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Steinmeiers Debüt im Kaukasus

Von Jelena Imedaschwili, "News Georgia"

Von Jelena Imedaschwili *

Der Tiflis-Besuch des deutschen Außenministers Frank-Walter Steinmeier hat kaum Aufschluss über den deutschen Plan für die Beilegung des Abchasien-Konflikts gebracht.

Immerhin macht er Hoffnung auf eine Entspannung in den Konfliktzonen im Kaukasus und den Beziehungen zu Russland, die im vergangenen Monat wohl ihren Tiefpunkt in der jüngsten Vergangenheit erreicht hatten.

Erstmalig wurde von einem neuen Herangehen an die Konfliktregelung während des Deutschland-Besuchs von Georgiens Präsident Michail Saakaschwili vor knapp einem Monat gesprochen. Seitdem hat sich die Situation in den Konfliktzonen bis zum Äußersten zugespitzt und die Gefahr eines bewaffneten Zusammenstoßes vor dem Hintergrund der Krise zwischen Moskau und Tiflis heraufbeschworen.

Steinmeier war nach seiner Ankunft in der georgischen Hauptstadt der Presse gegenüber äußerst reserviert und wollte partout die Details des Plans nicht bekanntgeben, den die Deutschen Tiflis, Suchumi und Moskau zur Erörterung unterbreiten. Das Besuchsprogramm wurde auf Kosten der Journalisten komprimiert, weil der Bundesaußenminister mit Verspätung in Tiflis ankam und somit das Programm im letzten Moment geändert wurde.

Nach Angaben der deutschen Presse sieht die erste Etappe des Plans für ein Jahr berechnete vertrauensbildende Maßnahmen, die Unterzeichnung eines Gewaltverzichtsabkommens und die Rückkehr von georgischen Flüchtlingen nach Abchasien vor. Die zweite Etappe bildet der Beginn von Wiederaufbauarbeiten aus den Geldmitteln, die Deutschlands Regierung unter Spenderländern sammeln will. In der dritten Etappe soll schließlich der politische Status Abchasiens beschlossen werden.

Die genannten Komponenten enthalten nichts grundsätzlich Neues. Es geht um etwas anderes: um prinzipielle Vereinbarungen, Mechanismen und Einzelheiten, die vorläufig als "streng vertraulich" behandelt werden.

Bei seiner Ankunft in Tiflis erklärte Steinmeier, dass es gelte, alle Konfliktparteien von der Notwendigkeit des deutschen Plans zu überzeugen. Er sprach sich für Georgiens territoriale Integrität aus und versicherte, dass die internationale Gemeinschaft sich aus allen Kräften bemühe, die Spannungen zu beseitigen.

Bisher hat der deutsche Außenminister allein Tiflis überzeugen können. Der georgische Parlamentsvorsitzende David Bakradse erklärte, der Regelungsplan sei alles in allem annehmbar. "Der vorgelegte Plan enthält eine ganze Reihe von Elementen, die als positiv beurteilt werden können, und das sind jene Elemente, zu deren Verwirklichung die georgische Seite bereit ist. Zugleich bedarf der von Deutschland vorgestellte Plan bestimmter Korrekturen", sagte Bakradse.

Die georgischen Behörden haben zwei für sie grundsätzliche Momente benannt: Einhaltung des Prinzips der territorialen Unverletzlichkeit Georgiens und die Heimkehr der Flüchtlinge, und bestätigten bei ihren Treffen mit Steinmeier ihren Wunsch nach einer friedlichen Beilegung der Konflikte.

Jetzt haben Suchumi und Moskau das Wort. Steinmeier wird sie am Freitag besuchen. Doch es wurden bereits die ersten grundsätzlichen Differenzen zwischen den Teilnehmern der bevorstehenden Verhandlungen deutlich.

Russlands Außenministerium hält es für unzulässig, dass die westlichen Länder den Abschluss eines Gewaltverzichtsabkommens zwischen Georgien und Abchasien an die Rückkehr der Flüchtlinge koppeln.

