen „Hasen“
hinterher hecheln, den sie freilich, weil es Teil des Spiels ist, nie fangen werden.
Mehr noch: im Unterschied zu den Windhunden, die nach einigen Runden
durchs Ziel laufen, wird den Sicherheitsratsaspiranten womöglich nur vorgetäuscht,
es gäbe tatsächlich ein „Ziel“ – ein Ziel, das mit dem Banner „Erweiterung
des Sicherheitsrats um ständige Mitglieder“ überschrieben ist und das
diejenigen vermeintlich als Gewinner erreichen, die sich im Schmieden von
Koalitionen am geschicktesten anstellen. Da die eherne internationale Politik
jedoch hinreichend viele Staaten mit einem Mindestgeschick in der Disziplin
kurzfristiger Bündnispolitik ausgestattet hat, heben sich die Vorteile wechselseitig auf. Die Nutznießer der Uneinigkeit sämtlicher Aspiranten – seien es nun die G4-Staaten, die „Konsens“-Gruppe oder die AU – sind vor allem die derzeitigen ständigen Mitglieder. Mit Veto-Macht ausgestattet können sie jederzeit auf die Bremse treten. Aber derzeit ist dies noch nicht einmal nötig, können sich die P5 doch gewiss sein, dass die aussichtsreicheren Konkurrenten und ihre weniger aussichtsreichen Widersacher einander genügend Steine in den Weg legen. Sie können sich sogar zurücklehnen und ganz allgemein Reform predigen
oder sogar dem einen oder anderen Kandidaten explizit Unterstützung
zusichern. Sie können sich dabei bislang gewiss sein, dass sich immer genügend
spezifischer Widerstand gegen einzelne Kandidaten mobilisieren lässt – und
damit jegliche Reform auf den Sankt-Nimmerleinstag vertagt wird. Am Ende
bleibt alles beim Alten und die P5 können sich sogar rühmen, einer Reform
nicht im Wege gestanden zu haben.
Dieser Teufelskreis wird sich nur durchbrechen lassen, wenn hinreichend
viele und hinreichend gewichtige Staaten aus der Tretmühle nationaler Prestigemaximierung aussteigen, sich untereinander zusammenschließen und den
Anachronismus der derzeitigen Machtverteilung und Herrschaftsausübung im
globalen Maßstab mit vereinten Kräften desavouieren. Dies würde u.a. bedeuten,
nicht nur das Privileg des Vetos, sondern auch den Anspruch auf ständige
Mitgliedschaft zumindest prinzipiell zu delegitimieren. Neben den weithin unstrittigen zusätzlichen nicht-erneuerbaren Sitzen könnte die seit längerem in der Diskussion befindliche Kategorie der „semi-permanenten“ Sitze in mehrererlei
Hinsicht nützlich sein (vgl. Fassbender 2003: 206-210). Die dahinter stehende
Grundidee wurde in den Beratungen der „Open-ended Working Group“ von
sehr vielen Staaten unterstützt. In einer präzisierten Variante liegt sie dem
Modell B des „High-level Panel“ zugrunde (vgl. oben S. 10ff) und findet sich im
Kern auch in den beiden Berichten der zwei bzw. fünf „Fazilitatoren“ von April
und Juni 2007. Als explizite Gegner haben sich bislang lediglich die (wenigen)
Aspiranten mit den besten Aussichten auf einen ständigen Sitz sowie jene ganz
kleinen Staaten zu erkennen gegeben, die bei der Realisierung dieser Option
fürchten müssten, seltener in den Sicherheitsrat gewählt zu werden als nach der
bisherigen Formel.
Gegenüber einer ständigen Mitgliedschaft hätte eine semi-permanente Mitgliedschaft den Vorteil, dass sich die jeweiligen Kandidaten in jeder Wahlperiode neu „bewähren“ müssten – ein Prinzip, das bereits sehr früh (und völlig zurecht) sowohl von Deutschland wie auch Italien befürwortet wurde. Italien selbst hatte sich wiederholt für durch Wahlen rotierende Sitze ausgesprochen und dabei die Aufhebung des Wiederwahlverbots vorgeschlagen (UN-Dok. A/58/PV.30, A/59/PV.26) Damit würde die Chance auf eine echte Stärkung der
Vereinten Nationen beträchtlich steigen, denn die Tatsache, dass Staaten sich
stets neu bewähren müssten, würde den Anreiz beträchtlich steigern, sich im
Dienste der originären Ziele der Vereinten Nationen (oder zumindest einer
hinreichend großen Zahl der UN-Mitgliedsstaaten) zu engagieren. Drittens
würde der Anachronismus einer ständigen Mitgliedschaft (insbesondere einer
solchen mit Vetorecht) umso stärker ins Auge stechen, je engagierter sich gewichtige semi-permanente Mitglieder für die Vereinten Nationen einsetzten.
