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Hoffnungen, aber auch große Gefahren

Am 2. Mai 2005 beginnt in New York die Überprüfungskonferenz zum Atomwaffensperrvertrag - Zum Hintergrund

Im Folgenden dokumentieren wir einen Artikel zum Beginn der Überprüfungskonferenz, den Wolfgang Kötter uns freundlicherweise zur Verfügung gestellt hat. Ergänzend von der Homepage des BITS ein paar lekikalische Anmerkungen sowie einen Auszug aus einem Artikel in der Internetzeitung "telepolis" über Atomwaffen in Deutschland.



Ein Abkommen auf der Intensivstation

Heute beginnt in New York die Überprüfungskonferenz zum Atomwaffensperrvertrag / Nie war die Gefahr der Weiterverbreitung von Nuklearwaffen so groß

Von Dr. Wolfgang Kötter*


Am New Yorker Hauptsitz der Vereinten Nationen beginnt heute die Überprüfungskonferenz zum Atomwaffensperrvertrag.

Vier Wochen lang werden die Unterzeichnerstaaten des Atomwaffensperrvertrags über die Zukunft des Abkommens beraten, das als eine tragende Säule internationaler Sicherheit und Stabilität gilt. Doch der 1970 in Kraft getretene »Vertrag über die Nichtverbreitung nuklearer Waffen« steht vor dem Kollaps. Die Gefahr der weiteren Verbreitung von Atomwaffen droht von außerhalb, aber auch die Vertragsbestimmungen selbst enthalten Schlupflöcher zur Untergrabung der bisher weithin akzeptierten Nichtverbreitungsnorm. »Wir sind genau in der Welt angekommen, die wir 30 Jahre lang vermeiden wollten«, beklagt der Nuklearexperte Jon Wolfsthal von der Carnegiestiftung: »Kernwaffen sind zunehmend verfügbar, in den internationalen Beziehungen geschätzt, und das Problem des nuklearen Brennstoffkreislaufs macht die Sache noch schlimmer.«

Obwohl der Vertrag mit 188 Unterzeichnern nahezu Universalität erreicht hat, blieben wichtige Staaten wie Israel, Indien und Pakistan abseits und entwickelten eigene Atomwaffen. Südafrika baute insgeheim sechs Kernsprengköpfe, die nach dem Ende des Apartheidregimes allerdings wieder vernichtet wurden. Doch auch von innen heraus erodiert der Vertrag. Nach jahrelangen Verstößen erklärte die KDVR 2003 ihren Austritt und verkündete Anfang dieses Jahres offiziell: »Wir haben Nuklearwaffen zur Selbstverteidigung hergestellt.«

Verletzungen gab es auch von anderen Vertragsstaaten. Irak betrieb bis zum Golfkrieg 1991 ein illegales Kernwaffenprogramm, das die Internationale Atomenergiebehörde IAEA anschließend eliminierte. Auch Ägypten, Südkorea, Iran und Libyen wurden Unregelmäßigkeiten nachgewiesen. Libyen hat jedoch inzwischen öffentlich allen Massenvernichtungswaffen entsagt und sich internationalen Kontrollen geöffnet. Iran erklärte sich zumindest zur zeitweiligen Aussetzung der Urananreicherung bereit, obwohl diese grundsätzlich nicht verboten wäre.

Trotzdem steckt in der friedlichen Kernenergienutzung eine empfindliche Sicherheitslücke, denn die für zivile Kernbrennstoffe erforderliche Technologie ist auch für die Herstellung von Nuklearwaffen nutzbar. Dem Beispiel der KDVR folgend, könnten potenzielle Kernwaffenaspiranten also offiziell alle für ein Waffenprogramm erforderlichen Fachkenntnisse, Materialien und Nukleartechnik erwerben, um aus dem Vertrag auszutreten, sobald sie einsatzfähige Atomwaffen herstellen können.

Doch Veränderungen des Vertrages sind schwierig, seine Lebensfähigkeit beruht auf einem labilen Interessenausgleich zwischen Kernwaffenmächten und Nichtnuklearstaaten. Neben Auseinandersetzungen um die friedliche Kernenergienutzung entzündet sich der Streit vor allem an der Verpflichtung zur nuklearen Abrüstung. Die Kernwaffenbesitzer betrachten den Vertrag vornehmlich als Garantieschein für ein immerwährendes Atomwaffenmonopol. Die »nuklearen Habenichtse« dagegen akzeptieren ihn lediglich als zeitweilige Vereinbarung zur Beseitigung der Ungleichheit durch Abrüstung. Von »nuklearer Apartheid« bis »zynischer Doppelmoral« reichen ihre Vorwürfe, denn trotz wiederholter Versprechen sind die Atomwaffenmächte zur Aufgabe ihrer Nuklearwaffen nicht bereit.

