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Steinmeier in "Freundesmission"

Deutscher Außenminister will im Streit um Abchasien vermitteln

Von Irina Wolkowa, Moskau *

Frank-Walter Steinmeier ist auf Reisen: Am Donnerstag traf er in der georgischen Hauptstadt Tbilissi ein, heute will er im abchasischen Suchumi sondieren, um anschließend in Moskau mit seinem russischen Kollegen Sergej Lawrow zu konferieren.

Mancher hält es für eine »Mission impossible«: Deutschlands Chefdiplomat soll versuchen, die Regierung Georgiens, die abtrünnigen Abchasen und deren Schutzmacht Russland für einen Dreistufenplan zu gewinnen, durch den die Konflikte im Südkaukasus einer dauerhaften Lösung zugeführt werden.

Anfang der 90er hatten sich Abchasien und Südossetien, zu sowjetischen Zeiten Autonomien innerhalb der Georgischen SSR, für unabhängig erklärt. Tbilissi aber erhält seine Ansprüche auf beide Regionen aufrecht. Die wiederum streben ein Assoziierungsabkommen mit Moskau oder gar die Aufnahme in die Russische Föderation an. Ein Großteil der Bevölkerung hat bereits russische Pässe.

Nachdem Moskau im April direkte Beziehungen zu beiden Regionen angekündigt hatte, wuchsen die Spannungen zwischen Georgien, den Separatisten und Russland. Vorläufiger Höhepunkt waren Anfang Juli Sprengstoffanschläge in Abchasien, deren Drahtzieher die einen in Tbilissi, die anderen in Moskau vermuten. Fast zeitgleich beschoss georgische Artillerie die südossetische Hauptstadt Zchinwali. Daraufhin drangen russische Kampfflugzeuge in den georgischen Luftraum ein, um – wie aus dem Moskauer Außenministerium verlautete – die »Hitzköpfe in Tbilissi abzukühlen«.

Unmittelbar danach begannen Russland und Georgien mit größeren Manövern in der Krisenregion. Beide Seiten üben dabei das Vorgehen im Falle einer weiteren Zuspitzung der Lage. Enttäuscht darüber, dass sich sowohl die EU als auch die USA bisher nur zu verbaler Unterstützung für Georgiens territoriale Integrität aufraffen konnten, hat Tbilissi darüber hinaus die GUAM – ein Bündnis prowestlicher ehemaliger Sowjetrepubliken und anderer osteuropäischer Staaten – als Krisenmanager verpflichtet.

Dem auf einem GUAM-Gipfel im georgischen Batumi beschlossenen Friedensplan folgt in groben Zügen auch ein Strategiepapier der sogenannten Freundesgruppe der Vereinten Nationen für Georgien. Ihr gehören Großbritannien, Russland, die USA und Deutschland an, das gegenwärtig den Vorsitz innehat. Steinmeier fällt nun die heikle Mission zu, alle Konfliktparteien auf den Dreistufenplan einzuschwören. Der Plan sieht in einem ersten Schritt vor, dass Abchasien und Georgien gegenseitig auf Gewalt verzichten und über eine Rückkehr georgischer Flüchtlinge nach Abchasien sprechen. Im Anschluss soll der Wiederaufbau in Angriff genommen und erst in Phase drei der Status Abchasiens geklärt werden.

Die Statusfrage werde er mit Steinmeier keinesfalls erörtern, ließ der abchasische Außenminister Sergej Schamba in Suchumi schon am Donnerstag wissen. Überhaupt sei die Voraussetzung für jegliche Verhandlungen mit Georgien ein Abzug der georgischen Truppen aus dem Kodori-Tal an der gemeinsamen Grenze.

Auch Russlands Außenminister Lawrow kritisierte in Moskau das westliche Herangehen an den Abchasienkonflikt. Ein Abkommen über gegenseitigen Gewaltverzicht werde blockiert, wenn man dessen Unterzeichnung an die gegenwärtig »völlig unrealistische« Rückkehr georgischer Flüchtlinge nach Abchasien kopple. Vor einer solchen Rückkehr müssten sich zunächst die Situation beruhigen und das Vertrauen wiederhergestellt werden.

»Wir machen uns keine Illusionen, eine einfache Lösung wird es nicht geben«, sagte Steinmeier denn auch schon auf dem Flug nach Tbilissi. Die Lage sei »schwierig und angespannt«. Aber einer weiteren Zuspitzung tatenlos zuzusehen, hielt der deutsche Außenminister für »unverantwortlich«.

