Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Krieg gegen Irak birgt "große, unkalkulierbare Risiken"

Die Rede des Bundesaußenministers Fischer vor dem UN-Sicherheitsrat im Wortlaut

Im Folgenden dokumentieren wir die Rede von Bundesaußenminister Fischer vor dem Sicherheitsrat der Vereinten Nationen in New York am 20. Januar 2003

Herr Präsident,
Herr Generalsekretär,
liebe Kolleginnen und Kollegen,
meine Damen und Herren,

Ich beglückwünsche die französische Ratspräsidentschaft zu ihrer Initiative für das heutige Treffen. Das Thema, das wir heute behandeln, hat international höchste Priorität. Denn über uns allen hängt das Damoklesschwert des internationalen Terrorismus. Der Terrorismus tötet unschuldige Menschen und ist ein Verbrechen. Er gefährdet Frieden und Sicherheit, er gefährdet Demokratie, Entwicklung und Freiheit, er missachtet nationales und internationales Recht und verletzt die Menschenrechte auf brutalste Weise. Dies ist die Botschaft des schrecklichen Terroranschlags des 11.09.2001 an uns alle. Darüber hinaus machen uns die Anschläge von Djerba, Moskau, Bali und Mombasa klar, dass diese Gefahr uns weiterhin bedroht.

Kein Land ist willens, mit dieser Bedrohung zu leben. Deshalb müssen wir dieser brutalen Herausforderung auch entschlossen, gemeinsam und klug entgegentreten. Das ist unsere Verpflichtung gegenüber allen Menschen. Die Bedrohung für unsere Bürgerinnen und Bürger hat eine neue Dimension. Mit Terroristen vom Schlage eines Osama bin Laden und seinem Netzwerk ist nicht zu verhandeln. Sie müssen besiegt, das terroristische Netzwerk muss zerstört werden. Zugleich müssen wir aber mit politischen, humanitären und ökonomischen Mitteln mögliche Ursachen für die Unterstützung des Terrorismus dauerhaft beseitigen.

Drei grundsätzliche Überlegungen seien hier vorangestellt:

Erstens: Der internationale Terrorismus eines Osama bin Laden ist die strategische Gefahr für den Frieden und die internationale Ordnung. Dieser Terrorismus will uns zu einer unüberlegten Reaktion zwingen, uns in einen Krieg der Zivilisationen verstricken. Exakt dem darf unsere Antwort nicht entsprechen. Wir müssen so reagieren, dass wir den Terrorismus schwächen. Dabei gibt es keine einfachen Antworten. Der Kampf gegen den internationalen Terrorismus muss auf verschiedenen Ebenen stattfinden. Geheimdienstliche, polizeiliche, justizielle, im Extremfall auch militärische Maßnahmen sind unverzichtbar. Ebenso bedeutend aber sind Krisenprävention, Konfliktlösung, Teilhabe, Armutsbekämpfung, Bildungsförderung und Dialog der Zivilisationen. Terroristische Taten zu verhindern ist unverzichtbar. Noch besser ist es aber, zu verhindern, dass neue Täter heranwachsen.

Zweitens können wir in diesem Kampf nur durch intensive internationale Zusammenarbeit erfolgreich sein. Terrorismus macht an Landesgrenzen nicht halt. Die eindrucksvolle internationale Koalition gegen den Terror, wie sie sich nach den Anschlägen in New York und Washington zusammenfand, muss erhalten bleiben. Erlauben Sie mir an dieser Stelle eine aktuelle Bemerkung: Unsere große Sorge ist es, dass ein militärischer Schlag gegen das Regime in Bagdad große, unkalkulierbare Risiken im weltweiten Kampf gegen den Terror mit sich bringt. Wir machen uns keine Illusionen über den menschenverachtenden Charakter des Regimes von Saddam Hussein. Daher verlangen wir alle die vollständige Umsetzung der betreffenden Resolutionen der Vereinten Nationen durch Bagdad ohne wenn und aber. Aber wir fürchten neben fatalen Konsequenzen für die langfristige regionale Stabilität auch mögliche negative Folgen für den gemeinsamen Kampf gegen diesen mörderischen Terrorismus. Dies sind wesentliche Gründe für unsere ablehnende Haltung gegenüber einer Militäraktion. Was wir brauchen ist ein System globaler kooperativer Sicherheit. Gerade asymmetrischen Konflikten muss mit einem internationalen System von Sanktions- und Verifikationsmechanismen begegnet werden. Den passenden globalen Ordnungsrahmen dafür liefern uns die Vereinten Nationen.

