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Bankenkrise verschärft Hunger

Weltbank: Größte Weltrezession seit 80 Jahren trifft vor allem die Entwicklungsländer

Von Martin Ling *

Zum ersten Mal seit dem Zweiten Weltkrieg droht die gesamte Weltwirtschaft zu schrumpfen, warnen die Ökonomen der Weltbank in einer am Sonntag (8. März) veröffentlichten Studie.

»Mehr Menschen müssen künftig hungern, weil sich die Banker verspekuliert haben.« Das Zitat von Dirk Messner, Geschäftsführer des Deutschen Instituts für Entwicklungspolitik, bringt die Folgen der Finanzkrise für die Ärmsten der Armen auf den Punkt.

Laut der neuen Weltbank-Studie bricht die Industrieproduktion in diesem Jahr um bis zu 15 Prozent ein. Der Welthandel steht vor seinem stärksten Rückgang seit 80 Jahren. Die Krise trifft auch die Entwicklungsländer mit voller Wucht.

Die armen Länder driften laut Weltbank in eine extreme Kreditklemme, weil sie von Privatbanken kaum noch Geld bekommen. Ein Fehlbetrag zwischen 270 und 700 Milliarden US-Dollar tut sich auf. Nur ein Viertel der anfälligsten Staaten habe eigene Mittel, um durch Arbeitsbeschaffungsprogramme oder soziale Sicherheitsnetze einen Anstieg der Armut zu verhindern, warnt die Weltbank.

Der Chef-Ökonom der Weltbank, Justin Yifu Lin, fordert ein Rettungspaket für die Ärmsten. Die reichen Länder sollten einen Teil ihrer Konjunkturprogramme auf Entwicklungsländer ausrichten: Dort könnten Engpässe, die das Wachstum abschnüren, beseitigt und die Nachfrage rasch wieder angekurbelt werden. Eine bestimmte Summe an Staatsmitteln dürfte in armen Ländern mehr Wirkung entfalten als in reichen, meint Lin.

Weltbankpräsident Robert B. Zoellick drängt zu gemeinsamem Handeln. »Diese globale Krise bedarf einer globalen Lösung«, mahnt der US-Amerikaner und verweist auf die wirtschaftlichen Verflechtungen zwischen dem armen und dem reichen Teil des Globus. »Eine ökonomische Katastrophe in Entwicklungsländern zu verhindern, ist wichtig für die weltweiten Bemühungen, die Krise zu überwinden.«

Zoellick fordert Investitionen in Sicherheitsnetze, Infrastruktur, kleine und mittlere Unternehmen. Somit sollen Arbeitsplätze geschaffen werden, um soziale und politische Unruhen zu verhindern. Zoellick richtet seinen Appell an die Gruppe der 20 wichtigsten Industrie- und Schwellenländer (G-20). Deren Finanzminister treffen am Samstag in Großbritannien zur Vorbereitung eines G-20-Gipfels am 2. April in London zusammen.

Laut der Weltbank-Studie geht in 94 von 116 untersuchten Entwicklungsländern das Wirtschaftswachstum zurück. Ein wichtiger Grund ist der Fall der Rohstoffpreise. 43 dieser Länder haben eine hohen Armutsrate. Bisher treffe die Krise vor allem die dynamischsten Wirtschaftszweige, vor allem Exportfirmen in städtischen Gebieten, aber auch den Bau, den Bergbau und die Industrie, heißt es.

Kambodscha hat den Angaben zufolge bereits 30 000 Jobs in der Textilindustrie verloren. Mehr als 500 000 Stellen verschwanden im letzten Quartal 2008 in Indien, etwa in den Branchen Juwelen und Schmuck, Autos und Bekleidung. In China verloren rund 20 Millionen Wanderarbeiter ihre Jobs. Das ist ein Sechstel des Arbeitsheers, das vom Land in die Städte zog.

In der Krise wächst die Abhängigkeit der Länder Afrikas, Asiens und Lateinamerikas von Entwicklungshilfe. Dabei sind die Geberländer mit ihren Versprechen vom G8-Gipfel 2005 um 39 Milliarden Dollar im Rückstand. Damals sagten die Staats- und Regierungschefs der acht wichtigsten Industrienationen zu, die Hilfe bis 2010 um rund 50 Milliarden zu erhöhen.

Nach der Warnung der Weltbank vor drastischen Auswirkungen der Finanzkrise auf arme Länder hat Bundesentwicklungsministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul (SPD) schnelles Handeln gefordert. Bei allem, was zur Rettung der Weltwirtschaft unternommen werde, müsse auch die Lage der Entwicklungsländer berücksichtigt werden, sagte die Ministerin gestern in Berlin.

Nach einer Studie der Asiatischen Entwicklungsbank hat die Finanzkrise 2008 bereits weltweit Vermögenswerte in Höhe von 50 Billionen Dollar vernichtet. Allein in Asien betrage der Verlust 9,6 Billionen, was etwa der Wirtschaftsleistung eines Jahres entspreche.

* Aus: Neues Deutschland, 10. März 2009


Szenarien des Schreckens

Von Martin Ling **

Die Schreckensszenarien nehmen kein Ende. Der Welthandel werde den stärksten Rückgang seit 80 Jahren erleben, prognostiziert die Weltbank und warnt vor einer Katastrophe in den Entwicklungsländern. Aus gutem Grund: Eine Faustregel besagt, dass ein Prozent weniger Wachstum 20 Millionen mehr Arme nach sich zieht.