Indirekt wäre eine solche Reform daher auch eine Chance, langfristig zu einer
weiter reichenden Reform der Vereinten Nationen zu gelangen, die auf eine
Charta-verbriefte ständige Mitgliedschaft einzelner Staaten im UNSicherheitsrat
verzichtet bzw. Öffnungen für neue Formen der staatenübergreifenden
Repräsentation schafft.
Für dieses Modell spräche zudem ganz praktisch, dass seine Erfolgsaussichten
in dem Maße steigen, in dem gewichtige Akteure, die sich bislang als Spon-
soren alternativer Modelle zu erkennen gegeben haben, sich für Änderungen in
diesem Sinne offen zeigen. Deutschland käme dabei aus mehreren Gründen
eine zentrale Funktion zu. Erstens wird es nach wie vor (und trotz gewisser
Reputationseinbußen in der Folge der Politik der Regierung Schröder/Fischer)
zu den Schwergewichten multilateraler Außenpolitik gerechnet. Zweitens kann
Deutschland durch seine bislang prominente Rolle in der G4 aber auch als
führendes Mitglied der EU ein beträchtliches politisches Gewicht in die Waagschale werfen. Drittens verfügt Bundeskanzlerin Merkel nicht nur über ein
großes Ansehen, sondern auch über vielfältig unter Beweis gestellte Fähigkeiten,
diffizile Konfliktkonstellationen durch beharrliche Kompromisssuche zu
überbrücken und damit auch über die Fähigkeit den notwendigen Reformprozess
in Gang zu setzen.
Aus diesen Gründen könnte und sollte Bundeskanzlerin Merkel ihren ersten
Auftritt vor der Generalversammlung Ende September 2007 dazu nutzen,
neben dem Werben für ihre Klimapolitik-Initiative einen Brückenschlag zwischen
der italienischen und der deutschen Position vorzubereiten. In einem
ersten Schritt würde es hierfür ausreichen, einige wenige Prinzipien zu benennen, die nach der Diskussion der vergangenen Jahre Aussicht haben könnten,
die innereuropäische Kluft, die vor allem durch die rivalisierenden Positionierungen Deutschlands und Italiens bestimmt wird, zu überwinden und damit in der UN insgesamt breite Zustimmung zu erzielen. Dazu gehören:
-
das Prinzip der grundsätzlichen Offenheit hinsichtlich des weiteren
Reformprozesses des UN-Sicherheitsrats;
- die Anerkennung des Prinzips der Pluralität unterschiedlicher Mitgliedschaftsformen (ständige, „semi-permanente“, nicht-ständige) für einen
Übergangszeitraum. Damit würde zwar für diesen Übergangszeitraum
ein Zwei- oder sogar Dreiklassensystem etabliert, die explizite Koppelung
an einen kontinuierlichen Überprüfungsmodus würde aber eine Legitimation
dieses Systems ermöglichen;
-
die Vor-Entscheidung über die Kandidaturen der Ratsmitgliedschaft per
Wahl in den jeweiligen Regionalgruppen. Alle Staaten sollten hier dazu
angehalten werden, ihre Stimmangabe dadurch zu untermauern, dass sie
explizit darlegen, wie ihre Wunschkandidaten zu den Zielen der Vereinten
Nationen beitragen. Dieser Wahl würde natürlich im Rahmen der
Generalversammlung die Fixierung der Zahl der zusätzlichen Sitze, die
jeder Region zugewiesen werden, vorausgehen müssen. Den Regionen
könnte es dann aber freigestellt werden, ob sie die verfügbaren Sitze als
„semi-permanente“ oder als herkömmliche nicht-ständige deklarieren
und füllen wollten. Als maximale Obergrenze für semi-permanente Sitze
könnten die im Modell A des „High-Level Panel“ genannten Zahlen übernommen
werden (vgl. oben S. 10ff).
Im Anschluss an das Motto ihrer EU-Präsidentschaft („Europa gelingt gemeinsam“,
vgl. Merkel 2007) könnte Merkel dem hinzufügen (oder in einer späteren
Initiative nachschieben), dass sie gemeinsam mit den EU-Partnern ausloten
will, wie die EU als Ganzes sich zur Reform des UN-Sicherheitsrats positionieren
sollte. Sie müsste dies keineswegs von vorneherein mit einem Verzicht
Deutschlands auf die Option eines der Region „Westeuropa“ zugewiesenen
semi-permanenten Sitzes verbinden. Mehr noch, sie könnte sogar explizit den
Anspruch formulieren, für Deutschland (zunächst für eine Übergangszeit)
einen semi-permanenten Sitz anzustreben. (Dies ist im Kern ja bereits heute die
Forderung Deutschlands.) Um eine solche Forderung für eine Mehrheit der EU-Partner - allen voran Italien und Spanien - akzeptabel zu machen, müsste sie
allerdings in verallgemeinerungsfähige Prinzipien eingebettet sein. Dazu
zählen insbesondere die folgenden zwei:
-
Weil es innerhalb der EU keine ständigen Vorrechte gibt, können EU-Mitgliedsstaaten auch nicht voneinander fordern, solche Rechte auf Dauer
zugesprochen zu bekommen (dass Frankreich und Großbritannien ein
solches Vorrecht im Blick auf ihre ständige Mitgliedschaft im UNSicherheitsrat
genießen, hat ausschließlich damit zu tun, dass diese ihrem
jeweiligen Beitritt zur EU vorausgingen). Mit der Unterwerfung unter die
Wahl durch die anderen Mitglieder dieser Gruppe würden jene Mitgliedsstaaten,
die Deutschlands Anspruch, die EU oft oder sogar „semipermanent“
zu vertreten, streitig machen wollten, ihrerseits herausgefordert,
sich der offenen Konkurrenz zu stellen. Damit würde nicht nur der
Wettbewerb unter „UNO-philen“ EU-Mitgliedern befördert, der letztlich
den genuinen Zielen der Vereinten Nationen zugute kommen sollte, sondern
auch der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) der
EU ein Dienst erwiesen.
