Bundeswehr nach Afghanistan? Es wird ernst
Der Antrag der Bundesregierung an den Deutschen Bundestag im Wortlaut
Im Folgenden dokumentieren wir den Antrag der Bundesregierung auf Einsatz bewaffneter deutscher Streitkräfte vom 7. November 2001. Dieser Antrag wird am 8. November im Bundestag eingebracht und voraussichtlich am 15. November verabschiedet werden. Aus historischer Sicht dürfte es sich um eins der wichtigsten Dokumente deutscher Außenpolitik seit dem Zweiten Weltkrieg handeln.
Antrag der Bundesregierung auf Einsatz bewaffneter deutscher Streitkräfte vom 7. November 2001
Folgenden Antrag hat das Bundeskabinett in seiner heutigen Sitzung beschlossen:
Antrag der Bundesregierung
Einsatz bewaffneter deutscher Streitkräfte bei der Unterstützung der
gemeinsamen Reaktion auf terroristische Angriffe gegen die USA auf
Grundlage des Art. 51 der Satzung der Vereinten Nationen und des Art.
5 des Nordatlantikvertrags sowie der Resolutionen 1368 (2001) und
1373 (2001) des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen
Der Deutsche Bundestag wolle beschließen:
Der Deutsche Bundestag hat am 19. September die
menschenverachtenden Terroranschläge in den Vereinigten Staaten
von Amerika aufs Schärfste verurteilt, die Solidarität Deutschlands mit
dem amerikanischen Volk bekundet und die Resolution 1368 (2001) des
Sicherheitsrats der Vereinten Nationen begrüßt, mit der die Anschläge
als eine Bedrohung des internationalen Friedens und der Sicherheit
gewertet werden, gegen die das Recht der individuellen und kollektiven
Selbstverteidigung gegeben ist. Der Deutsche Bundestag hat darüber
hinaus seineUnterstützung für die Bereitschaft der Bundesregierung
zum Ausdruck gebracht, konkrete Maßnahmen des Beistands für die
Vereinigten Staaten zu ergreifen, zu denen politische und
wirtschaftliche Unterstützung sowie die Bereitstellung geeigneter
militärischer Fähigkeiten zur Bekämpfung des internationalen
Terrorismus zählen.
Art. 51 der Satzung der Vereinten Nationen gibt das Recht auf
individuelle oder kollektive Selbstverteidigung gegen die terroristischen
Angriffe vom 11. September 2001 auch mit militärischen Mitteln. Auf
dieses Recht hat der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen mit der
Resolution 1368 (2001) vom 12. September 2001 hingewiesen. Die
Resolution 1373 (2001) vom 28. September ruft die Mitgliedstaaten der
Vereinten Nationen darüber hinaus zur Bekämpfung des internationalen
Terrorismus mit politischen, wirtschaftlichen, polizeilichen und
gesetzgeberischen Maßnahmen auf.
Das Regime der Taliban in Afghanistan beherbergt seit Jahren Führer
und Ausbilder von Terroristen, die weltweit agieren und zu denen die
Täter von New York und Washington vom 11. September 2001
gehörten. Auch nach den Anschlägen gegen die USA stellt sich das
Regime in Kabul schützend vor diese Strukturen, die zusammenfassend
als "Al Qaida" bezeichnet werden. Sprecher der Al Qaida haben
öffentlich weitere Angriffe auf die USA angekündigt und andere dazu
aufgerufen. Das Taliban-Regime macht sich mit der Beherbergung und
dem Schutz für eine solche Gruppierung, die in ihrer
menschenverachtenden Gesinnung eine spätestens jetzt offenbar
gewordene Bedrohung aller Völker darstellt, zum Mittäter geschehener
und möglicher weiterer Terrorangriffe.
