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10 Jahre Nuklearer Teststoppvertrag

Trotzdem drohen neue Atomwaffenversuche

Von Wolfgang Kötter *

Zehn Jahre ist es her, dass die ersten Staatsoberhäupter am 24. September 1996 in New York den Umfassenden Nuklearen Teststoppvertrag (CTBT - Comprehensive Nuclear-Test-Ban Treaty) unterzeichneten. Obwohl ihm inzwischen 135 Mitglieder angehören, ist das Abkommen nicht rechtswirksam. Es fehlen immer noch 10 der 44 Staaten, die technisch in der Lage sind, Atomwaffen zu bauen und ohne die der Vertrag nicht in Kraft treten kann. Von China, den USA, Ägypten, Israel, Indonesien, Iran und Kolumbien steht die Ratifikation aus. Indien, Pakistan und die KVDR haben noch nicht einmal unterzeichnet. Dies ist um so bedauerlicher, als das Inkrafttreten des Vertrages ein wichtiger Impuls wäre, um endlich aus der seit Jahren andauernden Abrüstungskrise herauszukommen. "Der Teststoppvertrag ist der Schlüssel zu einem Sicherheitssystem, das wir zu bauen versuchen. Ein System, das nicht auf Kernwaffen beruht," würdigt der Chef der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA), Mohamed El-Baradai, das Abkommen anlässlich des Jubiläums.

Die insgesamt mehr als 2000 gezündeten Nukleartests gehören zu den verhängnisvollsten Facetten des nuklearen Wettrüstens. Einen Sprengsatz erfolgreich zur Explosion zu bringen, gilt nach wie vor als Messlatte dafür, ob ein Staat die Hürde zur Atomwaffenmacht überwindet. Die Langzeitwirkungen der Nukleartests rufen bis heute massenhaft Leukämie, Schilddrüsen- und andere Krebserkrankungen hervor, sie verursachen genetische Schäden, Erbkrankheiten und Schwächungen der Immunsysteme. Einer Studie der Europäischen Kommission für Strahlenrisiken ECRR zufolge verloren insgesamt fast 62 Millionen Menschen ihr Leben durch Krebs aufgrund radioaktiver Einflüsse. Darunter waren 1,5 Millionen Kinder, und 1,9 Millionen Babys starben bereits im Mutterleib. Nach Angaben der Vereinigung Ärzte gegen den Atomkrieg IPPNW könnte allein die äußere Strahlenbelastung durch den Bomben-Fallout langfristig weltweit 3 Millionen weitere Krebstote verursachen. Hinzu kämen die Folgen der Aufnahme von Radionukliden durch Nahrung und Atemluft. Durch die interne Strahlung würde die Opferzahl noch um zusätzliche 30 Millionen ansteigen.

Trotz dieser bekannten Tatsachen bereiten die USA nach einem 14-jährigen Moratorium wieder Testexplosionen vor, um neuentwickelte Nuklearsprengköpfe zu erproben. Das Versuchsgelände in der Wüste von Nevada wird modernisiert und die Vorbereitungszeit für eine Wiederaufnahme der Kernwaffenversuche verkürzt. Der Senat hatte die Ratifizierung des Vertrages schon unter der Vorgängerregierung abgelehnt und die Bush-Administration weigert sich hartnäckig, ihn erneut zur Abstimmung zu stellen. Washington votiert regelmäßig gegen die UNO-Resolutionen zum Testverbot und boykottiert die Konferenzen, die das Inkrafttreten des Vertrages fördern sollen. Die USA verweigern die Finanzmittel für Vor-Ort-Inspektionen und haben auch noch den Restbeitrag für die Vertragsorganisation um ein Drittel gekürzt. Scheinheilig mutet daher die jüngste Warnung an Nordkorea vor einem möglichen Kernwaffentest an. Misstrauische Beobachter mutmaßen in der Androhung verschärfter Sanktionen sogar den Versuch der Hardliner in Washington, Pjöngjang genau zu diesem Schritt zu provozieren, um damit einen Vorwand für die Wiederaufnahme der eigenen Atomwaffenversuche zu schaffen.

