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UNO-Gipfel zur Armut: Zahl der Hungernden steigt

Die UNO diskutiert, ob die 1990 beschlossene Armutsverringerung noch zu erreichen ist. Die Industrieländer müssten dazu ihre Versprechen halten.

VON ANDREAS ZUMACH *

Mit einem "Dringlichkeitsgipfel" im Rahmen der UNO-Generalversammlung am Donnerstag (25. Sept.) will Generalsekretär Ban Ki Moon die "Millenniums-Entwicklungsziele" retten, die die UNO im September 2000 beschlossen hat. Die acht Millenniumsziele haben das gemeinsame Ziel, die weltweite Armut bis 2015 zu halbieren. Eine von Ban vorgelegte Bilanz der ersten acht Jahre zeigt nur dürftige Fortschritte, die Zahl der Hungernden und Armen hat seit letzten Jahr gar wieder zugenommen.

Zu dem Dringlichkeitsgipfel werden die Staats- und Regierungschefs von fast 100 Staaten erwartet. Deutschland entsendet lediglich Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD). Bereits am heutigen Montag (22. Sept.) befasst sich die UN-Generalversammlung mit dem afrikanischen Kontinent. Dort erzielten die UN bisher die geringsten Fortschritte bei der Umsetzung der Millenniumsziele.

Am besten sieht es der Bilanz des UN-Generalsekretärs zufolge aus bei dem Ziel, bis zum Jahr 2015 allen Kindern eine Grundschulausbildung zu ermöglichen. In acht der zehn Regionen, in die die Statistiker der UN die Welt für ihre Untersuchungszwecke unterteilt haben, sei dieses Ziel "bereits zu 90 Prozent erreicht", heißt es. In Afrika südlich und nördlich der Sahara liegt die Einschulungsquote allerdings noch weit unter dieser Marke.

Bei der Bekämpfung von HIV/Aids, Malaria und anderen schweren Krankheiten gab es laut Bilanz zumindest punktuelle Erfolge. Auch in diesem Fall sind die Fortschritte auf dem afrikanischen Kontinent jedoch gering. Dass Malaria nach wie vor die weltweit häufigste Todesursache bei Kindern unter fünf Jahren ist, wie die Weltgesundheitsorganisation letzte Woche mitteilte, liegt an den hohen Todeszahlen unter afrikanischen Kindern. Auch insgesamt sieht es ungünstig aus, was die Ziele betrifft, die Sterblichkeitsrate von Kindern unter fünf Jahren um zwei Drittel und die von Müttern um drei Viertel zu reduzieren: Die bisherigen Fortschritte sind so gering, dass ein Erreichen der Ziele in den verbleibenden sieben Jahren äußerst unwahrscheinlich ist.

Wunder Punkt der Bilanz sind schließlich die beiden "Kernziele" der Millenniumsaufgaben: Bis 2015 wollten die UN sowohl den Anteil der Hungernden als auch der "extrem Armen" an der Weltbevölkerung halbieren. In seiner letztjährigen Bilanz hatte Ban noch verkündet, dass nicht nur der Anteil der extrem Armen an der Weltbevölkerung (die seit 1990 um über 20 Prozent gewachsen ist) gesunken sei, sondern, dass sich auch ihre absolute Zahl seit 1990 von 1,8 Milliarden auf rund 925 Millionen fast halbiert habe. In der neuen Bilanz ist jetzt aber von über 1,4 Milliarden "extrem Armen" die Rede - denn inzwischen hat die Weltbank den Schwellenwert für extreme Armut von 1 auf 1,25 US-Dollar am Tag heraufgesetzt.

Zudem hat die absolute Zahl der Hungernden und damit auch ihr Anteil an der Weltbevölkerung in den letzten zwölf Monaten nicht nur statistisch, sondern auch real stark zugenommen - um 75 Millionen auf 923 Millionen Menschen. Schuld daran ist der rasante Anstieg der Lebensmittelpreise in den vergangenen zwölf Monaten.

Die Umsetzung der Ziele bis 2015 sei noch "möglich", schreibt Ban. Allerdings "nur bei verstärkten finanziellen Anstrengungen, und wenn die Industrienationen ihre in den letzten Jahren gemachten Versprechen zur Erhöhung der Entwicklungshilfe auch umsetzen". Ob ein erneuter Gipfel dazu beitragen kann, darüber herrschen unter UN-Diplomaten wie unter Nichtregierungsorganisationen (NGOs) erhebliche Zweifel. Für die britische NGO Oxfam macht der Gipfel nur Sinn, wenn die Regierungen dort einen "Aktionsplan zur Überwindung der extremen Armut in den nächsten sieben Jahren beschließen".