Wie der russische Außenminister Sergej Lawrow sagte, versuchten die westlichen Partner, diese Forderung mit der Unterzeichnung von Dokumenten über die Rückkehr der Flüchtlinge zu verbinden, was in der gegebenen Etappe absolut fern jeglicher Realität ist. Das Thema erfordert, so Lawrow, vor allem eine Befriedung der Situation und die Wiederherstellung des Vertrauens, erst danach besteht die Möglichkeit, das Thema gegenständlich zu betrachten.

Die abchasische Seite erklärt ihrerseits, sie werde mit Verhandlungen erst nach dem Abzug der georgischen Truppen aus dem Kodori-Tal beginnen, selbst wenn es gelinge, den neuen Plan zur Beilegung des georgisch-abchasischen Konfliktes zu vereinbaren.

Hierbei sagte der abchasische Außenminister Sergej Schamba, dass in punkto Flüchtlinge nur von einer Erörterung dieser Frage im Einklang mit den früher unterzeichneten Abkommen die Rede sein und nur für den Bezirk Gali gelten könne. Schamba lehnte die dritte Etappe - die Festlegung von Abchasiens Status - kategorisch ab, weil es sich dabei seiner Ansicht nach nur um die Regelung der staatsrechtlichen Beziehungen zu Georgien oder die Anerkennung von Abchasiens Unabhängigkeit durch Georgien handeln könne.

Die Politologen in Georgien kommentieren die Berliner Initiative vorläufig recht oberflächlich. Zudem bleiben die Details des Friedensplans bisher unbekannt.

Wenn jemand einen konstruktiven Dialog zwischen Georgien und Russland wiederherstellen könne, so sei es nur Deutschland, behauptet Irakli Menagarischwili, der georgische Ex-Außenminister unter Eduard Schewardnadse und heutige Direktor des Zentrums für strategische Studien.

Seiner Meinung nach könne die Tatsache, dass sich Deutschland aktiv in den Prozess der Beilegung von Konflikten auf georgischem Territorium einschalte, in Anbetracht der guten Beziehungen zwischen Berlin und Moskau zum entscheidenden Faktor werden.

"Der Fakt der guten Beziehungen zwischen Deutschland und Russland kann nur als positiv angesehen werden. Zumindest kann ohne ein neutral gesinntes Russland von einem Vorankommen bei Konfliktregelung in Georgien keine Rede sein", behauptet der Politologe.

Zugleich warnt Menagarischwili davor, "sich der Illusion hinzugeben, das Problem werde durch einen einzigen Besuch gelöst werden". "Das wird ein langfristiger Prozess sein, Hauptsache, die Dynamik bleibe positiv", erklärte der georgische Ex-Außenminister.

Skeptischer zeigt sich der Konfliktologe Paata Sakarejischwili, der in Deutschlands Plan "keine besonderen Hoffnungen setzt".

"Am wichtigsten ist, wie dieser Plan in Suchumi und in Moskau aufgenommen wird. Wenn sie ihn nicht akzeptieren, bleibt er nicht verwirklicht, gleich den anderen bis dahin ausgearbeiteten Plänen. Gewöhnlich nehmen Suchumi und Moskau keine Pläne an, in denen Georgiens Interessen gewahrt werden, und Deutschlands Plan gehört zu ebendieser Kategorie", betonte der Politologe.

Dennoch sei der Plan laut Sakarejischwili im Vergleich mit den bisherigen Initiativen insgesamt als "nach allen Seiten ausgewogen" zu beurteilen, und gemäß seinen Informationen seien die Akzente hier auf den direkten Dialog zwischen Abchasen und Georgiern gesetzt worden. Hierbei äußerte der Politologe die Vermutung, dass "Georgiens Freunde" seit Saakaschwilis Berlin-Besuch versuchten, das Dokument im Sinne der Rücksicht auf russische Positionen zu korrigieren.

Steinmeier selbst enthält sich inzwischen jeder Prognose und gibt zu, dass seine Reise kompliziert und anstrengend sei.

Vielleicht höre sich das überraschend an, aber manchmal wüssten die Politiker nicht im Voraus, wie die Ergebnisse ausfielen, gab Steinmeier zu, als er auf eine Frage der Agentur "NewsGeorgia" antwortete. Jetzt stünden die Verhandlungen mit Russland bevor. Was er in Moskau besprechen werde, setzte Steinmeier fort, hänge von den Ergebnissen seiner Verhandlungen in Tiflis und Suchumi ab. So hoffe er, dass die Konsultationen in Berlin fortgesetzt werden könnten, sagte der deutsche Außenminister.

