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Moskau zeigt sich zufrieden

US-Präsident schlug bei seiner Visite in Russland moderate Töne an

Von Irina Wolkowa, Moskau *

Der Besuch von US-Präsident Obama in Moskau war kein völliger Neustart der Beziehungen, konnte aber mache Wogen im bilateralen verhältnis glätten.

Barack Obama kann nicht nur sich selbst, sondern auch sein Land gut verkaufen: Nicht zuletzt durch Weiterentwicklung des westlichen Wertekanons, sagte er gestern an der Russischen Ökonomischen Schule in Moskau - der Kaderschmiede künftiger Topmanager - seien die USA so erfolgreich. Washington wolle diese Werte jedoch niemandem aufzwingen Das gelte auch für die Ukraine oder Georgien. Das war nicht die einzige Streicheinheit für die russische Volksseele. Noch mehr zum Glänzen brachte Obama die Augen seiner Zuhörer mit der Bemerkung, Amerika wolle ein starkes, blühendes, selbstsicheres Russland.

Deutlicher, lobten hiesige Medien, habe sich der neue Herr des Weißen Hauses in Washington kaum von der Politik seines Vorgängers distanzieren können. George W. Bush hatte sich in Russland vor allem durch außenpolitische Alleingänge unbeliebt gemacht und Moskau auf der Weltbühne die Rolle einer Mittelmacht zugewiesen. Anders Obama: Russland sei eine Großmacht, müsse aber auch in Kategorien einer Großmacht denken und dürfte Stärke nicht durch Dämonisierung der Konkurrenten demonstrieren.

Den letzten Halbsatz hatte Obama sich offenbar noch zu Hause zurechtgelegt und der Adressat der Botschaft war Premier Wladimir Putin. Dem hatte er in einem Interview für die regimekritische »Nowaja Gaseta« vorgeworfen, »mit einem Bein in der Vergangenheit zu stehen«. Spagat, blaffte der Geschmähte zurück, sei nicht seine Sache. Bei dem gestrigen zweistündigen Frühstück auf Putins Landsitz Nowoogarjowo taute das Eis aber offenbar. In der Geschichte der russisch-amerikanischen Beziehungen habe es stets Höhen und Tiefen gegeben, so der Gastgeber. Mit Obama verbinde er jedoch die Hoffnung auf Weiterentwicklung des Verhältnisses.

Worte, denen Taten bereits vorausgegangen waren. Was Obama und Amtskollege Dmitri Medwedjew am Montag nach über fünfstündigen Verhandlungen vorweisen konnten, ist zwar kein kompletter Neustart, wohl aber ein enormer Schritt nach vorn. Medwedjew gelang es zwar nicht, Obama zum Verzicht auf den in Osteuropa geplanten Raketenschild zu bewegen. Dem, so hiesige Experten, werde der Amerikaner - wenn überhaupt - erst in einer zweiten Amtszeit zustimmen. Wohl aber konnte der Kreml sich mit Forderungen durchsetzen, Offensiv- und Defensivwaffen bei künftigen Verhandlungen als verbundenes System zu betrachten. Für Beobachter eine klare Trendwende von Konfrontation zu Kooperation. Dafür steht auch die Transit-Vereinbarung, die die Generalstabschefs am Montag in Anwesenheit beider Präsidenten unterzeichneten. Damit öffnet Russland den USA Schienennetz und Luftraum für die Operationen in Afghanistan.

Die USA, so Obama gestern in seiner Grundsatzrede vor der Wirtschaftsschule, würden nicht nach neuen Basen im Mittleren Osten streben, sondern Afghanistan und Pakistan lediglich bei deren Bemühungen um Sicherheit und Stabilität helfen und dabei künftig stärker mit Russland kooperieren. Dass er bereit ist, auf russische Interessen und Empfindlichkeiten Rücksicht zu nehmen, hatte er schon Medwedjew gegenüber deutlich gemacht, als er einen Nukleargipfel und eine neue Nahost-Konferenz in Moskau anregte. Beide Präsidenten verständigten sich auch auf eine Kommission für Zusammenarbeit, die sich sowohl um die großen globalen als auch um bilaterale, vor allem wirtschaftliche Themen kümmern soll.

