Umbau der US-Nuklearrüstung – Chance für weitere Abrüstungsschritte?
Ein Beitrag von Thomas Horlohe aus der NDR-Sendereihe "Streitkräfte und Strategien"
Andreas Flocken (Moderation):
Eine Welt ohne Atomwaffen – dafür hat sich US-Präsident Obama eingesetzt. Ein ehrgeiziges Unterfangen. Nicht zuletzt aufgrund der Finanzkrise gibt es in den USA jetzt Vorschläge, wie man das eigene atomare Potenzial neu strukturieren könnte. Der Umbau der Nuklearrüstung – eine Chance, den Abrüstungsprozess voranzutreiben? Hören Sie Thomas Horlohe:
Manuskript Thomas Horlohe
Das Ziel ist klar und einprägsam: „Global Zero“. Weltweit sollen die Atomwaffenarsenale auf null gebracht werden. Neu ist diese Vision nicht. Schon zwei Mal war man sich fast darüber einig geworden: zu Beginn des Kalten Krieges im Jahre 1946 und kurz vor dessen Ende, auf dem Gipfeltreffen des damaligen US-Präsidenten Reagan mit dem sowjetischen Generalsekretär Gorbatschow im Oktober 1986 in Reykjavik. Auf dem Höhepunkt des Kalten Krieges waren damals 70.000 Kernwaffen in den Arsenalen angehäuft. Heute verfügen die stärksten Nuklearmächte USA und Russland zusammen immer noch über mehr als 10.000 atomare Gefechtsköpfe. Von null Atomwaffen ist die Welt also noch weit entfernt.
Aber mit seiner Rede am 5. April 2009 in Prag machte US-Präsident Obama die Vision „Global Zero“ zur offiziellen Regierungspolitik der Nuklearmacht USA, ein bemerkenswerter Fortschritt:
O-Ton Obama (overvoice):
„Als einzige Atommacht, die bisher Kernwaffen eingesetzt hat, haben die USA eine moralische Verantwortung zu handeln. Allein können wir das nicht schaffen. Aber wir können uns an die Spitze setzen. Wir können einen Anfang machen. Also erkläre ich klar und voller Überzeugung Amerikas Absicht, nach einer friedlichen und sicheren Welt ohne Nuklearwaffen zu streben.“
Den Worten folgten Taten. Im Dezember 2010 ratifizierte der US-Senat den New START-Vertrag. Darin verpflichten sich Russland und die USA, ihre Arsenale bis zum Februar 2018 auf jeweils nur noch 1.550 einsatzbereite Atomgefechtsköpfe abzurüsten, verteilt auf 700 Trägersysteme, also auf U-Boote, landgestützte Raketen oder Flugzeuge.
Zudem ließ Präsident Obama die US-Nuklearstrategie kritisch überprüfen, die seit der Regierung Bush unverändert geblieben war. Im April 2010 wurde das Ergebnis vorgelegt, die sogenannte „Nuclear Posture Review“. Dieses Dokument wertet Nuklearwaffen ab und formuliert eine negative Sicherheitsgarantie. Künftig werden die USA auf den Ersteinsatz von Atomwaffen gegen Staaten verzichten, die drei Bedingungen erfüllen: Sie dürfen keine Atomwaffen besitzen. Sie müssen den Vertrag gegen die Weiterverbreitung von Atomwaffen unterzeichnet haben. Und sie müssen dessen Bestimmungen erfüllen. Nordkorea und der Iran erfüllen diese drei Bedingungen nicht. Sie bleiben im Fadenkreuz der Zielplaner.
Obamas „Nuclear Posture Review“ ging nicht so weit, auf den Ersteinsatz von Kernwaffen kategorisch zu verzichten. Die grundsätzliche Bereitschaft zu diesem Schritt lässt sich in dem Dokument allerdings erkennen. Wörtlich heißt es:
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„Derzeit sind die Vereinigten Staaten nicht bereit, sich eine Politik zu eigen zu machen, nach welcher der einzige Zweck unserer Atomwaffen darin besteht, Atomwaffenangriffe anderer abzuschrecken. Aber wir arbeiten auf Bedingungen hin, unter denen dies möglich sein wird.“
Im August 2011 ordnete Obama mit seiner Präsidentendirektive Nr. 11 an, Vorschläge auszuarbeiten, wie seine neue Nuklearwaffenpolitik umgesetzt werden könnte und wie darüber hinaus auf ein noch niedrigeres Niveau abgerüstet werden kann, als im New START-Vertrag vereinbart. Die Arbeit an dieser „Nuclear Posture Review Implementation“-Studie dauert jedoch länger als geplant. Im März deutete Präsident Obama in seiner Rede vor der Hankuk-Universität in Seoul allerdings ein erstes Zwischenergebnis an:
O-Ton Obama (overvoice):
„Die Arbeit an dieser Studie ist noch nicht beendet. Aber selbst wenn wir noch daran weiterarbeiten müssen, so können wir doch schon mit Gewissheit sagen, dass wir mehr Nuklearwaffen haben als wir benötigen.“
Welche Optionen dem Präsidenten vorgelegt werden, ist noch nicht durchgesickert. Spekuliert wird, dass das US-Arsenal auf wenige hundert Atomgefechtsköpfe verringert werden soll.
Konkretes ist im Moment offiziell hierzu nicht zu hören. Kein Wunder. In den USA ist Wahlkampf. Obama will seinen Gegnern keinen Vorwand liefern, ihn als jemand anprangern zu können, der Amerikas nukleare Überlegenheit aufs Spiel setzt. Deshalb hat der Präsident auf dem langen Weg zu „Global Zero“ erst einmal eine Zwangspause eingelegt.
