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Die neue nukleare Gefahr

Vortrag von Kate Hudson, Großbritannien, beim Jahrestreffen 2005 der IPPNW

Vom 11. bis 13. März 2005 fand das Jahrestreffen der IPPNW im Umweltforum Berlin statt. Es stand unter dem Motto: "60 Jahre danach: Von Hiroshima und Nagasaki ins neue nukleare Zeitalter".
Im Folgenden dokumentieren wir das Referat von Kate Hudson, Vorsitzende des CND UK: "The New Nuclear Danger" in einer deutschen Übersetzung.



Die neue nukleare Gefahr

Von Kate Hudson

2005 ist ein bedeutungsvolles Jahr für all diejenigen, die an Friedens- und Anti-Atom-Kampagnen beteiligt sind. Vor 60 Jahren hat die Regierung der Vereinigten Staaten Atombomben auf die Städte Hiroshima und Nagasaki abgeworfen, und damit fürchterlichsten Schrecken und Leiden für die zivile Bevölkerung entfesselt. Seitdem wurden Versuche unternommen zu behaupten, dass die Bomben Leben gerettet hätten, indem sie den Krieg verkürzten. Aber das war natürlich nicht die Wahrheit. Professor J.K. Galbraith, der 1945 offizieller US-Ermittler in Japan war, hat kategorisch festgestellt: „Die Bomben fielen nachdem die japanische Regierung die Entscheidung gefällt hatte zu kapitulieren“. 60 Jahre danach kämpfen die „Campaign for Nuclear Disarmament“ in Großbritannien und viele andere Friedens- und Anti-Atom-Bewegungen weltweit kraftvoll für die Abschaffung atomarer Waffen und ebenfalls für die Verhinderung von Kriegen, in denen sie benutzt werden könnten. Trauriger Weise ist das Risiko des Gebrauchs atomarer Waffen heute größer als es seit vielen Jahren gewesen ist, denn sowohl die US- als auch die Regierung Großbritanniens haben sich hin zu einer Politik des Ersteinsatzes von atomaren Waffen orientiert, hin zur Entwicklung einer neuen Generation von Nuklear-Waffen, die tatsächlich dafür entwickelt werden, um auf dem Schlachtfeld eingesetzt zu werden. Leider, aber wie zu erwarten, scheinen andere Nuklearmächte diesem Beispiel zu folgen. Unsere große Befürchtung, dass die aggressive, unilaterale Politik der USA zu einem neuen atomaren Wettrüsten führen würde, scheint sich gegenwärtig zu erfüllen.

Wie Sie sich also vorstellen können, war ein großer Teil der CND-Kampagne im vergangenen Jahr darauf konzentriert, das öffentlich Bewusstsein für die neue Generation von Nuklearwaffen zu wecken und unserer Regierung deutlich mitzuteilen, dass wir keine Art vom atomaren Waffen wollen – weder alte noch neue. Ein Bestandteil war die Aldermaston Demonstration Ostern 2004, als wir den Focus unserer Kampagne durch eine Demonstration zu Großbritanniens Atomwaffenfabrik erneuert haben.

Vor einer Dekade hat die öffentliche Besorgnis über Atomwaffen nachgelassen. Das Ende des Kalten Krieges – und damit das Ende des Risikos eines Atomkrieges zwischen den beiden Supermächten – führte dazu, dass sich alle viel sicherer fühlten. Tatsächlich glaubten viele Menschen, dass Atomwaffen irgendwie verschwunden seien. Aber in den letzten Jahren wurde dieses trügerische Sicherheitsgefühl zerstört, und das Thema der nuklearen Waffen ist unübersehbar zurückgekehrt auf die politische Tagesordnung. Als ein Ergebnis des Irak-Kriegs haben nahezu alle Menschen in Großbritannien von Nuklearwaffen und von „Massenvernichtungswaffen“ gehört.
Natürlich weiß mittlerweile jeder – und gibt fast jeder zu – dass es im Irak keine atomaren Waffen gab. Aber die Möglichkeit, dass der Irak Atomwaffen besäße und angeblich in der Lage war sie in großer Entfernung einzusetzen, wurde als Entschuldigung benutzt, um gegen den Irak in den Krieg zu ziehen. Ein ähnlicher Fall scheint gegenwärtig gegen den Iran konstruiert zu werden, indem die USA behaupten, dass das zivile iranische Atom-Programm tatsächlich missbraucht wird, um Nuklearwaffen zu produzieren. Bisher sind noch keine Beweise dafür vorgelegt worden, dass die Iraner tun, was die USA ihnen vorwerfen. Aber dies hat die Kriegs-Rhetorik seitens der USA dem Iran gegenüber nicht beendet. Dies ist also der Grund, warum Nuklearwaffen zur Zeit so ein wichtiges Thema sind: sie werden benutzt, um Kriege zu rechtfertigen. Aber existiert eine reale Gefahr durch nukleare Waffen, und wenn ja, worin besteht sie?

