Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Nuklearterrorismus ist keine Science-Fiction

Neue UNO-Konvention soll wachsenden Gefahren wirksamer begegnen

Von Wolfgang Kötter*

Eine Konvention zum Schutz vor Nuklearterrorismus liegt zur Zeit im New Yorker UNO-Sitz zur Unterzeichnung aus. Es ist nicht das erste Antiterror-Abkommen, aber diese Vereinbarung gilt einer Gefahr von höchster Brisanz. Nukleare Anschläge, so UNO-Generalsekretär Kofi Annan, sind alles andere als Science-fiction und lobt deshalb: „Dieses Übereinkommen wird dabei helfen, Terroristengruppen am Zugang zu den tödlichsten Waffen der Menschheit zu hindern“. Auch Mohamed El-Baradei, Chef der Internationalen Atomenergiebehörde IAEA, sieht in Terroranschlägen mit Kernwaffen eine echte und unmittelbare Bedrohung. So könnten Nuklearterroristen eine funktionstüchtige Atomwaffe stehlen bzw. auf dem atomaren Schwarzmarkt erwerben, willfährige Wissenschaftler für ihre Zwecke einspannen oder selbst einen primitiven nuklearen Sprengsatz bauen. Zumindest wären sie fähig, eine mit radioaktivem Material gefüllte sogenannte „schmutzige“ Bombe zu zünden oder ein entführtes Passagierflugzeug in einen Atomreaktor zu steuern.

Gefährliches Nuklearmaterial außer Kontrolle

Nach mehr als siebenjährigen Verhandlungen liegt nun mit dem „Internationalen Übereinkommen zur Bekämpfung von Akten des Nuklearterrorismus“ ein 28 Artikel umfassendes völkerrechtlich bindendes Abkommen vor. Die UNO-Vollversammlung hatte es im April einmütig akzeptiert und nach der Ratifikation durch 22 Länder wird der Vertrag in Kraft treten. Einen Entwurf hatte Russland bereits 1997 eingebracht, um zu verhindern, dass nach dem Zerfall der Sowjetunion verloren gegangene oder gestohlene Atomwaffen bzw. deren Bestandteile oder Ausgangsstoffe Terroristengruppen in die Hände fallen. Immer wieder bezeugen Zwischenfälle, wie aktuell derartige Besorgnisse sind. Zwei Einbruchsversuche in russische Atomwaffenlager habe es in den vergangenen beiden Jahren gegeben meldet der zuständige General Igor Walinkin und räumt „Probleme bei der nuklearen Sicherheit“ ein. Erst vor wenigen Wochen begaben sich IAEA-Inspektoren gemeinsam mit russischen Experten in der Ex-Sowjetrepublik Georgien auf die Suche nach 9 Kilogramm Plutonium, das angeblich aus einem Forschungsinstitut in Suchumi an der kaukasischen Schwarzmeerküste verschwunden war - immerhin eine für zwei Atombomben ausreichende Menge. Auf der Vermisstenliste stehen außerdem ein Kilo hoch angereichertes Uran sowie weiteres radioaktives und für den Bau einer radiologischen Bombe geeignetes Material. In den USA sind Atomkraftwerke wegen fehlenden Trainings des Bewachungspersonals und laxer Sicherheitsstandards nicht zuverlässig gegen Terrorangriffe geschützt, bemängelt die US Nuclear Regulatory Commission in ihrem jüngsten Bericht. Und auch bei der Antiterrorübung „Schwarze Dämmerung“, die im vergangenen Mai in Slowenien Terroranschläge mit Atomwaffen auf das NATO-Zentrum von Brüssel und auf einen Atomreaktor in Osteuropa simulierte, zeigte sich, dass Europa auf solche Angriffe nicht ausreichend vorbereitet ist. Expertenmeinungen zufolge könnte ein nuklearterroristischer Anschlag ebenso verheerende Folgen auslösen wie die Atombombe in Hiroshima. „Wir befinden uns in einem Wettrennen zwischen internationaler Kooperation und nuklearer Katastrophe“, warnt der ehemalige US-Senator und Co-Vorsitzende der „Initiative gegen die nukleare Bedrohung“, Sam Nunn.

