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Kriegseinsatz der Bundeswehr? Reaktionen der Öffentlichkeit

Für und Wider im Spiegel der Presse

Viele Zeitungen am 7. November kommentierten die Ankündigung Bundeskanzler Schröders, für den Krieg in Afghanistan Bundeswehreinheiten zur Verfügung zu stellen, zurückhaltend bis skeptisch-ablehnend. Häufig wurde auf die außenpolitische Bedeutung des Schritts hingewiesen: Was militärisch höchst zweifelhaft bleibe, könne aus außenpolitischer Perspektive (Rolle Deutschlands im Bündnis und in der Welt) durchaus Sinn machen. Auch ein Blick ins Ausland darf gewagt werden. In Italien und Frankreich (von Großbritannien stand das ja von Anfang an fest) wird offenbar ähnlich gedacht wie in Berlin: Man möchte dabei sein, um sich politisch unentbehrlich zu machen und damit eine günstigere Ausgangsposition im Ringen um mehr Einfluss in der NATO, in der EU und auf der weltpolitischen Bühne zu erhalten.
Wir beginnen unseren kurzen Überblick mit drei Beiträgen, die sich mit Großbritannien, Frankreich und Italien befassen.



Bedingungslos im Einsatz

Der Londoner Korrespondent Gerd Zitzelsberger berichtet in der Süddeutschen Zeitung über die Haltung Großbritanniens u.a.:

Die Vergangenheit als weltweite Hegemonialmacht schimmert noch immer durch: In Großbritannien dient das Militär keineswegs nur der Verteidigung der eigenen Landesgrenzen und der staatlichen Souveränität sowie dem Beistand der Verbündeten. Vielmehr verstehen sich die Briten - an der Seite der USA - immer noch als eine Art Weltpolizist ...

... "Die Verteidigungspolitik ist konzipiert, die britische Außen- und Sicherheitspolitik zu unterstützen", kann man im "Offiziellen Jahrbuch" der Regierung nachlesen. Und deren Ziele, so heißt es dort weiter, bestehen unter anderem darin, Großbritanniens "Prestige und Einfluss in der Welt zu maximieren, sowie Freiheit und demokratische Institutionen zu schützen".

Und die Briten wären nicht Briten, wenn sie nicht auch gleich die Wirtschaft im Hinterkopf hätten. So soll die britische Verteidigungspolitik auch den freien Welthandel schützen. Diese Ziele haben alle Regierungswechsel überdauert und gehören zum unumstrittenen Grundkonsens. Vor diesem Hintergrund verwundert es nicht, dass der Einsatz von Truppen in Afghanistan auf der Insel weit weniger umstritten ist als in Deutschland. ...

Die konservative Opposition kritisiert Premierminister Tony Blair im Parlament keineswegs deswegen, weil er sich an den Raketenangriffen auf vermutete Taliban-Stellungen beteiligt hat, sondern weil er sich ihrer Ansicht nach zu wenig engagiert. "Die meisten von uns hätten gehofft, dass die Regierung eine deutliche Verstärkung des Tempos der Operationen ankündigt und die mögliche Verlegung von Bodentruppen", sagte der frühere konservative Verteidigungs-Staatssekretär Nicholas Soames im Parlament. ...

Die Entsendung von Bodentruppen nach Afghanistan, die von der Regierung in London als möglich und von politischen Beobachtern als wahrscheinlich dargestellt wird, verursacht auch aus anderen Gründen wenig Aufregung auf der Insel: Zum einen wird vermutet, dass ohnehin bereits Elitesoldaten des "Special Air Service" (SAS) die Nordallianz bei ihrem Kampf gegen die Taliban unterstützt haben - auch wenn ein Sprecher des Verteidigungsministeriums sagt: "Über die SAS reden wir nie." Zum anderen haben die Briten, anders als die Deutschen, eine reine Berufsarmee. Und sie sind es seit langem gewohnt, dass das Militär in allen Teilen der Welt stationiert ist und auch außerhalb von UN-Missionen in Kämpfe verwickelt wird. ...

