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Sicherung des Nuklearmaterials schützt vor Atomterrorismus

15 Jahre Programm zur Verminderung der Bedrohung

Von Wolfgang Kötter *

Dass Terroristen Atomwaffen in die Hände bekommen, gehört zu den schlimmsten Horrorszenarien. Niemand jedoch kennt eine Zauberformel, um den Albtraum zu bannen.

Einig sind sich die Experten darüber, dass der technisch schwierigste und aufwendigste Schritt auf dem Weg zur Atombombe darin besteht, sich das erforderliche Spaltmaterial zu verschaffen. Riesige Mengen angereichertes Uran und Plutonium aber lagern in mehr als 40 Staaten und sind oft nur unzureichend verwahrt und geschützt. Vor allem, wenn bisherige politische Ordnungsinstitutionen nicht mehr funktionieren oder beim Auseinanderbrechen ganzer Staaten völlig verschwinden, wird es brandgefährlich. Seit dem Zerfall der UdSSR konzentrieren sich die Besorgnisse auf das nukleare Erbe in den ehemaligen Sowjetrepubliken. Dort existieren tonnenweise atomwaffenfähiges Material sowie mehrere Millionen Tonnen an nuklearen Abfällen, die riesige Gebiete radioaktiv verseuchen.

Auch in der verbliebenen Supermacht USA reifte die Erkenntnis, dass die nukleare Bedrohung künftig nicht mehr so sehr von der Stärke des einstigen Widersachers, sondern viel mehr von der Schwäche seiner Nachfolgestaaten ausgehen könnte. »Unbeaufsichtigtes Nuklearmaterial ist der Traum der Terroristen«, warnt der ehemalige demokratische US-Senator Sam Nunn. »Wir befinden uns in einem Wettrennen zwischen internationaler Kooperation und nuklearer Katastrophe«, konstatierte er.

Gemeinsam mit seinem republikanischen Kollegen Richard Lugar begründete er vor 15 Jahren, am 12. Dezember 1991, das »Programm zur kooperativen Bedrohungsverminderung«, das der Verbreitungsgefahr von herrenlosen Nuklearwaffen und Nuklearmaterialien durch internationale Zusammenarbeit begegnen sollte. Beide initiierten im US-Kongress den Cooperative Threat Reduction Act, der Haushaltsmittel für ein Hilfsprogramm zur Sicherung von Nuklearmaterial im ehemaligen Ostblock bereitstellte.

Den bisherigen Feind bei der Lösung seiner Sicherheitsprobleme zu unterstützen, schien jedoch für viele Politiker mit ihren festgefügten Feindbildern nur schwer vereinbar. Auch die offizielle US-Außenpolitik erwies sich als zu zögerlich, um den rasch wachsenden Herausforderungen adäquat zu begegnen. Permanenter politischer Druck und ständige Lobbyarbeit waren also erforderlich, um sich gegen die fortdauernde Mentalität des Kalten Krieges durchzusetzen.

Einen kräftigen Impuls erhielten die Bemühungen Dank einer 250 Millionen Dollar Spende von CNN-Gründer Ted Turner, und so schlug schließlich im Januar 2001 die Geburtsstunde für die »Initiative gegen die nukleare Bedrohung« (Nuclear Threat Initiative – NTI). Das Programm umfasst eine Vielzahl von Aktivitäten gegen die Verbreitung von Massenvernichtungswaffen in Russland, der Ukraine, in Belorussland und Kasachstan. Eingeschlossen ist ebenfalls die Rückführung von Nuklearmaterial nach Russland aus Albanien, Bulgarien, Polen, Tschechien und Ex-Jugoslawien. Flankierend zu den offiziellen Aktivitäten des US State Departments und des Energieministeriums kümmert sich die Initiative unter anderem darum, bestehende Kernwaffendepots zu sichern und ausgemusterte Nuklearwaffen zu deaktivieren oder zu liquidieren. Außerdem wurden Tausende Sprengköpfe, Hunderte Interkontinentalraketen, Langstreckenbomber und U-Boote entsorgt. Waffenfähiges Spaltmaterial wurde unschädlich gemacht, Testtunnel für Atomwaffenversuche geschlossen und radioaktiv verseuchtes Gelände gereinigt. Ziel vieler kooperativer Projekte ist die Sicherung und Vernichtung von atomaren, biologischen und chemischen Massenvernichtungswaffen, deren Ausgangsmaterialien, Technologien und Infrastruktur. Und das ist bitter nötig. Insgesamt registrierten die russischen Behörden im vergangenen Jahr 200 Fälle versuchten Diebstahls oder Schmuggels von Nuklearmaterial.

Ein nicht zu unterschätzendes Risiko erwächst aus dem Jobverlust Zehntausender Wissenschaftler und hochspezialisierter Techniker, die vormals im Rüstungsbereich tätig waren und jetzt arbeitslos sind oder ein Leben mit Hungergehältern fristen. Lukrative Angebote anderer Staaten, Terrorgruppen oder krimineller Banden könnten in einer solchen Situation als verführerischer Ausweg für eine neue berufliche Karriere angesehen werden. Um dem entgegenzuwirken, organisierte die Initiative internationale Zentren für Wissenschaft und Technologie, in denen rund 58 000 ehemalige Angehörige des Militärkomplexes der Sowjetunion gemeinsame Forschung und Entwicklung zu friedlichen Zwecken betreiben können.

Allerdings wurde auch Kritik an den Unterstützungsprogrammen laut. Nicht wenige Falken in der US-Regierung und im Kongress behaupten, das Programm sei in Wirklichkeit nichts anderes als amerikanische Hilfe für Russlands Militär. Immer wieder regt sich Widerstand der Hardliner, die versuchen, Finanzmittel zu kürzen oder gänzlich zu streichen. Aber auch auf russischer Seite erweisen sich der eingeschränkte Zugang zu Forschungseinrichtungen in nach wie vor »geschlossenen Städten« und Misstrauen gegenüber ausländischen Wissenschaftlern als Barriere für die Fortsetzung der Kooperation.

* Aus: Neues Deutschland, 12. Dezember 2006


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