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Lob und Tadel für die Atomwächter

El Baradei engagiert sich für Abrüstung

Von Wolfgang Kötter *

Am Wiener Donauufer im Hochhausturm Nr. 5 der UNO-City wird an diesem Wochenende gefeiert. Die rund 2300 Mitarbeiter der Internationalen Atomenergiebehörde (International Atomic Energy Agency - IAEA) blicken auf ein halbes Jahrhundert intensiver Arbeit zurück.

Die Agentur mit dem Ähren umkränzten Atommodell im Emblem wurde 1957 als unabhängige Organisation innerhalb der Vereinten Nationen gegründet. Ursprünglich war die Behörde vor allem zur Unterstützung der weltweiten Zusammenarbeit bei der friedlichen Nutzung der Kernenergie gedacht, so zum Beispiel in der Medizin, der Wasserwirtschaft, zur Stromerzeugung und in der Landwirtschaft. Das technische Kooperationsprogramm ist inzwischen auf rund 1 000 Projekte in 115 Ländern angewachsen. Zusätzlich kontrollieren ihre Inspektoren seit 37 Jahren auch die Einhaltung des Nuklearen Nichtverbreitungsvertrages und überprüfen regelmäßig mehr als 900 Nuklearanlagen in 70 Vertragsstaaten. Die IAEA betreibt ein kerntechnisches Untersuchungslabor im etwa 30 km entfernten Seibersdorf und unterhält Kernforschungszentren in Monaco und dem italienischen Triest. Das Jahresbudget von rund 284 Mio. Dollar fällt allerdings gegenüber den über eine Billion Dollar betragenden Weltrüstungsausgaben eher bescheiden aus.

Für ihre Bemühungen, eine militärischen Verwendung der Kernenergie zu verhindern, erhielten die IAEA und ihr Chef vor zwei Jahren den Friedensnobelpreis. Neben viel Beifall traf die Auszeichnung jedoch auch auf Kritik. So monierten die Internationalen Ärzte gegen den Atomkrieg (IPPNW): "Eine Behörde, deren Ziel es ist, den Ausbau der Atomenergie weltweit zu beschleunigen und auszuweiten, trägt nicht zu einer friedlichen und gesunden Welt bei." Hinter der friedlichen Nutzung der Atomenergie verberge sich immer auch die Möglichkeit zum Bau der Atombombe. Auch die japanische Anti-Atombewegung Nihon Hidankyo kritisierte die Preisverleihung. Die IAEA und ihr Oberhaupt müssten "härter arbeiten, um eine mögliche Wiederholung der Tragödien von Hiroschima und Nagasaki zu verhindern", tönte es aus Tokio.

IAEA-Generaldirektor Mohamed el Baradei aus Ägypten setzt sich persönlich sehr engagiert für die nukleare Abrüstung ein und warnt, wenn nicht unverzüglich gehandelt werde, sei eine nukleare Katastrophe kaum abzuwenden. Darum fordert er ein "neues Paradigma kollektiver Sicherheit". Kein Staat dürfe seine Sicherheit auf Atomwaffen stützen. Ein Bündel konkreter Maßnahmen wären dafür erforderlich: Die auf dem gesamten Globus verstreuten 1800 Tonnen Plutonium und hochangereichertes Uran müssten zuverlässig gesichert und überwacht werden. Die Kontrollautorität und -Fähigkeit der IAEA müsste gestärkt werden, um der Gefahr der nuklearen Verbreitung effektiver zu begegnen. Nicht zuletzt müsste die Abrüstung der weltweit immer noch über 26000 Atomwaffen ernst genommen werden, statt sie auszuweiten und zu modernisieren, wie es die Nuklearmächte derzeit praktizieren. Ein weiterer Vorschlag zielt auf die Schaffung einer internationalen "Atombrennstoffbank" ab. Gäbe es sie, hätte kein Staat mit rein ziviler Kernenergienutzung einen Grund, selbst Uran anzureichern, das für die illegale Nuklearwaffenproduktion missbraucht werden könnte.