Diese Verweigerungspolitik kappt aber die existenzielle Verbindung zwischen Nichtverbreitung und nuklearer Abrüstung. Damit trägt sie wesentlich dazu bei, die Nichtweiterverbreitung zu unterminieren und den Kernwaffenbesitz zur international begehrten Trumpfkarte zu machen.

»So geht es nicht mehr weiter«, klagt IAEA-Generaldirektor Mohamed El-Baradai, »jeder will im Kreis der Big Boys mitspielen, und zu den großen Jungs gehört nur, wer atomares Spielzeug hat.« Ein UNO-Bericht warnt denn auch vor einer unumkehrbaren Aushöhlung des Nichtverbreitungsregimes, die zu einer »kaskadenartigen Verbreitung« führen könnte. Alarmierend ist ebenfalls, dass ein weltweiter Schwarzmarkt des Atomschmuggels entstanden und offensichtlich außer Kontrolle geraten ist.

Längst beschränkt sich das Verbreitungsrisiko jedoch nicht mehr auf die zwischenstaatliche Ebene. Terroristische Anschläge mit Nuklearmaterial sind nach Einschätzung von UNO-Generalsekretär Kofi Annan alles andere als »Science-Fiction«. Erst im vergangenen Januar wurde in Deutschland ein Verdächtiger wegen des Versuchs verhaftet, hochangereichertes Uran für das terroristische Netzwerk Al Qaida zu beschaffen.

Der Atomwaffensperrvertrag muss also dringend an die Realitäten des 21. Jahrhunderts angepasst werden. Aber die Meinungen über notwendige Reformen gehen auseinander.

Die IAEA fordert, zunächst vorhandene Instrumentarien umfassend anzuwenden. Bereits hier zeigen sich jedoch Defizite. Ein Zusatzprotokoll, das den internationalen Inspektoren weitgehende und kurzfristige Kontrollen gestattet, ist erst für 66 Staaten in Kraft getreten. Einen wirksamen Schutz gegen militärischen Missbrauch und den Diebstahl von spaltbarem Material sieht die Behörde darin, die Produktion neuen Spaltmaterials, aber auch die Kapazitäten zur Urananreicherung und zur Wiederaufbereitung von verbrannten Kernbrennstäben sowie die Lagerung nuklearer Abfälle in international verwaltete Zentren zu verlagern.

Im Gegensatz dazu wollen die USA den Vertrag einseitig umschreiben und die vereinbarte Zusammenarbeit bei der friedlichen Kernenergienutzung faktisch aufkündigen. Nach dem Verzicht auf Atomwaffen müssten die Nichtkernwaffenstaaten künftig auch der zivilen Nukleartechnologie entsagen. Insbesondere die Entwicklungsländer empfinden dies als doppelte Diskriminierung und weisen eine bedingungslose Abhängigkeit vom Kartell der Lieferstaaten nuklearer Technologie zurück. Doch bei Zuwiderhandlung drohen die USA mit einer Politik der »Counterproliferation«, die Zwangskontrollen, Geheimdienstaktionen, Luftangriffe und gegebenenfalls auch einen gewaltsamen Regimewechsel unter Einsatz von Nuklearwaffen einschließt.

Die heute beginnende Konferenz muss nach Lösungen für diese Herausforderungen suchen. Doch die Erfolgsaussichten sind düster. Erstmals brachte der Vorbereitungsausschuss keine substanziellen Konferenzempfehlungen zu Stande. Vor allem die USA, Großbritannien und Frankreich verhinderten jeglichen Bezug auf ihre Verpflichtung zur nuklearen Abrüstung. Nicht einmal über eine Tagesordnung und prozedurale Fragen konnte Einigkeit erzielt werden. Bei einem Scheitern befürchtet Konferenzpräsident Sergio de Queiroz Duarte (Brasilien) einen irreparablen Vertrauensverlust der Vertragsparteien: »Dann besteht die Gefahr, dass das ganze System auseinander fällt.«

Atomwaffenarsenale

LandAnzahl
Russlandca. 16.000
USAca. 10.350
China420
Frankreich350
Großbritannien200
Israel200 – 400
Indien55 – 110
Pakistan55 – 90
KDVR8 – 10
gesamtca. 28.000

Quellen: Arms Control Association, Bulletin of the Atomic Scientists

Aus: Neues Deutschland, 2. Mai 2005

Der Vertrag - wichtiges Instrument gegen Aufrüstung

* Der nukleare Nichtverbreitungsvertrag (NVV) ist das bedeutendste Abkommen zur Verhinderung der Weiterverbreitung nuklearer Waffen. Ihm sind seit Beginn der Unterzeichnungsmöglichkeit am 1. Juli 1968 bzw. dem Inkrafttreten im Jahr 1970 fast alle Staaten der Erde beigetreten – 188 Länder.

