Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Wiener Wahl – Wer folgt auf El Baradei?

Neuer Chef für wichtige Internationale Atomagentur gesucht

Von Wolfgang Kötter *

In Wien wird heute (26. März) gewählt, aber bei der geheimen Stimmabgabe geht es weder um den Bürgermeisterposten, noch um Österreichs Parlament. Vielmehr muss der Chefsessel der Internationalen Atomenergieagentur IAEA, die sich am Donauufer niedergelassen hat, neu besetzt werden.

Letzte Meldung:

Wahl eines neuen IAEA-Generaldirektors gescheitert

Die Wahl eines Nachfolgers von IAEA-Generaldirektor Mohamed ElBaradei ist im ersten Anlauf. Der scheidende Amtsinhaber ElBaradei sagte dazu am Freitag (27. März) in Wien: "Ich hoffe einfach, dass die Behörde einen Kandidaten hat, der für alle - Norden, Süden, Osten, Westen - akzeptabel ist." Denn darauf komme es jetzt an, fügte der Friedensnobelpreisträger hinzu.

Enttäuscht äußerte sich der südafrikanische Bewerber Abdul Samad Minty, der wie der japanische Diplomat Yukiya Amano in den ersten Abstimmungen am Donnerstag und Freitag (26. und 27. März) nicht die erforderliche Zweidrittelmehrheit bekam. Die Entwicklungsländer hätten gehofft, dass der Westen die Wahl als Gelegenheit nutze, Differenzen zu überbrücken, indem er seine Kandidatur unterstützt. "Leider sieht es so aus, als ob es nur bei guten Absichten geblieben sei", sagte er.

In der 52-jährigen Geschichte der IAEA ist nur einer der bisher vier Generaldirektoren bei der ersten Sondersitzung gewählt worden. Die algerische Vorsitzende des Gremiums, Taous Feroukhi, teilte nach den Abstimmungen mit, bis zur nächsten Sitzung in vier Wochen könnten neue Kandidaten benannt werden. "Die Vorschlagsliste der in Frage kommenden Kandidaten ist wieder offen", sagte sie. Auch Amano und Minty können sich wieder bewerben.

Die USA haben in Wien durchsickern lassen, dass sie Amano favorisieren, weil sie einen Generaldirektor wünschen, der die IAEA aus politischen Richtungskämpfen heraus hält. Aus diplomatischen Kreisen verlautete, Kanada und die EU seien dieser Ansicht gefolgt und hätten für Amano gestimmt, "weil sie befürchteten, Minty würde ein zweiter ElBaradei", berichtete AP. Minty hat die Unterstützung der blockfreien Nationen, von denen einige ein Recht des Irans zur Urananreicherung trotz eines vom UN-Sicherheitsrat ausgesprochenen Verbots verteidigt haben.

Nachrichtenagenturen, 27. März 2009



Zwei Kandidaten bewerben sich und ihr Image könnte unterschiedlicher kaum sein. Da ist zunächst der zurückhaltende zweiundsechzigjährige Berufsdiplomat Yukiya Amano aus Japan. Er studierte an der Tokio Universität Völkerrecht und begann 1972 seine Laufbahn im japanischen Außenministerium. Dort spezialisierte er sich auf die Themen Abrüstung und Nichtverbreitung von Atomwaffen. Seine Karriereleiter führte ihn hinauf bis zum Generaldirektor und Abteilungsleiter, außerdem arbeitete er an den Botschaften in Vientiane, Washington und Brüssel. Auch als Generalkonsul in Marseille, bei internationalen Vertragsverhandlungen und als Vertreter seines Landes in der Genfer Abrüstungskonferenz sammelte Amano Erfahrungen auf dem diplomatischen Parkett. Zurzeit ist er Japans Botschafter bei der IAEA.

Sein Herausforderer Abdul Samad Minty wurde vor 69 Jahren in Südafrika geboren. Er wuchs zunächst in Johannesburg auf und ging mit 18 Jahren zum Studium der Internationalen Beziehungen nach London. Der Student beteiligte sich aktiv an der britischen Anti-Apartheidbewegung und kämpfte gegen die militärische und nukleare Kollaboration mit dem rassistischen Regime seiner Heimat. Nach der Überwindung der Rassentrennung vertrat er Pretoria auf internationalen Konferenzen. Dort setzte er sich engagiert für die nukleare Abrüstung der Atomwaffenstaaten ein. Seit 2006 ist Minty Vertreter seines Landes bei der IAEA.

Die Wiener Organisation hat sich unter der Leitung des jetzigen Generaldirektors El Baradei von einer wenig beachteten Spezialbehörde für Atomkontrollen und friedliche Nuklearnutzung zu einem heißumstrittenen Meinungsbildner im internationalen Rampenlicht entwickelt. Der Rechtsprofessor aus Ägypten zählte zu den Lieblingsfeinden der Bush-Regierung, weil er sich im UN-Sicherheitsrat als Leiter der nuklearen Kontrollkommission für Irak weigerte, Washington den Kriegsvorwand zu liefern. Stattdessen verlangte er mehr Zeit für Inspektionen. Unter fadenscheinigen Vorwänden versuchte Washington El Baradeis Wiederwahl im Jahre 2006 zu blockieren, doch vergeblich. Für sein aktives Wirken zur weltweiten nukleare Abrüstung erhielt der IAEA-Chef wie auch seine rund 2 300 Mitarbeiter zählende Behörde sogar den Friedensnobelpreis.

