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START-Hindernisse auf der Zielgeraden

Ratifizierung des Abrüstungsvertrages verläuft zäh / Rechter Widerstand im USA-Senat

Von Olaf Standke *

Russland und die USA wollen ihre Zusammenarbeit ausbauen. In dieser Woche wird Präsident Barack Obama deshalb seinen Amtskollegen Dmitri Medwedjew im Weißen Haus empfangen. Doch ausgerechnet beim Vorzeigeprojekt START-Vertrag klemmt es.

Als der russische und der US-amerikanische Staatschef am 8. April bei einem Gipfeltreffen in Prag ein neues Abkommen zur atomaren Abrüstung unterzeichneten, schien der von Obama nach seinem Amtsantritt versprochene »Neustart« in den Beziehungen vollzogen. Beide Seiten hatten sich auf eine Nachfolgevereinbarung für den START-II-Vertrag geeinigt, der als Grundpfeiler der Rüstungskontrolle gilt. Am 12. Mai leitete der USA-Präsident das weltweit begrüßte Abkommen über die Reduzierung der strategischen Offensivwaffen zur Ratifizierung an den Senat in Washington weiter. Es sieht eine Obergrenze von je 1550 einsatzbereiten Atomsprengköpfen vor. Die Zahl der Trägersysteme - Raketen, U-Boote, Flugzeuge - soll auf jeweils 800 sinken. In Kraft tritt dieser Vertrag aber erst, wenn er die Parlamente beider Staaten passiert hat. Zehn Wochen später zeigt sich, dass die Mühen der Ebene erheblich sind.

Erneut musste USA-Außenministerin Hillary Clinton jetzt im Kongress auf eine baldige Ratifizierung drängen. Sonst könnten die USA, die in den nächsten zehn Jahren insgesamt 80 Milliarden Dollar in die Modernisierung ihres Atomwaffenarsenals stecken wollen, weder den Ausbau des russischen kontrollieren noch die Reduzierung der russischen Gefechtsköpfe garantieren. Clinton versicherte nachdrücklich, dass eine Billigung des Vertrages keinen Einfluss auf die geplante eigene Raketenabwehr in Europa habe. Die oppositionellen Republikaner befürchten, dass der Aufbau dieses Systems durch die Verabschiedung des START-Vertrages verhindert werden könnte.

Clintons Stellvertreterin Rose Gottemoeller, zuständig für Kontrolle und Einhaltung der Abrüstungsverträge, hatte schon zuvor hoch und heilig versichert, dass es keine Geheimabmachungen mit Moskau gebe, »die mit dem Vertrag oder der Raketenabwehr zusammenhängen«. Trotzdem machte nicht nur der republikanische Senator John McCain »große Vorbehalte« geltend, weil »die russische Führung diesen Vertrag ganz anders interpretiert«.

In der Tat ist Moskau nach wie vor strikt gegen Raketenabwehrkomponenten der USA in Europa. In einer einseitigen Erklärung zum START-Abkommen behält man sich das Recht vor auszusteigen, sollte sich das von Präsident Obama in modifizierter Form fortgeführte Rüstungsprojekt aus der Bush-Ära als Bedrohung erweisen. Die Installierung von US-amerikanischen Soldaten und Luftabwehrraketen vom Typ »Patriot« in Polen Ende Mai wurde scharf kritisiert. »Solche militärischen Schritte nur rund 60 Kilometer von der russischen Grenze entfernt gefährden die Sicherheit in der Region«, hieß es im Moskauer Außenministerium. Zumal bekannt wurde, dass Washington auch mit Rumänien und Bulgarien über die Stationierung von Raketenabwehrelementen verhandelt.

Für Clinton ist der Moskauer Zusatz zum START-Abkommen kein bindender Vertragsteil. Er sei »vergleichbar mit einer Presseerklärung, und wir sind in keiner Weise an sie gebunden«, betonte sie jetzt im Senat, wo der Präsident für die Ratifizierung der umfassendsten Abrüstungsvereinbarung seit zwei Jahrzehnten 67 Stimmen benötigt, seine Demokraten aber nur über 59 verfügen. Obma hofft auf eine Billigung noch vor der Kongresswahl im November, republikanische Senatoren wollen das Vertragswerk dagegen noch »genauer studieren«, was zu einer monatelangen Verzögerung mit offenem Ausgang führen würde.

Kein Wunder, dass Russlands Vizeaußenminister Sergej Rjabkow nun auch in der Duma Probleme sieht. »Unsere Gesellschaft und das Parlament bringen ein reges Interesse für dieses Thema auf. Deshalb machen wir uns auf heikle Fragen gefasst.« Aus Moskau war schon mehrmals zu hören, dass man das Abkommen nicht früher als die USA ratifizieren werde. Immerhin sei Russland in der Vergangenheit mehrmals »hintergangen« worden, wie Präsident Medwedjew sagt. »Das können wir nicht mehr tolerieren.«

Inzwischen lockt Washington mit Überlegungen für eine Zusammenarbeit zwischen NATO und Russland bei der Raketenabwehr. Vizeaußenminister Frank Rose erklärte, man arbeite an einem konkreten Angebot. Und in Moskau mehren sich die Stimmen, die den START-Vertrag »im Kampf gegen die Verbreitung von Kernwaffen« auch für andere Staaten öffnen wollen. Für Michail Margelow, Vorsitzender des auswärtigen Ausschusses im Föderationsrat, dem Oberhaus des Parlaments, wäre das nur eine »konsequente Entwicklung«. Erst einmal aber hat die Duma beschlossen, im Sommer keine zusätzliche Plenarsitzung zur Behandlung des Vertrages abzuhalten. Die Herbsttagung beginnt im September.

* Aus: Neues Deutschland, 21. Juni 2010


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