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Atomare Gefahren

Von US-Bomben und russischen U-Booten

Mitte August brachten zwei Meldungen der Welt wieder einmal zu Bewusstsein, auf welch dünnem Eis sich die Menschheit bewegt. Bei Grönland hatte schon vor Jahren die US-Luftwaffe eine Atombombe "verloren", die seither im ewigen Eis auf Grund liegt. Im Nordpolarmeer lief ein russisches Atom-U-Boot auf Grund. Niemand weiß, ob die über 100 Besatzungsmitglieder gerettet werden können und niemand weiß, welche Folgen der "Störfall" für die Umwelt haben wird. - Es wird Zeit, auszusteigen: aus der atomaren Bewaffnung und aus der Atomtechnologie!
Wir dokumentieren zwei Pressemeldungen über die beiden Ereignisse.


Vor Grönland liegt eine Atombombe

32 Jahre nach dem Absturz eines US-amerikanischen B-52-Atombombers finden ehemalige Arbeiter der Thule-Militärbasis heraus, dass eine von vier Bomben nie gefunden wurde. Die USA hatten die dänische Regierung systematisch belogen
von REINHARD WOLFF

Im Atlantik vor der Küste Nordwestgrönlands liegt eine Atombombe. Sie trägt die Nummer 78252 und hing ganz unten im linken Bombenschacht eines Atombombers vom Typ B 52, der am 21. Januar 1968 nahe der grönländischen US-Basis Thule abstürzte. Die US-Behörden hatten damals nach dreimonatiger intensiver Aufräumarbeit Vollzug gemeldet: Man habe das Flugzeugwrack samt aller vier Bomben gefunden und alles ordnungsgemäß weggeschafft.

Doch die Wahrheit sieht anders aus. In US-Archiven wurden jetzt Beweise dafür gefunden, dass das Pentagon noch Monate nach der offiziellen Vollzugsmeldung in aller Heimlichkeit weitersuchte - und dann aufgab: Bombe 78252 wurde nie gefunden.

Es ist die Interessenvertretung ehemaliger Thule-Arbeiter - die bei den Aufräumarbeiten in stark strahlender Umgebung eingesetzt und teilweise schwer gesundheitlich geschädigt worden waren -, welche jetzt in US-Archiven der nicht geborgenen Bombe auf die Spur kam. Aufgrund des unter Präsident Clinton erweiterten Öffentlichkeitsgesetzes hatten sie erstmals die Möglichkeit, auch als heimlich und vertraulich gestempelte Papiere einzusehen. Die Akten waren vorher einzeln auf mögliche Staatsgeheimnisse durchgesehen und manuell geschwärzt worden. Doch dabei war offenbar geschlampt worden.

Denn mitten unter tausenden von Dokumenten und aus vermutlich versehentlich nicht geschwärzten Unterlagen der US-Atomenergiekommission ergab sich aus einem von General Edward B. Giller am 18. März 1968 unterschriebenen Bericht, dass von der Bombe 78252 nur eines gefunden worden war: der Fallschirm, an welchem sie bei dem Bomberabsturz hätte auf dem Boden landen sollen.

Die USA hatten, so ein Bericht vom 12. April 1968, jeden Metallsplitter, jeden kleinsten Teil der anderen abgestürzten Bomben genau zuordnen können - den anderen drei Bomben. Ohne Dänemark zu informieren, versuchte ein US-U-Boot noch Monate nach dem offiziellen Ende der Suche, die 78252 aufzuspüren. Ohne Erfolg.

Wie planmäßig man die dänische Regierung hinters Licht führte, geht aus einem Schreiben vom 27. August 1968 hervor, in welchem die Atomenergiekommission beruhigt wird, man habe "wie verabredet nur die ausgewählten Teile" von Videoaufnahmen Kopenhagen zugänglich gemacht.

"Gerüchte, dass etwas faul war, hat es eigentlich immer gegeben", sagt Mogens Boesen, Sekretär der Organisation der Thule-Arbeiter: "Aber nun haben wir endlich den Beweis." Irgendwo rostet also Nummer 78252 mit ihrem Plutonium vor sich hin. Seit 32 Jahren.
Aus: taz, 14.08.2000