Um das zu verstehen müssen wir einen Blick auf die globale politische Situation werfen. Die tragischen Ereignisse vom 11. September 2001 – dem terroristischen Angriff auf die USA – hatten eine starke Auswirkung auf internationale Beziehungen und haben die Sicherheitsbesorgnisse aller neu definiert. Es wäre jedoch ein Fehler, die wachsenden globalen Spannungen und Gefahren einzig als Resultat des 11.9. anzusehen. Im Gegenteil waren viele der Ereignisse und Strategien seit diesem Datum bereits vor dem 11.9. geplant oder in Bewegung.
Was passiert also tatsächlich in der Welt?

Präsident Bush und seine Unterstützer vermitteln gerne den Eindruck, dass die Welt heutzutage gefährlicher ist, weil böse Terroristen, unterstützt von Schurkenstaaten, Zivilisation, Freiheit und Demokratie angreifen. Präsident Bush leitet daraus ab, dass es seine Aufgabe ist, diese Werte zu verteidigen, indem er die Verantwortlichen für diese Angriffe mit allen nötigen Mitteln aufstöbert und zerstört. In diesem Kreuzzug gestattet er sich nicht, sich von Wischi-Waschi Erwägungen wie Internationalem Recht oder öffentlicher Meinung einschränken zu lassen. Aber diese Interpretation der Ereignisse ist weit entfernt von der Wahrheit. Die Bush-Regierung hat ganz gewiss ihr eigenes Programm, das nicht nur auf Welt-Ereignisse reagiert. Dokumentarische Beweise aus den USA legen den Schluss nahe, dass dies ein Programm zur weltweiten militärischen Vorherrschaft ist. Lasst uns also einige der grundlegenden Bestandteile der US-Politik und –Strategie betrachten:

Einige der dominanten Personen der US-Politik unterstützen die Vorstellungen einer Organisation namens „Projekt für ein neues amerikanisches Jahrhundert“ (PNAC). PNAC wurde 1997 gegründet, angeblich als eine nicht-kommerzielle Bildungsorganisation, mit dem Ziel der globalen Führung der USA. Tatsächlich ist es ein neo-konservativer Think-Tank mit Dick Cheney, Donald Rumsfeld und Paul Wolfowitz in der Führung. PNAC macht kein Geheimnis aus seinen Zielen, und beschreibt auf seiner Webseite deutlich seine „grundlegenden Prämissen“:
  • Die Führung der USA ist gut sowohl für die USA selbst als auch für die Welt.
  • Eine solche Führung braucht militärische Stärke, diplomatische Energie und muss auf moralischen Prinzipien aufbauen.
  • Zu wenige der US-amerikanischen Führungspersonen machen sich stark für diese globale Führungsrolle.
Als das PNAC während der Clinton Regierung gegründet wurde, zielte es eindeutig darauf ab, Herzen und Gehirne innerhalb der USA für eine aggressivere Außenpolitik zu gewinnen. Aber die Vision von PNAC ist gleichzeitig ein ganz bewusster Rückgriff auf die Vergangenheit, ganz besonders auf die Reagan Periode. Und tatsächlich fordert die Gründungserklärung von PNAC eine reaganmäßige Politik von militärischer Stärke und moralischer Klarheit. Aber die allgemeine Herangehensweise von PNAC scheint darin zu bestehen, dass eine US-Führungsrolle bedeutet, dass andere Länder die Weltsicht der USA unterschreiben müssen sowie ihre politischen und ökonomischen Konzepte. Es sieht so aus, als ob eine US-Führungsrolle eine US-Herrschaft bedeutet und jene Länder, die das nicht akzeptieren und sich nicht gemäß dem US-Raster verhalten, werden als Schurkenstaaten bezeichnet. Es sieht zunehmend so aus, dass Länder, die nicht dem politischen oder ökonomischen Druck nachgeben, sich US-amerikanischen Verhaltensnormen anzupassen, militärischem Druck ausgesetzt sind. Warum allerdings die USA zunehmend auf militärische Lösungen setzt ist eine interessante Frage und die Antwort liegt vermutlich in der Schwäche der US-amerikanischen Wirtschaft.