* Aus: taz, 22. September 2008


Der ganze Bericht ist hier herunterzuladen:
Africa’s development needs: state of implementation of various commitments, challenges and the way forward
Report of the Secretary-General, 15 July 2008 (A/63/130) (externer Link)



Millenniums-Entwicklungsziele:

UNO-Generalsekretär Ban Ki-moon fordert Afrika und Geberländer auf ihre Anstrengungen zu verdoppeln

Vereinte Nationen, New York, 18. September 2008 – Die Wirtschaft in vielen Ländern Afrikas wächst heute stärker als vor zehn Jahren. Sie wächst sogar schneller als in vielen anderen Entwicklungsregionen. Trotz dieses Fortschritts liegt Afrika beim Erreichen der Millenniums-Entwicklungsziele (MDGs) und anderer Entwicklungsvorhaben weit zurück, berichtet UNO-Generalsekretär Ban Ki-moon. Afrikanische Länder und ihre internationalen Partner müssten deshalb ihre Anstrengungen verdoppeln. Dabei sollen sie sich nicht auf weitere Ziele verpflichten, sondern müssten die vorhandenen Erklärungen in die Tat umsetzen und „Visionen politische Taten folgen lassen“. Der Bericht des Generalsekretärs (A/63/130) – der eine umfassende Übersicht über bisherigen Erfolge und Defizite sowie Analysen und Empfehlungen bietet – wurde von der Generalversammlung für ihr hochrangiges Treffen am 22. September 2008 über die Entwicklungsbedürfnisse Afrikas in Auftrag gegeben. Bei dem Treffen überprüfen die UNO-Mitgliedstaaten zum ersten Mal seit dem Beschluss einer „Neuen Partnerschaft für die Entwicklung Afrikas (NEPAD)“ die bisherige Umsetzung dieses zentralen Plans für den Kontinent aus dem Jahr 2001 durch Afrika und die internationale Gemeinschaft. Das Treffen wird zur Halbzeit für das Erreichen der MDGs abgehalten, während die Sorge wächst, dass Afrika hinter die anderen Weltregionen weiter zurückfällt. Obwohl einige afrikanische Länder bemerkenswerten Fortschritt bei einigen Zielen gemacht haben, wird nach Angaben des Generalsekretärs auf der Grundlage momentaner Entwicklungen sehr wahrscheinlich kein afrikanisches Land die MDGs bis 2015 erreichen. Zwei Fünftel der afrikanischen Bevölkerung lebt in extremer Armut. Zusätzlich zu der Herausforderung der anhaltenden und extremen Armut wird Afrika außerdem mit weiteren bedrohlichen Problemen konfrontiert: einer weltweiten Nahrungsmittelkrise, einem stark ausgeprägtem Klimawandel und steigenden Energiepreisen. Um diese Schwierigkeiten zu überwinden, haben sich Afrika und seine Partner in den letzten Jahren auf zahlreiche Verpflichtungen festgelegt. Diese Verpflichtungen seien jedoch auf beiden Seiten „nur teilweise umgesetzt“ worden, so der Generalsekretär.

Hilfe. Beim G8-Gipfel im Jahr 2005 haben sich die beteiligten Industrieländer darauf geeinigt, die Hilfe für Afrika bis 2010 zu verdoppeln. Bis zum Folgejahr war die offizielle Entwicklungshilfe (ODA) für Afrika (die Entschuldung nicht mit eingerechnet) allerdings nur um acht Prozent gestiegen. Nach Angaben des Generalsekretärs sind die Geberländer seitdem „im Rückstand geblieben“. Ein großer Teil der Unterstützungsgelder der Europäischen Union (EU) fließt jetzt nach Afrika, insgesamt 62 Prozent im Jahr 2006. Im Jahr 2007 gab es dagegen einen leichten Rückgang bei den weltweiten EU-Hilfsleistungen. Der Generalsekretär schlägt vor, dass die externe finanzielle Entwicklungshilfe für Afrika jährlich 72 Milliarden US-$ erreichen sollte, um die Verwirklichung der MDGs zu unterstützen. Der Generalsekretär erklärt außerdem, dass es zwar in der Art, wie Geberländer die Hilfsmittel nach Afrika bringen, Verbesserungen gegeben hätte. Trotzdem liefen Hilfsprogramme oft unkoordiniert und seien nur teilweise auf die nationalen Entwicklungsprioritäten der Empfängerländer ausgerichtet. Seine Kritik gilt auch den Vereinten Nationen, wo es Tendenzen gäbe, „die Aktivitäten für Afrika auszuweiten, was wiederum Unstimmigkeiten verursacht“.

