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Misstrauen verursachte START-Verzögerungen

Neuer Abrüstungsvertrag Russland-USA ist überfällig

Von Irina Wolkowa, Moskau *

Die Präsidenten Dmitri Medwedjew und Barack Obama sollten gestern (18. Dez.) am Rande der Klimakonferenz in Kopenhagen letzte offene Fragen des Nachfolgeabkommens für den am 5. Dezember abgelaufenen russisch-amerikanischen START-Vertrag zur Reduzierung strategischer Offensivwaffen klären. Experten erwarten einen juristisch ausformulierten neuen Abrüstungsvertrag frühestens im Januar.

Die Schuld für die Verzögerung bei den Verhandlungen zu einem Folgeabkommen für den START-I-Vertrag zur Begrenzung strategischer Offensivwaffen, so Russlands Außenminister Lawrow, läge auf Seiten der USA. Deren Unterhändler in Genf würden seit Wochen bremsen und hätten das damit begründet, dass sie auf zusätzliche Instruktionen aus Washington warteten. Hoffnungen hiesiger Medien, wonach beide Präsidenten die noch bestehenden Differenzen bei einem Treffen am Rande des Weltklimagipfels in Kopenhagen ausräumen würden, teilte der Diplomat nicht. Zu konkreten Zeiträumen der Unterzeichnung befragt, sprach er von mehreren Tagen – oder auch Monaten.

Wo genau es gegenwärtig klemmt, wollte er nicht sagen. Etwas gesprächiger zeigte sich ein hoher Kreml-Beamter gegenüber der Moskauer Tageszeitung »Kommersant«: Die Verhandlungen verliefen positiv, auf den Text des Dokuments habe man sich im Wesentlichen geeinigt, einige konkrete Details müssten jedoch noch nachgeschliffen werden. Um welche genau es sich dabei handelt, berichtete der russische Dienst von »Radio Liberty« unter Berufung auf US-amerikanische Experten. Größtes Problem sind demzufolge nach wie vor unterschiedliche Vorstellungen zu den Untergrenzen für Trägermittel, sprich Raketen.

Die USA peilen dabei 900, Russland nur 700 an. Auch besteht Moskau auf Formulierungen, die beide Seiten bei künftigen Verträgen dazu zwingen, die Reduzierung strategischer Offensiv- und Defensivwaffen – mit Kernsprengköpfen bestückter Interkontinentalraketen und Raketenabwehrsysteme – im Paket zu verhandeln. Washington erkennt inzwischen zwar an, dass zwischen beiden ein Zusammenhang besteht, will diesen jedoch nur in einem juristisch unverbindlichen Passus behandeln.

Strittig sind außerdem die Modalitäten der Verifizierung. Moskau fordert billige und leicht handhabbare Kontrollmechanismen, die sich zudem maximal an den neuen technischen Möglichkeiten orientieren müssten. Derzeit, so auch ein russischer Militärexperte, bewege man sich in Genf jedoch in etwa auf dem Kenntnisstand von 1991, als der START-I-Vertrag unterzeichnet wurde.

Problematisch sind auch Langstreckenraketen mit konventionellen Sprengköpfen, mit denen die USA versuchen könnten, das Abkommen zu unterlaufen, sowie deren schwere strategische Bomber und seegestützte Raketen – für Moskau potenzielle Bedrohungen, die Russland nur mit seinen mobilen landgestützten Raketen-Komplexen neutralisieren kann. Die USA, die diesen derzeit nichts Gleichwertiges entgegenzusetzen haben, bestehen daher auf Fortsetzung der Übermittlung telemetrischer Daten bei jedem Teststart. Moskau lehnt ab, beide Seiten müssten einander vertrauen.

Nicht Zahlenakrobatik, sondern tiefes gegenseitiges Misstrauen, das auch durch den mit Washington und der NATO vereinbarten Neustart der Beziehungen nicht völlig ausgeräumt wurde, ist aus Sicht hiesiger Experten wie Alexei Arbatow so der eigentliche Grund für die Überschreitung des Zeitlimits bei den Verhandlungen in Genf. Dabei drängt die Zeit. Ohne START-Folgevertrag bis Mai, wenn die nächste Verifizierungskonferenz für den Atomwaffensperrvertrag stattfindet, könne man auch diesen getrost vergessen, warnt Arbatow.

* Aus: Neues Deutschland, 19. Dezember 2009

Frankfurter Allgemeine Zeitung: Entscheidungsphase für Start-Nachfolgevertrag (Auszug)

Ohnehin liegen die Grundlinien eines neuen Vertrags seit der Verständigung zwischen Medwedjew und Obama im vergangenen Juli im Kern des Abkommens fest: Je 1500 bis 1650 nukleare Gefechtsköpfe an strategischen Angriffsträgern statt der bisher geltenden Höchstzahl von 2200. Auch die Zahl der Angriffsträger (Raketen auf nuklear angetriebenen U-Booten und Interkontinentalraketen zu Lande, schwere Bomber mit nuklear bestückten Marschflugkörpern oder anderen Luft-Boden-Waffen) soll weiter begrenzt werden, möglicherweise auf je 800...

Damit würde die in Washington seit der Bush-Administration favorisierte neue Kategorie der konventionellen strategischen Waffen in der strategischen Rüstungsbegrenzung in Konkurrenz zu den nuklearen kommen. Schließlich muss noch eine sinnvolle Einigung über Verifizierung, insbesondere über Beobachtungsstationen im jeweils anderen Land, gefunden werden. Russland will die vom Start-Vertrag eingeführte amerikanische Beobachtungsmission in Votkinsk, etwa 1000 Kilometer östlich von Moskau, nicht weiterbestehen lassen; es hat seine Station in Amerika seit längerem aufgegeben.

Von besonderer Bedeutung ist dabei die neue russische Interkontinentalrakete variabler Reichweite "Topol-M", die auch auf kürzere als die interkontinentale Distanz (wenigstens 5500 Kilometer) eingestellt und so auch gegen europäische Ziele gerichtet werden kann. Damit könnte Russland die Grenzen des INF-Vertrages von 1989 über die Beseitigung aller landgestützten Flugkörpersysteme mit Reichweiten von 500 Kilometern und mehr umgehen und so wieder ein ausschließlich auf den eurasischen Kontinent gerichtetes, für die Sicherheit Europas wie Chinas und Zentralasiens relevantes nuklearstrategisches Potential aufbauen...

Die schon von Moskau gestellte Frage nach einer künftigen Ausweitung der nuklearen Abrüstungsabkommen auf die anderen Kernwaffenstaaten, Frankreich, Britannien, China, Indien, Pakistan und eines Tages auch Israel (mit den Fragezeichen Iran und Nordkorea) bleibt in der Schwebe. Dafür wären wirksame und auch eingehaltene Abkommen zunächst mit Iran und Nordkorea die erste Voraussetzung, insbesondere für Amerika als Schutzmacht Japans, Südkoreas und Taiwans im Fernen und Israels im Nahen Osten. Diese Fragen sind dem notwendigen Start-Nachfolgeabkommen und der "Topol-M"-Problematik für die Rüstungskontrolle und Sicherheit in Europa nachgeordnet. Zunächst liegt der Vorrang auf dem Nachfolgevertrag für Start.

Auszug aus FAZ, 18. Dezember 2009;
Quelle: RIA Novosti, 18.12.2009





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