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"Lagerbestände von Getreide sind erheblich geschrumpft"

Auch Greenpeace fordert, Verkauf von E-10-Benzin auszusetzen. Dürre in den USA und Ernteausfälle wirken sich aus. Gespräch mit Martin Hofstetter

Der Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit, Dirk Niebel (FDP), will angesichts der rekordverdächtig hohen Getreidepreise auf dem Weltmarkt den Verkauf des Benzin-Ethanol-Gemischs E-10 aussetzen. Greenpeace stimmt zu. Weshalb?

Die feste Beimischungsquote führt dazu, daß unabhängig von der Situation an den Weltagrarmärkten eine bestimmte Menge in den Autos verbrannt wird. Das ist natürlich fatal, denn wenn es auf den Märkten knapp wird, wie im Augenblick, dürfen wir nicht Ethanol oder Pflanzenöle in Autos verbrennen. In diesem Falle müssen die Ausgangsprodukte bzw. die entsprechenden Ackerflächen für die Ernährung zur Verfügung stehen.

Deshalb ist die Forderung Niebels richtig. Es gibt nämlich bei diversen Getreidearten eine extreme Verknappung, die Lagerbestände sind erheblich geschrumpft. Ursache sind die Trockenheit in den USA und Ernteausfälle in einigen anderen Ländern. Darauf muß jetzt reagiert werden.

Indem die Quote ausgesetzt wird?

Ja, und zwar nicht nur für E-10. Wenn nicht auch die Biodiesel-Quote ausgesetzt wird, würden die Mineralölunternehmen vermutlich einfach mehr Biodiesel einsetzen – also aus Pflanzenölen hergestellten Dieselkraftstoff. Auch das würde die Verknappung verschlimmern, denn letztlich geht es um die weltweit zur Verfügung stehenden Ackerflächen.

Die starre Regelung der Europäer und der US-Amerikaner ist einfach falsch. Die Brasilianer machen es eleganter – dort wird auf den Markt geschaut. Wenn Zucker knapp und damit teurer ist, kommt mehr Zucker auf den Markt. Wenn er sich verbilligt, wird wieder mehr Ethanol hergestellt und dann im Inland verbraucht. Wir hingegen haben einen starren Verbrauch und können gar nicht genug Ethanol und Biodiesel selbst herstellen. Zusätzlich werden ja auch noch riesige Mengen an Futtermitteln eingeführt. Zusammen trägt das zur Verknappung auf dem Weltmarkt bei.

Das heißt, Deutschland und die EU nutzen Ackerflächen auf anderen Kontinenten?

Man kann die Agrarimporte und -exporte umrechnen und kommt in der Summe auf netto 35 Millionen Hektar, die die EU extern für ihren Bedarf nutzt. Das entspricht ziemlich genau der Gesamtfläche Deutschlands. Da sind natürlich auch die Flächen für Tee, Kaffee und ähnliches mit drin, aber vor allem kommt dieser große Flächenbedarf durch die Futtermittel zustande. Ehrlicherweise muß man sagen, daß das im Vergleich zum Biokraftstoff der größere Posten ist. Um da etwas zu ändern, müßte hierzulande weniger Fleisch produziert und verzehrt werden. Doch das wird nicht so schnell umzusetzen sein. Deshalb muß in der aktuellen Situation der hohen Preise und der Verknappung bei den Biokraftstoffen angesetzt werden.

Wo kommt das in Deutschland verbrauchte Ethanol her?

Hierzulande werden etwa 1,3 Millionen Tonnen Ethanol abgesetzt. Rund die Hälfte davon kommt aus Deutschland, wofür 650000 Tonnen Weizen, 350000 Tonnen Gerste, noch einmal soviel Roggen und 160000 Tonnen Mais eingesetzt werden. Zusätzlich werden für etwa ein Drittel der hiesigen Produktion Zuckerrüben verwendet. In den USA wird Ethanol vor allem aus Mais und in Brasilien aus Zuckerrohr hergestellt. Die Märkte sind übrigens ziemlich offen, das heißt, ob der hier verarbeitete Weizen auch aus heimischer Produktion stammt, ist ungewiß. Er kann genauso gut zum Beispiel aus Ungarn oder Kanada importiert sein. Letztlich ist das unerheblich. Je mehr Rohstoffe verbraucht werden, desto eher führt das an den globalisierten Märkten zur Verknappung.

Die Agentur für Erneuerbare Energie meint, es sei immer noch genug da, um sowohl die Tanks als auch die Teller zu füllen.

Weltweit werden 150 Millionen Tonnen pro Jahr in die Ethanolproduktion gesteckt. Gleichzeitig sind die Getreidevorräte in den vergangenen fünf Jahren von 170 oder 180 Millionen auf nur noch 100 Millionen Tonnen geschrumpft. In diesem Jahr hat sich durch die aktuelle Dürre die Lage zusätzlich verschärft. Hinzu kommt, daß die Knappheit auch noch von Spekulanten ausgenutzt wird, die die Preise weiter in die Höhe schrauben. Würde hingegen auf einen Teil des Ethanols verzichtet, könnten die Lager wieder gefüllt werden.

Interview: Wolfgang Pomrehn *

* Martin Hofstetter ist gelernter Landwirt und Agrarexperte bei Greenpeace

Aus: junge Welt, Samstag, 18. August 2012


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