Der promovierte Völkerrechtler el Baradei tritt gewöhnlich freundlich und verbindlich auf, doch ist er deshalb noch lange nicht jedermanns Darling. Bereits mehrfach geriet er unter Feuer aus Washington. Dort verübelt man ihm, dass er als Leiter der Inspektionsgruppe, die den Irak in den 1990er Jahren nach illegalen Atomwaffenaktivitäten absuchte, das Alibi für den geplanten Irakkrieg verweigerte. Er bestand vielmehr darauf, dass keine verbotenen Aktivitäten nachgewiesen werden konnten und verlangte mehr Zeit für weitere Kontrollen. Die Bush-Regierung wirft dem Behördenchef auch in der jetzigen Auseinandersetzung über das Atomprogramm des Iran zu große Nachgiebigkeit vor. Trotzdem wurde der 64-jährige gegen den hartnäckigen Widerstand der USA im vergangenen Herbst für eine dritte Amtszeit zum IAEA-Chef wiedergewählt. Zur Zeit läuft erneut eine US-Beschwerde gegen ihn. Grund sind Äußerungen el Baradeis, dass es angesichts der von den iranischen Technikern inzwischen erworbenen Fähigkeiten zu spät sei, Teheran zur völligen Aufgabe der Urananreicherung zu bewegen. Ausdrücklich warnt der Behördenchef vor einer erneuten Militäraktion: "Jeder Einsatz von Gewalt wäre Wahnsinn!" Statt dessen gehe es nun vielmehr darum, eine Ausweitung der Anreicherung im industriellen Stil zu verhindern und sicherzustellen, dass der Iran nicht aus dem Atomwaffensperrvertrag austritt. Nach Ansicht der US-Regierung würde El-Baradei aber die Bemühungen des UN-Sicherheitsrats untergraben, mit Hilfe von Sanktionen den Iran zum völligen Verzicht auf die Urananreicherung zu zwingen. Doch der IAEA-Chef ist überzeugt, dass Teheran nur mit einem umfassenden Dialog von der Entwicklung eigener Atomwaffen abgebracht werden kann. Denn eine Erfahrung der letzten Jahre laute: "Wir können uns Sicherheit nicht erbomben."

Schuld an der gegenwärtigen Krise bei der nuklearen Nichtverbreitung trägt nicht die IAEA. Bereits seit Jahren verfolgt die Organisation ein umfangreiches Programm zur Verstärkung der nuklearen Sicherheit, um den illegalen Atomwaffenbau aber auch terroristische Anschläge mit Atommaterial zu verhindern. So beschloss sie vorbeugende Sicherheitsmaßnahmen gegen Sabotage an Atomanlagen und Diebstahl von radioaktiven Stoffen und schuf mit der kürzlich in Kraft getretenen Konvention gegen Nuklearterrorismus eine Rechtsgrundlage für die internationale Kooperation bei der Untersuchung, Bestrafung und Auslieferung aller Personen, die Straftaten mit atomarem Spaltmaterial oder Nuklearmitteln begehen. Gerade unter El-Baradeis Leitung profilierte sich die Organisation zum effektiven Instrument für die Suche nach verbotenem Nuklearmaterial. Während die Wiener Inspekteure sich früher darauf beschränkten, die Mengen an spaltbarem Material lediglich zu registrieren, erhielten sie inzwischen in einem Zusatzprotokoll weitgehende Inspektionsrechte, um als agile Detektive mit neuesten technischen Möglichkeiten verbotene Aktivitäten aufzudecken. So hat die IAEA maßgeblichen Anteil daran, dass es heute neun und nicht wie einst befürchtet fünfzehn oder fünfundzwanzig Kernwaffenstaaten gibt. Kritiker an einer angeblich zu kompromissbereiten Haltung vergessen, dass die Agentur nur ein Organ ihrer Mitgliedstaaten ist und lediglich deren Beschlüsse umsetzt.