* Jelena Imedaschwili leitet die Informationsagentur "NewsGeorgia". [Sie erscheint in russischer und georgischer Sprache; http://www.newsgeorgia.ru/ - bzw. - http://www.newsgeorgia.ge/]

Die Meinung der Verfasserin muss nicht mit der von RIA Novosti übereinstimmen.

Aus: Russische Nachrichtenagentur RIA Novosti, 18. Juli 2008



Es gibt eine Grenze

Rußland hat NATO-Vormarsch satt

Von Knut Mellenthin **

Außenminister Frank-Walter Steinmeier jettet dieser Tage durch den Kaukasus und anschließend gleich weiter nach Moskau, Kanzlerin Angela Merkel fliegt am Montag in die ukrainische Hauptstadt Kiew: Deutschland tut so, als könnte es eine Vermittlerrolle an Krisenpunkten der Weltpolitik spielen. In diesem Fall an der hochsensiblen Nahtstelle und potentiellen Front zwischen der anscheinend unbegrenzt expandierenden NATO und Rußland. Denn das ist der reale Hintergrund der deutschen Geschäftigkeit dieser Tage: In Moskau ist man der Meinung, daß es inzwischen mehr als genug ist mit der Ausweitung des amerikanisch-europäischen Militärbündnisses. Da dürften sich Regierung und Duma mit den meisten Russen einig sein. Rußland wird deshalb tun, was es mit diplomatischen, politischen und wirtschaftlichen Mitteln tun kann, um den NATO-Beitritt der Ukraine und Georgiens zu blockieren und, wenn irgend möglich, zu verhindern. In der Ukraine setzt man auf die engen Bindungen des Ostteils des Landes an Rußland. Moskau bringt auch die Krim ins Spiel, die 1954 von Nikita Chruschtschow an die Ukraine verschenkt wurde --zu einer Zeit freilich, als die praktischen Auswirkungen dieser Großzügigkeit überschaubar waren. Heute ist die russische Bevölkerungsmehrheit der Halbinsel --59 Prozent Russen, 24 Prozent Ukrainer -- ein Faktor der Moskauer Politik. Im Kaukasus unterstützt Rußland die Republiken Abchasien und Südossetien, die nach verlustreichen Verteidigungskriegen seit Anfang der 1990er Jahre ihre Unabhängigkeit von Georgien behaupten.

Der georgische Präsident Michail Saakaschwili hat in diesem Jahr beiden Republiken wegen geringfügiger Zwischenfälle mit militärischen Überfällen gedroht. Den Abchasen wegen der Festnahme eines georgischen Fernsehjournalisten, der illegal die Grenze überschritten hatte. Den Südosseten, nachdem sie auf ihrem Territorium vier georgische Soldaten kurzzeitig gefangengenommen hatten. In beiden Fällen wurde die Situation durch das Nachgeben der kleinen Republiken entspannt. Die NATO, die Georgiens Armee mit unverhältnismäßig großen Aufwand hochgerüstet und ausgebildet hat, versucht nicht einmal dem Anschein nach, Saakaschwilis immer wieder hochgefährliche Rhetorik und sein unberechenbares Säbelrasseln zu bremsen. Nur Rußlands Streitkräfte bieten den beiden Republiken die Sicherheit, daß sich die blutigen Ereignisse der 1990er Jahre nicht wiederholen werden.

Es kennzeichnet die Lage, daß im Nordkaukasus 8000 russische Soldaten die Unterstützung der in Abchasien und Südossetien stationierten Friedenstruppen proben, während gleichzeitig in Georgien 2000 US-amerikanische und einheimische Soldaten das Manöver »Immediate Response« (Prompte Antwort) abhalten. Vor diesem Hintergrund ist die Reisetätigkeit von Merkel und Steinmeier konzeptionslose Wichtigtuerei.

** Aus: junge Welt, 18. Juli 2008


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