"Es gibt für den Westen weit und breit keinen ebenbürtigen Gegner mehr"
Friedensforscher Reinhard Mutz (ISFH) über deutsche Außenpolitik
Am 20. Februar druckte der Berliner "Tagesspiegel" ein Interview mit dem Hamburger Friedensforscher Dr. Reinhard Mutz ab. Reinhard Mutz ist stellvertretender Direktor des Instituts für Sicherheitspolitik und Friedensforschung in Hamburg (ISFH) und gehört zu den Mitherausgebern der jährlich erscheinenden "Friedensgutachten". Wir dokumentieren Teile aus dem Interview:
Die USA bombardieren mit den Briten Irak, Deutschland schweigt. Was bedeutet
das?
Ich fände es besser, wenn die Kritik an diesem Vorgehen nicht unter vier Augen
vorgetragen würde - wie es jetzt der Außenminister anscheinend in Washington vorhat -,
sondern wenn die Einwände und Vorbehalte auch öffentlich dargelegt würden. Denn
Konfliktlösungen in Cowboymanier mit gezogener Waffe und das Schießen aus der
Hüfte sollten nicht westlicher Stil sein. Erstens ist diese Politik rechtlich unzulässig,
zweitens hilft sie nichts in der Sache. Saddam Hussein wird sowohl in seiner
Bevölkerung als auch in der arabischen Welt aus diesen Luftangriffen gestärkt
hervorgehen.
Hält sich die Bundesregierung vielleicht deshalb zurück, weil man ein viel
brisanteres Thema mit den USA zu diskutieren hat, nämlich die
US-Raketenabwehrpläne?
Beides hängt eng miteinander zusammen. Die Raketenabwehrpläne der USA, also
NMD, sind ja das viel abstraktere Thema. Diese Vorgänge im Irak sind anschaulich, sie
vermitteln sich über die Medien auch jedem politisch Interessierten in der
Bundesrepublik Deutschland. Sie sollten genutzt werden, um am Beispiel Irak zu
illustrieren, was die so genannten Schurkenstaaten erst auf die Idee bringen könnte,
sich eigene Raketen zuzulegen.
In Washington, das geht aus einer US-Studie hervor, greife die Besorgnis um sich,
Deutschland sei unfähig, sich auf neue militärische Bedrohungen einzustellen.
Stimmt das?
Meine Gegenfrage wäre: Wo sind diese Bedrohungen? Wo sind solche Gefahren, die
sich wirklich durch mehr Rüstung bewältigen lassen? Der Westen, also die 19
Mitgliedsstaaten der Nato, halten vier Millionen Soldaten unter Waffen. Der
nächststärkere mögliche Kontrahent, die "Russische Föderation", hat eine Million
Soldaten. Das heißt, es gibt für den Westen weit und breit keinen ebenbürtigen Gegner
mehr. Auf eine Politik zu setzen, die noch mehr Waffen, noch mehr Aufwand für
militärische Vorhaben bedeuten würde, wäre reine Ressourcenverschwendung.
... Die Reisen von Scharping nach China und Fischer in
die USA sind langfristig geplant und eingelagert in die politische Agenda. Die
Thierse-Reise ist sicherlich eine Goodwillreise. Insgesamt aber ist es notwendig, dass
die Bundesrepublik sich intensiver als bisher um die Belange anderer Schlüsselländer
kümmert. Denn Deutschland ist in extremer Weise außenwirtschaftsorientiert und
angewiesen auf sichere, gerechte und stabile Verhältnisse in seinen wichtigsten
ökonomischen Partnerländern. Die außenpolitische Abstinenz, an die die alte
Bundesrepublik gewöhnt war, die kann für die neue so nicht fortbestehen.
Setzen wir denn die richtigen Prioritäten?
Wenn man dieses ökonomische Argument im Blick behält, dann denke ich, gerade die
beiden Länder, die zurzeit bereist werden - also China und Iran - sind Staaten mit
enormen Potenzialen für ökonomische Zusammenarbeit mit der Bundesrepublik. Da
kann ich keine falschen Prioritäten erkennen.
Ist denn der generelle Eindruck richtig, dass die Außenpolitik in Deutschland an
Bedeutung verliert?
Es gibt Anzeichen, die in diese Richtung deuten. Erstens, dass in den großen
politischen Parteien außenpolitische Fachkenntnis sich nicht als Karriere fördernd
auswirkt, weil man mit anderen Themen schneller und erfolgreicher an die Spitze
kommen kann. Zweitens: Wenn man die Mobilisierung des Beratungspotenzials in
Deutschland betrachtet, dann gibt es im Vergleich zu anderen Ländern deutlich weniger
wissenschaftliche Expertise an Universitäten und Fachinstituten. Sogar ein Land wie
Schweden nutzt seinen außen- und sicherheitspolitischen Sachverstand intensiver.
Das Interview führte Armin Lehmann
Aus: Der Tagesspiegel, 20. Februar 2001
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