Drittens muss unser Kampf dabei immer rechtlich legitimiert sein. Er muss nationales und internationales Recht, die Menschenrechte und die Charta der VN respektieren. Besonders die Menschenrechte dürfen unter dem Deckmantel der Terrorismusbekämpfung nicht außer Kraft gesetzt werden. Schließlich geht es in diesem Kampf nicht nur um die Verteidigung unserer Sicherheit, sondern auch um unsere Grundwerte, nämlich Freiheit, Demokratie und Menschenrechte.

Herr Präsident,
die Vereinten Nationen haben schnell und entschieden auf die Ereignisse des 11.09.2001 reagiert. Lassen Sie mich hier besonders den Ausschuss zur Terrorismusbekämpfung des Sicherheitsrates (counter terrorism committee) hervorheben. Er hat eindrucksvolle Arbeit geleistet, seinem Vorsitzenden gilt unsere Anerkennung. Mein Land ist in diesem Zusammenhang bereit, Drittstaaten bei der Entwicklung geeigneter Bekämpfungsmaßnahmen zu unterstützen und dies mit dem Ausschuss zu koordinieren.

Auch messen wir den Debatten und Konventionsvorhaben der Generalversammlung zu diesem Thema große Bedeutung bei. Es wäre wünschenswert, wenn die Generalversammlung ihre Arbeiten zu Konventionen zur umfassenden Bekämpfung des Terrorismus und des Nuklearterrorismus endlich abschließen könnte.

Herr Präsident,
Deutschland wird sich weiterhin aktiv und konstruktiv an allen Bemühungen beteiligen, den internationalen Terrorismus zu bekämpfen und zu verhindern. Dies ist außen- und sicherheitspolitisch eines unserer wichtigsten Ziele. Dabei arbeiten wir aufs engste mit unseren internationalen Partnern zusammen. Besonders im Rahmen der Europäischen Union koordinieren wir uns hier auf’s engste.

Neben der polizeilich-juristischen Verfolgung von terroristischen Straftätern geht es uns vor allem darum, das Übel an seiner Wurzel zu bekämpfen. Dies schließt Perspektiven für die Lösung schwelender Regionalkonflikte ein – das zeigen uns die Beispiele Afghanistan und Nahost. Es umfasst auch die Stabilisierung und Entwicklung krisengeschüttelter Länder durch sinnvolle Hilfe und Zusammenarbeit.

Weiterhin gilt unser besonderes Augenmerk der Gefahr des Zugangs von Terroristen zu Massenvernichtungswaffen. Gerade das heißt aber: Die internationalen Instrumente der Rüstungskontrolle, der Abrüstung und Nichtverbreitung dürfen keinesfalls geschwächt, sondern müssen ganz im Gegenteil gestärkt werden. Im EU- und im G8-Rahmen haben wir hier verschiedene Initiativen ergriffen. Auch dem Dialog mit anderen Zivilisationen, hier vor allem mit der islamischen Welt, messen wir besondere Bedeutung zu.

Nochmals: Ohne die internationale Koalition gegen den Terrorismus sind diese Ziele nicht durchzusetzen. Wir müssen sie erhalten und pflegen und zwar im Rahmen der Vereinten Nationen. Die Dynamik, die durch unsere heutige Aussprache entstanden ist, muss genutzt werden. Als Präsidentschaft des Sicherheitsrats plant Deutschland am 20. Februar diese Thematik in einer offenen Debatte wieder aufzugreifen.
Ich danke Ihnen.

Quelle: Homepage des Auswärtigen Amts (www.auswaertiges-amt.de)


Zur Seite "Außenpolitik"

Zur Irak-Seite

Zurück zur Homepage