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Zu viele Menschen auf der Erde?

Der Kampf ums Brot - Die Zukunft der Welternährung

Von Gerhard Klas *

Es ist ein Thema, das die Welt in den nächsten Jahren vermehrt beschäftigen wird. Die Vereinten Nationen fürchten, dass das 21.Jahrhundert als das Jahrhundert des Hungers in die Geschichte eingehen wird.

Für die Autoren Wilfried Bommert und Wolfgang Hirn sind die Hungerrevolten vom Frühjahr 2008 Ausgangspunkt ihrer Analyse. Weltweit gingen damals Menschen auf die Strasse, um gegen die rasant steigenden Preise für Lebensmittel zu protestieren. Es gab Tote. In Tunesien wurden zwei Menschen von der Polizei getötet, ungezählte verletzt und 200 Demonstranten vor die Strafgerichte gezerrt. Im westafrikanischen Kamerun, so stellte Amnesty International fest, starben hundert Menschen im Kugelhagel der Polizei. »In beiden Fällen demonstrierten sie, um ihr Recht auf Nahrung öffentlich einzuklagen«, so Bommert. »In beiden Fällen mussten sie erkennen, dass ihre Regierungen dieses Recht mit Füßen traten, und sie waren damit nicht allein.«

Von Afrika über Südamerika bis nach Asien ging eine Protestwelle. Auch in den Industriestaaten wurde den Menschen plötzlich klar, dass ihre Lebensmittel nicht mehr sicher sind. »Das war neu«, meint Bommert. Denn seit den 50er Jahren schien der Überfluss an Lebensmitteln unbegrenzt zu sein.

Nach Schätzungen der UNO werden Mitte des 21. Jahrhunderts 9,2 Milliarden Menschen die Erde bevölkern. »Damit alle genug zu essen haben, müsste die heutige Nahrungsmittelproduktion bis 2050 verdoppelt werden«, meint Hirn. Das sei schwierig, denn schon heute »schaffen wir es ja nicht, die 'nur' knapp sieben Milliarden zu ernähren.« Die Welternährungsorganisation FAO gibt ihm Recht: Seit dem Frühjahr 2009 zählt sie zum ersten Mal in der Geschichte der Menschheit über eine Milliarde hungernder Menschen. Die Autoren attestieren eine weitere Verschärfung des Problems durch die Produktion von Energiepflanzen, die mehr und mehr das Erdöl ersetzen sollen. Auch der wachsende Fleischkonsum ist ein Problem: Schon heute fressen Hühner, Schweine und Rinder fast 40 Prozent der globalen Getreideernte.

In ihrer Ursachenanalyse unterscheiden sich die Autoren kaum. Hirn betont jedoch im Gegensatz zu Bommert die angebliche Überbevölkerung: »Wir sind zu viele Menschen auf dieser kleinen Erde.« Hinter diesem pauschalen Urteil verschwindet der unterschiedliche Verbrauch von Ressourcen und Lebensmitteln in den verschiedenen Regionen der Welt. Ein fleischessender, autofahrender Bürger eines Industrielandes verbraucht ein Vielfaches dessen, was ein Kleinbauer im globalen Süden benötigt. Auch zehn Milliarden Menschen - so der international renommierte französische Agrarhistoriker Marcel Mazoyer - ließen sich mit den vorhandenen Landressourcen ernähren. Es sei allerdings davon abhängig, was für wen auf diesen Äckern produziert wird. Mazoyer ist einer der wenigen Agrarwissenschaftler, die auch die Exportorientierung des Agrarhandels grundsätzlich kritisieren - im Gegensatz zu Volkswirt Hirn, der beim »Manager Magazin« als Wirtschaftsreporter arbeitet.

Hirn warnt vor Ausfuhrbeschränkungen, die exportierende Länder angesichts zunehmender Lebensmittelverknappung verhängen könnten. Diese sind »nach internationalem Recht nicht verboten, die Welthandelsorganisation WTO kann - anders als bei Einfuhrbeschränkungen - nichts dagegen unternehmen«. Den ungebremsten Agrarexport, für den Hirn plädiert, macht die internationale Kleinbauernbewegung La Via Campesina allerdings als wichtige Ursache für die derzeitige Krise aus. Die Kleinbauern plädieren vielmehr dafür, dass die importierenden Länder des Südens wieder Zölle erheben können, um ihre eigenen Agrarmärkte gegen Dumpingexporte aus den Industrieländern schützen bzw. wieder aufbauen zu können. Mit ihrem Konzept der Ernährungssouveränität treten die Kleinbauern dafür ein, Produktion, Handel und Verbrauch von Ackerfrüchten wieder der Kontrolle der Bevölkerungen und Produzenten in den entsprechenden Ländern zu übertragen - und eben nicht den multinationalen Konzernen und dem Weltmarkt. Würde dieses Ansinnen Wirklichkeit, würde es allerdings von der Welthandelsorganisation, der Wächterin über den sogenannten Freihandel, als Regelverstoß geahndet und mit hohen Strafgebühren belegt.

Die Lösungsvorschläge von Bommert, studierter Agrarwissenschaftler und Umweltexperte des Westdeutschen Rundfunks, appellieren nicht nur an den Verbraucher im Westen, sondern greifen das Problem der Welternährung politischer an als Hirn. Zusammen mit Robert Watson, dem Direktor des Weltagrarates, plädiert er für eine Stärkung der Subsistenz-Landwirtschaft. »Wenn es gelänge, Kleinbauern dabei zu unterstützen, ihren eigenen Lebensunterhalt zu erwirtschaften, wäre schon viel gewonnen«, erklärt Bommert. »Denn nur eine funktionierende bäuerliche Landwirtschaft kann der bedrohlichen Landflucht und der damit einhergehenden Verslumung der Großstädte entgegenwirken.« Aber Bommert ist pessimistisch. Die Lobbyisten der Agrarkonzerne und ihre Profitinteressen bestimmen die Politik in den maßgeblichen internationalen Organisationen. Eine Trendwende ist nicht in Sicht. Trotz der sich anbahnenden Krise heißt die Devise der global player: Business as usual.

Wolfgang Hirn: Der Kampf ums Brot. Warum die Lebensmittel immer knapper und teurer werden. S. Fischer. 288 S., br., 14,95 €.

Wilfried Bommert: Kein Brot für die Welt. Die Zukunft der Welternährung. Riemann. 352 S., geb., 19,95 €.


* Aus: Neues Deutschland, 14. Oktober 2010


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