...
Elf Flugzeuge beteiligen sich direkt und indirekt (als Tank-Flugzeuge für US-Jets) an den Operationen. Die Flotte im Krisengebiet besteht aus einem Kreuzer als Kommando-Schiff, einem Flugzeugträger, der als Hubschrauber- Stützpunkt fungieren soll, einem Zerstörer, einer Fregatte, sieben Hilfsschiffen und einer unbekannten Zahl von U-Booten, eines davon mit Tomahawk-Raketen bestückt. Insgesamt 4 200 Soldaten seien entsandt worden, hieß es im Verteidigungsministerium. Wenn von Bodentruppen die Rede ist, wird es nicht um Divisionen gehen: 200 Soldaten sind jetzt auf der HMS Fearless eingeschifft worden. (SZ, 07.11.2001)


Bedingt beistandsbereit

Gerd Kröncke berichtet - ebenfalls in der Süddeutschen Zeitung - aus Paris u.a.:

... Die proamerikanische Stimmung lässt im ganzen Land nach. Noch Mitte Oktober befürworteten zwei Drittel der Franzosen die militärischen Schläge gegen die Taliban, inzwischen sind es nur noch die Hälfte.

Dennoch wird niemand an der französischen Solidarität zweifeln, und wo immer der Staatschef sich äußert, unterscheiden sich seine Worte nur in Nuancen von denen seiner europäischen Kollegen. Aber die Nuancen zählen. Voriges Wochenende in Downing Street ließ Jacques Chirac wissen, dass "die unabdingbaren militärischen Aktionen nicht die einzigen Lösungen sind". Das muss man nicht als Distanzierung ansehen, aber die Formel von der "uneingeschränkten Solidarität" wird weniger häufig benutzt, die einfache, selbstverständliche Solidarität muss ausreichen. ...

Die militärische französische Unterstützung für die Vereinigten Staaten im Krieg gegen die afghanischen Taliban bleibt noch immer eher indirekt. Bislang haben die Franzosen anders als Großbritannien keine aktive Hilfe geleistet, sie beschränken sich auf logistischen Beistand. Die Franzosen hätten wohl gern ihren einzigen Flugzeugträger, die Charles de Gaulle, ins Krisengebiet geschickt, aber der lag wieder einmal im Trockendock von Toulon, und hat bislang ohnehin nur Pannen erlebt. So beschränkt sich ihre Hilfe bislang auf die Entsendung des Versorgungstankers Var und der Fregatte Courbet, die unter anderem mit acht Exocet-Raketen ausgerüstet ist. Damit soll die Logistik der Verbündeten gestärkt werden.

Die französische Führung erwägt allenfalls, ihre Sondereinheiten einzusetzen. ...

Die französischen Sondereinheiten verfügen über etwa 2500 hochtrainierte Soldaten, deren Effizienz denen der britischen SAS-Einheiten oder der US-Marines entspricht. Sie umgeben sich konsequent mit der traditionellen "grande muette", dem großen Schweigen. Wenig erfährt man auch über die französischen Agenten, die schon vor dem 11.September in Afghanistan operierten, und deren Einsatz noch mit dem später ermordeten Führer der afghanischen Nordallianz Achmed Schah Massud verabredet worden war. ... (SZ, 07.11.2001)


Unbedingt einsatzwillig

Christiane Kohl rundet das Länderpanorama mit einem Bericht über Italien ab. Auch hieraus Auszüge:

... Seit Wochen hatte Italiens Verteidigungsminister den Amerikanern Kriegsschiffe, Flugzeuge und Bodentruppen angeboten. Die Nachricht, dass die USA das Angebot annehmen wollen, stieß daher auf Genugtuung in Rom: Ministerpräsident Silvio Berlusconi betrachtet die Entscheidung als internationale Aufwertung seiner in außenpolitischen Fragen bislang nicht allzu geschickten Regierung. Während die Regierung rückhaltlos für die Militärentsendung ist, gibt es unter den Oppositionsparteien höchst unterschiedliche Auffassungen. Am heutigen Mittwoch soll das Parlament über den Einsatz entscheiden. (Die Entscheidung fiel mit 95 % der Abgeordnetenstimmen zugunsten der Regierung aus, Anm. Pst)

