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Sicherung des Friedens

Vor 100 Jahren wurde der "Atomspion" Klaus Fuchs geboren

Von Friedrich-Martin Balzer *

Am 29. Dezember 1911 kam einer der bedeutendsten Kernphysiker des 20. Jahrhunderts, Klaus Fuchs, zur Welt. Fuchs wuchs in der Arbeiterstadt Rüsselsheim auf, wo sein Vater Emil als Pfarrer tätig war. 1918 verlegte die Familie ihren Wohnsitz nach Eisenach in Thüringen. Dort trat sein Vater 1921 in die SPD ein und begründete den Bund der Religiösen Sozialisten in Thüringen. Nach dem Abitur studierte Klaus Fuchs Mathematik und Physik an den Universitäten Leipzig, Kiel und Berlin. Als Vorsitzender der sozialistischen Studentengruppe in Leipzig widersetzte er sich dem Kurs des SPD-Vorstandes und trat entschieden für ein Bündnis von Sozialdemokratie und KPD zur Verhinderung des Faschismus ein. Als die SPD sich nach dem Staatsstreich von Reichskanzler Franz von Papen in Preußen weigerte, dem Aufruf der KPD zum Generalstreik zu folgen, schloß er sich nach dem 20. Juli 1932 der Kommunistischen Partei an. In letzter Minute gelang ihm 1933 die Flucht vor der faschistischen Lynchjustiz über Frankreich nach Großbritannien.

Aus eigener Verantwortung

Er promovierte zunächst in Bristol im Fach Physik. Danach holte ihn der aus Deutschland vertriebene Max Born nach Edinburgh, bevor er 1938 bei dem ebenfalls von den Nazis verjagten Professor Peierls in Birmingham als vielversprechender Wissenschaftler eine Anstellung erhielt. Zu Beginn des Zweiten Weltkrieges wurde Fuchs – wegen seiner deutschen Herkunft – zunächst als Kriegsgefangener nach Kanada deportiert und dort interniert. Aufgrund der Fürsprache von Born und Albert Einstein konnte er jedoch bald nach Großbritannien zurückkehren, wo seine wissenschaftlich herausragende Qualifikation so sehr geschätzt wurde, daß die Furcht vor seiner kommunistischen Gesinnung zunächst in den Hintergrund trat.

Obwohl er ab 1938 vom britischen Geheimdienst beschattet wurde, nahm er in Kenntnis der Kriegspläne Nazideutschlands aus eigenem Antrieb Kontakt zur sowjetischen Botschaft in London auf. Dank der Vermittlung des im englischen Exil lebenden Jürgen Kuczynski konnte die Verbindung zum sowjetischen Geheimdienst hergestellt werden. Klaus Fuchs war weder angeworben noch eingeschleust noch handelte er im fremden Auftrag.

Ab 1942 leitete er aus eigener wissenschaftlicher und politischer Verantwortung wichtige Informationen (»the most significant secret of the time«) an den sowjetischen Geheimdienst weiter, weil er davon überzeugt war, daß beide Mächte im Kampf gegen den Faschismus und im Wettlauf mit der befürchteten deutschen Atombombe keine Geheimnisse voreinander haben sollten. 1943 gehörte Fuchs einem ausgesuchten Team britischer Atomphysiker zur Beteiligung am Atomforschungsprojekt der USA in Los Alamos (Manhattan-Projekt) an. Im April 1946 kehrte er nach Großbritannien zurück und arbeitete als stellvertretender wissenschaftlicher Leiter am Atomic Energy Research Establishment in Harwell.

Als sein Vater 1949 einem Ruf als Professor an die Leipziger Universität in der DDR folgte, wurde erwogen, Fuchs wegen dieses Sicherheitsrisikos von seinem Amt zu entbinden. Gleichzeitig verdichteten sich die Anhaltspunkte, daß sich unter den Atomforschern ein »Wissenschaftsspion« befand. Nach drei Befragungen legte Fuchs im Verhör mit einem Beamten des britischen Geheimdienstes MI5 am 27. Januar 1950 ein (Teil-)Geständnis ab, ohne daß Beweise für seine Tätigkeit als »Whistleblower«, als Hinweisgeber aus Gewissensgründen, vorlagen. Am 1. März 1950 wurde er nach Aberkennung seiner britischen Staatsbürgerschaft zu 14 Jahren Gefängnis verurteilt.

Nachdem er vorzeitig wegen guter Führung aus der Haft entlassen wurde, flog Fuchs am 23. Juni 1959 von London nach Berlin-Schönefeld in die DDR, wo er bis 1974 als stellvertretender Direktor am »Zentralinstitut für Kernforschung der DDR« (ZfK) in Rossendorf bei Dresden tätig war. Gutdotierte Beschäftigungsangebote aus der BRD hatte er ausgeschlagen.

Im landläufigen Sinne war Klaus Fuchs gewiß einer der bedeutendsten »Wissenschaftspione« des Kalten Krieges. In Wirklichkeit war er jedoch ein hochgradig begabter Wissenschaftler, der jenseits des unpolitischen und »wertfreien« Wissenschaftsverständnisses seine universale Verantwortung als wacher Zeitgenosse wahrnahm.

