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George W. Bush und die Rückkehr der Atomkrieger

Von Bunkerbrechern und Mini-Nukes - Droht ein neues atomares Wettrüsten?

Im Folgenden dokumentieren wir einen Beitrag aus der 502. Sendung von "Monitor" vom 24. April 2003.

Bericht: Andreas Orth, Mathias Werth

Sonia Mikich: "Irak-Krieg. Erinnern Sie sich noch an die Märchen aus 1001er Nacht? Die amerikanischen Soldaten werden sich durch Giftgas- und Anthrax-Wolken hindurchkämpfen müssen. Saddam Hussein kooperiert mit Osama bin Laden. Der Irak ist 6 Monate vor dem Bau einer Atombombe. Doch der berühmte rauchende Colt - ist immer noch nicht gefunden.
Dafür hat MONITOR etwas gefunden, das nicht nur raucht, sondern brennt. Und gefährlich für die künftige globale Sicherheitspolitik ist: die neue nukleare Strategie der USA. In der alten Weltordnung galten Atombomben vor allem als Abschreckungsinstrumente. Also letztes Mittel. Doch nun werden - von der breiten Öffentlichkeit weitgehend unbemerkt - neue Atombomben entwickelt. Bunkerbrecher und Mini-Nukes heißen sie, und sie sollen tatsächlich eingesetzt werden.
Ein Strategiewechsel, der zu einem neuen atomaren Wettrüsten führt. Und somit alles gefährdet, was Abrüstungsverhandlungen über die Jahrzehnte erreicht haben. Ein Bericht von Andreas Orth, Otfried Nassauer und Mathias Werth."


Es sieht aus wie der Ernstfall, doch noch ist es ein Test. Der Pilot klinkt eine Bombe aus. Am Boden durchdringt sie meterstarken Beton. Erst dann zündet der Sprengstoff und jagt alles in die Luft. Zwar zerstören diese Waffen auch im Ernstfall dicke Bunkerdecken, doch noch ist ihre Leistung begrenzt: Bis zu zehn Meter tief können sie in Fels und Beton dringen, dann verpufft ihre Wirkung.
Doch viele Bunker, die aus der Luft zerstört werden sollen, liegen viel tiefer: Dreißig oder gar hundert Meter tief - bombensicher im Erdboden.
Im Irak flog die amerikanische Luftwaffe Angriff auf Angriff auf die Bunker. Diese sollten nicht nur die Familie Saddam Husseins schützen, sondern vor allem sensible Kommando- und Kommunikationsanlagen. Bunker als Hauptziele: Im Irak blieben sie offenbar weitgehend verschont.
Das will die US-Regierung möglichst rasch ändern. Stärkere Waffen müssen her: neuartige Atomwaffen.
Renaissance der Atomwaffen - das ist der Strategiewechsel der Regierung Bush: Nicht mehr strategisch abschrecken, sondern taktisch einsetzen. In der als geheim eingestuften US-Nuklearstrategie von Verteidigungsminister Donald Rumsfeld heißt es dazu:
"Nuklearwaffen können gegen Ziele eingesetzt werden, die nichtnuklearen Angriffen widerstehen, wie zum Beispiel Bunker, die tief im Untergrund liegen."

Die amerikanische Luftwaffe will bunkerbrechende Atomwaffen nicht mehr als allerletztes Mittel im Krieg einsetzen, sondern möglicherweise als erstes. In den Ziellisten der Luftwaffe: Rund 1400 tief verbunkerte Anlagen weltweit. Konventionelle Bomben und Marschflugkörper richten nichts gegen sie aus. Schon bald sollen die B-2-Bomber mit den neuen Atomwaffen ausgerüstet werden. Und so funktionieren sie: Die konventionelle Waffenspitze dringt durch den Erdboden bis zur Bunkerdecke vor. Erst direkt am Bunker explodiert die Atomsprengladung und bringt mit ihrer zerstörerischen Druckwelle den Bunker zum Einsturz. "Nuclear Earth Penetrator" heißt diese neu konstruierte Generation atomarer Bunkerbrecher.
Die Atomexplosion zerstört nicht nur unter der Erde alles, auch oberirdisch führt sie zu radioaktivem Fallout, tötet Menschen und verstrahlt die Umwelt.
Die amerikanische Atomwaffenfabrik Los Alamos. Hier entwickeln Waffenspezialisten zusätzlich sogenannte Mini-Nukes, kleinere Atomwaffen, die weniger Fallout freisetzen, und neuere Atomwaffen, die punktgenau Lager von biologischen und chemischen Waffen zerstören.