Russisches Atom-U-Boot in der Barentssee schwer beschädigt auf Grund

Über hundert Mann eingeschlossen - schwierige Rettung

Moskau, 14. Aug. (Reuters) Nach einem Störfall im Nordpolarmeer ist ein russisches Atom-U-Boot laut offiziellen Angaben schwer beschädigt auf Grund gegangen. Die über hundertköpfige Besatzung bleibt vorläufig eingeschlossen. Der Chef der russischen Marine, Admiral Kurojedow, erklärte gemäss einer Meldung von Itar-Tass, die Chancen für eine Rettung seien nicht sehr hoch. Mit mehr als hundert Mann an Bord sitzt ein russisches Atom-Unterseeboot nach einem schweren Störfall auf dem Meeresgrund in der Barentssee fest. Der Chef der russischen Marine, Admiral Wladimir Kurojedow, sagte am Montag laut einer Meldung der Nachrichtenagentur Itar-Tass, die «Kursk» weise die Merkmale einer «schweren und ernsten Kollision» auf. Aus Kreisen der russischen Nordflotte verlautete, einige der Besatzungsmitglieder seien möglicherweise tot. Nach Angaben der Marine hat es in dem U-Boot am Sonntag einen technischen Fehler gegeben. Die «Kursk» verfüge über keine Atomwaffen. In der Vergangenheit hatte es mehrere Zwischenfälle mit russischen Atom-U-Booten gegeben.

Atomreaktor abgeschaltet

Admiral Kurojedow bezeichnete die Situation laut der Meldung als schwierig. Die Chancen für einen positiven Ausgang seien nicht sehr hoch. Er machte keine näheren Angaben über die Kollision, bei der die «Kursk» schwer beschädigt worden sei. Nach seinen Angaben wurde jedes verfügbare Schiff in die Region entsandt. Ein Marinesprecher hatte zuvor in Moskau erklärt, an Bord des U-Boots habe es in der Barentssee einen technischen Fehler gegeben. Der Sprecher wies einen Fernsehbericht zurück, nach dem Wasser in den Bug und die Torpedorohre des U-Boots eingedrungen sei. Er machte keine näheren Angaben über den Fehler an Bord der «Kursk» und deren genaue Position. Nach seinen Angaben wurde der Reaktor des U-Boots abgeschaltet und ist unter Kontrolle. Die Werte radioaktiver Strahlung seien normal. Ein Reporter des russischen Fernsehsenders NTW berichtete vom Stützpunkt der russischen Nordflotte in Seweromorsk, die Besatzung habe das U-Boot auf den Grund bringen müssen, weil die Torpedorohre und der Bug voll Wasser gelaufen seien. Da der Reaktor abgeschaltet worden sei, könne es zu Problemen bei der Sauerstoffversorgung kommen. Nach einer Meldung der Nachrichtenagentur Interfax sind 107 Personen an Bord der «Kursk», unter ihnen 52 Offiziere. Die Aussenhülle der «Kursk» lasse vermuten, dass diese von einem ausländischen U-Boot oder von etwas anderem gerammt worden sei. Laut Interfax wurde das Unterseeboot 1995 in Dienst gestellt. Die «Kursk» gehört zur russischen Antjej-Klasse, die von der Nato «Oscar 2» genannt wird. U-Boote dieser Klasse können zeitgleich bis zu 24 Marschflugkörper mit konventionellen oder atomaren Sprengköpfen abfeuern. Die Marschflugkörper vom Typ SS-N-19, die bei der Nato unter der Bezeichnung «Shipwreck» (Schiffswrack) laufen, wiegen sieben Tonnen und haben eine Reichweite von mehr als 500 Kilometern. Die U-Boote dienen dem Einsatz gegen Flugzeugträger. Sind diese durch die Marschflugkörper manövrierunfähig geschossen worden, können sie von den U-Booten anschliessend mit Torpedos versenkt werden. Kommandant der «Kursk» ist der 45-jährige Gennadi Liatschin, der 1978 seine Karriere bei der Marine begann.

In 150 Metern Tiefe

Nach Angaben des norwegischen Verteidigungsministeriums sank die «Kursk» in internationalem Gewässer nordöstlich von Murmansk etwa 150 Meter tief, nachdem am Wochenende ein technischer Fehler aufgetreten war. Norwegen sei von Russland offiziell über den Zwischenfall nicht unterrichtet worden. Luft- und Wasseranalysen in Norwegen hätten keine radioaktive Strahlung angezeigt. Die Strahlenschutzbehörde wollte sich zunächst ein Bild von der Situation machen und dann über Massnahmen entscheiden.

Die norwegische Umweltschutzorganisation Bellona zitierte auf ihrer Website den ehemaligen russischen Marineoffizier Alexander Nikitin mit den Worten, U-Boote der Oscar-2-Klasse verfügten nicht über Rettungskapseln für die Besatzung. Sollte sich die «Kursk» in einer Tiefe von mehr als 100 Metern befinden, wäre es schwierig, mit Hilfe der Ballasttanks das U-Boot wieder auftauchen zu lassen. In der Vergangenheit war es an Bord russischer Atom-U-Boote wiederholt zu Zwischenfällen gekommen. 1989 kamen nach einem Brand an Bord der «Komsomolez» vor Norwegen 42 Besatzungsmitglieder ums Leben.
Aus: Neue Zürcher Zeitung, 15.08.2000

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Atomwaffen

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