Deutschland beteiligt sich an einer Koalition aus zahlreichen Staaten
der Welt, die dem Aufruf des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen
gefolgt sind. Zur Bekämpfung des Terrorismus müssen die Staaten
dieser Koalition in einem langfristigen, strategischen Ansatz mit
politischen Instrumenten die Bereitschaft beseitigen, das unheilvolle
Wirken solcher Terrorgruppierungen zu unterstützen. Die Grundlagen
für die Vorbereitung und Durchführung von terroristischen Handlungen
im wirtschaftlichen Bereich, auf den Finanzmärkten, beim
internationalen Verkehr und bei illegalem Handel mit Waffen, Drogen
und auch mit Menschen, müssen entzogen werden.
Der Einsatz militärischer Mittel ist unverzichtbar, um die terroristische
Bedrohung zu bekämpfen und eine Wiederholung von Angriffen wie am
11. September 2001 nach Möglichkeit auszuschließen. Der Deutsche
Bundestag stimmt daher der Beteiligung bewaffneter deutscher
Streitkräfte an der Operation ENDURING FREEDOM zu, wie sie die
Bundesregierung am 7. November 2001 auf der Grundlage der Art. 51
der Satzung der Vereinten Nationen und Art. 5 Nordatlantikvertrag
sowie der Resolutionen 1368 (2001) und 1373 (2001) des
Sicherheitsrats der Vereinten Nationen beschlossen hat.
Der Beschluss der Bundesregierung lautet:
1. Völkerrechtliche Grundlagen und politische
Rahmenbedingungen
Am 11. September 2001 verübten Terroristen mit vier entführten
Zivilluftfahrzeugen Anschläge in den Vereinigten Staaten von Amerika
(USA), bei denen viele tausend Menschen ihr Leben verloren, die zwei
Hauptgebäude des "World Trade Center" zerstört und das Pentagon
stark beschädigt wurden. Am 12. September 2001 verabschiedete der
Sicherheitsrat der Vereinten Nationen die Resolution 1368 (2001), die
die Anschläge als Bedrohung für den internationalen Frieden und die
internationale Sicherheit qualifiziert. Die Resolution bestätigt die
Notwendigkeit, alle erforderlichen Schritte gegen solche Bedrohungen
zu unternehmen und unterstreicht das Recht zur individuellen und
kollektiven Selbstverteidigung.
Am 12. September 2001 beschloss der NATO-Rat, dass die
Terrorangriffe - sofern sie von außen gegen die USA gerichtet waren -
als Angriffe auf alle Bündnispartner im Sinne der Beistandsverpflichtung
des Art. 5 des Nordatlantikvertrages zu betrachten seien. Am 2.
Oktober 2001 legten die USA im NATO-Rat dar, dass die Angriffe
nachweislich von außen gegen die USA gerichtet waren. Daraufhin
bekräftigte und präzisierte der NATO-Rat am 4. Oktober 2001 die
Beistandsverpflichtung aus Art. 5. Damit ist auch die Bundesrepublik
Deutschland aufgefordert, im Rahmen der kollektiven
Selbstverteidigung zu Maßnahmen der Bündnispartner gegen den
Terrorismus beizutragen.
Am 7. Oktober 2001 unterrichteten die USA und das Vereinigte
Königreich von Großbritannien und Nordirland den Sicherheitsrat der
Vereinten Nationen über ihre Maßnahmen zur Bekämpfung des
Terrorismus gemäß Art. 51 der Satzung der Vereinten Nationen im
Rahmen der Operation ENDURING FREEDOM. In seiner Presseerklärung
vom 8. Oktober 2001 würdigte der Präsident des Sicherheitsrats der
Vereinten Nationen die Unterrichtung durch diese beiden Staaten und
bekräftigte die Entschlossenheit, Resolution 1368 (2001) und die
ergänzende, am 28. September 2001 verabschiedete Resolution 1373
(2001) vollständig umzusetzen.
2. Verfassungsrechtliche Grundlagen
Der Deutsche Bundestag hat mit Beschluss vom 19. September 2001
die Verpflichtungen der Bundesrepublik Deutschland aus Art. 5
Nordatlantikvertrag bekräftigt und die Bereitstellung militärischer
Fähigkeiten in Aussicht gestellt. Die deutschen Streitkräfte handeln bei
der Beteiligung an der Bekämpfung des internationalen Terrorismus in
Wahrnehmung des Rechts zur individuellen und kollektiven
Selbstverteidigung im Rahmen und nach den Regeln eines Systems
gegenseitiger kollektiver Sicherheit im Sinne des Art. 24 Abs. 2
Grundgesetz. Der Einsatz dieser Kräfte darf erfolgen, sobald der
Deutsche Bundestag seine konstitutive Zustimmung erteilt hat.