Die Atomkrieger kehren zurück. Ein Jahrzehnt nach Ende des Kalten Krieges.
Michael Levi, Federation of American Scientists: "Bisher wurden Atomwaffen für die Abschreckung konzipiert. Die neue Generation atomarer Waffen, zu der Bunkerbrecher und Waffen zur Zerstörung biologischer und chemischer Waffen gehören, sollen im Gefecht offensiv genutzt werden und nicht nur, um den Gegner vom Einsatz seiner eigenen Atomwaffen abzuhalten." Atombomben unter US-Flugzeugen - damit begänne eine neue Spirale atomarer Bedrohung, zumal nun auch internationale Verträge in Zweifel stehen, die einen atomaren Angriff gegen Staaten verbieten, die selbst keine Atomwaffen haben.
In der "National Security Strategy", der offiziellen Sicherheitsstrategie der Regierung Bush vom September letzten Jahres heißt es dazu:
"Aufgrund der Vorhaben von Schurkenstaaten und Terroristen können wir nicht mehr, wie bisher, nur reagieren, ... wir können unsere Feinde nicht zuerst zuschlagen lassen ... Um das zu verhindern, werden die USA präventiv [also als Erste] handeln."

Christopher Paine, Natural Resources Defense Council: "Die neue Bush-Doktrin besagt, dass Länder, die versuchen, Bio- oder Chemie-Waffen zu beschaffen oder einzusetzen, Ziel eines präventiven Atomschlags der USA sein könnten."
Bei den Vereinten Nationen fürchtet man weitreichende Folgen der neuen amerikanischen Atomstrategie. Ein neues atomares Wettrüsten droht. Der stellvertretende UN-Generalsekretär warnt eindringlich:
Jayantha Dhanapala, stellvertretender UN-Generalsekretär:
"Seit Nagasaki gibt es ein Tabu hinsichtlich des Einsatzes atomarer Waffen. Es gab zwar Drohungen mit dem Einsatz, aber nie einen tatsächlichen Einsatz von Atomwaffen. Wenn dieses Tabu jetzt gebrochen würde, dann bricht wirklich die Hölle los. Dann werden sich andere Länder finden, die auch Atomwaffen einsetzen, und Terroristen, die sie einsetzen. Dann sind wir auf dem Weg nach Armageddon."
Mögliche Feinde sind auch schon im Visier. Für den möglichen präventiven, also vorsorglichen militärischen Einsatz gegen Ziele wie unterirdische Bunker und Lager von biologischen und chemischen Waffen werden in der US-Strategie eine Reihe von Staaten genannt, die Amerika bedrohen:
"Nordkorea, Irak, Iran, Syrien und Libyen sind unter den Ländern, die betroffen sein könnten. Alle verhalten sich seit langem den Vereinigten Staaten gegenüber feindlich ... Alle unterstützen oder beherbergen Terroristen und haben Massenvernichtungswaffen."
Jayantha Dhanapala, stellvertretender UN-Generalsekretär:
"Es gibt einige Länder, die, weil sie von der gegenwärtigen Führung der USA namentlich genannt wurden, ein akutes Gefühl der Unsicherheit haben. Wir müssen verstehen, dass auf diese Weise weitere Staaten ermutigt werden, sich auf unverdächtigen, geheimen Wegen Atomwaffen zu beschaffen, wenn wir nicht den Sinn für gemeinsame Sicherheit in der Welt durchsetzen."
Wenn US-Militär auch Staaten bedroht, die keine Atomwaffen haben, dann gäbe es für diese Länder keinen Grund, weiter auf Atomwaffen zu verzichten. Die atomare Rüstungsspirale begänne erneut und der Atomwaffensperrvertrag wäre nichtig.

Daniel Plesch, Royal United Services Institute:
"Diese Waffen sind für präventive Angriffe gegen diejenigen ausgelegt, die Atomwaffen weiterverbreiten. Diese könnten sich deshalb ermutigt sehen, heimlich Atomwaffen zu bauen, also kleine atomare Rüstungswettläufe in der Dritten Welt zu veranstalten, um die USA zu überlisten."
Die einzige Supermacht rüstet kräftig auf - auch mit Atomwaffen. Unter der Regierung Bush könnte der atomare Erstschlag Wirklichkeit werden.
Daniel Plesch, Royal United Services Institute:
"Die nukleare Rüstungskontrolle liegt bereits auf der Intensivstation. Die Entwicklung neuer Atomwaffen und erneute Atomtests würden die atomare Abrüstung in die Leichenhalle verlegen."

Doch außenpolitische Bedenken gegen die neue nukleare Strategie sind in Amerika kein Thema. Die Regierung Bush setzt auf das Recht des Stärkeren.

Aus: Monitor, wdr-ARD, 24. April 2003


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