Seine große wissenschaftliche Qualifikation und sein Anteil am Bau der ersten sowjetischen Atombombe wurden nie wirklich in Zweifel gezogen, auch wenn sich die Sowjetunion oder später Rußland nie offiziell dazu bekannten. Bei seiner Beerdigung – seine Urne wurde in der Grabanlage »Pergolenweg«, in der Gedenkstätte der Sozialisten auf dem Zentralfriedhof Friedrichsfelde in Berlin-Lichtenberg beigesetzt – hatte die DDR 1988, noch mit Rücksicht auf die Sowjetunion, auf die Würdigung seiner Rolle im Wettstreit der Systeme verzichtet.

Späte Würdigung

Inzwischen haben sich die Mitglieder der Russischen Akademie der Wissenschaften, R. I. I. Ikajew und D. W. Schirkow, u.a. gestützt auf schriftliche Äußerungen des damaligen Leiters des sowjetischen Forschungsprojekts, Igor Kurtschatow, zur entscheidenden Rolle von Klaus Fuchs beim Bau der sowjetischen Atombombe bekannt.

Ein weiterer großer Beitrag von Klaus Fuchs zum US-amerikanischen, sowjetischen und britischen Nuklearwaffenprojekt ist erst in jüngster Zeit aus russischen und US-amerikanischen Quellen bekannt geworden. Es handelt sich um das bis heute noch geheime Patent von Klaus Fuchs und John von Neumann, über dessen Bedeutung für die weitere Entwicklung der Wasserstoffbombe erstmals von German Gontscharow, einem leitenden Mitarbeiter von Andrej Sacharow, auf der Leibniz-Konferenz zum 90. Geburtstag von Klaus Fuchs berichtet wurde. Das am 28. Mai 1946 angemeldete Patent war eine wesentliche Voraussetzung für die Funktionsfähigkeit des Zündungsmechanismus der ersten Wasserstoffbombe. Wissenschaftshistoriker nennen Klaus Fuchs daher inzwischen den »Großvater« der Wasserstoffbombe, während Edward Teller als »Vater« der US-amerikanischen und Andrej Sacharow als »Vater« der sowjetischen Atombombe gelten.

Die Motive von Klaus Fuchs waren weder finanziell noch aus Abenteuerlust gespeist. Er war und blieb davon überzeugt, daß die moralische Verantwortung als Wissenschaftler ihm diese »kontrollierte Schizophrenie« auferlegte. »Ich hatte nie das Gefühl, mir etwas zuschulden kommen zu lassen, als ich Moskau mein Geheimwissen zur Verfügung stellte. Es wäre mir wie ein sträfliches Versäumnis erschienen, das nicht zu tun.«

In der DDR beschäftigte er sich neben seiner Tätigkeit als stellvertretender Direktor des ZfK in Rossendorf, ab 1967 als Mitglied des ZK der SED, ab 1972 auch als Mitglied des Präsidiums der Akademie der Wissenschaften der DDR und ab 1984 als Leiter der »Wissenschaftlichen Räte für energetische Grundlagenforschung und für die Grundlagen der Mikroelektronik« mit philosophischen Fragen.

Fast wie aus einer Laudatio für einen möglichen Friedensnobelpreisträger Klaus Fuchs liest sich der Brief des Dompredigers von Schwerin, Karl Kleinschmidt, an Emil Fuchs vom 3. März 1950: »Die Rücksichtslosigkeit, mit der Klaus Fuchs seine ganze Person, seine Freiheit und seine Zukunft für die Sicherung des Friedens eingesetzt hat, zeigt eine menschliche Größe und Opferbereitschaft, wie sie leider Gottes in der Welt sehr, sehr selten geworden ist. (…) Sein Name wird unter den Namen derer leuchten, von denen man einmal sagen wird, daß sie die Welt vor einem dritten Weltkrieg bewahrt haben.«

Quellentext: »Hiroshima und Nagasaki mahnen«

Hört auf die Wissenschaftler, hört auf Niels Bohr, auf Albert Einstein, auf Igor Kurtschatow und auf Joliot Curie, die die Gefahren, mit denen Kernwaffen die Menschheit bedrohen, klar und deutlich erklärt haben. Hört auf die Ärzte der Welt, die einmütig und eindringlich feststellen: Gegenüber der Verwüstung und Zerstörung, mit der moderne Kernwaffen die Menschen heimsuchen, sind wir machtlos. Beugt vor, ehe es zu spät ist! (...) Die Gefahr eines mit Kernwaffen geführten Krieges ist größer denn je seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges. Doch auch die Kräfte, die sich für den Frieden einsetzen, sind gewachsen. Die Friedensbewegung ist breiter geworden. Hiroshima und Nagasaki mahnen: Wir waren die ersten, die der von Menschenhand geschaffene Pikadon [»Donnerwetter« Volksmund für Atombomben – d. R.) zermarterte und verbrannte. Sorgt dafür, daß wir die letzten sind, an denen dieses Verbrechen begangen wurde.«

Aus: Klaus Fuchs: »40 Jahre Hiroshima«, in: Standpunkt. Evangelische Monatsschrift, 13. Jg., Heft 7, Juli 1985



* Aus: junge Welt, 31. Dezember 2011


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