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Berlin liegt am Hindukusch

Die Koalition setzte vor allem auf die "Globalisierung" der Bundeswehr

Von Von Olaf Standke*

Deutsche Sicherheitsinteressen müssten auch am Hindukusch geschützt werden – dieser Satz von Verteidigungsminister Peter Struck wurde zum Credo rot-grüner Außenpolitik.

Wenn die NATO-Verteidigungsminister heute [13.09.2005] in Berlin zusammenkommen, wird ein wesentlicher Debattenpunkt das weitere Vorgehen in Afghanistan sein. Im Dezember 2001 erteilte der Bundestag das Mandat für die Bundeswehrbeteiligung an der Internationalen Schutztruppe (ISAF). Zuletzt wurde es am 30. September 2004 für ein Jahr verlängert. Ein Jahr zuvor waren das anfangs auf Kabul beschränkte Kontingent auf 2250 Männer und Frauen aufgestockt und das Einsatzgebiet auf Kundus im Norden ausgeweitet worden.

Im kommenden Mai soll der Bereich der NATO auf den unruhigen Süden des Landes ausgedehnt werden, wo im Rahmen von »Enduring Freedom« noch USA-Kampftruppen Terroristen jagen – fast unbemerkt von der Öffentlichkeit auch mit deutscher Hilfe. Linke Kritiker dieses Kurses haben im Wahlkampf den sofortigen Rückzug dieser ohne parlamentarische Kontrolle agierenden KSK-Truppen (Kommando Spezialkräfte) und aller Bundeswehreinheiten gefordert.

Wie der Kommandeur der britischen Truppen, Oberst James Denny, sagte, seien die ISAF-Aufgaben im Süden »eher friedenserzwingend als friedenserhaltend« – und so nicht durch das ohnehin umstrittene UN-Mandat gedeckt. Wurden zur Legitimierung des Einsatzes doch das Selbstverteidigungsrecht der USA und die Ausrufung des Bündnisfalles herangezogen, mithin Faust- statt Völkerrecht praktiziert. Am Ende sollen Anti-Terrorkampf und ISAF-Mission verschmelzen. Bisher hat der Ausbau der militärischen Präsenz die Sicherheitslage aber nicht stabilisiert.

Hatten die Grünen in ihrem Wahlprogramm von 1994 noch die »Auflösung der NATO« angepeilt, sollten laut Koalitionsvertrag von 1998 die Aufgaben des Paktes zumindest »an die Normen und Standards« von UNO und OSZE gebunden werden. Doch schon der Jugoslawienkrieg machte das zur Makulatur. Inzwischen ist der Horizont deutscher Soldaten weit gespannt, zwischen Balkan, Mittelmeer und Südasien. Derzeit sind rund 7500 in Auslandseinsätzen, und trotz finanzieller Engpässe hat die weitere »Globalisierung« der Bundeswehr auch mit Blick auf Rohstoffe und Märkte oberste Priorität. »Im Zusammenspiel mit Verbündeten« wäre man später durchaus zu Einsätzen in Irak oder in Sudan bereit, kann man unter der Hand hören. »Heimatschutz« auch in der Ferne und »Regionalkriege zur Verteidigung europäischer Interessen«, meinen dagegen deutsche Friedensforschungsinstitute im »Friedensgutachten 2005«, lägen quer zum Grundgesetz.

In Sachen Irak allerdings schwamm Berlin gegen den Bush-Strom und nahm eine erhebliche bilaterale Verstimmung in Kauf – nicht zuletzt aus wahltaktischen Überlegungen. Allerletzte Konsequenz ließ Kanzler Gerhard Schröder, inzwischen sogar für den Friedensnobelpreis vorgeschlagen, aber auch hier vermissen. An den Überflugrechten der USA-Truppen etwa rüttelte er nicht, man leistete einen finanziellen Beitrag zu Washingtons Irakpolitik, im Weltsicherheitsrat wurden Beschlüsse mitgetragen, die die USA-Besatzung stützen. Für Bundesaußenminister Joschka Fischer geht es »angesichts der neu geschaffenen Fakten« in Irak »nur noch um die Option Erfolg«: Die »Intervention darf nicht scheitern«.

Am Ende ist diese Außenpolitik gar nicht so weit entfernt von jener der Vorgänger, ob nun der schnell begrabene Vorstoß zum NATO-Verzicht auf den atomaren Erstschlag, das penetrante Buhlen um einen ständigen Sitz im Weltsicherheitsrat oder die Entwicklung der Europäischen Union zur eigenständigen Militärmacht. Es war die Bundesregierung, die sich besonders für eine engere militärische Zusammenarbeit samt EU-Rüstungsagentur stark machte. Beide Ideen finden sich in der EU-Verfassung wieder.

