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Moskau und die Werte

Bundesregierung will Schelte der russischen Innenpolitik verstärken

Von Knut Mellenthin *

Am heutigen Freitag finden in Moskau zum 14. Mal die sogenannten deutsch-russischen Regierungskonsultationen statt. Zu dem eher symbolischen, nur wenige Stunden dauernden Event wird Bundeskanzlerin Angela Merkel von einem riesigen Gefolge begleitet. Darunter befinden sich Außenminister Guido Westerwelle, Finanzminister Wolfgang Schäuble und acht weitere Kabinettsmitglieder. »Neben den bilateralen Fragen werden dort auch aktuelle internationale Themen angesprochen werden«, heißt es wenig aufklärerisch in der offiziellen Ankündigung der Bundesregierung. Außerdem werde »die innenpolitische Entwicklung in Rußland Gesprächsgegenstand sein«.

Was man sich darunter vorzustellen hat, steht in einer Resolution, die der Bundestag am vorigen Freitag, also dem 9. November, mit den Stimmen der Koalition von CDU/CSU und FDP verabschiedet hat. Der 9. November sei, sagte Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) zu Beginn jener Sitzung, »nicht irgendein Kalendertag«, sondern »der prominenteste Tag in der deutschen Geschichte. Um kein anderes Datum gruppieren sich Glanz und Elend der deutschen Geschichte in einer auch nur vergleichbaren Weise.«

Was den Bundestag dazu getrieben hat, sich ausgerechnet diesen Tag auszuwählen, um Rußland öffentlich und lautstark die Leviten zu lesen, ist nicht bekannt. Es mag mit der, wie gelegentlich im russischen Außenministerium gesagt wird, deutschen »Egozentrik« zu tun haben. Das heißt: mit der Neigung, sich absolut keine Gedanken zu machen, wie die eigenen Handlungen bei anderen ankommen. Ausnehmen kann man von diesem Urteil nur die Linke, für die Wolfgang Gehrcke eine großartige Rede hielt. Die SPD und die Grünen hatten Alternativanträge eingebracht, die keine Mehrheit fanden. Der von der SPD war fast doppelt so lang und nur ein klein wenig differenzierter als die verabschiedete Resolution. Mit der Formel von der »Heranführung Rußlands an die westliche Wertegemeinschaft« offenbart das Papier aber die gleiche Arroganz wie die Regierungsvorlage. Der Antrag der Grünen bewegte sich sogar noch weit rechts von FDP und CDU/CSU. Im Gegensatz zu den anderen Fraktionen wollten Claudia Roth & Co. festschreiben, »daß es für eine partnerschaftliche Zusammenarbeit Deutschlands und der Europäischen Union mit der russischen Staatsführung derzeit an einer gemeinsamen Wertebasis mangelt.«

Die Grünen stellen damit den von Union, FDP und SPD gemeinsam hochgehaltenen Begriff der »Modernisierungspartnerschaft« in Frage, den Frank-Walter Steinmeier (SPD) vor ein paar Jahren in die Welt setzen ließ, als er Außenminister war. Was sie damit in der Praxis meinen, ist allerdings sehr viel weniger schön als die wohlklingende Formel: Rußland soll »modernisiert« werden, also in jeder Hinsicht – wirtschaftlich ebenso wie gesellschaftlich und politisch – das westliche Modell übernehmen, »einschließlich einer Entwicklung zu mehr Demokratie und Rechtsstaatlichkeit«, wie es in der Resolution heißt. Die deutsche Rolle in dieser »Partnerschaft« besteht hauptsächlich darin, den Russen immer wieder vorzuhalten, was sie alles falsch machen. Daß man das in aller Öffentlichkeit vorführt – was die Gegenseite garantiert nur dazu veranlaßt, »auf Durchzug zu schalten« –, statt die Ratschläge wenigstens in diskreterer Form vorzutragen, ist vermutlich der schon erwähnten »Egozentrik« zuzuschreiben.

Herausgekommen ist eine ellenlange Beschwerdeliste, die von der Verschärfung mehrerer Gesetze über die Verurteilung der Punkband Pussy Riot, den Mandatsentzug eines Duma-Abgeordneten und den Hinauswurf der amerikanischen Regierungsorganisation USAID bis zur Lage im Nordkaukasus reicht, wo Rußland mit bewaffneten islamistischen Gruppen zu kämpfen hat. Alles das soll Merkel künftig »verstärkt thematisieren«, fordert die Resolution.