Als erste Einheit könnte die Marine zum Zuge kommen. So wird in Italien spekuliert, dass der Flugzeugträger Garibaldi bald in die Nähe des Kampfgebiets verlegt werden könnte. Das Schiff ist mit Hubschraubern sowie 16 Flugzeugen vom Typ "Harrier" ausgestattet, die auf der Schiffsbrücke starten und landen können. Außerdem verfügt es über Seegeschütze und Flugabwehrkanonen; zur Besatzung gehören 825 Mann. Überdies hat Italien acht Aufklärungsflugzeuge vom Typ Tornado angeboten. Hinzu kommen Bodentruppen, die jedoch erst nach Abschluss der Kampfhandlungen zum Einsatz kommen sollen. So etwa ein 400Mann starkes leichtes Panzer-Regiment, eine Sondereinheit zum Kampf gegen ABC-Waffen, Spezialisten zum Entschärfen von Minen sowie eine Fallschirmjäger-Truppe der Carabinieri.

Sprecher des italienischen Militärs zeigten sich äußerst stolz darüber, dass sie bei der Mission "Dauerhafter Frieden" mitmachen dürfen. Allerdings wiesen sie auch darauf hin, dass ihre Männer "gezählt" seien, da in die laufenden Friedenseinsätze auf dem Balkan und in Afrika bereits 8500 Mann eingebunden seien. Im Weißbuch des Verteidigungsressorts wurde bereits vor Personalproblemen gewarnt, wenn die Militärs in mehr als zwei Krisenregionen eingesetzt würden. (SZ, 07.11.2001)


Kommentare

Wir beginnen mit dem Leitartikel aus der Süddeutschen Zeitung:

Abenteuer Afghanistan
VON CHRISTOPH SCHWENNICKE

Das Tempo ist so atemberaubend, dass das Zeitgefühl nicht mehr Schritt halten kann. Es scheint plötzlich Jahrzehnte her zu sein, dass man in jeder Experten-Runde auf der Stelle für verrückt erklärt worden wäre, hätte man gesagt, deutsche Truppen würden jemals tief nach Asien hinein, den Hindukusch hinauf geschickt. "Niemals!", "Ausgeschlossen!", "Wahnsinn!" hätte sich jede Runde reflexhaft empört und dabei jede Contenance verloren. Vor einem Jahr noch wäre das so verlaufen.

Jetzt steht die Bundeswehr vor einem Einsatz in und um Afghanistan, und es gibt weder in geographischer noch in geopolitischer Sicht Hinweise dafür, dass sich das Land am Hindukusch in der kurzen Zeit seither zu einer gemütlicheren Weltgegend entwickelt hätte. Vom Krisenszenario her betrachtet ist die Beteiligung an den US-Militärschlägen gegen das Taliban-Regime fast schon der größte anzunehmende Einsatz. Kaum ein Winkel der Welt ist politisch wie geographisch so zerklüftet wie eben jener, in dem sich mutmaßlich Osama bin Laden verschanzt hat.

"Muss das sein?", fragt sich da das militärisch zur Zurückhaltung sozialisierte Nachkriegs-Deutschland. Antwort eins: nein. Militärisch betrachtet gibt es für die USA nicht den geringsten Grund, auch nur ein Sturmgewehr aus deutschen Waffenkammern anzufordern. Das bleibt nach dem gestrigen Tag so richtig wie vorher. Die Anforderung ist ausschließlich politischer Natur. Antwort zwei: Nach Entwicklung der Dinge - ja, leider, es muss sein. Es ist erkennbar der Bündnistest, eine Probe der Belastbarkeit einer kurzsichtigerweise als "uneingeschränkt" titulierten Solidarität. Schon als US-Präsident Bush Deutschland erstmals öffentlich zusammen mit Kanada, Australien und Frankreich als kommende Militärpartner nannte, musste dies jedem klar sein. Militärisch gesehen, nahm sich die Nennung der deutschen Streitkräfte schon damals exotisch aus. Es wäre naiv, es für einen Zufall zu halten, dass Amerika auf die hiesigen Angebote gerade jetzt in erheblichem Umfang zurückkommt und den Zögling Deutschland zu schwierigster Zeit testet. Der Krieg in Afghanistan tritt auf der Stelle, da tut die faktische Einforderung der Solidarität Not. Der Krieg ohne kurzfristig erkennbares Ziel bleibt wiederum nicht ohne Effekt auf die innen- und koalitionspolitische Situation. Schröder versucht erkennbar, anschwellenden Widerstand durch diesen Befreiungsschlag zu unterdrücken.

