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Atomkrieg als Option

Von Rainer Rupp *

Um die Welt vor der Weiterverbreitung von Atomwaffen zu schützen, soll die NATO zukünftig ihre eigenen einsetzen. Dieser Wahnsinnsvorschlag ist in einem 150 Seiten umfassenden »Manifest« zur Reform des westlichen Militärbündnisses enthalten. Nach einem Bericht der britischen Tageszeitung The Guardian [hier geht es zu einer deutschen Übersetzung] wurde es in den vergangenen Tagen den Führungsspitzen des Pentagon in Washington und der NATO in Brüssel vorgestellt, im April soll es auf dem NATO-Gipfel in Bukarest diskutiert werden. Verfaßt haben das Papier fünf ehemalige Topgeneräle der NATO und Generalsstabschefs ihrer Länder: John Shalikashvili (USA), Henk van den Breemen (Niederlande), Jacques Lanxade (Frankreich), Lord Peter Inge (Großbritannien) und Klaus Naumann aus Deutschland.

Mit ihrem Vorschlag für einen nuklearen Erstschlag auch gegen Nichtatomwaffenstaaten wie Iran greifen die Autoren des »radikalen Manifests« (The Guardian, 22.1.08) die Vorgaben aus den USA auf -- wohl wissend, daß die gegen jedes Völkerrecht verstoßen. In Washington wird seit längerem bereits öffentlich über Pläne für begrenzte Nuklearschläge gegen Teherans zivile Atomanlagen diskutiert. Dabei spielt keine Rolle, daß sowohl die Internationale Atomenergiebehörde der UNO als auch der US-Geheimdienst CIA bestätigt haben, daß Iran kein militärisches Atomprogramm unterhält.

Während des sogenannten Kalten Krieges war der Ersteinsatz von Atomwaffen im Fall einer Auseinandersetzung mit dem Warschauer Vertrag der wichtigste Faktor der NATO-Doktrin. Ostern 1999 -- Bomben des Aggressionsbündnisses zerstörten gerade die zivile Infrastruktur von Belgrad -- wurde auf dem Gipfel in Washington das »Neue Strategische Konzept« der NATO abgesegnet. Darin wurde der Ersteinsatz von Nuklearwaffen im Konfliktfall auch gegen Nichtatomwaffenstaaten ausgedehnt. Wenn sich Jugoslawien seinerzeit also gegen den NATO-Überfall gewehrt und in seiner Verzweiflung chemische Waffen gegen den Einmarsch eingesetzt hätte, dann hätte die NATO laut »Neuem Strategischen Konzept« mit Atomwaffen zurückschlagen können. Dem nun vorgelegten »Manifest« zufolge soll der Atomwaffeneinsatz noch einfacher werden. Die NATO soll in Zukunft einen Konflikt bereits mit dem Ersteinsatz von Atomwaffen beginnen können, wenn es gegen verdächtige Weiterverbreiter solcher Waffen geht.

Hauptsächlich geht es in dem Manifest um die Stärkung des westlichen Imperialismus. Den Verfassern zufolge stehen Glaubwürdigkeit und Zukunft der NATO in Afghanistan »auf der Kippe«. Zugleich sehen sie das Militärbündnis mit anderen Bedrohungen konfrontiert, etwa »politischem Fanatismus und religiösem Fundamentalismus«. Überhaupt -- so die Autoren -- seien unsere »westlichen Werte« und »unsere Lebensart« bedroht. Deshalb müsse die NATO schlagkräftiger werden, und deshalb müßten EU und NATO aufhören, miteinander um Einfluß zu streiten. Notwendig sei ein neues »Direktorium« mit Vertretern aus den USA, aus der EU und von der NATO, das schnell auf Krisen reagiert. Auf nationale Vorbehalte einzelner Mitglieder, wie derzeit im Afghanistan-Krieg, dürfte in Zukunft keine Rücksicht mehr genommen werden. Zugleich, so die fünf Verfasser, müsse die NATO bereit sein, Krieg ohne UN-Mandat zu führen.