* Aus: Neues Deutschland, 18. Juli 2008

Letzte Meldung aus Gali (Abchasien):

Abtrünniges Abchasien lehnt deutschen Regelungsplan ab

GALI, 18. Juli (RIA Novosti). Die von Georgien abtrünnige Provinz Abchasien hat den deutschen Plan zur Beilegung des seit Jahren andauernden Konfliktes abgelehnt.
Das teilte der Präsident des nicht anerkannten De-facto-Staates, Sergej Bagapsch, am Freitag in Gali nach einem Treffen mit dem deutschen Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier mit.

"Wir sind mit dem Plan grundsätzlich nicht einverstanden", sagte Bagapsch. "Wir haben dem deutschen Außenminister vorgeschlagen, seinen Plan um zwei Punkte zu ergänzen." Es gehe dabei um den Abzug der georgischen Truppen aus dem Kodori-Tal sowie um den Abschluss eines Abkommens über einen gegenseitigen Gewaltverzicht. Ohne die Erfüllung dieser beiden Bedingungen seien die anderen Etappen des Plans nicht annehmbar, sagte Bagapsch.
Außerdem müsse Georgien "alle bisherigen Vereinbarungen erfüllen und das Moskauer Waffenstillstandsabkommen einhalten". Die vom Plan vorgesehene Rückkehr der georgischen Flüchtlinge nach Abchasien sei erst nach einer endgültigen Beilegung des Konfliktes denkbar. Solange der Konflikt aber nicht beendet sei, könne die Heimkehr der Flüchtlinge zu einem neuen Krieg führen.

Steinmeier war am Donnerstag (17. Juli) nach Georgien gekommen, um einen Drei-Stufen-Plan zur Lösung des georgisch-abchasischen Konfliktes vorzustellen. Laut deutschen Medienberichten sieht der Plan in der ersten Etappe die Wiederherstellung des Vertrauens zwischen den beiden Konfliktparteien, die Unterzeichnung eines Abkommens über einen gegenseitigen Gewaltverzicht sowie eine Rückkehr der georgischen Flüchtlinge nach Abchasien vor.

In der zweiten Etappe sollen Wiederaufbauarbeiten beginnen, die durch Spenden von Geberstaaten finanziert werden sollen. Der politische Status Abchasiens soll erst in der dritten Etappe festgelegt werden.

Abchasiens Außenminister Sergej Schamba bezeichnete am selben Tag die dritte Etappe des Plans als unannehmbar. "Der Status unserer Republik ist nicht Gegenstand von Verhandlungen", betonte er. Man könne nur über eine Herstellung von "staatlichen Beziehungen" mit Georgien oder über eine Anerkennung der abchasischen Unabhängigkeit durch Georgien verhandeln.

Am Freitag (18. Juli) kommt Steinmeier nach Moskau, um seinen Plan zu präsentieren. Der russische Außenminister Sergej Lawrow warnte unterdessen, die Vereinbarung eines Gewaltverzichts mit der Rückkehr der Flüchtlinge zu verknüpfen. Eine Heimkehr der Flüchtlinge sei zum jetzigen Zeitpunkt "völlig unrealistisch", sagte er am Donnerstag in Moskau. Für Russland habe zunächst die Einstellung jeglicher Aggressionsakte sowie eine Entspannung in der Region Priorität.

Die Abchasische Republik befindet sich im Südkaukasus und grenzt an das Schwarze Meer. 1992 hatte sie ihre Unabhängigkeit von Georgien erklärt, was zu einem blutigen Krieg führte. Der Sezessionskrieg dauerte etwas länger als ein Jahr, führte zu Kriegsverbrechen, vielen Tausend Toten und zur Vertreibung vieler Georgier, die in Abchasien gelebt hatten. Im Mai 1994 wurde ein Waffenstillstand vereinbart.
Bislang sichert ein aus russischen Soldaten bestehendes Friedenskontingent der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS) den Waffenstillstand zwischen beiden Seiten.
Die Friedensverhandlungen zwischen Tiflis und Suchumi wurden im Juli 2006 abgebrochen, nachdem georgische Truppen in das an der Grenze liegende Kodori-Tal einmarschierten.

Quelle: Russische Nachrichtenagentur RIA Novosti, 18. Juli 2008




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