Die Auslandseinsätze der Bundeswehr in der rot-grünen Amtszeit kosteten über 20 Soldaten das Leben und insgesamt rund sieben Milliarden Euro. Eine Summe, die im Bundeshaushalt verschleiert wird. Wobei neue Rüstungsprojekte, deren Ursprung in der Strategie weltweiter Militäreinsätze liegen, nicht einmal eingerechnet sind. Rot-Grün habe die »Militarisierung der deutschen Außenpolitik« vorangetrieben und sich zum »Handlanger der Waffenschmieden« gemacht, so der Vorwurf der Friedensbewegung. Bis hin zum neuen Raketenabwehrsystem MEADS, das – weil mobil – auch bei Interventionen zum Einsatz kommen könnte. In Zeiten leerer Kassen und wachsender sozialer Probleme ein unverantwortliches Projekt. Nach Angaben des Bundesrechnungshofes stünden neben den 847 Millionen Euro Entwicklungs- weitere sechs Milliarden Euro Beschaffungskosten ins Haus.

Dabei wäre es dringend erforderlich, »durch verbesserte Früherkennung und diplomatische Interventionen deeskalierend« den Ausbruch von Gewalt zu verhindern, wie Ulrich Ratsch von der Forschungsstätte der Evangelischen Studiengemeinschaft (FEST) mit Blick auf die Berliner Außenpolitik betonte. Doch die Mittel der Bundesregierung für nicht-militärische Alternativen blieben bescheiden. Der zivile Friedensdienst etwa wurde seit 1999 mit 58 Millionen Euro unterstützt, 25 Millionen gingen an die 2000 ins Leben gerufene Bundesstiftung Friedensforschung. Auch der 2004 beschlossene Aktionsplan Zivile Krisenprävention müsste finanziell viel besser ausgestattet werden; ganz zu schweigen davon, dass hier selbst die NATO als Instrument der Krisenvorbeugung propagiert wird.

Dagegen bleibt Deutschland auch unter Rot-Grün weit von den im UNO-Rahmen vereinbarten 0,7 Prozent des Bruttosozialprodukts für Entwicklungszusammenarbeit entfernt. Im Vorjahr lag man unter 0,3 Prozent. Kritiker werfen der Regierung vor, dass für sie das Streben nach einem ständigen Sitz im Sicherheitsrat die Debatte um die UN-Reform beherrschte, obwohl es wichtiger wäre, sich für die Stärkung der friedenskonsolidierenden Kapazität der UNO einzusetzen: die Einrichtung einer Peace Building Commission und eines entsprechenden Koordinierungsbüros bei der UNO etwa oder die Schaffung eines Menschenrechtsrats. Die rot-grüne Koalition habe es sich mit ihrer Außen- und Sicherheitspolitik selbst zuzuschreiben, wenn ihr die letzten Sympathien aus dem Friedenslager abhanden kommen, hieß es im Wahlaufruf des Bundesausschusses Friedensratschlag.


Zahlen und Fakten
  • Wegen des massiven Anstiegs der Rüstungsexporte ist die Bundesregierung wiederholt in die Kritik geraten. Selbst in den eigenen Reihen stieß die rot-grüne Genehmigungspolitik auf Vorbehalte.
  • Laut jüngstem Rüstungsexportbericht der Bundesregierung führten deutsche Waffenschmieden im Jahr 2003 offiziell Kriegsmaterial für 1,3 Milliarden Euro aus – vier Mal so viel wie im Jahr zuvor. Damit nahm die Bundesrepublik Rang vier unter den weltweiten Rüstungsexporteuren ein.
  • Der Umfang von Rüstungsexporten in Entwicklungsländer verdreifachte sich. Der Anstieg sei vor allem durch den Export von vier Schiffskorvetten nach Südafrika und Malaysia und die Lieferung von Flugabwehrsystemen an Israel begründet, heißt es im Bericht.
  • Damit liegt der Durchschnittswert der Rüstungslieferungen unter Rot-Grün von 1999 bis 2003 etwa 30 Prozent über jenem der letzten drei Jahre der Kohl-Regierung. Insgesamt beträgt das von der Bundesregierung ausgewiesene Genehmigungsvolumen 4,9 Milliarden Euro.
  • Nach einer Studie des Berliner Friedensforschungsinstituts BITS werden bei dieser Rechnung einzelne Bauteile, die für Waffenproduktion genutzt werden könnten (Dual-Use-Güter), aber kaum berücksichtigt. So sei von Rot-Grün in besagtem Zeitraum sogar der Export von Rüstungskomponenten im Gesamtwert von mehr als 13,5 Milliarden Euro genehmigt worden.


* Aus: Neues Deutschland, 13. September 2005

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