Blaupausen für die atomare Abrüstung
Für die Beseitigung aller Nuklearwaffen ist ein multinationaler Neuansatz notwendig
Von Wolfgang Kötter *
Nicht nur vor dem Hintergrund der Jahrestage der Atombombenabwürfe auf
Hiroshima und Nagasaki, sondern insbesondere angesichts des Strebens
immer weiterer Staaten nach Kernwaffen und der unverändert großen
Arsenale der USA und Russlands hat die Frage der nuklearen Abrüstung
weiter an Brisanz gewonnen.
Seit Beginn des nuklearen Zeitalters steht die Abrüstung der Atomwaffen
auf der multilateralen Agenda. Gleich die erste Resolution der
UN-Vollversammlung im Jahre 1946 forderte die Beseitigung aller
nuklearen und anderen Massenvernichtungswaffen. Mit dem Kalten Krieg
musste jedoch jede Abrüstungshoffnung einem unkontrollierten und
grenzenlosen Wettrüsten weichen.
Auch als in den 60er Jahren nach gefährlichen Konflikten und
Beinahe-Katastrophen Rüstungskontrolle und eine gewisse Begrenzung des
Rüstungswettlaufs als unverzichtbar erkannt wurden, führten die
Großmächte USA und Sowjetunion Verhandlungen über ihre Kernwaffen lieber
unter sich. Multilaterale Foren dienten eher zum propagandistischen
Schlagabtausch. Ausnahmen bildeten lediglich die in den Vorgängern der
heutigen Genfer Abrüstungskonferenz geführten Verhandlungen, die 1963
zum Teilteststoppvertrag und 1968 zum Nuklearen Nichtverbreitungsvertrag
führten. Hier verhandelten die Diplomaten ebenfalls über die
vollständige Einstellung aller Kernwaffenversuche. Seit der umfassende
Teststoppvertrag vom Herbst 1996 aber vorliegt, streiten sie darüber,
wie das Thema der nuklearen Abrüstung weiter zu behandeln ist. Die
nichtpaktgebundenen und andere Nichtkernwaffenstaaten dringen auf einen
Aktionsplan zur stufenweisen Beseitigung aller Kernwaffen; die Mehrzahl
der Kernwaffenmächte lehnt dies bisher kategorisch ab.
Die atomwaffenfreie Welt blieb lange Zeit eine Vision der
Friedensbewegung. Doch langsam begann das Blatt sich zu wenden. Zunächst
gelangten nur Einzelne und ehemalige Politiker zu der Erkenntnis, dass
die einzige Garantie gegen eine nukleare Katastrophe die Abschaffung der
Kernwaffen ist. Inzwischen greift die Idee einer atomwaffenfreien Welt
immer breiteren Raum und findet Eingang in den Mainstream des
sicherheitspolitischen Denkens. Die Vision einer atomwaffenfreien Welt
hat auch US-Präsident Barack Obama in seiner Prager Rede im April
entwickelt. Danach folgte ein erster konkreter Schritt auf dieses Ziel
zu: Mit Russlands Staatschef Dmitri Medwedjew wurde vereinbart, bis
Jahresende radikale Reduzierungen der Atomwaffenarsenale auszuhandeln.
Doch selbst wenn Russland und die USA ihre Reduzierungen fortsetzen,
taucht früher oder später die Frage der Einbeziehung der übrigen
Nuklearmächte auf. Was geschieht mit den Kernwaffen Großbritanniens,
Frankreichs und Chinas? Ohne deren Einbindung in
Abrüstungsverpflichtungen würden die russisch-amerikanischen Bemühungen
letztlich unterlaufen. Um erfolgreich zu sein, müssten multilaterale
Verhandlungen sich also um einen konzeptionell erweiterten Neuansatz
bemühen, der auch die De-facto-Atommächte Israel, Indien, Pakistan und
Nordkorea wie auch die Nichtkernwaffenstaaten einbezieht.
Zahlreiche Expertengruppen haben inzwischen Vorschläge für einen
globalen nuklearen Abrüstungsprozess unterbreitet. So erarbeiteten
Juristen der »Internationalen Vereinigung Rechtsanwälte gegen
Atomwaffen« (IALANA) einen Modellentwurf für eine
Nuklearwaffenkonvention. Er sieht einen zeitlich befristeten Stufenplan
zur Beseitigung aller Atomwaffen in etwa 15 bis 20 Jahren vor und
verbietet unter anderem die Entwicklung, das Testen, die Produktion, die
Lagerung und den Transfer von Atomwaffen sowie deren Einsatz oder dessen
Androhung. Für multilaterale Verhandlungen bietet sich die Genfer
Abrüstungskonferenz geradezu an, denn in ihr sind alle Kernwaffenmächte
und andere relevanten Staaten vertreten. Vorstellbar wäre ein paralleles
Vorgehen einer allgemeinen Erörterung im Plenum und spezifische
Verhandlungen der Nuklearmächte in einem Unterorgan. Sicher verkörpert
auch der multilaterale Ansatz nicht die Zauberformel, durch die
umfassende Lösungen von heute auf morgen erreichbar wären. Zweifellos
können selbst bei bestem politischen Willen aller Beteiligten Ergebnisse
nur nach zeitaufwendigen und komplizierten Verhandlungen erwartet
werden. Ohne die Einbeziehung einer breiten Anzahl von Staaten in die
Bemühungen zur Beseitigung der Kernwaffen jedoch bliebe die nukleare
Abrüstung nur eine Fiktion.
* Aus: Neues Deutschland, 11. August 2009
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