Sanitäter in Kambodscha, Infanterie in Somalia, Friedenshüter in Bosnien, Tornados im Kosovo: Der allmähliche und nun endgültige Eintritt Deutschlands in den Krieg ausgerechnet in einer Region, in der sich zuletzt selbst eine kriegserfahrene Nation nichts als Niederlagen geholt hat: Es bleibt ein beklemmender Gedanke, dass die lange Jahre auf sympathische Weise unkriegerische Bundeswehr zum ersten Mal ohne spezielle Deutschland-Klausel in eine Hölle wie Afghanistan geschickt werden kann. Es bleibt ein noch beklemmenderer Gedanke, dass der Zynismus der Geschichte es will, dass mit Rot- Grün ausgerechnet diejenigen diesen Kriegseinsatz zu verantworten haben, die lange - teils sympathisch, teils weltfremd - stolz auf ihre Bezuglosigkeit zur Welt des Militärischen waren.

... So sehr man sich dagegen sträubt, so drängt sich doch das Gefühl auf, dass Gerhard Schröder, in Nuancen auch Joschka Fischer, diese neue Rolle im internationalen Gefüge als reines Machtinstrument begreifen. In manchmal fahrlässig anmutender, manchmal fast kindlich wirkender Manier scheinen da Heranwachsende darum zu eifern, in den Club der Großen aufgenommen zu werden, einen Club, der entscheidend militärisch definiert ist: "Ich will hier rein!" Ein militärischer Habenichts und Emporkömmling wie Deutschland sollte sich aber gerade auf diesem Feld vor jeder Selbstüberschätzung hüten. Hybris und Anmaßung werden nirgends brutaler, unbarmherziger und blutiger bestraft als auf dem Kriegsschauplatz.

Die letzte Entscheidung über den Einsatz der Truppen will Gerhard Schröder der nationalen Entscheidung vorbehalten. Faktisch liegen die zugesagten Kontingente in den Händen der Strategen im Pentagon, sobald die Pauschalzusage des Bundestages vorliegt. Teilhabe am Haben und Sagen, wie es Schröder in anderem Zusammenhang so gerne beschwört, wird es kaum geben. ... Mitmachen, ohne mitzureden, darin liegt die eigentliche Gefahr der gestrigen Entscheidung. ... (SZ, 07.11.2001)


Das Neue Deutschland nimmt eine entschiedenere Anti-Kriegshaltung ein:

Schuld beginnt
Von Jürgen Reents

Nie wieder solle man sich daran gewöhnen, dass Träger deutscher Uniformen in andere Länder marschieren und eine deutsche Marineflagge im Kriegseinsatz über den Weltmeeren weht. Schnee von gestern, angetaut in den frühen 90er Jahren unter der Kohl-Regierung, weggeschmolzen unter rot-grüner Intensivbestrahlung zur vorgeblichen Beseitigung von Menschenrechtsverletzungen und Terrorismus. Gestern Kosovo, heute Afghanistan, morgen...