Obwohl die USA scheinbar auf der Höhe ihrer Macht ist, konkurrenzlos als die einzige weltweite Supermacht, hat sie grundlegende wirtschaftliche Probleme. Während sie eine unzweifelhafte militärische Vorherrschaft in der Welt hat, hat sie gleichzeitig ein massives Handelsbilanzdefizit und dies hat die Art und Weise beeinflusst, mit der die USA mit dem Rest der Welt umgeht. Zwischen dem 2. Weltkrieg und 1974 hatten die USA günstige wirtschaftliche Beziehungen zur nicht-sozialistischen Welt – sie waren in der Lage Geld in andere Länder zu stecken, Kapital zu exportieren und eine weit verbreitete Akzeptanz ihrer dominanten Rolle in der Welt zu gewinnen. Aber 1974 erlitt die USA eine umfassende Wirtschaftskrise und seitdem hat sich diese Beziehung verändert. Die USA wurde zu einer Schuldnernation im relativen wirtschaftlichen Abschwung. Nun fließt Geld in die USA, um ihre Wirtschaft zu stützen, in erster Linie aus den Wirtschaftsnationen Ostasiens.

Also benutzen die USA nun ihre militärische Überlegenheit, um ihren relativen wirtschaftlichen Abschwung zu kompensieren: Sie können sich die globale Vorherrschaft nicht länger wirtschaftlich sichern, also versuchen sie es auf dem militärischen Weg, und versuchen dabei Ressourcen und strategische Vorteile zu gewinnen. Ausgehend von der Bedeutung der US-amerikanischen Militärpolitik für den Rest der Welt hat CND diese Entwicklung sorgfältig verfolgt. Was wir dabei entdeckt haben ist von großer Tragweite: Wenn man die Entwicklungen in US-amerikanischer Militärpolitik alarmierend nennt, wäre das eine gewaltige Untertreibung. Es gibt sehr explizite militärische Pläne für eine globale Vorherrschaft, die ich jetzt beleuchten möchte.

Im Mai 2000 hat das US-Verteidigungsministerium ein Dokument herausgeben mit dem Titel „Joint Vision 2020“, das ausformulierte wie die USA bis zum Jahr 2020 so genannte „full spectrum“ Vorherrschaft erreichen will. „Full spectrum“ Vorherrschaft bedeutet „die Fähigkeit der US-Truppen unilateral oder in Kombination mit multinationalen und interagency Partnern zu operieren um jegliche Gegenwehr zu besiegen und im gesamten Bereich militärischer Operationen jede Art von Situation zu kontrollieren“. Diese Vorherrschaft soll in allen Bereichen zum Tragen kommen: Land, See, Luft, Weltraum und Information. „Joint Vision 2020“ beschäftigt sich mit dieser umfassenden Vorherrschaft in einer Vielzahl von Konflikten von Atomkrieg bis zu großen konventionellen Kriegen, von regionalen Konflikten zu begrenzten Zwischenfällen. Es ist eine ziemlich umfassende Vision und einer der beunruhigendsten Aspekte ist die Betonung der Vorherrschaft im Weltraum, da sie die Einführung von Waffen, vielleicht sogar Atomwaffen, im Weltraum mit sich bringt. Bereits heute können viele der angeblich zivilen Kommunikation- und Satellitensysteme im Weltraum für militärische Zwecke benutzt werden – und wurden dafür benutzt. Tatsächlich wurden sie dafür im letzten Irakkrieg benutzt. Die Gefahr besteht in der Möglichkeit der Entwicklung hin zu tatsächlichen Waffen dort. Die USA haben bereits Fortschritte gemacht mit der Entwicklung eines so genannten Verteidigungssystems, des „US National Missile Defence“ Systems (NMD), dessen Technologien die Grundlage für diese Entwicklung legten. NMD wird oft Star Wars genannt, da es mehr oder weniger ein Nachfolgemodell von Reagan’s „Stategic Defence Initiative“ (SDI) der frühern 80er Jahre ist, das damals den Spitznamen Star Wars erhielt, wegen seiner Science Fiction Ähnlichkeiten. Ankommende Raketen würden von US-amerikanischen Frühwarnungssatelliten entdeckt werden, die Infrarotsensoren benutzen. US-Raketen würden dann durch den Weltraum geschickt werden, um sie abzufangen und zu zerstören.

