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Eine Chance für "No Nukes"

Bereits 60 Prozent der Erde sind heute atomwaffenfreie Zonen

Von Christiane Reymann, New York *

Können Atomwaffen in absehbarer Zeit, etwa in zehn Jahren, abgeschafft werden? Ist das realistisch? Welche Kräfte können das durchsetzen? Darüber wird derzeit in New York auf der UNO-Konferenz zur Überprüfung des Atomwaffensperrvertrags, der NPT-Konferenz, und auf Veranstaltungen in ihrem Umfeld heftig diskutiert.

Getragen werden Initiativen für eine atomwaffenfreie Welt nicht allein von außerparlamentarischen Friedensbewegungen, sondern auch von Staaten. Ein Beispiel dafür sind die atomwaffenfreien Zonen. Davon gibt es mittlerweile sechs und alle befinden sich im globalen Süden. Der Norden hinkt hinterher. Insgesamt 60 Prozent der Fläche unseres Globus, 113 Staaten, zwei komplette Erdteile sind atomwaffenfreie Zonen. Die älteste ist die Antarktis (seit 1961), die jüngste Zentralasien (seit 2009). Hinzu kommen der Südpazifik, Südostasien, Afrika, Lateinamerika und die Karibik.

Damit die atomwaffenfreien Zonen völkerrechtlich verbindlich werden, muss die UNOGeneralversammlung die regional verhandelten und ratifizierten Verträge akzeptieren. Die Atommächte sollen dann mit ihrer »negativen Sicherheitsgarantie« erklären, dass sie gegen atomwaffenfreie Zonen keine Nuklearwaffen einsetzen, auch nicht damit drohen. Das haben die fünf offiziellen Atomstaaten jeweils einzeln und in unterschiedlichen Formulierungen getan.

Die »negative Sicherheitsgarantie« ist Voraussetzung für atomwaffenfreie Zonen, gleichzeitig gibt sie den Atommächten eine ungeheure Macht über mögliche Abrüstungsmaßnahmen. Sie können neue atomwaffenfreie Zonen verhindern oder deren Einrichtung verzögern, wie im Falle der Antarktis. Dort will sich die US-Administration die Möglichkeit offen halten, ihre atomar bestückte Raketenabwehr zu stationieren. Dabei ist die »negative Sicherheitsgarantie« generell zwiespältig. Denn ein für alle Mal schließen weder die USA noch die NATO die Androhung oder den Einsatz von atomarer Gewalt gegen Nichtkernwaffenstaaten aus.

Zur Frage der atomwaffenfreien Zonen haben im Zusammenhang mit der NPT-Konferenz Organisationen wie die Parlamentarier für atomare Nichtverbreitung und Abrüstung (PNND), die Internationalen Juristen gegen Atomwaffen (IALANA), die Bürgermeister für den Frieden und die ständige Vertretung der Republik Chile bei den Vereinten Nationen ein Forum organisiert. Damit die atomwaffenfreien Zonen »Bausteine für eine atomwaffenfreie Welt«, sein und ihre Zahl noch wachsen kann, so Alyn Ware, aktueller Träger des Alternativen Nobelpreises, müssten die Atomwaffenstaaten diese Zonen respektieren. Eine »positive Sicherheitsgarantie« aber könne es nur durch die vollständige Abschaffung der Kernwaffen geben. Deshalb fordern die Vertretungen der atomwaffenfreien Zonen, endlich Verhandlungen für eine Atomwaffenkonvention aufzunehmen.

Dazu ist politischer Wille nötig. Was dieser bewegen kann, hat Südafrika unter Nelson Mandela bewiesen. Mit der Vernichtung der eigenen Atombomben hat es die Tür zu einem atomwaffenfreien Kontinent aufgestoßen. Wie viel kleiner wäre der Schritt zu einem atomwaffenfreien Mitteleuropa. Es müssen nur die USA-Raketen aus der Niederlande, Belgien, Italien und Deutschland abgezogen werden. Mit dieser Forderung geht das niederländische Parlament voran, ein gutes Beispiel für den Bundestag und für Außenminister Guido Westerwelle.

* Aus: Neues Deutschland, 5. Mai 2010


Inszenierte Empörung

Irans Präsident fordert bei UN-Konferenz atomwaffenfreie Welt

Von Rainer Rupp **


Diplomaten aus den USA und der EU sowie die meisten westlichen Medien reagierten empört auf einen »Eklat«, den der iranische Präsident Mahmud Ahmadinedschad am Montag (3. Mai) in New York zum Auftakt der UN-Konferenz zur Überprüfung des Atomwaffensperrvertrags verursacht haben soll. Der Staatschef aus Teheran hatte in seiner Rede den Vereinigten Staaten vorgeworfen, sein Land mit Atomwaffen zu bedrohen. »Bedauerlicherweise sind die USA nicht nur das einzige Land, das Atomwaffen eingesetzt hat, sondern drohen auch noch weiter deren Einsatz gegen andere Staaten an«, sagte Ahmadinedschad, der als einziger Staatschef an der vierwöchigen Konferenz teilnimmt. Der iranische Präsident wies erneut den Vorwurf zurück, sein Land strebe nach dem Besitz von Nuklearwaffen. Dafür gebe es »keinen einzigen glaubhaften Beweis«, unterstrich er und forderte einen Zeitplan für die Vernichtung sämtlicher Atomwaffenbestände in der Welt.

