Bewegung gegen Atomwaffen: "Uns bleibt nicht mehr viel Zeit" Die Rede des Aachener Friedenspreisträgers 2001 Kazuo Soda
Wir dokumentieren im Folgenden die Rede des Preisträgers des Aaachener Friedenspreises 2001, des Japaners Kazuoa Soda, leicht gekürzt. Gehalten wurde die Rede am 1. September 2001.
... Ich habe am 9. August an der internationalen Konferenz über das Verbot von A-
und H-Bomben 2001 in Nagasaki teilgenommen. Ich war entsetzt, als ich den
Bericht eines amerikanischen Vertreters hörte, dass man bei den Bewohnern aller
27 Bauernhäuser in Hanford im Staat Washington Krebs oder vererbte Krankheiten
oder Funktionsstörungen der Schilddrüsen festgestellt hat. Die Strahlen kamen von
einer in Windrichtung liegenden Einrichtung, die für die Nagasaki-Atombombe
Plutonium aufbereitet hatte. Wie in Hiroshima und in Nagasaki wurden auch in
Amerika, allerdings während des Herstellungsprozesses von Atombomben,
Menschen verstrahlt. Den Bewohnern wurde lange Zeit diese ungewöhnliche
Situation nicht bewusst. Nur die Behörde war genauestens informiert und führte
heimlich Untersuchungen durch. Wenn man das nicht als Experiment an
Menschen bezeichnen will, wie soll man es sonst bezeichnen? Die amerikanische
Regierung hat 1986 zum ersten Mal zugegeben, dass die Krankheiten durch die
Radioaktivität von der Atombombenfabrik verursacht wurden.
Meine Eltern sind innerhalb von sechs Jahren nach der Bombardierung wegen
ungeklärter Krankheiten nach und nach verstorben. Damals wusste noch keiner,
dass die Ursache radioaktive Verstrahlung war. Mein älterer Bruder wurde 900 m
entfernt vom Epizentrum verstrahlt und war nicht sofort tot, aber er hat den
Jahreswechsel nicht mehr erleben können. Meine Schwägerin hat damals als
Krankenschwester an einer medizinischen Universität gearbeitet, die sich nur
einige hundert Meter vom Epizentrum entfernt befand. Ihre Leiche wurde nicht
gefunden. Sehr wahrscheinlich ist ihr Körper durch 2000 Grad heiße Hitzewellen
verdampft. Die Wahrheit über die tatsächlichen Ereignisse durch die
Atombombeneinwirkung wurde mit den Toten begraben.
Von den überlebenden Atombombenopfern sind weniger als 300 000 geblieben. Die
meisten von ihnen leiden unter Strahlungsschäden oder leben in der Angst davor,
dass Spätfolgen eines Tages ausbrechen. Das Durchschnittsalter von ihnen beträgt
mittlerweile 70 Jahre. Wir berichten über unsere eigenen schrecklichen
Erfahrungen, damit sich die unseligen Ereignisse in Hiroshima und Nagasaki nie
wiederholen. Wir fordern von unserer Regierung, dass viele ausländische
Atombombenopfer in Japan gleiche Hilfe erhalten wie die japanischen. Der
japanische Staat hat mit dem Krieg angefangen und ebenso hat der Staat Bürger
aus Nachbarländern verschleppt, um sie in Munitionsfabriken einzusetzen, in
denen sie ebenfalls zu Opfern von Atombomben geworden sind. Dass sie keine
Japaner sind, berechtigt den Staat nicht, sich vor der Verantwortung zu drücken.
Wir Japaner müssen dem deutschen Beispiel folgen und dürfen nicht die Augen vor
der Vergangenheit verschließen, sondern sie aufarbeiten und dann der Gegenwart
ins Auge sehen und Zukunftsperspektiven darauf aufbauen. ...