Mit ihrem Manifest fordern die Generäle zum schlimmsten Kriegsverbrechen überhaupt auf, nämlich zu einem Angriffskrieg mit Atomwaffen. Beschämend, daß auch der deutsche General a.D. Klaus Naumann als ehemaliger Vorsitzender des NATO-Militärausschusses bei den Kriegsverbrechern in vorderster Front steht. Laut Guardian macht Naumann die Bundesregierung »für die Auflösungserscheinungen in der NATO verantwortlich«, weil die Bundeswehr nicht an allen Kampfhandlungen in Afghanistan teilnehmen darf.

* Aus: junge Welt, 24. Januar 2008

Rückfall ins "Kalte Kriegs"-Denken

IPPNW kritisiert nukleare Erstschlagoption der NATO

23.01.2008 - Fast unbeachtet von den deutschen Medien hat gestern eine Gruppe von Militärexperten sich für den "präemptiven nuklearen Erstschlag" als Schutz gegen internationalen Terrorismus, politischen Fanatismus und die Verbreitung von Massenvernichtungswaffen ausgesprochen. Die Ärzteorganisation IPPNW verurteilt dies als überkommenes Denken aus den Zeiten des Kalten Krieges. Die für ihren blockübergreifenden Aufklärung über die Atomkriegsgefahren mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnete Friedensorganisation appelliert an die NATO-Staaten, sich entschieden für die Abrüstung einzusetzen und die "nukleare Teilhabe" Deutschlands zu beenden. Auch die russische Regierung wird aufgefordert, ihre Drohungen über einen nuklearen Erstschlag zu unterlassen und stattdessen mit den USA an den Verhandlungstisch zurück zu kehren.

Die IPPNW widerspricht heftigst der Einschätzung der fünf ehemaligen Oberbefehlshaber - darunter General Klaus Naumann, ehem. Vorsitzender des NATO-Militärausschusses -, dass es "einfach keine realistische Aussicht auf eine atomwaffenfreie Welt gebe". Die internationale Kampagne "ICAN" (www.icanw.org) die die Abschaffung aller Atomwaffen mittels einer Nuklearwaffenkonvention fordert, ist Ausdruck des mehrheitlichen Willens der Weltbevölkerung für ein Ende aller atomaren Bedrohungen. Diese Vision einer atomwaffenfreien Welt teilten jüngst auch solche hochrangigen Experten wie Kissinger, Perry und Nunn.

Auch die jüngsten Äußerungen des Generalstabschefs Russlands, Juri Balujewski (19. Januar 2008), über die russische Erstschlagoption präsentieren keine neue Strategie und spiegeln zudem die Atomwaffen-doktrin der USA. Für die IPPNW sind solche Aussagen ein "Säbelrasseln" im Streit um den Aufbau einer US-Raketenabwehr in Polen und Tschechien. Russland solle sich lieber gemeinsam mit den USA überlegen, wie die Rüstungskontrolle im Bereich Atomwaffen ausgebaut werden könnte, anstatt Verträge immer wieder zu kündigen, so die IPPNW.

"Inzwischen ist es gewissermaßen internationaler Konsens, dass der Verbreitung von Atomwaffen mit dem Stillstand ihrer Abrüstung zusammenhängt, daher wäre der beste Schutz vor einer weiteren Verbreitung von Atomwaffen deutliche internationale Abrüstungssignale seitens der Atommächte," so Xanthe Hall, IPPNW-Abrüstungsexpertin. "Wir müssen mehr Vertrauen aufbauen, anstatt wieder ins 'Kalte Kriegs'-Denken zu verfallen. Das schürt Angst und provoziert nur die weitere Aufrüstung."

In Deutschland, Belgien und Italien gibt es Kampagnen für den Abzug der in diesen Ländern stationierten US-Atomwaffen, und für die Beendigung der "nuklearen Teilhabe" in der NATO. (Mehr Information: www.atomwaffenfrei.de) Die Teilhabe bedeutet, dass alle NATO-Länder in die atomare Einsatzplanung eingebunden sind und mindestens sechs Länder Piloten, Flugzeuge und Stützpunkte für US-Atomwaffen zur Verfügung stellen. In Deutschland sind schätzungsweise 20 Atombomben auf dem Fliegerhorst Büchel gelagert. Im Ernstfall würden deutsche Piloten in Tornado-Flugzeugen von der NATO definierte Ziele mit diesen US-Atombomben angreifen, die eine Sprengkraft von bis zum 10-fachen der Hiroshima-Bombe haben. Es wird geschätzt, dass 350 US-Atomwaffen in Europa im Rahmen der nuklearen Teilhabe gelagert sind.

