Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Polizeiarbeit kennt keine Grenze(n)

Deutsche Behörden pfeifen auf Menschenrechte und drillen Sicherheitskräfte weltweit

Von René Heilig *

Deutschland hat jahrelang belorussische Sicherheitskräfte geschult. Allein zwischen Januar 2007 und Ende November 2010 hat das Bundeskriminalamt (BKA) mindestens fünf Ausbildungskurse angeboten. 77 Angehörige des Grenzdienstes und 16 Mitarbeiter anderer Sicherheitsbehörden haben daran teilgenommen, muss das Bundesinnenministerium bestätigen.

Kein Dialog mit Minsk, solange noch ein einziger politischer Gefangener in belarussischen Gefängnissen sitzt! Kanzleramtschef Ronald Pofalla (CDU) redete sich jüngst in Rage. Das war in Vilnus, der Hauptstadt von Litauen. Litauen ist Nachbarland von Belarus, das Reich von Alexander Lukaschenko. Dorthin hat Pofalla - seit der Diktator sich Ende 2010 erneut zum Präsidenten küren ließ - bewusst keine Reisen mehr unternommen. Die Unterdrückung von Opposition und Zivilgesellschaft, die Missachtung elementarster Rechte sowie die Todesstrafe, die Belarus als einziges Land in Europa anwendet, seien einfach unerträglich, sagte Merkels Büronachbar und rief dazu auf, Solidarität mit den Menschen jenseits der Grenze zu üben.

Besonders »solidarisch« war da bereits das Bundesinnenministerium. Es genehmigte Schulungen für Lukaschenkos Sicherheitskräfte. Warum? Man wollte nach Auskunft des Innenministeriums in Weißrussland das Signal für demokratische und rechtsstaatliche Reformen geben und die Bundesregierung den Dialog zwischen Berlin und Minsk normalisieren.

Man suchte ganz offenbar nach Gemeinsamkeiten und fand sie, als man Lukaschenkos Beamte mehrere Tage beim Durchbringen eines Castor-Transports ins niedersächsische Gorleben hospitieren ließ. Die Zusammenarbeit zwischen der deutschen Bundes- und der belarussischen Grenzpolizei ging offensichtlich auch nach der brutalen Niederschlagung der Protestbewegung nach der gefälschten Präsidentenwahl weiter. Störte sich kein Beteiligter daran, dass in Minsk über 700 Demonstranten für zehn Tage und mehr in »Administrativhaft genommen wurden? Darunter waren auch Personen, die nichts anderes getan hatten, als gegen Lukaschenko zu kandidieren.

Angeblich hat das deutsche Innenministerium der belarussischen Miliz sogar angeboten, seine Erfahrungen im Einsatz gegen Massenproteste weiterzugeben. Laut Nachrichtenagentur Interfax sei ein solches Training in Minsk zwischen dem damaligen Inspekteur der deutschen Bereitschaftspolizeien, Jürgen Schubert, und Generalmajor Anatol Kulyashou erörtert worden. Schubert rückte vor ein paar Wochen zum Vizepräsidenten der Bundespolizei auf.

Ein Ziel der Schulungen in Deutschland sollte es sein, den Kollegen »das transparente und bürgernahe Verhalten der Polizei« nahezubringen, sagt das Bundesinnenministerium. Ähnliches versucht man gerade auch in der Ukraine - ohne Gewissensqualen, weil die erkrankte ehemalige Ministerpräsidentin Julia Timoschenko im Gefängnis sitzt.

Deutsche Ausbildungs- und Ausstattungshilfe für Diktaturen sind nicht auf Osteuropa beschränkt. Die Operationen von Polizei und Zoll gehen mangels formaler Zuständigkeit an den Abgeordneten des Bundestages vorbei. Nicht nur Afghanistan ist Schwerpunkt. In Saudi-Arabien drillte die Bundespolizei über 3000 Kollegen und wird nun exportbefördernd dafür sorgen, dass die von EADS gelieferten Grenzschutzanlagen bedient werden können.

Das BKA und andere deutsche Polizeibehörden organisierten Schulungen in und für Ägypten, Algerien, China, Georgien, Ghana, Indonesien, Jemen, Jordanien, Katar, Kosovo, Kuwait, Libanon, Libyen, Marokko, Oman, Tunesien, die Vereinigten Arabischen Emirate und andere Regime, die Menschenrechte missachten. Natürlich will heute niemand mehr daran erinnert werden, dass das BKA noch unlängst syrische Polizisten ausgebildet hat, dass die Wasserwerfer, die die ägyptische Demokratiebewegung stoppen sollten, aus Deutschland kamen. Das seien, so wiegelt man ab, ja nur »nichtletale Waffen«. Wozu man übrigens auch die nach Saudi-Arabien exportierten Elektroschocker, die für die Vereinigten Arabischen Emirate bestimmten Fußfesseln und viele andere Folterinstrumente rechnen kann.

* Aus: neues deutschland, Samstag, 25. August 2012


Zurück zur Seite "Deutsche Außenpolitik"

Zur Menschenrechts-Seite

Zur Belarus-Seite (Weißrussland)

Zurück zur Homepage