Eins der speziellen Probleme die Großbritannien betreffen – zusätzlich zu den weltweiten Themen, die NMD präsentiert – ist das zwei Basen in Yorkshire für dieses System benutzt werden. RAF Flyingdales beherbergt ein bodengestütztes Frühwarnradar, das Raketen verfolgt und RAF Menwith Hill wird sich mit Information, die Raketenabschüsse betreffen, beschäftigen. Dies wird natürlich Großbritannien in die Schusslinie bringen zwischen den USA und jedem zukünftigen militärischen Gegen mit dieser Art von Fähigkeiten. CND hat in den vergangenen Jahren hart gearbeitet, um das öffentliche Bewusstsein über diese Entwicklung zu wecken und um Druck auf die Regierung auszuüben, ihre Zustimmung zurückzuziehen, dass britische Basen für dieses System benutzt werden. Ergebnisse einer Meinungsumfrage, die CND 2004 in Auftrag gab, zeigen, dass die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung gegen das Star Wars System und gegen Waffen im Weltraum ist. Aber die Regierung hat uns ignoriert und im Parlament wurde keine Debatte über die britische Teilnahme an diesem System erlaubt, obwohl sie schwerwiegende Gefahren für uns alle bedeutet.

Das zentrale Problem mit diesem System ist, dass obwohl die USA behaupten, dass es defensiv sei, die Tatsache besteht, dass es gleichermaßen den USA die Fähigkeit geben könnten, andere Länder anzugreifen, ohne Angst vor Vergeltung haben zu müssen. Das Ergebnis dieser verständlichen Furcht ist, dass andere Länder bereits ihre Raketensysteme modernisieren, um diesen Schild zu durchdringen – Russland führt gerade eine neue Art von Rakete für diesen Zweck ein. In anderen Worten, die USA haben bereits mit diesem System einen neuen Rüstungswettlauf provoziert. Es war genau auf Grund dieser Gefahr, dass unter dem ABM-Vertrag von 1972 Raketenverteidigungssystem fast Vollständig geächtet wurden. – Dies wird allgemein für den Eckpfeiler atomarer Zurückhaltung über drei Jahrzehnte lang gehalten. Die USA allerdings haben sich von dem ABM-Vertrag zurückgezogen, um dieses System entwickeln zu können.

Die Verbindung mit der Entwicklung von Krieg im Weltraum ist tatsächlich sehr beunruhigend. Das System beinhaltet, dass Abfangraketen durch den Weltraum geschossen werden und das führt zu der Entwicklung von neuen Weltraumlasern und der Ausweitung von Spionage- und Beobachtungssystemen und der wahrscheinlichen „Bewaffnung“ des Weltraums. Für uns mag Krieg im Weltraum wie etwas aus einem Science Fiction Roman Klingen, aber das ist mit Sicherheit nicht, wie das US-Militär es betrachtet. Nicht nur sind die Budgets für die US-militärischen Weltraumprojekte riesig – Milliarden Dollar sind bereits ausgegeben worden - sondern das US Space Command ist auch sehr eindeutig in seiner Herangehensweise. Wie der frühere Kommandant General Joseph E. Ashy festgestellt hat: „Manche Leute wollen das nicht hören ... aber – ohne Frage – wir werden im Weltraum kämpfen. Wir werden aus dem Weltraum heraus kämpfen und wir werden in den Weltraum hinein kämpfen.“

Diese Entwicklung rund um Star Wars und Waffen im Weltraum sind klare Beispiele für die Verachtung der US-Regierung gegenüber internationalen Verträgen und einem multilateralen Konfliktlösungsansatz. Wir haben das bereits erfahren, mit der geringschätzigen Haltung der USA gegenüber dem Kiotoprotokoll, dem Atomteststopp-Vertrag und dem Internationalen Strafgerichtshof. Sie wurde ebenfalls durch den Rückzug der USA aus dem ABM-Vertrag demonstriert und ihre Verachtung für den Geist des Weltraumvertrags von 1967. Dieser Vertrag besagt, dass „der Weltraum der gesamten Menschheit gehört, allen Menschen zu Gute kommen sollte und auf friedliche Art und Weise erforscht werden sollte, um internationale Zusammenarbeit und Verständnis zu fördern“. Stattdessen wissen wir, dass die USA planen, Militärbasen auf dem Mond zu bauen!