Die zukünftige Kontrollorganisation in Wien (CTBTO) besteht aus der Konferenz aller Vertragsstaaten, einem 51 Mitglieder umfassenden Exekutivrat und einem Technischen Sekretariat, dem ein Internationales Datenzentrum zugeordnet ist. Unter der Leitung von Tibor Tóth aus Ungarn errichten die rund 270 Mitarbeiter ein Netzwerk von insgesamt 337 Beobachtungsposten in 89 Ländern, das den gesamten Erdball lückenlos abdeckt. Mehr als die Hälfte von ihnen - darunter über 160 Kontrollstationen und fünf Analyselabors - sind bereits einsatzfähig und erprobt. Satelliten übermitteln die Informationen zum Internationalen Datenzentrum an der Donau, wo sie gespeichert, analysiert und an die Vertragsparteien übermittelt werden. Das Weltraum gestützte Globale Kommunikationsystem lieferte darüber hinaus mehr als Hunderttausend detaillierte Angaben zu Erdbeben, Vulkanausbrüchen, Bergwerksunglücken, Flugzeugzusammenstößen sowie über auffällige Umwelt- und Wettererscheinungen. Zur Klärung von Zweifelsfällen dienen zusätzlich vertrauensbildende Transparenzmaßnahmen, Konsultationen und Vor-Ort-Inspektionen. Auch wenn es keine hundertprozentige Gewissheit geben kann, sind die Chancen für die Entdeckung illegaler Handlungen ziemlich hoch, denn die technischen Voraussetzungen für einen unterirdischen Test zu schaffen, ist zeitaufwendig und schwer zu verbergen. Mehr als die Hälfte der 170 seismischen CTBTO-Stationen ortet schon jetzt Bodenerschütterungen, um gegebenenfalls heimliche unterirdische Nuklearversuche zu registrieren.

Je länger der Teststoppvertrag "im Koma" liegt, um so mehr steigt die Gefahr, dass neue Kernwaffenversuche das gesamte Abkommen endgültig in Makulatur verwandeln. Mit verheerenden politischen Konsequenzen und katastrophalen medizinischen Folgen. Es gibt allerdings eine Möglichkeit, um ein deutliches Signal zu setzen: Wenn möglichst viele der bisherigen Mitgliedstaaten den Vertrag für sich selbst unverzüglich rechtswirksam machen, könnte dies den Druck auf die Verweigerer erhöhen und die verhängnisvolle Entwicklung vielleicht abwenden. "Wir sind es uns selber schuldig, wir schulden es unseren Kindern und wir schulden es unseren Völkern, dafür zu sorgen, dass der Teststoppvertrag so schnell wie möglich in Kraft tritt", mahnt Friedensnobelpreisträger El-Baradai.

Bisherige Kernwaffenversuche

Land Anzahl Testgebiete
USA 1032 New Mexico und Südpazifik, später Wüste von Nevada
UdSSR/Russland 715 Nowaja Semlja, Semipalatinsk
Frankreich 210 Sahara, später Polynesieninseln Moruroa und Fangataufa
China 45 Wüste Lop Nor
Großbritannien 45 Südpazifik, später Wüste von Nevada
Pakistan 2 Chagai-Berge in Baluchistan
Indien 3 Thar-Wüste von Rajasthan
Gesamt 2052-

Quelle: SIPRI

Technische Hintergrundinformationen

Die Vorbereitungen für einen unterirdischen Atomwaffentest dauern gewöhnlich mehrere Monate und beschäftigen Hunderte von Ingenieuren, Wissenschaftlern und Technikern. Die Versuche werden entweder am Ende von horizontal angelegten Tunneln oder in einem vertikalen Schacht durchgeführt. Dafür muss ein im Durchmesser etwa 3 m großes und nach vorliegenden Erfahrungen zwischen knapp dreißig und rund zweitausend Metern tiefes Loch in die Erde gebohrt werden. Über der Bohrung wird dann eine transportable turmartige Vorrichtung für die Testgeräte installiert. Der eigentliche Sprengsatz befindet sich im unteren Teil, darüber ist ein ca. 200 t schwerer und 1,5 m langer "Diagnose-Kanister" mit Messgeräten zur Feststellung der Funktionswirkungen der Waffe installiert. Anschließend wird das gesamte Paket mittels eines Kranes in das Bohrloch versenkt und dieses mit Erdreich und Beton möglichst strahlensicher verschlossen. Wie bisherige Nukleartests zeigen, reißt aber die Explosion trotzdem häufig Erde unmittelbar über der Bombe weg und bläst hochradioaktiven Schmutz, Fels und Schutt wie durch einen Luftkanal heraus. Die Folge ist eine intensive Strahlenverseuchung von Luft, Boden und Grundwasser. Auch durch Bodenrisse und -Spalten kann es zum sogenannten „Venting“ kommen, dem Austritt radioaktiver Gase in die Atmosphäre, die bei Menschen und Tieren in den betroffenen Gebieten zu schweren gesundheitlichen Schädigungen führen.

Dieser Beitrag erschien - leicht gekürzt - am 23. September 2006 im "Neuen Deutschland" (unter dem Titel: "Trotz Teststoppverbot drohen neuen Atomversuche")


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