Sven Hessmann, Pressereferent, www.ippnw.de



Pre-emptive nuclear strike a key option, Nato told

Ian Traynor in Brussels *

[ E x c e r p t s ]

The west must be ready to resort to a pre-emptive nuclear attack to try to halt the "imminent" spread of nuclear and other weapons of mass destruction, according to a radical manifesto for a new Nato by five of the west's most senior military officers and strategists.

Calling for root-and-branch reform of Nato and a new pact drawing the US, Nato and the European Union together in a "grand strategy" to tackle the challenges of an increasingly brutal world, the former armed forces chiefs from the US, Britain, Germany, France and the Netherlands insist that a "first strike" nuclear option remains an "indispensable instrument" since there is "simply no realistic prospect of a nuclear-free world".

The manifesto has been written following discussions with active commanders and policymakers, many of whom are unable or unwilling to publicly air their views. It has been presented to the Pentagon in Washington and to Nato's secretary general, Jaap de Hoop Scheffer, over the past 10 days. The proposals are likely to be discussed at a Nato summit in Bucharest in April.

"The risk of further [nuclear] proliferation is imminent and, with it, the danger that nuclear war fighting, albeit limited in scope, might become possible," the authors argued in the 150-page blueprint for urgent reform of western military strategy and structures. "The first use of nuclear weapons must remain in the quiver of escalation as the ultimate instrument to prevent the use of weapons of mass destruction."
(...)
The authors - General John Shalikashvili, the former chairman of the US joint chiefs of staff and Nato's ex-supreme commander in Europe, General Klaus Naumann, Germany's former top soldier and ex-chairman of Nato's military committee, General Henk van den Breemen, a former Dutch chief of staff, Admiral Jacques Lanxade, a former French chief of staff, and Lord Inge, field marshal and ex-chief of the general staff and the defence staff in the UK (...)

(...) Among the most radical changes demanded are:
  • A shift from consensus decision-taking in Nato bodies to majority voting, meaning faster action through an end to national vetoes.
  • The abolition of national caveats in Nato operations of the kind that plague the Afghan campaign.
  • No role in decision-taking on Nato operations for alliance members who are not taking part in the operations.
  • The use of force without UN security council authorisation when "immediate action is needed to protect large numbers of human beings".
(...)
Ron Asmus, head of the German Marshall Fund thinktank in Brussels and a former senior US state department official, described the manifesto as "a wake-up call". "This report means that the core of the Nato establishment is saying we're in trouble, that the west is adrift and not facing up to the challenges."
(...)
Reserving the right to initiate nuclear attack was a central element of the west's cold war strategy in defeating the Soviet Union. Critics argue that what was a productive instrument to face down a nuclear superpower is no longer appropriate.

Robert Cooper, an influential shaper of European foreign and security policy in Brussels, said he was "puzzled".

"Maybe we are going to use nuclear weapons before anyone else, but I'd be wary of saying it out loud."
(...)
Naumann suggested the threat of nuclear attack was a counsel of desperation. "Proliferation is spreading and we have not too many options to stop it. We don't know how to deal with this."

Nato needed to show "there is a big stick that we might have to use if there is no other option", he said.
(...)

Auszüge aus: Pre-emptive nuclear strike a key option, Nato told. January 22, 2008 The Guardian

Nun auch Russland für "Präventionsschlag mit Atomwaffen"

Wir haben nicht die Absicht, jemanden zu überfallen, halten es jedoch für notwendig, dass all unsere Partner deutlich begreifen und nicht daran zweifeln, dass zum Schutz der Souveränität und der territorialen Integrität der Russischen Föderation und ihrer Verbündeten die Streitkräfte, darunter auch präventiv und unter Anwendung von Kernwaffen, in den Fällen eingesetzt werden, die in doktrinellen Dokumenten der Russischen Föderation vorgesehen sind. (...)
Die militärische Stärke kann und muss für die Demonstration der Entschlossenheit der Führungsspitze des Landes, dessen Interessen zu verteidigen, und als äußerste Maßnahme massiv dann eingesetzt werden, wenn sich alle anderen Mittel als ineffektiv erweisen.

Juri Balujewski, Generalstabschef der russischen Streitkräfte. Zit. nach: Russische Nachrichtenagentur, 19. Januar 2008




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