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Teller statt Tank

G-20-Agrarministertreffen in Paris: NGOs fordern Ende der Subventionen für "Bio"-Kraftstoffe und Begrenzung der Spekulation auf Rohstoff- und Nahrungsmittelmärkten

Von Jana Frielinghaus *

Die Weltmarktpreise für Getreide und andere Lebensmittel haben aktuell wieder das Niveau der Lebensmittelkrise im Sommer 2008 erreicht. Viele afrikanische Länder verzeichnen im Vergleich zum vergangenen Jahr Anstiege von 50 bis 60 Prozent – für viele Menschen werden Mais oder Reis damit wieder unbezahlbar. Es könnte eine Frage der Zeit sein, bis es erneut zu Hungerrevolten kommt. Dies dürften die Agrarminister der G-20-Staaten im Blick haben, wenn sie am 22. und 23. Juni in Paris zusammenkommen, um über Strategien für mehr Ernährungssicherheit zu beraten.

Es ist ein Thema, das eigentlich ganz oben auf der Agenda stehen müßte, denn Hunger und Durst treiben jedes Jahr Millionen Menschen zur Flucht in die Industrieländer. Doch bislang wird von seiten der Politik wenig unternommen, um die Situtation in den Entwicklungsländern zu entschärfen. Im Gegenteil: Mit Subventionen auf der einen und neoliberaler Deregulierung der Märkte auf der anderen Seite hat sie maßgeblichen Anteil daran.

Steigende Preise

So hat die massive Förderung der Agrarkraftstoffproduktion maßgeblich zur Verknappung und damit Verteuerung von Getreide, insbesondere Mais, aber auch von Ölpflanzen und Zucker auf dem Weltmarkt beigetragen. Doch der Trend wird anhalten, wenn es keinen scharfen Kurswechsel in den Industrie- und Schwellenländern der G 20 gibt. Nach einer am Freitag von der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) veröffentlichten Schätzung werden im Jahr 2020 bei Getreide 13, bei Pflanzenöl 15 und bei Zucker sogar 30 Prozent der Weltproduktion für die »Biosprit«-Erzeugung verwendet. Marita Wiggerthale, Agrar- und Handelsexpertin bei der Entwicklungshilfeorganisation Oxfam Deutschland, findet es in diesem Zusammenhang »erstaunlich«, daß in der gleichen Prognose davon ausgegangen wird, daß die Lebensmittelpreise bis 2020 wieder zurückgehen. Dagegen gehen Experten, die Oxfam mit einer Prognose beauftragt hat, davon aus, daß die Weltmarktpreise für Nahrungsmittel bis 2030 im Vergleich zu 2010 um 120 bis 180 Prozent steigen werden, wenn die Folgen des Klimawandels berücksichtigt werden.

Wiggerthale informierte am Donnerstag (16. Juni) vor Journalisten in Berlin vorab über den OECD-Bericht und über die aktuelle Lage auf den Agrarmärkten. Sie sind seit mehr als fünf Jahren von enormen Preisschwankungen gekennzeichnet, wobei die Mehrheit der Landwirte insbesondere in den Entwicklungsländern von starken Anstiegen nur begrenzt oder gar nicht profitiert hat. Selbst in den Industrieländern nutzt dies nur größeren Betrieben, die ausschließlich Ackerbau betreiben und über eigene Lagerkapazitäten verfügen, also bessere Gebote an den Agrarbörsen abwarten können. In sogenannten Mischbetrieben etwa mit Milchviehhaltung müssen gehen höhere Einnahmen in einem Bereich meist zum Abpuffern von Verlusten in einem anderen wie etwa in der Milchkrise drauf. In den Entwicklungsländern, insbesondere in Afrika, kann die Mehrzahl der Bauern auf Preissteigerungen nicht mit einer Ausweitung der Produktion reagieren. Rund drei Viertel der »Agrarhaushalte« auf dem Kontinent seien »Nettokonsumenten«, so Wiggerthale. Dies bedeutet, daß sie einen hohen Anteil ihrer Erzeugnisse selbst verbrauchen und Überschüsse sofort auf regionalen Märkten verkaufen müssen, um ihre Lebenshaltungskosten zu decken. So profitiert die Landwirtschaft in Entwicklungsländern zu einem geringen Teil von hohen Getreidepreisen, und in den Industriestaaten ist dies ebenfalls nur sehr begrenzt. Denn auch in letzteren, betonte Wiggerthale, haben die Bauern »oft wenig Verhandlungsmacht«. Sie sind das »letzte« Glied in der Handelskette und haben geringen Einfluß auf den Erzeugerpreis. So bleibe der größte Teil der Profite infolge gestiegener Nahrungsmittelpreise auf dem Weltmarkt »in der Mitte stecken«, also bei Großhändlern und Supermarktketten.

Mehr Transparenz

Beziffern läßt sich dieser Anteil jedoch nur schwer, weil kaum entsprechende Daten verfügbar sind. Nichtregierungsorganisationen (NGO) wie Oxfam fordern von der Politik daher unter anderem, mehr Transparenz zu schaffen, insbesondere was Produktreserven der großen Händler betrifft. Dies ist vor dem Hintergrund höchst relevant, daß es auf den Agrarmärkten enorme Monopolisierungstendenzen gibt. So kontrollieren allein vier Konzerne – Cargill, Bunge, ADM und Dreyfus – 73 Prozent des Weltgetreidehandels, die Hälfte der Umsätze für Saatgut machen ebenfalls nur vier Unternehmen (Dupont, Monsanto, Syngenta und Limagrain).

Eine weitere Forderung ist die nach Regulierung der Nahrungsmittel- und Rohstoffmärkte. Markus Henn, Referent für Finanzmärkte bei der Organisation WEED (Weltwirtschaft, Ökologie und Entwicklung), betonte am Donnerstag in Berlin, Spekulation auf den Agrarmärkten sei nicht grundsätzlich »schlecht«. Vielmehr stelle sie auch die notwendige Liquidität bei der Abwicklung von Warentermingeschäften bereit. Problematisch sei aber »exzessive« Spekulation vor allem von Finanzmarktakteuren ohne Kenntnis der Besonderheiten der Rohstoffmärkte. Diese habe stark zum Entstehen von »Blasen« und den daraus resultierenden starken Preisschwankungen beigetragen. Nach Oxfam-Angaben hat die Preisexplosion 2008 mehr als 100 Millionen Menschen in den Hunger getrieben. Eine stärkere Regulierung der Rohstoffmärkte wird derzeit auch von konservativen Politikern wie Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy und Bundeslandwirtschaftsministerin Ilse Aigner (CSU) befürwortet. Bleibt abzuwarten, wofür sich in Paris Mehrheiten finden.

Aktuelle Kampagne zur Ernährungssicherheit: www.oxfam.de/Mahlzeit

* Aus: junge Welt, 18. Juni 2011


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