Manche Russen, die von Berufs wegen oft mit Deutschen zu tun haben, greifen sich an den Kopf und erinnern sich an die Worte von Fjodor M. Dostojewski, der 1881 in seinem »Tagebuch eines Schriftstellers« schrieb, es sei den Westeuropäern »unmöglich, uns als ihresgleichen anzuerkennen. Niemals und um nichts in der Welt werden sie es glauben, daß wir fähig seien, zusammen mit ihnen und auf gleicher Höhe mit ihnen an der Weiterentwicklung ihrer Zivilisation mitzuwirken.«

* Aus: junge Welt, Freitag, 16. November 2012


Vor Merkel-Besuch in Russland: Es hagelt Kritik aus Deutschland - "Kommersant" **

Die Beziehungen zwischen Russland und Deutschland verschlechtern sich zusehends, schreibt die Zeitung „Kommersant“ am Dienstag (13. Nov.).

Am Mittwoch wird der „Petersburger Dialog“ eröffnet, gefolgt von den russisch-deutschen Regierungskonsultationen. Das Treffen zwischen Präsident Wladimir Putin und Bundeskanzlerin Angela Merkel am Freitag wird in einer äußerst angespannten Atmosphäre verlaufen. Für Missstimmung sorgt Berlins scharfe Kritik an der innenpolitischen Situation in Russland. Diese gipfelte in einer äußerst kritischen Russland-Resolution des Bundestags.

Während sich die Beziehungen in der Wirtschaft erfolgreich entwickeln, ist in der Politik eine Krise zu erkennen. Erst kritisierten die deutschen Behörden den Verlauf der Parlaments- und Präsidentschaftswahlen in Russland.

Anschließend ließ der Russland-Beauftragte der Bundesregierung, Andreas Schockenhoff, kein gutes Haar an den neuen NGO-, Versammlungs- und Verleumdungsgesetzen sowie dem Prozess gegen die Punkband Pussy Riot.

„Die russische Führung bietet ihrer Gesellschaft keinen Dialog an. Putin setzt auf Repression und Konfrontation“, sagte Schockenhoff dem „Tagesspiegel“ im August. Außerdem äußerte Schockenhoff Zweifel an der Zweckmäßigkeit des „Petersburger Dialogs“, falls es keinen offenen Meinungsaustausch gebe.

Moskau reagierte gereizt auf die Äußerungen Schockenhoffs. Aus dem Außenministerium in Moskau hieß es, dass die Haltung des deutschen Russland-Beauftragten ein Ausdruck von Arroganz sei. Der „Petersburger Dialog“ werde weiterleben – unabhängig von der Teilnahme Schockenhoffs, verlautete es aus Moskau.

Im Oktober spitzte sich der Streit um den deutschen Russland-Beauftragten zu. Als Antwort auf seine Äußerung (Russland drohe Einfluss-Verlust bei internationalen Fragen) bezweifelte das russische Außenministerium seine „Handlungsfähigkeit“ und warf ihm „Verleumdung“ vor.

„Nicht jedes offene Wort, nicht jede sachliche Kritik ist Verleumdung. Beauftragte der Bundesregierung werden durch diese selbst berufen und nicht durch Stellen im Ausland“, sagte Regierungssprecher Steffen Seibert.

Ende Oktober legte Schockenhoff dem Bundestag einen kritischen Resolutionsentwurf zur innenpolitischen Lage in Russland vor. Am Freitag (9. Nov.) wurde eine abgemilderte Version von den deutschen Abgeordneten verabschiedet.

Der Bundestag drückte in dem Aufruf an Merkel seine Besorgnisse über die unter Präsident Wladimir Putin ergriffenen Maßnahmen aus, die „auf eine wachsende Kontrolle aktiver Bürger abzielen und einen konfrontativen Kurs gegenüber Regierungskritikern bedeuten“.

Bundesaußenminister Guido Westerwelle forderte zu einem „kritischen Dialog“ mit Russland auf. „Partnerschaft heißt nicht Verzicht auf Kritik“, schrieb Westerwelle in einem Gastbeitrag für die Montagsausgabe der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“.

Moskau weist die Kritik zurück und will künftig selbst die Situation in Deutschland „genauer unter die Lupe nehmen“. „Die Einschätzungen des Bundestags haben mit der Realität nichts zu tun. Es handelt sich um eine übertriebene Reaktion, die für die deutsche Regierungselite typisch ist“, sagte Wjatscheslaw Nikonow, der stellvertretende Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses in der Staatsduma (Unterhaus).

** Aus: Russische Nachrichtenagentur RIA Novosti, 13. November 2012; http://de.ria.ru


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