Atomterroristen drohen hohe Strafen

Vorbeugende Sicherheitsmaßnahmen gegen Sabotage an Atomanlagen und Diebstahl von atomaren Stoffen beschloss eine IAEA-Konferenz bereits im vergangenen Juli als Nachbesserungen zur Konvention zum physischen Schutz von Nuklearmaterial. Im nun vorliegenden Abkommen verpflichten sich die Teilnehmerstaaten, all jene rückhaltlos strafrechtlich zu verfolgen, die illegal radioaktives Material besitzen, sich beschaffen, freisetzen oder anderweitig in die Vorbereitung von Nuklearanschlägen verwickelt sind. Für diese Vergehen wird das entsprechende nationale Recht geschaffen bzw. ergänzt. Es sieht schwere Strafen für diejenigen vor, denen die Absicht nachgewiesen werden kann, durch Nuklearverbrechen Menschen zu töten oder zu verletzen und Schäden an Eigentum oder der Umwelt anzurichten. Strafbar ist ebenso die Erpressung von Personen, Staaten oder internationalen Organisationen mit der Androhung derartiger Taten. Alle Staaten sind verpflichtet, ihr radioaktives Material entsprechend den IAEA-Standards zu sichern. Die Regierungen werden angehalten, ihre Zusammenarbeit beim Austausch von Geheimdienstinformationen zu verstärken und potentiellen Nuklearterroristen keinen Unterschlupf zu gewähren. Mit dem Abkommen besteht nun auch eine Rechtsgrundlage für die internationale Zusammenarbeit bei der Untersuchung, Bestrafung und Auslieferung aller Personen, die Straftaten mit atomarem Spaltmaterial oder Nuklearmitteln begehen.

Eine konsequente Anwendung der Vertragsbestimmung wird das Risiko des Nuklearterrorismus zweifellos eindämmen. Aber ein wirklich zuverlässiger Schutz erfordert einen viel umfassenderen Ansatz. Da für Terroristen der Zugang zu nuklearem Explosionsmaterial die entscheidende Hürde bildet, wird die Gefahr erst mit dessen Liquidierung völlig gebannt sein. Darum muss eine wirksame Strategie die globale Nichtverbreitung ebenso einschließen wie die Beseitigung von Kernwaffen und waffenfähigem Nuklearmaterial. Schon die gewaltige Menge von 3755 Tonnen auf der ganzen Erde verstreuter Spaltstoffe allein bildet eine hochgradige Risikoquelle. Seit 1993 hat die IAEA 630 Fälle aufgelistet, in denen radioaktives Material auf dem Schwarzmarkt gehandelt wurde. Auch das Arsenal von weltweit immer noch über 27 000 Atomwaffen ist ein ständiger Gefahrenherd, weil es Terroristen den Zugriff auf nicht ausreichend gesicherte Lagerstätten oder durch die Bestechung korrupter Militärs ermöglicht. Statt der dringend erforderlichen nuklearen Abrüstung jedoch haben die Kernwaffenstaaten gerade eine neue Spirale des atomaren Wettrüstens in Gang gesetzt, und in der UNO-Gipfelerklärung wurden mangels Einigkeit sämtliche Passagen zur Abrüstung gestrichen.

Eine leicht gekürzte Version dieses Beitrags erschien am 19. September in der Tageszeitung "Neues Deutschland".

Hier geht es zum Text der Konvention zum Schutz vor Nuklearterrorismus (in Englisch: "International Convention for the Suppression of Acts of Nuclear Terrorism") vom April 2005.


Zurück zur Seite "Atomwaffen"

Zur "Terrorismus"-Seite

Zurück zur Homepage