Die ganze Bandbreite von Operation die in „Joint Vision 2020“ skizziert werden schließt Konflikte mit Atomwaffen ein. Was also ist die genaue Position der USA zu Atomwaffen und ihrem Einsatz im Krieg?
Es ist ziemlich offensichtlich, dass Atomwaffen ein Teil des Feldzugs der Bush-Regierung hin zu globaler militärischer Vorherrschaft sind. Im Dezember 2001 hat das US-Verteidigungsministerium im Auftrag des Kongresses einen Bericht herausgegeben, in dem es die Marschrichtung der US-amerikanischen Nuklearkräfte in den nächsten fünf bis zehn Jahren skizzierte. Dieses Dokument, das „Nuclear Posture Review“ (NPR), umriss eine neue Strategie für die US-Nuklearkräfte, die ausgesprochen gefährlich und destabilisierend ist. Insbesondere bedeutet das NPR einen deutlichen Bruch mit der Vorstellung, dass Atomwaffen hauptsächlich dafür da sind, andere Länder davon abzuhalten, sie gegen dich zu benutzen, da du zurück schießen und das andere Land ebenfalls zerstören kannst. Diese Vorstellung war während des kalten Krieges als MAD (Mutual Assured Destruction) bekannt. Stattdessen spricht das NPR gerade heraus über den Gebrauch nuklearer Waffen als Erstschlagswaffen - „ Offensivschlagsystem“, wobei neue nukleare Waffen entwickelt werden und die Zeit verkürzt wird, bis die USA Atomtest wieder aufnehmen. Das NPR ist außerdem dafür berüchtigt mit dem Finger auf jene Länder zu zeigen von denen die USA denken, dass sie mit ihnen in einem „Zwischenfall“ eintreten könnten, der größere Konsequenzen für die US-Nuklearkräfte haben könnte (in anderen Worten: in einem Nuklearangriff durch die USA resultieren könnten). Diese Länder, die bekannt geworden sind als die atomare „Hitliste“, sind Nord Korea, Irak, Iran, Syrien, Libyen, China und möglicher Weise in der Zukunft Russland. Betrachtet man dies zusammen mit der zunehmend aggressiven unilateralistischen Herangehensweise der USA – von der wir im Irakkrieg gesehen haben, dass sie illegalen präventiven Krieg einschließt – so ist diese Einbeziehung der Möglichkeit eines nuklearen Erstschlages erschütternd.

Es ist ebenfalls Wert zu beachten, dass zusätzlich zu der US-amerikanischen Nuklearpolitik, die im NPR dargelegt wurde, die Bush Regierung ihre neue Herangehensweise in einem Dokument mit dem Titel „ National Strategy to Combat Weapons of Mass Destruction“ skizziert hat. Dieses betont, dass die USA das Recht haben, Atomwaffen präventiv einzusetzen – in Friedenszeiten und in ihrem eigenen Ermessen – um Staaten davon abzuhalten atomare, chemische oder biologische Waffen zu erwerben. Was kommt als nächstes? Präventiver Atomkrieg?
Diese Entwicklungen – die übrigens von der britischen Regierung unterstützt werden – decken die nukleare Scheinheiligkeit der US- und der britischen Regierung vollständig auf. Als sie vor kurzem gegen den Irak in den Krieg zogen, waren die Gründe die sie angaben, der vermutete Besitz des Iraks von Massenvernichtungswaffen und die angebliche Nichtbefolgung von Abrüstungsbeschlüssen. Tatsächlich entsprach nichts davon der Wahrheit und sie waren nur erdichtete Entschuldigungen um einen Vorwand zu haben, um in den Krieg zu ziehen. Aber Tatsache ist, dass sowohl die USA als auch Großbritannien Massenvernichtungswaffen besitzen und ihre Verpflichtungen aus dem Massenvernichtungswaffen-Nichtverbreitungsabkommen (NPT) nicht erfüllen. Das ist ein schwerwiegender Fall von Doppelmoral. Es ist es Wert, sich ein wenig mit dem NPT zu beschäftigen. Er wurde von den USA politisch benutzt in ihren Versuchen, diejenigen Länder zu kontrollieren, die sie im Verdacht hatten - ernsthaft oder auch nicht - atomare Waffen zu entwickeln oder zu verbreiten. Die letzten Vorkommnisse um das Atomkraftprogramm des Iran fallen einem dabei ein.