Schröder hat die geplante »Bereitstellung« von 3900 Soldaten, davon 1800 auf Kriegsschiffen, als »historische Entscheidung« apostrophiert. Sie ist es in der Tat, auch was die parlamentarische Demokratie betrifft. Der Bundestag erhält die Rolle eines uninformierten Nickorgans und des Kanzlers Juristen sind angewiesen, dafür die Minimalvorschriften in Karlsruhe zu erfragen. Freibrief, Ermächtigung? Natürlich alles nur zur Sicherheit der Soldaten - weitere Nachfrage nicht gestattet. Die Sicherheit der Menschen, die seit vier Wochen den Raketen und Streubomben der USA ausgesetzt sind, ist Kanzlers Rede nicht wert. Über 1500 zivile Opfer haben die Taleban inzwischen summiert. Vielleicht sind es einige weniger, vielleicht sind es mehr - im Krieg wird auf allen Seiten gelogen und die Herrscher Afghanistans sind nicht als rühmliche Ausnahme dabei bekannt. Dennoch ist unzweifelhaft, dass das bisherige Bombardement bereits sehr vielen Menschen das Leben gekostet hat, die am Grauen des 11. September nicht die geringste Mitschuld hatten. Zweifelhaft ist aber, ob auch nur ein Täter getroffen wurde. Fortan werden alle Opfer auch direkt den Regierenden »unseres« Staates anzulasten sein. Sie steigen von Mitschuldigen zu Schuldigen auf.

Der Kampf gegen den Terrorismus sei ein Kampf um unsere Art zu leben, sagte Schröder. So wie dieser Kampf geführt wird, eine erschreckende Art: voll von Arroganz und Machtgehabe, leer von echter Solidarität und Mitleiden. Dass nicht nur dieser Krieg, sondern auch sein »Lebensgrund« woanders auf tiefe Ablehnung stößt, ist hohe Zivilisation, die hier zu Lande erst (wieder) erlernt werden muss. (Neues Deutschland, 07.11.2001)


Der Hannoveraner Neuen Presse haben wir folgenden Kommentar entnommen:

Kommentar
Von MICHAEL GRÜTER

Deutschland soll in den Krieg ziehen. Oder um mit den Worten des Kanzlers zu sprechen, Deutschland soll Truppen zum Kampf gegen den Terror bereitstellen, die bald zum Einsatz kommen werden, wo und wie auch immer.

Das kann niemanden überraschen. Überraschend ist, mit wie wenig Gespür für die wachsenden Zweifel in der Bevölkerung diese Entscheidung von Schröder vertreten wird.

Ziehen wir in den Krieg, weil der Bundestag nun B sagen muss, nachdem er bereits A gesagt hat? Weil wir fast 50 Jahre lang die Bündnissolidarität genossen haben und nun zeigen müssen, dass wir bündnisfähig sind? Weil der UN-Sicherheitsrat den Amerikanern das Recht auf Selbstverteidigung zu gebilligt hat?

All diese vom Kanzler angeführten Argumente sind gewichtig und ernst zu nehmen. Für sich genommen sind sie jedoch allesamt zu leicht, um eine so schwerwiegende Entscheidung zu rechtfertigen. Es geht um das Leben und den Tod von Soldaten, um einen Krieg, von dem niemand sagen kann, wie lange er dauern wird und wie viele Opfer er fordern wird.

Der Kanzler hat - leider nur nebenbei - daran erinnert, dass die Terroristen den zivilisierten Gesellschaften und damit auch uns das Recht bestreiten, zu leben und zu arbeiten, wie sie es für richtig halten. Das ist von anderem Kaliber. Es geht um unsere Freiheit. Einen besseren Grund zu kämpfen gibt es nicht.

Es ist eins zu erklären, warum der Kampf gegen den Terror notwendig ist. Es ist ein zweites zu erläutern, warum und wie er erfolgreich geführt werden kann. Da blieb der Kanzler blass. Nach fünfwöchigem Bombenkrieg sagt Schröder, er habe die Strategie der USA nicht zu kritisieren. Das klingt nicht überzeugt und schon gar nicht überzeugend. Da muss der Kanzler nachlegen, wenn er kann. (Neue Presse, 07.11.2001)


Der Reigen der kritischen Kommentare wird beschlossen mit dem Leitartikel aus der Frankfurter Rundschau. Ausschnitte:

Kanzlers Ermächtigung
Von Knut Pries

Von Überraschung kann natürlich keine Rede sein. Ein ums andere Mal hat Gerhard Schröder in den vergangenen Wochen die Situation beschworen, die nun eingetreten ist: dass die Bundesrepublik nicht umhin kommen werde, auch militärisch auszubuchstabieren, was ihre "uneingeschränkte Solidarität" mit den Vereinigten Staaten heißen soll. Was da passiert, einschließlich der fünf deutschen Beistandskomponenten, trifft niemanden unvorbereitet. ...