3. Auftrag
Gegen Bedrohungen des Weltfriedens und der internationalen
Sicherheit durch terroristische Handlungen sind nach der Resolution
1368 (2001) alle erforderlichen Schritte zu unternehmen. Deutsche
Streitkräfte wirken mit den USA und Partnerstaaten auf der Grundlage
des Art. 51 der Satzung der Vereinten Nationen und des Art. 5
Nordatlantikvertrag bei der militärischen Bekämpfung des
internationalen Terrorismus zusammen. Dazu beteiligt sich die
Bundeswehr an der Operation ENDURING FREEDOM. Diese Operation
hat zum Ziel, Führungs- und Ausbildungseinrichtungen von Terroristen
auszuschalten, Terroristen zu bekämpfen, gefangen zu nehmen und vor
Gericht zu stellen sowie Dritte dauerhaft von der Unterstützung
terroristischer Aktivitäten abzuhalten. Deutsche bewaffnete Streitkräfte
tragen dazu mit ihren Fähigkeiten bei. Der Beitrag schließt auch
Leistungen zum Zweck humanitärer Hilfe ein.
4. Ermächtigung zum Einsatz, Beginn und Dauer
Der Bundesminister der Verteidigung wird ermächtigt, im
Einvernehmen mit dem Bundesminister des Auswärtigen für die
deutsche Beteiligung an der Operation ENDURING FREEDOM in Ziffer 5
und 8 genannte Kräfte anzuzeigen und - nach der konstitutiven
Zustimmung durch den Deutschen Bundestag - im Rahmen der
Operation ENDURING FREEDOM einzusetzen.
Diese Operation hat am 7. Oktober 2001 begonnen. Ihre Dauer richtet
sich nach den Erfordernissen der vielfältigen internationalen
Bemühungen als Reaktion auf terroristische Angriffe gegen die USA.
Die Beteiligung mit deutschen Streitkräften an der Operation
ENDURING FREEDOM ist zunächst auf zwölf Monate begrenzt; der
Zeitraum beginnt mit der Zustimmung des Deutschen Bundestages zur
deutschen Beteiligung an dieser Operation. Sollte ein über diesen
Zeitraum hinaus gehendes deutsches militärisches Engagement
beabsichtigt werden, wird die Bundesregierung den Deutschen
Bundestag mit der weiteren Beteiligung deutscher Kräfte vor Ablauf der
Frist von zwölf Monaten erneut konstitutiv befassen.
5. Einzusetzende Kräfte
Für die deutsche Beteiligung an der Operation ENDURING FREEDOM
werden Kräfte der Bundeswehr für Einsatz und Einsatzunterstützung,
Führung und Aufklärung einschließlich der Beteiligung an
internationalen militärischen Hauptquartieren und in integrierter
Verwendung sowie als Verbindungsorgane zu internationalen
Organisationen und nationalen militärischen Dienststellen bereitgestellt.
Im Rahmen der Operation ENDURING FREEDOM werden bis zu 3900
Soldaten mit entsprechender Ausrüstung bereitgestellt:
-
ABC-Abwehrkräfte, ca. 800 Soldaten,
- Sanitätskräfte, ca. 250 Soldaten,
- Spezialkräfte, ca. 100 Soldaten,
- Lufttransportkräfte, ca. 500 Soldaten,
- Seestreitkräfte einschließlich Seeluftstreitkräfte, ca. 1800
Soldaten,
- erforderliche Unterstützungskräfte, ca. 450 Soldaten.
Unterhalb der festgelegten Obergrenze von 3900 Soldaten sind in
Abhängigkeit von den Erfordernissen des Einsatzes Abweichungen von
der jeweils genannten Größenordnung möglich.