Kritik kam von den USA auch wegen einer angeblich zu weichen Linie gegenüber dem Nuklearbestrebungen des Iran. Doch der IAEA-Chef ist überzeugt, dass es angesichts der von den iranischen Technikern inzwischen erworbenen Fähigkeiten zu spät sei, Teheran zur völligen Aufgabe der Urananreicherung zu bewegen. Ausdrücklich warnt er vor einer erneuten Militäraktion: "Jeder Einsatz von Gewalt wäre Wahnsinn!" Stattdessen gehe es darum, sicherzustellen, dass der Iran nicht aus dem Atomwaffensperrvertrag austritt. Teheran könne nur mit einem umfassenden Dialog von der Entwicklung eigener Atomwaffen abgebracht werden. Eine wichtige Erfahrung laute: "Wir können uns Sicherheit nicht erbomben", bilanziert der scheidende Generaldirektor seine zwölfjährige Amtszeit. Er ist davon überzeugt: „Die nuklearen Abrüstung ist der Schlüssel für unser aller Überleben.“

Die Bedeutung der IAEA wird in Zukunft weiter wachsen. Zum einen wäre sie am besten geeignet, eine Achillesferse des Atomwaffensperrvertrages zu heilen. Die vertraglich erlaubte friedliche Nutzung der Kernenergie einschließlich der Urananreicherung kann nämlich gleichzeitig für ein geheimes Atomwaffenprogramm missbraucht werden. Ein Ausweg wäre, zumindest der sensitiven Elemente nuklearer Brennstoffkreisläufe zu multilateralisieren. Das bedeutet, die Produktion neuen Spaltmaterials, aber auch die Kapazitäten zur Urananreicherung und Wiederaufbereitung von in Atomkraftwerken verbrannten Plutoniumbrennstäben sowie die Lagerung nuklearer Abfälle in Zentren zu managen, die von der IAEA verwaltetet werden. Auch gegen eine weitere Bedrohung der internationalen Sicherheit ist die Behörde aktiv: Mögliche Terroranschläge mit Kernwaffen oder radioaktivem Material. Bereits seit Jahren verfolgt sie ein umfangreiches Programm zur Verstärkung der nuklearen Sicherheit. So beschloss die IAEA vorbeugende Sicherungsmaßnahmen gegen Sabotage an Atomanlagen und Diebstahl von atomaren Stoffen als Nachbesserungen zur Konvention zum physischen Schutz von Nuklearmaterial und fördert nachdrücklich die Umsetzung der Konvention gegen Nuklearterrorismus.

Je nachdem wie die Wahl ausgeht, erwarten Beobachter auch eine Richtungsentscheidung für die zukünftige Organisation. Während Yukiya Amano für eine „Entpolitisierung“ steht, wird vom charismatischen Abdul Samad Minty eher ein tatkräftiges Wirken für nukleare Nichtverbreitung und Abrüstung erwartet. Sollte es über keinen der beiden Bewerber eine Einigung geben, werden als mögliche Kompromisskandidaten der Argentinier Rogelio Pfirter (Chef der Chemiewaffenorganisation OPCW), Esteban Skoknic Tapia aus Chile (Botschafter bei der IAEA) und der Finne Olli Heinonen (IAEA-Vizechef) genannt. Als weiter Namen tauchen aber auch Tibor Toth aus Ungarn (Chef der Teststopporganisation CTBTO) und Norwegens Außenminister Jonas Gahr Støre auf. Ein Kandidat braucht im 35-köpfigen Gouverneursrat mindestens eine Zweidrittelmehrheit, um den 146 Mitgliedern der Generalversammlung im Herbst zur Bestätigung vorgeschlagen zu werden.

Die IAEA

Die Internationale Atomenergie Agentur (International Atomic Energy Agency) wurde 1957 gegründet, um die internationale Zusammenarbeit bei der friedlichen Nutzung der Kernenergie zu fördern. Seit 1970 der Vertrag über die Nichtverbreitung von Atomwaffen in Kraft trat, kontrolliert sie zusätzlich die Einhaltung des Vertragsverpflichtungen durch die Mitgliedstaaten. Die Kontrollen sollen sicherstellen, dass kein spaltbares Nuklearmaterial abgezweigt und zum Bau einer Atombombe missbraucht wird. Die IAEA ist eine unabhängige zwischenstaatliche Organisation, der gegenwärtig 146 Staaten angehören. Oberste beschlussfassende Organe sind die Generalkonferenz und der Gouverneursrat mit 35 Staaten. Die Atomagentur arbeitet eng mit der UNO zusammen, unterbreitet der Vollversammlung jährliche Tätigkeitsberichte und kann im Falle einer Bedrohung der internationalen Sicherheit und des Weltfriedens den Sicherheitsrat anrufen, der gegebenenfalls Sanktionen gegen einen Vertragsverletzer beschließen kann.

Die bisherigen IAEA-Generaldirektoren
  • Mohamed El Baradei, Ägypten 1997-2009
  • Hans Blix, Schweden 1981-1997
  • Sigvard Eklund, Schweden 1961-1981
  • W. Sterling Cole, USA 1957-1961


* Dieser Beitrag erschien gekürzt unter dem Titel "Wer folgt auf El Baradei?" im "Neuen Deutschland" vom 27. März 2009


Zurück zur Seite "Atomwaffen"

Zurück zur Homepage