Worin lag für die Amerikaner die Notwendigkeit, sich gerade jetzt die prinzipielle Bereitschaft der Deutschen zur Bereitstellung und -haltung bestimmter Kapazitäten konkretisieren zu lassen? Das ist nicht so einfach zu begründen. Einleuchtender ist hingegen das Motiv der Regierung Schröder: Angesichts des abbröckelnden Verständnisses für die Strategie der USA, der wachsenden Zweifel am deutschen Einverständnis im Zeichen der gelobten Solidarität konnte sie kaum länger zuwarten.

Was der Kanzler in dieser Lage zum deutschen Beitrag vorgetragen hat, ist so stark in der Begründung, wie es schwach ist in der Zweckbestimmung. Erneut und ausführlich hat Schröder die materielle und formelle Legitimität einer Abwehr und Verfolgung des internationalen Terrrorismus auch mit Waffengewalt erläutert: Die Attentate vom 11. September geben das Recht auf Gegenwehr, die UN haben es bestätigt, für die Nato konstituiert die Attacke den Bündnisfall, der Bundestag hat all dem ausdrücklich zugestimmt. Heißt: Es ist unsere Pflicht und Schuldigkeit, bei dem mitzutun, was rechtens und geboten ist. Beim Warum hat Schröder also keine argumentativen Schwierigkeiten.

Beim Wozu umso mehr. Allen Fragen nach der Tauglichkeit der konkreten Mittel, die zum Einsatz kommen, weicht Schröder systematisch aus. Weder zur US-amerikanischen Strategie möchte er sich einlassen noch zu den genauen Umständen der beabsichtigten deutschen Unterstützerrolle. Wann, wo und mit welcher Absicht die Bundeswehr in Marsch gesetzt werden soll, bleibt offen. Daraus ist nicht etwa zu schließen, Schröder teile die Zweifel am Vorgehen der Amerikaner nicht. Im Gegenteil - er findet es seinerseits schwierig zu begründen, ohne dass ihm als dem Anwalt der uneingeschränkten Solidarität die Möglichkeit offen stünde, Kritik erkennen zu lassen.

In der Not, zum Warum viel, zum Wozu aber kaum etwas sagen zu könne, möchte Schröder zu einem Verfahrenstrick Zuflucht nehmen, der die gut begründeten Kautelen des deutschen Verfassungsrechts überdehnen würde. Das Recht des Parlaments, über den Auslandseinsatz von Bundeswehrsoldaten zu befinden, soll gespalten werden. Wirklich entscheiden im Sinne eine Abstimmung mit Ja oder Nein könnten die Abgeordneten nur mehr über die Bereitstellung von Kapazitäten, ohne dass deren präzise Verwendung definiert wäre. Was den Einsatz selbst anbelangt, wäre die Entscheidung hingegen dem Regierungschef vorbehalten. ...

Schröder selbst nennt dieses Verfahren beim richtigen Namen: Es ist eine "Ermächtigung". Nun darf man dem Kanzler und gelernten Juristen abnehmen, dass er hat prüfen lassen, ob die Sache verfassungskonform ist. Dies sei der Fall, versichert er. Mal abgesehen davon, dass darüber gestritten werden kann - die Frage, wie Geist und Buchstaben des Grundgesetzes im konkreten Fall umgesetzt werden, ist keine rein juristische. Ein Bundestag, der sich auf eine derartig weitgehende Pauschalermächtigung einließe, würde sich seiner Kontrollfunktion ausgerechnet in einer Lage begeben, wo diese angesichts der Unsicherheit und Zweifel in der Bevölkerung einen besonderen demokratischen Wert hat. Noch steht der Beschluss des Plenums aus. Der Vorstoß des Kanzlers ist der Versuch zu testen, wie weit er gehen kann. Es ist Sache der Parlamentarier klarzustellen: so weit nicht. (FR, 07.11.2001)


Der Frankfurter Allgemeinen Zeitung gebührt das Schlusswort unserer Presseschau. Karl Feldmeyer blickt weit über den Tellerrand der Alltagspolitik und begründet zugleich die vermuteten Einsatzgebiete der Bundeswehr. Auch hieraus Auszüge:

Die Bundeswehr am Wendepunkt
Wohin sollen die deutschen Soldaten?