* In seinen ersten beiden Artikeln verpflichten sich die Mitgliedstaaten, die Atomwaffen besitzen, diese nicht weiterzugeben und anderen Staaten auch nicht dabei zu helfen, Nuklearwaffen zu entwickeln, zu erwerben oder ihnen Verfügung darüber zu geben. Die nicht-nuklearen Mitglieder verpflichten sich im Gegenzug, keinen Versuch zu unternehmen, Atomwaffen zu entwickeln, zu erwerben oder die Verfügung darüber zu erlangen. Artikel IV sieht vor, daß die Staaten, die über Nukleartechnik verfügen, diese zur zivilen Nutzung auch anderen Staaten zur Verfügung stellen. Artikel VI verpflichtet die Nuklearwaffenstaaten, ihre Atomwaffen wieder abzurüsten, ohne dafür jedoch einen Zeitrahmen vorzugeben. Nuklearwaffenstaat im Sinne des Vertrages können nur die Länder sein, die bis zum 1. Januar 1967 einen Atomwaffentest durchgeführt hatten, also Frankreich, Großbritannien, Rußland, die USA und die Volksrepublik China.

* Nicht beigetreten sind dem Vertrag Israel, Indien und Pakistan. Alle drei Länder besitzen heute nukleare Waffen, haben sie aber bis 1967 nicht getestet. Sie könnten dem Vertrag nur dann beitreten, wenn sie ihre Atomwaffen zuvor wieder abschaffen würden. Diesen Weg gingen Südafrika und – nach dem Zerfall der Sowjetunion – Belorußland, die Ukraine und Kasachstan. Nordkorea trat dem NVV in den achtziger Jahren bei, nutzte aber 2003 die im Vertrag vorgesehene Möglichkeit, ihn wieder zu verlassen.

Otfried Nassauer (BITS)

* Info: www.bits.de/public/stichwort/atomwaffensperrvertrag.htm


***

Atomwaffen in Deutschland

(...) Doch es geht nicht allein um die Amerikaner, sondern auch um ihre europäischen Verbündeten, und vielleicht sogar um chinesische Drohgebärden, Indien und Pakistan und die gefährliche Situation im Nahen Osten. Der brasilianische Konferenzpräsident Sergio de Queiroz Duarte erklärte im Vorfeld, alle Atommächte hätten "sehr wenig" getan, um ihren eigenen Verpflichtungen aus dem Atomwaffensperrvertrag nachzukommen, nämlich im Gegenzug zu den Staaten, die sich verpflichten, keine Atomwaffen zu entwickeln und zu besitzen, ihre Atomwaffen abzubauen.

Der Vorwurf mag wenigstens im Hinblick auf die in Europa stationierten amerikanischen Atomwaffen ungerecht erscheinen, denn von den ehemals mehr als 7.000 sind nach einer Studie des Natural Resources Defence Council (3) "nur" 480 übriggeblieben (480 Atombomben lagern noch in europäischen Staaten (4)). Dazu kommen freilich noch britische und französische Bestände, und außerdem handelt es sich zum Teil um Waffen, welche über die vielfache Sprengkraft der Hiroshima-Bombe verfügen.

150 von ihnen lagern in Deutschland, das den Speervertrag 1975 unterzeichnete. Und zwar inklusive Artikel 2, in dem es heißt:
Jeder Nichtkernwaffenstaat, der Vertragspartei ist, verpflichtet sich, Kernwaffen oder sonstige Kernsprengkörper oder die Verfügungsgewalt darüber von niemandem unmittelbar oder mittelbar anzunehmen, Kernwaffen oder sonstige Kernsprengkörper weder herzustellen noch sonstwie zu erwerben und keine Unterstützung zur Herstellung von Kernwaffen oder sonstigen Kernsprengkörpern zu suchen oder anzunehmen.

Es ist also gar nicht nötig, Spekulationen über amerikanische Geheimbunker anzustellen, um festzustellen, dass dieses in der Praxis offensichtlich sehr dehnbare Vertragswerk nicht überall gleichermaßen ernst genommen wird. Büchel oder Rammstein tun es auch, und da das mittlerweile sogar der FPD aufgefallen ist, fordern die Freien Demokraten - in einer kleinen Koalition mit den Bündnisgrünen - kurz vor der New Yorker Konferenz den Abzug der taktischen Nuklearwaffen aus Deutschland. Die gelb-grüne, durchaus wahlkampfwirksame Friedensinitiative stößt an der Spitze der Bundesregierung allerdings auf wenig Gegenliebe, denn die Bereitschaft der SPD, dem übermächtigen transatlantischen Bündnispartner schon wieder auf die Füße zu treten, hält sich verständlicherweise in engen Grenzen. (...)

Aus: Thorsten Stegemann, Verhandlungspoker um Massenvernichtungswaffen, in telepolis (http://www.heise.de/tp/r4/artikel/20/20008/1.html), 1. Mai 2005


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