Der NPT trat 1970 in Kraft. Er ist in erster Linie ein Abkommen zwischen Atom- und Nichtatomstaaten. Die Staaten mit Atomwaffen erklärten sich dazu bereit sie abzuschaffen, im Gegenzug dazu erklärten sich die Staaten ohne Atomwaffen dazu bereit sich keine zuzulegen. Zusätzlich dazu haben die unterzeichnenden Staaten das Recht auf die Entwicklung von Atomkraft zu friedlichen Zwecken. Im Jahre 2000 wurde der Vertrag gestärkt durch die Hinzufügung eines Dokumentes mit dem Namen „Die 13 Schritte“, in dem die Atomstaaten ihre unwiderrufliche Verpflichtung erklärten, die vollständige Abschaffung ihrer Atomarsenale zu erreichen. Dieser Vertrag besteht also aus drei Säulen: Abrüstung, Nichtverbreitung und der friedliche Gebrauch von Atomkraft. In gewisser Hinsicht könnte man sagen, dass der Vertrag erfolgreich war: erstaunlich wenig Verbreitung hat stattgefunden – acht möglicherweise neun Länder haben Atomwaffen, obwohl ca. 40 Länder Atomkraft benutzen. Aber in anderer Hinsicht war er ein enormer Fehlschlag. Die fünf Atommächte, die den Vertrag unterschrieben haben, die USA, Russland, Großbritannien, Frankreich und China haben keinerlei Fortschritt hin zu Abrüstung getan, wie im Artikel 6 des Vertrages verlangt wird. (Die anderen Länder, von denen bekannt ist, dass sie Atomwaffen haben, Indien, Pakistan und Israel haben den Vertrag nie unterzeichnet. Nord Korea hat sich von dem Vertrag zurückgezogen, möglicherweise um Atomwaffen zu entwickeln, die es glaubt aus Abschreckungsgründen zu brauchen.) Dieses Versagen der Atomstaaten den Artikel 6 zu befolgen, kann natürlich als eine Provokation gesehen werden, die selbst zur Verbreitung führt. Warum sollte eine Seite den Vertrag befolgen und die andere nicht?

Zusätzlich zu der US-amerikanischen und britischen Heuchelei hinsichtlich ihres Nicht-Befolgen des Vertrages und ihrer Nicht-Abrüstung gibt es noch einen weiteren bedeutenden Aspekt. Wenn die US-amerikanische und britische Regierung neue Atomwaffen entwickeln, was CND für hochwahrscheinlich hält, dann betreiben sie selbst die Weiterverbreitung von Atomwaffen. Es ist also eindeutig ein Fall von „tu was wir sagen und tu nicht was wir tun“.
Aus dem NPR geht eindeutig hervor, dass die USA planen, neue Atomwaffen zu entwickeln. Aber auch die britische Politik scheint sich in diese Richtung zu bewegen. Seit 1950 steht in Aldermaston in Berkshire die britische Atombombenfabrik – und dies ist der Grund warum im Laufe der Jahre viele CND Demonstrationen sich auf Aldermaston konzentriert haben. In letzter Zeit hat es umfangreiche Modernisierungsinvestitionen in Aldermaston gegeben. Dies legt nahe, dass neue Forschung und Entwicklung dort geplant ist oder sogar bereits stattfindet. Das „Atomic Weapons Establishment“ (AWE) in Aldermaston ist verantwortlich für den größten Teil britischer Atomforschung, für die Entwicklung von Waffendesigns und die Produktion der meisten Atomwaffenkomponenten. Es ist die Heimat von der Trident-Sprengkopfproduktion (Großbritanniens Atomwaffen), Wartung, Forschung und Entwicklung. CND ist der Überzeugung, dass AWE sich gegenwärtig darauf vorbereitet neue Atomwaffen zu bauen. Eine neue Reihe von geplanten Einrichtungen kosten zwei Milliarden Pfund. Ihr Bau soll 2005 beginnen. Ein großer Zuwachs in der Belegschaft ist ebenfalls geplant, möglicherweise bis zu 309 Wissenschaftlern. Diese Neuanstellungen zusammen mit den neuen Laboratorien, Supercomputern und Lasern, die das Testen von Atomwaffen simulieren können, ergeben zusammen das Bild, dass AWE Aldermaston möglicherweise in der Lage sein wird neue Atomwaffen zu bauen.

