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Getreide wird teurer

Agrospritproduktion, Spekulation, Dürreperioden lassen Preise für ohnehin knappe Nahrungsmittel wieder ansteigen

Von Wolfgang Pomrehn *

Seit einigen Wochen steigen an den internationalen Märkten die Preise für bestimmte Grundnahrungsmittel erheblich. Der Nahrungsmittelindex der FAO, das heißt, der UN-Organisation für Landwirtschaft und Ernährung, zog im letzten Monat deutlich an. Um immerhin sechs Prozent ist er nach oben geklettert und befeuert damit Sorgen, ein erneuter Preisanstieg könnte die permanente Ernährungskrise weiter verschärfen. Als im ersten Halbjahr 2008 die Nahrungsmittelkosten auf dem Weltmarkt in Rekordhöhen schnellten, kam es in zahlreichen Ländern zu Unruhen. Binnen weniger Monate stieg die Zahl der weltweit hungernden Menschen um über 100 Millionen auf etwas über eine Milliarde.

Zur Zeit sind es die Preise für Getreide, Zucker sowie für Öle und Fette, die den Index treiben. Mais wird vor allem durch eine schwere Dürre im Mittleren Westen der USA verteuert. Seit einigen Wochen bereits muß an der US-Getreidebörse in Chikago für Mais soviel gezahlt werden wie nie zuvor. Weizen ist im geringeren Ausmaß ebenfalls durch die US-Dürre betroffen. Er wurde aber teurer, weil sich die Aussichten für die Ernte in der Ukraine, Rußland und Kasachstan erheblich verschlechtert haben. Auch dort spielen Hitze und ausbleibende Niederschläge eine Rolle. Nach Angaben der Weltbank sind die Preise für Weizen seit Juni um 50 Prozent gestiegen, die für Mais um 45 und für Soja um 35 Prozent.

Entspannt ist die Lage hingegen im Augenblick noch beim Reis, dem wichtigsten Grundnahrungsmittel für rund die Hälfte der Menschheit. Hier hat die FAO dieser Tage zwar die Ernteprognose wegen unerwartet niedriger Niederschläge in Indien etwas absenken müssen, aber die Lager haben sich in den letzten Jahren gefüllt und können vermutlich auch in diesem Jahr noch aufgestockt werden. Dennoch wies FAO-Chef José Graziano da Silva Mitte vergangener Woche in einem Gastbeitrag in der britischen Financial Times darauf hin, daß der Preis trotz ausreichender Ernte mit nach oben gezogen werden könnte, wenn Verbraucher auf Reis ausweichen.

Bei der FAO ist man aufgrund der Entwicklung auf jeden Fall alarmiert. Noch liegt der Index zwar unter dem Rekordniveau von Anfang 2011, aber verglichen mit dem Durchschnitt der letzten 20 Jahre sind die Preise immer noch sehr hoch, und der Trend weist eindeutig weiter nach oben. Graziano da Silva schlägt daher vor, die USA sollten vorübergehend die Subventionierung der Ethanolproduktion einstellen. Der Benzinersatz wird in Nordamerika nämlich in großem Stil aus Mais gewonnen. 40 Prozent der Ernte gehen dafür drauf. Würde auf Ethanol zeitweise verzichtet, oder zumindest die Produktion reduziert, so der FAO-Chef, so stünde mehr für Nahrungs- und Futtermittel zur Verfügung. Allerdings sorgen die Subventionen zum einen für gute Einkommen bei den Maisbauern und andererseits senken sie die Kraftstoffkosten für Autofahrer. Und da in den USA derzeit Wahlkampf ist, wird es sich keine Partei mit diesen Wählergruppen verscherzen wollen.

Die hohen Preise könnten derweil immerhin dazu führen, daß in der kommenden Saison auf der Südhalbkugel, wo demnächst die Felder bestellt werden, mehr angebaut wird. Die große Gefahr ist allerdings, daß zusätzliche Schocks, ausgelöst zum Beispiel durch Ernteausfälle in Australien oder Argentinien, die Preise weiter nach oben treiben. Die Dürre in den USA, so Graziano da Silva, habe die internationalen Märkte in einen sehr instabilen Zustand versetzt.

Die Hilfs- und Entwicklungsorganisation Oxfam nimmt die FAO-Warnungen zum Anlaß, auf die Gefahren hinzuweisen, die von der Spekulation mit Nahrungsmitteln ausgehen. Bereits im Mai hatte eine Studie der Organisation gezeigt, wie die Spekulation extreme Preisschwankungen bei den Grundnahrungsmitteln verursachen kann. »Die Zahl der Hungernden droht sprunghaft anzusteigen, wenn die Getreidepreise anhaltend hoch bleiben und die Politik nicht schnell und entschlossen handelt«, befürchtet die Agrarexpertin der Organisation, Marita Wiggerthale. Die Hilfsprogramme für Krisenländer müssen, weil inzwischen unterfinanziert, aufgestockt, die Produktion von Agrarsprit eingestellt und die Spekulation eingedämmt werden. An der Börse von Chikago, der weltweit wichtigsten für Getreide, waren Ende 1998 noch rund 65 Prozent der Händler Produzenten oder Verarbeiter. Heute machen sie nur noch ein knappes Drittel aus.

Die Agentur für Erneuerbare Energien e.V. hält unterdessen unbeirrt Agrosprit für eine gute Sache. Es sei trotz Ernteeinbußen genug da, um sowohl die Tanks als auch die Mägen zu füllen. Der Hunger sei im übrigen keine Frage des Mangels, sondern der Verteilung. Damit hat sie durchaus recht. Nach den neuesten Zahlen des US-Agrarministeriums vom Freitag wird die US-Maisernte gegenüber dem Vorjahr nur um 13 Prozent zurückgehen.

Und dennoch ist das bloß die Hälfte der Wahrheit. Die hohen Nahrungsmittelpreise sind vor allem für diejenigen ein Problem, die ohnehin schon den größten Teil ihres Einkommens für die Ernährung ausgeben müssen. In den ärmsten Bevölkerungsschichten wird sich bei anhaltend hohen Preisen der Hunger ausbreiten. Nach Einschätzung von Oxfam vor allem in den Ländern Lateinamerikas, wo viel Mais gegessen wird. Nordafrika und der Mittlere Osten sind hingegen auf Importe von Weizen angewiesen, der dort eines der wichtigsten Grundnahrungsmittel ist. Es mag zwar von beidem ausreichend vorhanden sein, aber auf jeden Fall keine großen Überschüsse und auch keine gut gefüllten Lager für den Notfall. Der Markt ist eng, verengt durch Dürren und Agrospritproduktion, und unter solchen Verhältnissen kann der Preis schnell durch Spekulationen nach oben getrieben werden.

* Aus: junge Welt, Montag, 13. August 2012


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