IPPNW-Kritik

Die IPPNW (Internationale Ärzte für die Verhütung des Atomkriegs), Friedensnobelpreisträger 1985, verbinden ihre Geburtstagsgrüße an die IAEA, Friedensnobelpreisträger 2005, mit grundsätzlicher Kritik. Gemäß Satzung solle die IAEA die friedliche Nutzung der Atomenergie fördern und gleichzeitig die militärische Nutzung dieser Technologie verhindern. Das Konzept der »friedlichen Nutzung der Atomenergie« sei jedoch ein Irrglaube. »Überall dort, wo Energie aus Uran gewonnen wird, fällt auch der Grundstoff für Atomwaffen an. Zur Abschaffung von Atomwaffen gehört daher zwangsläufig der Ausstieg aus der Atomenergie«, erklärt IPPNW-Abrüstungsexpertin Xanthe Hall. Die Konflikte mit Iran und Nordkorea seien Beispiele für diese Verknüpfung von Atomenergie und Atomwaffen. Nötig sei ein Wechsel in Richtung Förderung der erneuerbaren Energien und der Energieeffizienz. www.iaea.ippnw.de

Lexikon - IAEA-Zusatzprotokoll

Das 1997 beschlossene Zusatzprotokoll zum IAEA-Sicherungsabkommen ist derzeit für 82 Staaten in Kraft. Es sieht erweiterte Kontrollmöglichkeiten vor und schließt Sonderinspektionen und kurzfristige unangemeldete Verdachtskontrollen ein. Kontrolliert werden dürfen alle Elemente des Nuklearkreislaufs, aber auch Einrichtungen, in denen sich kein Spaltmaterial befindet. Die Inspektoren können Fernaufklärung nutzen und Satellitenaufnahmen auswerten, Umwelt- und Bodenproben entnehmen. In Vor-Ort-Laboratorien ist es möglich, den radioaktiven Gehalt zu messen und zu überwachen. Mit Hilfe von Partikelanalysen in Pflanzen, Boden oder Luft, aber auch von Geräten, Mobiliar oder Stoffen können beispielsweise nicht-deklarierte nukleare Aktivitäten nachgewiesen werden. Die Staaten informieren nicht nur über Aktivitäten zur friedlichen Nutzung der Kernenergie, sondern auch über die nukleare Forschung und Entwicklung sowie über Exporte sensitiver Technik und Technologien, die sowohl zivil als auch militärisch nutzbar sind.
W.K.

IAEA-Generaldirektoren
  • William Sterling Cole, USA, 1957-1961
  • Sigvard Arne Eklund, Schweden, 1961-1981
  • Hans Martin Blix, Schweden, 1981-1997
  • Mohamed El Baradei, Ägypten, seit 1997

Anzahl der betriebenen Atomkraftwerke weltweit (nach Ländern sortiert)

  • Argentinien, Anzahl: 2
  • Armenien, 1
  • Belgien, 7
  • Brasilien, 2
  • Bulgarien, 4
  • China, 9
  • Finnland, 4
  • Frankreich, 59
  • Deutschland, 17
  • Großbritannien, 23
  • Indien, 15
  • Japan, 56
  • Kanada, 18
  • Rep. (Süd-)Korea, 20
  • Litauen, 1
  • Mexiko, 2
  • Niederlande, 1
  • Pakistan, 2
  • Rumänien, 1
  • Russland, 31
  • Slowakei, 6
  • Slowenien, 1
  • Südafrika, 2
  • Spanien, 9
  • Schweden, 10
  • Schweiz, 5
  • Tschechien, 6
  • Ungarn, 4
  • Ukraine, 15
  • USA, 104
  • gesamt 443
Quelle: IAEA



* Eine gekürzte Version dieses Beitrags erschien in: Neues Deutschland, 28. Juli 2007


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