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Redet Deutschland von Frieden, ist Militär im Spiel

German Foreign Policy: 6.600 Soldaten und einige Hundert Paramilitärs in 32 Staaten aktiv

Deutsche Soldaten und Polizeikräfte sind derzeit an rund 40 Auslandseinsätzen in aller Welt beteiligt. "Eine Verpflichtung dazu besteht und bestand nicht. Dennoch wird so getan, als erfülle man Aufträge und Verpflichtungen gegenüber Dritten. Das Volk wird permanent desinformiert."
Dies ist der Hauptinhalt und der Hauptvorwurf in einem Hintergrundartikel, den die Internetzeitung "Saar-Echo" Anfang September 2005 veröffentlichte. Verfasst wurde der Beitrag von German Foreign Policy, einer Gruppe unabhängiger Journalisten und Sozialwissenschaftler/innen mit Sitz in Köln. (Homepage: www.german-foreign-policy.com.



Berlin. (gfp) Das Auswärtige Amt und die Bundesregierung melden deutsche Auslandsoperationen in 32 Staaten unter Beteiligung von 6.601 Soldaten und mehreren hundert Polizeikräften. Damit beanspruchen militärische und paramilitärische Auslandsaktivitäten der Bundesrepublik Deutschland den höchsten Personalstand seit 1945. Dies bestätigen Zahlen einer staatlichen Sammelstelle für weltweite Interventionstätigkeit, die als ”Zentrum für Internationale Friedenseinsätze” (ZIF) firmiert. Wie die Berliner Vorfeldorganisation am gestrigen Mittwoch mitteilte, sucht sie gegenwärtig Spezialisten für einen Einsatz in Indonesien. Zu den sogenannten Friedensmaßnahmen, die das ZIF bewirbt, gehören Gewaltoperationen wie in Afghanistan und Polit-Inszenierungen wie in der Ukraine. Das ZIF kündigt den weiteren Ausbau seiner Personalreserve an und will die deutsche Interventionstätigkeit intensivieren.

Wie das ZIF mitteilt, sind deutsche Soldaten, Polizisten und Zivilpersonen derzeit an 40 ”Friedenseinsätzen” in aller Welt beteiligt. Dazu gehören 16 Unternehmungen auf dem Balkan, im Kaukasus und in Zentralasien, die unter der Flagge der OSZE getätigt werden. Drei Interventionen finden in Nachfolgestaaten des ehemaligen Jugoslawien statt (EU). Wiederum drei Einsätze (Afghanistan, Kosovo, Bosnien-Herzegowina) hat sich die Bundesrepublik durch die UNO mandatieren lassen und an 17 (u.a. Sudan, Kongo, Indien/Pakistan) ist sie als UN-Mitglied beteiligt. In weitere vier Eingriffsmaßnahmen sind deutsche Behörden u.a. in Ost-Timor und in der Zentralafrikanischen Republik verwickelt. Die jetzt ausgeschriebenen Stellen für das Bürgerkriegsgebiet Aceh (Indonesien) unterstützen die dort bereits im Einsatz befindlichen Deutschen und ergänzen den deutschen Operationsraum, der von Europa über Afrika bis Asien reicht.

Die vom ZIF und der Bundesregierung herausgestellten Einsatztitel suggerieren, man befinde sich in internationalen Verpflichtungen, die der deutschen Zugehörigkeit zu UNO, OSZE oder EU geschuldet wären. Tatsächlich bestehen weder Einsatzzwänge, noch finden wirkliche Einbindungen der nationalen Gewaltmittel statt. Unter dem Namensdach von Mitgliedsorganisationen, in denen die Bundesrepublik eine treibende oder bestimmende Position einnimmt, weist sich Berlin weltweite Interventionen zu. Deutschland müsse ”seiner gewachsenen und weiter wachsenden internationalen Rolle gerecht” werden, heißt es im Auswärtigen Amt, dessen Sprachregelung unterstellt, man bediene Erwartungen Dritter.

Doch die vom ZIF aufgeführten ”Friedenseinsätze” sind oft Militärbesatzungen, gegen die sich heftiger Widerstand regt - so in Afghanistan. Die Beteiligung zivilen Personals, das den Repressionskräften Verwaltungsaufgaben abnimmt und sie mit Erkenntnissen versorgt, die für das Okkupationsgeschehen grundlegend sind, macht aus Handlungen in einem Kriegsgebiet keinen Friedensdienst. Darüber können Auslands-Niederlassungen mit Zivilanstrich (OSZE-”Büros”, OSZE-”Zentren”) nicht hinwegtäuschen. Das in Deutschland rekrutierte ”Fach- und Führungspersonal” stellt eine Personalreserve dar, deren Tätigkeit als ”wichtiger Bestandteil der Außen- und Sicherheitspolitik” verstanden wird. Gegenwärtig hält das ZIF etwa 800 Spezialisten für den Auslandseinsatz bereit. In den Arbeitsbereichen, die von ZIF-Kräften abgedeckt werden, überwiegen politische Tätigkeiten (”Politische Angelegenheiten und Demokratisierung”, ”Justizwesen und Menschenrechte”, ”Polizei und Sicherheit”). Mit Aufgaben sozialen und humanitären Charakters waren Ende 2004 lediglich rund drei Prozent der vom ZIF entsandten Kräfte befasst.

Zu den Aufgabenbereichen des ZIF gehört die Nominierung und Entsendung sämtlicher deutscher Wahlbeobachter, die Urnengänge im Ausland kontrollieren. Wie die Berliner Institution bestätigt, hat sie seit ihrer Gründung rund 1.300 Personen zu Abstimmungsprüfungen delegiert. Rund 200 Deutsche entsandte das ZIF allein zu den verschiedenen Wahlgängen in der Ukraine, in deren Verlauf es zu einem prowestlichen Machtwechsel und der Übergabe der Amtsgeschäfte an den von Deutschland protegierten Kandidaten Wiktor Juschtschenko kam. Die Bereitstellung der Wahlbeobachter war Teil der politischen Gesamtinszenierung. Auch eine Entsendung deutscher Kontrolleure zu den kirgisischen Präsidentschaftswahlen nach dem Umsturz in Bischkek gehörte zum ZIF-Programm.

Im ZIF-Aufsichtsrat sitzen Staatsminister und Staatssekretäre mehrerer Ministerien (Auswärtiges Amt, Bundesministerium für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Bundesverteidigungsministerium, Bundesinnenministerium) und Bundestagsabgeordnete der vier großen Parteien. Der Beirat des ZIF besteht aus entwicklungspolitischen Stäben (u.a. GTZ, Stiftung Entwicklung und Frieden), kirchlichen Institutionen (u.a. Evangelische Akademie Loccum, Deutsche Kommission Justitia et Pax) und militärischen Leitstellen (Befehlshaber des Einsatzführungskommandos der Bundeswehr). Die Institution residiert am Ludwigkirchplatz 3-4 in Berlin, wo auch die Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) ihren Sitz hat. In deren Leitung arbeitete der heutige ZIF-Direktor Winrich Kühne bis 2002.

Im Spektrum des ZIF führt die Bundesregierung Kräfte zusammen, die der Nutzung für militärische sowie zivil-militärische Aufgaben anheim gestellt und als eigenständige Träger sozialer Friedenspolitik neutralisiert werden.

Quelle: Saar-Eche, 2. September 2005; www.saar-echo.de


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