Zur Vorbereitung des Einsatzes können Teile dieser Kräfte innerhalb
des Einsatzgebiets gemäß Ziffer 7 verlegt werden; im weiteren werden
Kräfte verlegt, wenn es die Lage erfordert. Zusätzlich werden
Verbindungselemente bei Hauptquartieren anderer Streitkräfte
eingesetzt.
Deutsche Soldaten, die im Rahmen von Austauschprogrammen bei den
Streitkräften anderer NATO-Nationen verwendet werden, verbleiben in
dieser Verwendung und nehmen auf Ersuchen der Gastnation an
Einsätzen ihrer Streitkräfte im Rahmen der Operation ENDURING
FREEDOM teil.
6. Status und Rechte
Die Anwendung militärischer Gewalt richtet sich nach den für den
jeweiligen Einsatzraum geltenden Einsatzregeln auf der Grundlage des
Völkerrechts.
Beim Aufenthalt in NATO-Staaten richten sich Status und Rechte der
eingesetzten deutschen Soldaten nach den zwischen den
NATO-Nationen abgeschlossenen Vereinbarungen.
In Nicht-NATO-Staaten richten sich Status und Rechte, soweit nicht
allgemeines Völkerrecht anzuwenden ist,
entweder nach den zwischen der Bundesrepublik Deutschland
und dem jeweiligen Aufnahmestaat getroffenen Vereinbarungen
oder nach Vereinbarungen, die ein Partnerstaat mit dem
Aufnahmestaat für das deutsche Kontingent getroffen hat.
7. Einsatzgebiet
Einsatzgebiet ist das Gebiet gemäß Art. 6 des Nordatlantikvertrags, die
arabische Halbinsel, Mittel- und Zentralasien und Nord-Ost-Afrika sowie
die angrenzenden Seegebiete. Deutsche Kräfte werden sich an
etwaigen Einsätzen gegen den internationalen Terrorismus in anderen
Staaten als Afghanistan nur mit Zustimmung der jeweiligen Regierung
beteiligen.
8. Personaleinsatz
Es werden eingesetzt
nur Berufssoldaten und Soldaten auf Zeit sowie
aufgrund freiwilliger Verpflichtung für besondere
Auslandsverwendungen Grundwehrdienstleistende, die
freiwilligen zusätzlichen Wehrdienst leisten, Reservisten, frühere
nicht mehr wehrpflichtige Soldaten, frühere Soldatinnen sowie
ungediente Frauen, die berufsbezogen eingesetzt werden sollen.
Im Rahmen der Operation ENDURING FREEDOM kann der Einsatz von
deutschem Personal in Kontingenten anderer Nationen sowie der
Einsatz von Personal anderer Nationen im Rahmen des deutschen
Kontingents auf der Grundlage bilateraler Vereinbarungen und in den
Grenzen der für Soldaten des deutschen Kontingents bestehenden
rechtlichen Bindungen genehmigt werden.
9. Besondere Auslandsverwendung
Bei dem Einsatz handelt es sich um eine besondere
Auslandsverwendung im Sinne des § 58 a des Bundesbesoldungsgesetzes. Dies gilt nicht für Soldaten, die im Rahmen der Operation ENDURING FREEDOM ausschließlich in einem
NATO-Staat Dienst verrichten und dabei keiner Bedrohung ausgesetzt
sind, die über die dort üblichen Gefahren des täglichen Lebens
hinausgeht.
10. Finanzierung
Die Finanzierung des deutschen Militäreinsatzes ist sichergestellt:
Im laufenden Jahr entstehen nach derzeitiger Einschätzung
Mehrausgaben von ca. 50 Mio. DM. Dieser Betrag wird im Rahmen der
Haushaltsermächtigungen durch Umschichtung finanziert.
Im Jahre 2002 werden zusätzliche Ausgaben bis zu 500 Mio. DM
erforderlich. Sie werden aus den zusätzlichen Anti-Terror-Mitteln
finanziert.
Zur Seite "Außenpolitik"
Zur Bundeswehr-Seite
Zur Terrorismus-Seite
Zurück zur Homepage