Sie soll aber nicht ungenutzt bleiben. In die regierungsoffizielle Sprachlosigkeit hinein stieß im Mai überraschend eine Gruppe angesehener US-Experten mit Vorschlägen für einen Umbau der US-Nuklearstreitkräfte. Sprecher der Gruppe ist General a.D. James Cartwright, ehemaliger Befehlshaber der US-Nuklearstreitkräfte und zuletzt stellvertretender Generalstabschef, also jemand vom Fach und mit Autorität.
Seine Vorschläge gehen in die gleiche Richtung, in die auch Obamas Berater denken. Wahrscheinlich war der Vorstoß sogar vom Weißen Haus angeregt worden. Es ist bekannt, dass der Präsident große Stücke auf General Cartwright hält. Und Obamas Sicherheitsberater, Thomas Donilon, bat letztes Jahr vor der Carnegie-Stiftung um öffentliche Unterstützung für Obamas Nuklearwaffenpolitik:
O-Ton Donilon (overvoice):
„Ohne Ihre Hilfe können wir nicht erfolgreich sein. Sie alle, Nuklearexperten, frühere Regierungsmitarbeiter, Wissenschaftler, Wirtschaftsvertreter, Akademiker und Aktivisten, Sie bereiten den Boden für die Maßnahmen der Regierung. Oftmals können Sie Dinge vollbringen, die wir nicht leisten können. Wir brauchen Sie, um Initiativen anzuregen, öffentliche Unterstützung zu mobilisieren, für konstruktiven Rat und um neue Ideen zu entwickeln.“
Die Experten um Ex-General Cartwright erklären Nuklearwaffen schlicht für unbrauchbar, um die Bedrohungen von heute abzuwehren. Ihrer Meinung nach sind für die USA 900 strategische Nuklearwaffen ausreichend, die Hälfte innerhalb von 72 Stunden einsatzbereit. Die andere Hälfte solle in Reserve gehalten werden. In einer Krise oder in einem Krieg genügten 900 strategische Nuklearwaffen, um alle relevanten Ziele in Russland, China, Nordkorea, dem Iran und Syrien abzudecken Als Trägersysteme sollten künftig nur noch U-Boote und Bombenflugzeuge dienen. Mit 270 auf U-Booten stationierten Nukleargefechtsköpfen besäßen die USA eine unschlagbare Streitmacht, die aber ihrerseits für einen Entwaffnungsschlag gegen Russlands Atomwaffen nicht ausreichend ist. Auf landgestützte Interkontinentalraketen könne vollständig verzichtet werden. Auch alle sogenannten taktischen Atomwaffen, die in Europa lagern, sollen abgerüstet werden. Die Expertenstudie sieht eine konventionelle Raketenabwehr und zielgenaue konventionelle strategische Waffen ganz selbstverständlich als Ergänzung des Arsenals an. Nicht-nukleare Präzisionswaffen seien gegen alle denkbaren Ziele im Iran, in Nordkorea und Syrien völlig ausreichend, schreiben die Experten. Außerdem soll künftig die Alarmbereitschaft für alle Atomwaffen herabgesetzt werden. In der Studie heißt es:
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„Alle Nuklearstreitkräfte der nächsten Generation sollen so konstruiert werden, dass Trägersysteme und Gefechtsköpfe im normalen Friedensbetrieb voneinander getrennt sind. Das verlängert Entscheidungszeiträume, verbessert die Sicherheit der Systeme gegen fremden Zugriff und verhindert irrtümliche oder unbeabsichtigte Starts.“
Der Bericht soll eine Debatte anstoßen. Sie ist notwendig, um die tiefgreifenden Veränderungen bei der Nuklearrüstung und Nuklearstrategie der USA durchzusetzen. So ist beispielsweise seit den 60er Jahren ein Dogma der US-Nuklearpolitik, Nuklearsprengköpfe auf drei verschiedenen Trägersystemen zu stationieren: Auf U-Booten, Flugzeugen und Langstreckenraketen in verbunkerten Silos. Der Abschied von dieser sogenannten Triade ist für die Streitkräfte und Rüstungsunternehmen nicht leicht zu verschmerzen. Aber der Verzicht auf eine der drei nuklearen Säulen hilft dem Pentagon, die angekündigten Kürzungen im Verteidigungshaushalt umzusetzen.
Viel schwieriger noch wird es jedoch, die nächsten Schritte in Richtung „Global Zero“ mit Russland zu vereinbaren. Der Aufbau einer Raketenabwehr und die US-Pläne, konventionelle strategische Waffensysteme zu beschaffen, werden in Moskau misstrauisch beäugt. Seine Vorbehalte hat Russland bereits in der Präambel des New START-Vertrags zu Papier gebracht. Dort heißt es:
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„... das Wechselverhältnis zwischen offensiven strategischen Waffen und defensiven strategischen Waffen ... wird mit der Verringerung strategischer Waffen an Bedeutung gewinnen.“
Im Klartext: Je weniger Waffen es gibt, desto schwieriger wird es, noch weiter abzurüsten. Der Kreml wird darauf bestehen, Raketenabwehr und strategische Offensivwaffen nur gemeinsam zu verhandeln. Die Alternative für die USA wären einseitige Abrüstungsschritte. Die aber erfordern eine große Überzeugungsarbeit gegenüber dem Kongress. Denn der Weg von der Vision zur Wirklichkeit ist lang, schwierig und birgt Hindernisse ganz neuer Art.
* Aus: NDR-Forum "Streitkräfte und Strategien"; 30. Juni 2012; www.ndrinfo.de
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