-
Im Einklang mit Buchstaben und Geist des unter ihrer Präsidentschaft im
Sommer 2007 beschlossenen „Reformvertrages“ der Europäischen Union
könnte Frau Merkel ankündigen, dass Deutschland sich an die Spitze jener
Mitgliedstaaten stellt, die die GASP auch im Rahmen der Vereinten
Nationen stärken wollen. Sie könnte ähnlich gesinnte Staaten einladen,
zusammen mit Deutschland eine feierliche Selbstverpflichtung zu unterschreiben,
die insbesondere zwei Punkte enthalten sollte. Erstens sollten
sich die Unterzeichner verpflichten, die Umsetzung des neuen 3. Satzes
von Art. 19 EUV, demzufolge die Union den Hohen Vertreter stärker in
ihre Sicherheitsratspräsenz einbindet, konsequent voranzutreiben.
Zweitens sollten sie sich verpflichten, dem Ministerrat und dem Europäischen
Parlament über ihr Abstimmungsverhalten im Sicherheitsrat regelmäßig
Bericht zu erstatten und dabei explizit darzulegen, wie ihre Politik
die Ziele der Union befördert hat. Damit wäre nicht nur ein Mechanismus
der Rechenschaftslegung gegenüber jenen geschaffen, die über
eine mögliche Wieder- oder eben auch Abwahl von EUSicherheitsratsmitgliedern
zu entscheiden hätten, sondern auch eine
Rückkoppelung an den europäischen Souverän erreicht.
Mit einer solchen Wiederbelebung einer europäischen Option würde Merkel
mehrere Ziele erreichen können. Erstens könnte sie das wachsende Misstrauen
jener entkräften, die unter Verweis auf die Gruppe der „P5+1“ und der „EU-3“
eine deutsche Prestigepolitik zulasten der GASP sehen. Zweitens würde sie die
Glaubwürdigkeit der deutschen EU-Politik erhöhen und gleichzeitig Italien zu
jener gemeinsamen Stärkung der EU einladen, die sich gerade die Regierung
Prodi auf die Fahnen geschrieben hat. Gerade Italien würde mit einer solchen
Initiative auch aus der Reserve gelockt, denn viele dieser Vorschläge entsprechen Forderungen, die Rom seit langem erhebt. Wenn es daher gelänge, zwischen Deutschland und Italien eine Kompromisslinie zu entwickeln, wäre dies
ein enormer Fortschritt nicht nur für die EU, sondern auch für die UN, selbst,
denn damit würden sich zwei Kernmitglieder der beiden wichtigsten konkurrierenden Koalitionen (G4 und „Konsens“) an die Spitze der Reform setzen.
Deutschland, Italien und die EU würden der Welt damit auch signalisieren,
dass nicht anachronistische nationalstaatliche Vorrechte, sondern eine Anpassung
des UN-Systems an die veränderte weltpolitische Lage ihr Kernanliegen
wäre. Drittens würde ein beträchtlicher Gewinn an Gestaltungsmöglichkeiten
für die deutsche Außenpolitik einher gehen, weil sie sich nicht nur aus der
babylonischen Gefangenschaft der G4 befreien würde, sondern auch in glaubwürdiger Weise weitere Reformen zu einem späteren Zeitpunkt einfordern
könnte. Schließlich wäre auch die Keimzelle für einen späteren Sitz der EU
geschaffen, sollte ein solcher Sitz mittel- oder langfristig möglich werden.
* Hellmann, Gunther/Roos, Ulrich: Das deutsche Streben nach einem ständigen Sitz im UN-Sicherheitsrat: Analyse eines Irrwegs und Skizzen eines Auswegs.
Duisburg: Institut für Entwicklung und Frieden, Universität Duisburg-Essen (INEF-Report 92/2007).
Adresse:
Institut für Entwicklung und Frieden (INEF)
Geibelstraße 41, D-47057 Duisburg
Telefon +49 (203) 379 4420 Fax +49 (203) 379 4425
E-Mail: inef-sek@inef.uni-due.de
Homepage: http://inef.uni-due.de
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