Die US-Delegation und mehrere europäische Abordnungen, darunter Deutschland, Großbritannien und Frankreich, verließen bei diesen Ausführungen aus Protest den Saal. In den westlichen Medien wurde Ahmadinedschad daraufhin einhellig angegriffen. So titelte Die Welt empört: »Ahmadinedschad provoziert Eklat mit Haß-Rede«. Nähere Angaben über den Inhalt der Rede fehlten jedoch auch hier.

Bis kurz vor Beginn der Konferenz hatte Washington unter Bruch des Vertrags mit den Vereinten Nationen dem iranischen Präsidenten die Erteilung eines Einreisevisums nach New York zur Teilnahme an der UN-Konferenz verweigert. US-Medienberichten zufolge befürchtete das Weiße Haus, daß Ahmadinedschad die USA vor den Augen der Welt vorführen würde. Tatsächlich erntete Ahmadinedschad für seine Rede von nicht wenigen der in New York anwesenden Delegierten Applaus, als er Atomwaffen als »widerlich und beschämend« bezeichnete. Die USA seien der »Hauptverdächtige« für die Weiterverbreitung von Nuklearwaffen. Davon zeugten die zahlreichen mit Atomsprengköpfen bestückten US-Basen in vielen Ländern rund um die Welt. Als erstes gelte es, diese Stützpunkte abzubauen. Zugleich warf er UN-Generalsekretär Ban Ki-Moon vor, »doppelte Standards« gegenüber den Atomwaffenstaaten und denen, die Kernenergie zu friedlichen Zwecken nutzen wollten, anzuwenden. Iran werde viel kritisiert, aber wenn die USA sein Land mit einem atomaren Erstschlag bedrohten, rege sich niemand auf, so Ahmadinedschad.

Indirekt bestätigt wurde Ahmadinedschads Kritik noch am gleichen Tag, als das Pentagon einräumte, daß die USA derzeit über 5113 einsatzbereite Atomwaffen verfügen. Trotzdem wiederholte US-Außenministerin Hillary Clinton in ihrer Rede im Anschluß an die des iranischen Präsidenten ihre altbekannten Forderungen nach verschärften Sanktionen gegen den Iran. Das Land verstoße gegen den Atomwaffensperrvertrag, behauptete Clinton erneut, ohne dafür Beweise vorzulegen. Die »starke internationale Reaktion« gegen Teheran, um die Clinton die Anwesenden bat, dürfte jedoch ausbleiben. Zu nahe lag Ahmadinedschads Rede an der Wahrheit.

** Aus: junge Welt, 5. Mai 2010


Gesten fürs Schaufenster

Von Roland Etzel ***

Die westliche Wertegemeinschaft zeigt sich erneut sehr ungehalten über Ahmadinedschad. Manche ihrer Diplomaten auf der New Yorker Nachfolgekonferenz verließen den Saal, als der Iraner sprach. Das steht ihnen frei. Ob es auch klug war, lässt sich nur sagen, wenn man das damit verfolgte Verhandlungsziel kennt. Aus den USA verlautete, man habe gehofft, dass zu Konferenzbeginn die von Washington gewünschten scharfen Sanktionen gegen Iran wegen dessen Atomprogramm bereits verabschiedet seien. Diese Enttäuschung ist spürbar.

Konstruktiv im Sinne der Zielstellung der Konferenz ist dies freilich nicht. Wer Diskussionsprozesse auf die beschriebene Weise präjudizieren will, erhärtet nur den - iranischen - Verdacht, an einer einvernehmlichen Lösung, also auch unter Berücksichtigung legitimer Interessen Teherans, nicht sonderlich interessiert zu sein. Auch die EU-Staaten schwimmen in diesem Fahrwasser.

Einer nicht sehr diplomatischen Rede mit einer eigenen konfrontativen Geste zu begegnen, ist deshalb mehr als fragwürdig, auch von deutscher Seite. Selbst wenn die geäußerte Empörung echt war: Die Abgesandten der Staaten sind in New York nicht zur Garden-Party geladen, sondern zu mitunter härtestem Streit. Das haben Verhandlungen so an sich. Schaufenstergesten sind da ebenso fehl am Platz wie aufgesetzte Wehleidigkeit.

*** Aus: Neues Deutschland, 5. Mai 2010 (Kommentar)


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