Schulden. Einen Hoffnungsschimmer gibt es im Bereich der Schulden. Im Juli 2008 haben 19 afrikanische Länder einen bedeutenden Nachlass ihrer Schulden gegenüber Regierungen und zwischenstaatlichen Institutionen erhalten. Darauf fiel die Gesamtverschuldung Afrikas von 205,7 Milliarden US-$ im Jahr 1999 auf 144,5 Milliarden US-$ im Jahr 2007. Der Generalsekretär warnt allerdings davor, dass sich Afrikas Privatverschuldung allmählich nach oben bewegt, von 92,4 Milliarden auf 110,2 Milliarden Dollar im gleichen Zeitraum. Er empfiehlt, die Schuldenerleichterung auf andere afrikanische Länder auszuweiten.

Handel. Die Fortschritte, die Handelschancen Afrikas zu verbessern, seien bisher sehr gering, berichtet der Generalsekretär. Die Doha-Runde stehe an einem „kritischen Scheideweg". Die afrikanischen Staaten haben gefordert, die landwirtschaftlichen Subventionen der EU, USA, Japan und Kanada zu senken. Seit dem Jahr 2001 sind Subventionen in Höhe von 750 Milliarden US-$ gezahlt worden und beeinflussen die Weltmarkpreise für landwirtschaftliche Exporte aus Afrika. Der Generalsekretär fordert, die landwirtschaftlichen Subventionen dringend zu senken sowie Handelsreformen einzuführen, um den Marktzugang afrikanischer Staaten zu verbessern.

Frieden und Sicherheit. Um Afrika dabei zu helfen, bewaffnete Konflikte zu lösen, haben die G8-Staaten im Jahr 2005 zugesagt, 25.000 afrikanische Blauhelmsoldaten auszubilden und die geplante Einsatztruppe der Afrikanischen Union technisch zu unterstützten. Allein die USA werden circa 75.000 Soldaten bis zum Jahr 2010 ausbilden. Die EU hat zwischen 2005 und 2007 rund 250 Millionen US-$ zur Verfügung gestellt. Der Generalsekretär betont jedoch, dass diese Unterstützung der G8 „unkoordiniert und aus dem Stehgreif" abgelaufen sei.

Beitrag der afrikanischen Staaten. Die afrikanischen Staaten müssen selbst mehr tun, um ihre innerstaatlichen Einnahmen zu erhöhen und die Produktivität ihrer Wirtschaft zu steigern, so der Generalsekretär. Um das NEPAD-Programm zur Entwicklung der Landwirtschaft zu unterstützten, haben afrikanische Regierungen im Jahr 2003 zugesagt, bis 2008 jeweils zehn Prozent ihrer öffentlichen Ausgaben in die landwirtschaftliche und ländliche Entwicklung zu investieren. Bisher haben nur sechs Staaten dieses Ziel erreicht. Afrikanische Regierungen haben im Jahr 2001 auch zugesagt, ihre Gesundheitsetats um 15 Prozent zu erhöhen. Auch dieses Ziel haben nur sechs Staaten erreicht.

Unter dem Dach von NEPAD haben sich zahlreiche afrikanische Staaten darauf geeinigt, sich in einem freiwilligen Prozess gegenseitig darauf zu prüfen, ob demokratische Regeln und gute Regierungsführung eingehalten werden (sog. African Peer Review Mechanism). Bisher sind 29 Staaten diesem Prozess beigetreten. Das sind mehr als die Hälfte aller NEPAD-Staaten. Sieben Staaten haben sich einer solchen Überprüfung gestellt. Der Generalsekretär empfiehlt, dass afrikanische Regierungen, Medien und die Zivilgesellschaft mehr tun, um ihre Bürger an dieser Überprüfung teilhaben zu lassen. Er empfiehlt auch, dass afrikanische Staaten eine ähnliche Überprüfung einführen, um die Millenniums-Entwicklungsziele zu erreichen.

Der Generalsekretär stellt fest, dass die Beteiligung von Frauen in der Politik zugenommen hat. Die Zahl der weiblichen Abgeordneten in den Parlamenten ist von sieben Prozent (1990) auf 17 Prozent gestiegen (2007). Der Generalsekretär empfiehlt, die „Teilhabe und Bevollmächtigung aller gesellschaftlichen Gruppen" im Bereich von Politik und Entwicklung zu stärken.

** Quelle: Deutsche Website der UNO; http://www.unric.org


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