Von Karl Feldmeyer

v Das Jahr 2001 könnte sich für die Bundeswehr als Wendepunkt erweisen. Während ihre finanzielle Ausstattung nach wie vor notleidend ist und ihre Umstrukturierung und die damit verbundene deutliche Verkleinerung auf einen Strukturumfang von nur noch 255.000 Mann voll anläuft, zeichnet sich eine neue Wirklichkeit ab. Das stellt die Bundeswehr vor ungeahnte Herausforderungen, die noch vor wenigen Monaten als völlig undenkbar bewertet worden wären. Dazu gehört vor allem die von Bundeskanzler Schröder erklärte "Entgrenzung ihres Einsatzraumes". Die Bundeswehr, die ausschließlich zur Landesverteidigung aufgebaut worden war, erhielt in den neunziger Jahren als zusätzliche Aufgaben die Beteiligung an der Verteidigung von Bündnispartnern außerhalb Deutschlands und außerdem die Intervention außerhalb des Bündnisgebiets: so zum Friedenserhalt - wie in Bosnien - oder zur Friedenswiederherstellung - wie im Kosovo. In diesem Jahr kam als drittes Einsatzgebiet Mazedonien hinzu. Wenige Wochen darauf brachte der Terroranschlag vom 11. September der Bundeswehr eine neue Dimension der Herausforderung: die Unterstützung Amerikas auch außerhalb Europas und des Nato-Vertragsgebietes, falls nötig, an jedem Ort der Erde.

Diese vom Bundeskanzler vorgenommene, neue Aufgabenbestimmung wird nun Realität. Schröder hat am Dienstag zwar nicht über alle Einzelheiten eines möglichen Einsatzes deutscher Streitkräfte im Kampf gegen den Terrorismus berichtet, aber doch so weit, daß es möglich ist, sich ein Gesamtbild zu machen. ...

Für Evakuierungseinsätze wird Deutschland nach Mitteilung des Kanzlers etwa 250 Soldaten bereitstellen. Dabei darf angenommen werden, daß die Bundeswehr den als fliegendes Lazarett ausgerüsteten Airbus sowie die dazugehörige Infrastruktur zur Verfügung stellt. Bei der Lufttransportkapazität, von der Schröder nur mitteilte, daß etwa 500 Soldaten dazugehörten, kann es sich nur um die betagten "Transall"-Transportmaschinen handeln, die seit Jahrzehnten im Einsatz sind. Schröder deutete an, daß diese Maschinen für den Lufttransport sowie "air dropping"-Einsätze bereitgehalten würden. Dabei handelt es sich in der Regel um den Abwurf von Verpflegungsrationen oder anderen für das Überleben wichtigen Gütern. Gedacht ist an die Bereitstellung von drei bis fünf Maschinen mit einer Transportkapazität von 100 bis 150 Tonnen. Schon bei dem Einsatz der Maschinen über Bosnien mußte die Besatzung vor der Gefahr des Beschusses durch eine improvisierte Zusatzausrüstung geschützt werden. Diese bestand im wesentlichen aus Matten, die aus schußsicherem Material gefertigt worden waren. Bereits damals waren diese Maschinen überaltert und deshalb dem Einsatz nicht voll angemessen. Mit dem Einsatz der "Transall" demonstriert die Bundeswehr, wie dringend erforderlich es ist, das Material zu erneuern. Mit einer Lebenszeit von mehr als 30 Jahren ist die "Transall" keine Ausnahme. Sie bewegt sich vielmehr im Durchschnitt nahezu aller wichtigen Waffenssyteme der Bundeswehr.