Es gibt immer noch Länder auf dieser Erde, die Atomwaffen weiterentwickeln mit
der Argumentation, Kriege zu vermeiden und den Frieden zu bewahren. Zu meinem
größten Bedauern folgt unsere Staatsregierung dieser Argumentation, obwohl
Japan als einziges Land der Welt unter Atombombeneinsatz gelitten hat. Man
kann auch nicht darüber hinwegsehen, was gerade in Japan geschieht, das einen
an die dunkle Zeit während des Kriegs erinnert. Es handelt sich um
Geschichtsbücher für Schulen, die neu verfasst und durch unser Ministerium für
Wissenschaft und Erziehung anerkannt wurden. In diesen Büchern wird der
Eroberungskrieg gegen asiatische Länder verherrlicht und antinukleare
Bewegungen in Frage gestellt. Wir sind in großer Sorge, dass unsere Geschichte
verfälscht wird und unsere bitteren Erfahrungen mit Atomwaffen in Vergessenheit
geraten.
Man muss sich des Risikos bewusst sein, dass es neue Atombombenopfer geben
wird, solange es atomare Waffen gibt. Wir Atombombenopfer sind der Menschheit
verpflichtet, als überlebende Zeitzeuge lebenslang die Warnglocke zu läuten.
Vor 56 Jahren haben nur zwei Atombomben eine Hölle auf Erden entstehen lassen:
Menschen, die in einem Augenblick von dieser Erde verdampft wurden, von denen
nur noch Schatten auf Mauern zu sehen waren. Leichen, die bis zur
Unkenntlichkeit schwarz verkohlt waren. Auf dem Grund des Flusses übereinander
liegende Leichen von Menschen, die durch heiße Strahlen verbrannt sind und im
Fluss Zuflucht gesucht haben. Menschen, denen Haare ausgefallen sind und mit
Purpura am ganzen Körper unter Qualen gestorben sind. Zwei Drittel meiner
Schulkameraden konnten nicht mehr zur Schule zurück. Ich bin zu Hause, 2,5 km
entfernt vom Epizentrum, verstrahlt worden, habe jedoch den Abwurf zum Glück
überlebt. Ich musste in meinem Zufluchtsort tatenlos zusehen, wie koreanische
Zwangsarbeiter, die von der koreanischen Halbinsel verschleppt worden waren, mit
letzter Kraft nach Wasser rufend, unter Todesqualen gestorben sind. Ich kann
niemals diesen schrecklichen Anblick vergessen. Nie wieder darf sich dieses
Gräuel für die nächsten Generationen und in diesem neuen Jahrhundert
wiederholen.
Uns Atombombenopfern bleibt nicht mehr viel Zeit. Wir möchten heute hier
erklären, dass wir mit ihnen gemeinsam gegen jegliche Gewalttaten, die die
Menschenwürde verletzen, jegliche Diskriminierung und jegliche
menschenverachtende Taten unaufhörlich kämpfen werden, auch wenn wir im
Krankenbett liegen und auch wenn wir auf Krücken gehen müssten.
Die Friedensaktivisten auf der ganzen Welt haben den Einsatz von nuklearen
Waffen im Korea-Krieg, im Vietnam-Krieg und auch im Golf-Krieg verhindern
können. Dennoch sind im Golfkrieg und Kosovo-Konflikt uranhaltige Sprengköpfe
zum Einsatz gekommen. Man hört, dass die Bürger und die Soldaten, die im
Kriegseinsatz waren, unter Folgeschäden leiden. Nachrichten über Unfälle in
Kernkraftwerken oder durch Atombombenversuche verstrahlte Menschen sprechen
eine deutliche Sprache, dass wir selbst in Friedenszeiten solchen Gefahren
ausgesetzt sind. Wir können unmöglich mit Atomwaffen koexistieren.
Allein ist man machtlos, um gegen das, was unser Leben bedroht und zerstört, zu
kämpfen, aber wenn aus einer Person zwei werden, oder zehn, oder hundert, oder
tausend oder zehntausend, dann entsteht eine Macht. Dies ist nur durch
Graswurzelbewegungen möglich. Wir von der Friedensbewegung werden stets ein
Auge auf die Friedensgegner haben und sie auffor-dern, Konflikte nicht mit
Waffengewalt, sondern durch zähe Verhandlungen zu lösen. Wollen wir nicht
unsere einzigartige Erde gemeinsam schützen und Hand in Hand den Grundstein
des Friedens für das 21. Jahrhundert legen?
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