Was sich in den Zentren mehr und mehr in massiv steigender Arbeitslosigkeit niederschlägt, wird in der Peripherie todsichere Folgen haben: Der vor wenigen Tagen erschienene Global Monitoring Report der UNO rechnet mit 200 000 bis 400 000 zusätzlich verhungernden Kindern -- schon ohne Krise sind es täglich über 20 000.

Für die Wiederbelebung der Finanzmärkte wird kein Risiko und kein Geldbetrag gescheut, während in der öffentlichen Entwicklungshilfe um jeden Cent gerungen wird und sie trotz entgegengesetzter Zusagen seit 2005 wieder sinkt.

Laut der Welternährungsorganisation FAO kostete eine Beseitigung des Welthungers nicht einmal ein Zwanzigstel des 787-Milliarden-Dollar-Pakets in den USA: Die dafür benötigten 35 Milliarden Dollar pro Jahr sind weniger als die 40 Milliarden Dollar, die in den reichen Ländern für Haustiernahrung ausgegeben werden. Und es sind Peanuts im Vergleich zu den Rüstungsausgaben von über einer Billiarde Dollar. Allein der politische Wille fehlt, die Prioritäten für die Menschen zu setzen. Das ist tödliches Politikversagen.

** Aus: Neues Deutschland, 10. März 2009 (Kommentar)


Globaler Crash ***

Die Wirtschaft wird nach Einschätzung der Weltbank in diesem Jahr erstmals seit dem Zweiten Weltkrieg nicht nur in einzelnen Regionen, sondern global schrumpfen. Deshalb werde auch der Welthandel auf den niedrigsten Stand seit 80 Jahren zurückgehen, erklärte die Weltbank in ihrer am Sonntag (8. März) veröffentlichten Prognose. Unter anderem wird für Mitte 2009 ein Rückgang der Industrieproduktion um 15 Prozent im Vergleich zum Vorjahr erwartet. Nach stetigem Wachstum in den vergangenen Jahren werde der Rückgang des Handels vor allem Ost­asien treffen. China, Indien und andere Schwellenländer der Region sind in starkem Maß von Exporterlösen auf dem US-amerikanischen Markt abhängig, die im laufenden Jahr aber dramatisch zurückgehen werden.

Besonders betroffen von der Krise sind dem Bericht zufolge die ärmsten Länder. Allein bei der Gruppe von 129 am wenigsten entwickelten Staaten sei in diesem Jahr mit Fehlbeträgen von 270 Milliarden bis 700 Milliarden Dollar zu rechnen. Bei diesen Größenordnungen seien auch die internationalen Finanzinstitutionen überfordert, erklärte die Weltbank. Sie wären nicht einmal in der Lage, die Untergrenze des vorausgesagten Defizits abzudecken. Diese Staaten litten auch besonders stark unter den Handelsrestriktionen, die von reicheren Staaten zur Abschottung der heimischen Märkte wieder zunehmend verhängt würden. In Afrika hätte ferner ein Einbruch der Rohstoffpreise für einige Länder gravierende Folgen, da diese kaum über andere Einnahmequellen verfügten.

Die Weltbank geht davon aus, daß es durch die globale Finanzkrise für Entwicklungsländer schwerer wird, sich Darlehen zu verschaffen. Soweit diese Staaten überhaupt noch Kredit bekämen, würden dessen höhere Kosten und der sinkende Cashflow zu geringeren Investitionen und einer Verlangsamung des Wachstums führen. Zudem sei zu befürchten, daß viele Länder im Zuge der Krise ihre Zahlungen für Entwicklungshilfe einschränken würden, obwohl immer mehr Staaten dringend darauf angewiesen seien. Die Bank rief zu einer engen Zusammenarbeit zwischen Industriestaaten, internationalen Finanz­institutionen und privater Wirtschaft auf. »Die globale Krise verlangt nach einer globale Lösung«, sagte Weltbankchef Robert Zoellick. »Wir brauchen Investitionen in soziale Sicherheitsnetze, Infrastruktur, in kleine und mittlere Unternehmen, um Arbeitsplätze zu schaffen und um soziale und politische Unruhen zu vermeiden.«

Nach Schätzungen der Asiatischen Entwicklungsbank (ADB) hat die Wirtschaftskrise im vergangenen Jahr den Wert der globalen Finanzanlagen um den enormen Betrag von 50 Billionen Dollar verringert. Allein in Asien liege der Wertverlust bei 9,6 Billionen Dollar. Das ist mehr als das Bruttoinlandsprodukt des Kontinents im vergangenen Jahr. Man befinde sich in der »bei weitem ernsteste Krise der Weltwirtschaft seit der großen Depression«, sagte ADB-Präsident Haruhiko Kuroda. Er fürchte, »es wird alles noch schlimmer, bevor es besser wird«.

Der ehemalige Chef des Internationalen Währungsfonds, Michel Camdessus, forderte bei einer Tagung der ADB schnelle und radikale Reformen des internationalen Finanzsystems. Er schlug die Einrichtung einer neuen internationalen Leitungsgruppe unter Schirmherrschaft der Vereinten Nationen vor.

** Aus: junge Welt, 10. März 2009


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