Dass die USA und Großbritannien den NPT nicht befolgen, ist offensichtlich und so versuchen sie die Eckpunkte zu verschieben, um ihre Handlungen zu rechtfertigen. Bei der NPT Vorbereitungskonferenz 2004 haben die US-amerikanischen Vertreter Abrüstung noch nicht einmal erwähnt. Neuere Berichte weisen darauf hin, dass bei der NPT Auswertungskonferenz 2005 die USA versuchen werden, die „13 Schritte“ zu entwerten, indem sie es als ein historisches Dokument beschreiben und die „unwiderrufliche Verpflichtung“ Atomare Abrüstung zu erreichen zurückweisen. Die Argumentation geht dahin, dass ein neues Dokument gebraucht wird, das die drastischen Veränderungen bei den internationalen Sicherheitsbedingungen einschließlich der Angriffe von 11. September 2001 widerspiegelt. Aber viele argumentieren, dass es genau diese neuen Gefahren sind, die die Abschaffung von Atomwaffen so nötig machen – um zu verhindern, dass labile Kräfte sie erwerben. Denn wenn die Atommächte sich von der Abrüstung zurückziehen zu einem Zeitpunkt, wenn zumindest die USA und Großbritannien neue Waffen erforschen und bereit wären, sie sogar gegen Nicht-Atomstaaten einzusetzen, würde das ein gefährliches Signal an den Rest der Welt schicken. Es sendet ein Signal, das sicherlich zur Weiterverbreitung von Atomwaffen führt, da Länder das Gefühl haben werden, dass sie sich verteidigen können müssen. Der britische Minister Geoff Hoon hat 2003 sogar behauptet, dass unter dem NPT Großbritannien ein Recht auf Nuklearwaffen hätte. Das ist eine grundsätzlich falsche Neuinterpretation des NPT. Alles worauf wir ein Recht haben, ist auf ihre Abschaffung hin zu arbeiten.

Ein Ergebnis dieses Verschiebens der Eckpunkte ist eine Übung in Neuetikettierung: der Begriff Nicht-Weiterverbreitung wird zurückgewiesen – da er die Vorstellung von Abrüstung unter dem NPT einschließt – und ein neuer Begriff wird übernommen: Gegen-Weiterverbreitung. Neue Staaten davon abzuhalten sich Atomwaffen zuzulegen wird zum einzigen Fokus und Abrüstung wird vollständig ignoriert. Dies wird in Großbritannien sehr deutlich, wo die Nicht-Weiterverbreitungsabteilung des Außenministeriums umbenannt worden ist in die Gegen-Weiterverbreitungsabteilung.

Wir sehen uns also einer großen Herausforderung gegenüber. Es ist sehr wahrscheinlich, dass im Mai die Schlappen, die wir in den letzten Jahren durch die US-Politik hinnehmen mussten bestätigt werden. Wir sehen uns riesigen Gefahren gegenüber durch die Entwicklung neuer Atomwaffen und durch die Verfolgung von Strategien, in denen Atomwaffen tatsächlich benutzt werden. Es ist daher unsere größte Verantwortung diese Entwicklung umzukehren, die auf eine Tragödie hinführt. In erster Linie müssen wir darauf hinarbeiten, die öffentliche Meinung zu ändern, eine Massenmobilisierung gegen Atomwaffen und ihren Gebrauch zu erreichen. Es ist entscheidend, dass atomare Abrüstung nicht in die Nische von einigen Spezialisten geschoben wird, in der Leute technische Diskussionen führen. Sie muss mit der Frage von Krieg verbunden werden, und mit der Kriegspolitik der USA, und mit den sich ändernden Strategien der US-amerikanischen und britischen Regierungen, die sich auf präventive Kriege, in denen Atomwaffen benutzt werden können, orientieren.

Indem wir diese Themen verbinden, könnte es möglich sein, stärkeren öffentlichen Druck auf unsere Regierungen auszuüben. Ich kann mir kaum vorstellen, dass wir irgendeinen Fortschritt hinsichtlich atomarer Abrüstung erreichen, ohne dass es eine massenhafte öffentliche Forderung danach gibt. Das macht öffentliche Kampagnen und Massenmobilisierung notwendig. Wir müssen über ganz Europa und über die ganze Welt hinweg zusammen arbeiten, um das zu erreichen.




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