Gut kam in Kreml und bei der Regierung auch an, dass Obama sich Kritik an Russlands Sonderweg zu Demokratie und Rechtsstaatlichkeit verkniff. Zumindest öffentliche. Denn seine Begegnung mit zivilgesellschaftlichen Organisationen und Altpräsident Michail Gorbatschow blendeten staatsnahe Medien - für die Mehrheit der Bevölkerung einzig zugängliche Informationsquelle - einfach aus.

* Aus: Neues Deutschland, 8. Juli 2009


Phrasenoffensive

Obamas schöne Worte in Moskau

Von Werner Pirker **

Das hat sich nicht schlecht angehört, was US-Präsident Obama in Moskaus Neuer Ökonomischer Schule zum besten gab. Ganz der freundliche reiche Onkel aus Amerika, der seine Überlegenheit nicht spüren lassen wollte. Zwar hatte sich Obama noch im Vorfeld seines Rußland-Besuches als Kreml-Astrologe versucht, indem er Präsident Medwedew zum Hoffnungsträger erkor und Regierungschef Putin als Dinosaurier des Kalten Krieges abstempelte. Beim Besuch selbst unterließ er es, die Moskauer Machtverhältnisse zum Gegenstand der russisch-amerikanischen Beziehungen zu machen.

Ganz im Gegenteil. Mit großer Geste entwarf Obama die Vorstellung einer auf gleichberechtigten Beziehungen beruhenden Staatenwelt. Heute hänge die Stärke einer Großmacht »nicht von der Dominanz über andere Länder ab«, sagte er. Und: »Die Tage, an dem die Großmächte andere souveräne Staaten behandeln konnten wie Schachfiguren, sind vorbei.« Diese Absage an den Unilateralismus, ja überhaupt an die Politik des Machtdiktats hat man in Moskau sicher gerne gehört. Ob man es auch geglaubt hat, ist eine andere Frage. Rhetorisch hat sich die amerikanische Außenpolitik radikal verändert. Das von der Bush-Administration verfolgte »Projekt für ein neues amerikanisches Jahrhundert« scheint ad acta gelegt. Die »weltweite Verbreitung der Demokratie« als Zwangsbeglückungsprogramm steht auch nicht mehr auf der Agenda. Die Begeisterung für »regime change« scheint ebenfalls nachgelassen zu haben.

Doch die Obama-Administration hat nur verbal abgerüstet. An keinem einzigen konkreten Punkt konnte oder wollte der US-Präsident bisher eine Wende zum Besseren einleiten. Die aus dem Konflikt des Westens mit dem Iran entstandene Kriegsgefahr ist dramatisch angewachsen, seitdem Obamas Vize den Israelis für einen Angriff auf persische Atomanlagen seinen Segen gegeben hat. Obama verkündete die Vision einer atomwaffenfreien Welt, hält aber an der Stationierung von Raketenabwehrschirmen in Osteuropa fest, die das atomare Gleichgewicht zugunsten der USA zerstören würde. Der »war on terror« geht weiter, nur daß er nicht mehr Krieg genannt wird. An den Grundkonstanten der Situation nach dem Kalten Krieg hat sich mit dem Regierungswechsel in den USA nichts geändert. Konnte sich auch nichts ändern. Denn warum sollte der US-Imperialismus weniger imperialistisch geworden sein, weil sein Häuptling seit Jahresbeginn ausnahmsweise kein Weißer ist?

Es sei die Sichtweise des 20. Jahrhunderts, sagte Barack Obama mit Blick auf Wladimir Putin, daß Rußland und die USA gegensätzliche Interessen hätten. Es waren freilich die USA und ihre Verbündeten, die das postkommunistische Rußland in die Zweitrangigkeit verbannten und es für die Niederlage der UdSSR im Kalten Krieg büßen ließen.Obamas schöne Phrasen können diese historische Tatsache nicht aus der Welt schaffen.

** Aus: junge Welt, 8. Juli 2009


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