Schließlich erwähnte Schröder auch den Einsatz von "etwa 100 Mann der Spezialkräfte". Was darunter zu verstehen ist, ließ er offen. Wichtig war ihm aber der Hinweis, daß es sich dabei nicht um das "KSK" - das "Kommando Spezial-Kräfte" - handele, das ein Teil der neu geschaffenen "Division Spezielle Operationen" (DSO) ist. Man geht wohl nicht fehl in der Annahme, daß es sich bei den von Schröder erwähnten "Spezialkräften" um einen Mix handelt, dem Soldaten des KSK ebenso angehören wie andere Spezialisten der Bundeswehr. Als solche gelten Kampfschwimmer und Minentaucher ebenso wie Fernspäher und Angehörige der Aufklärungstruppe.

Bisher gilt aber für alle möglichen Einsatzkräfte: Bislang ist nicht erkennbar, wo sie eingesetzt werden sollen, denn dorthin, wo Truppen derzeit im Einsatz sind, nämlich nach Afghanistan, sollen sie, wie Schröder mehrfach bekräftigte, nicht geschickt werden. Eine Einschränkung dieser Aussage machte Schröder allerdings in bezug auf die etwa 100 Mann der "Spezialkräfte". Die sich damit aufdrängende Frage, wo die Streitkräfte denn dann eingesetzt werden sollen, ist derzeit nicht befriedigend zu beantworten - und zwar nicht nur für die Öffentlichkeit, sondern ebenso für die Bundeswehr und die Bundesregierung. ...

Anders ist die Situation für die Seestreitkräfte, die Deutschland zur Verfügung stellt. Schröder teilte mit, daß ihr Einsatz mit Sicherheit mit dem "Horn von Afrika" zu tun haben werde. Das Horn von Afrika ist der deutschen Marine bereits von ihrem Somalia-Einsatz Mitte der neunziger Jahre her bekannt. Damals ging es darum, das deutsche UN-Kontingent zu bergen. Es war von seinen Verbündeten sitzengelassen worden, als sich die Amerikaner von ihrem Einsatz eilig verabschiedeten. Die Angabe Schröders, daß an den Einsatz von etwa 1.800 Mann der Marine gedacht sei und daß dieser Einsatz der Kontrolle der Seewege und der Küsten gelte, läßt Rückschlüsse auf den Umfang und den Zweck des Einsatzes zu. So besteht er offensichtlich darin, die Seewege rund um das Horn von Afrika zu kontrollieren, in dessen Nachbarschaft neben Somalia auch der Jemen liegt. Das sind Gegenden, in denen Anschläge auf amerikanische Kriegsschiffe und amerikanische Einrichtungen verübt worden sind. Insbesondere die Kontrolle Somalias dürfte ein Auftrag sein, der es in sich hat. Denn Somalia und Afghanistan haben eines gemeinsam: Sie sind Länder ohne funktionierende staatliche Strukturen, in denen Clans und Banden nach dem Recht des Stärkeren leben. Das sind Strukturen, die für einen Mann wie Bin Ladin und seine Organisation interessant sein dürften, bieten sie doch die Möglichkeit, ohne staatliche Kontrolle das zu tun, was andernorts verboten ist und nur Probleme bereitet - zum Beispiel die Unterstützung terroristischer Vereinigungen und die Vorbereitung von Anschlägen.

Wenn die deutsche Marine den Auftrag erhält, am Horn von Afrika den Seeraum zu überwachen, dann darf man mutmaßen, daß dies etwas mit dem Krieg in Afghanistan und gegen Bin Ladin zu tun hat. Personelle Stärke und Aufgabenstellung des deutschen Verbandes lassen den Schluß zu, daß die Marine hier ihre Fregatten einsetzen wird, die mit Radar und Hubschraubern die richtige Ausrüstung haben, um den Luftraum und die See zu überwachen. Zwei oder drei Fregatten sowie Versorgungsschiffe dürften somit in absehbarer Zeit Richtung Rotes Meer in See stechen. (FAZ, 07.11.2001)


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