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Nachdenkliches zum Weltfriedenstag

Von Walter Ruge *

Es erscheint angebracht, 63 Jahre nach der bedingungslosen Kapitulation Hitlerdeutschlands in Berlin-Karlshorst, über die geleistete Arbeit der Antikriegspartei (im weitesten Sinne) nachzudenken. Dazu wird es sicher unterschiedliche Auffassungen geben, in wenigstens einem Punkt werden die Streiter für den Weltfrieden aber übereinstimmen: Die Sehnsucht der Völker, es möge der letzte Krieg gewesen sein, wurde enttäuscht. Die Siegermächte entfesselten verheerende Kriege in Marokko, Algerien, Indochina, Korea, im Tschad, in Irak und Afghanistan - Krieg ist wieder Alltag. Deutschland ist erneut Spitzenverdiener im großen Geschäft mit dem Tod - im Exportboom ist Kriegsware der Schlager.

Kein Mittel ist unversucht geblieben zu verhindern, daß aus Soldaten Verbündete im Kampf gegen den Krieg werden; man denke an das letzte Gelöbnis in Berlin, bei dem kein Geringerer als Altkanzler Helmut Schmidt den Soldaten eine Idylle malte: »Die Bundesrepublik Deutschland ist ein ganz anderer Staat geworden. Ganz anders als zu Zeiten Wilhelms II., anders als zu Zeiten Weimars --- unvergleichlich besser und zuverlässiger als Hitlers Unrechtstaat«. Sollten unter »zuverlässiger« die hartnäckigen Bestrebungen des deutschen Innenministers für »Inlandeinsätze« der Bundeswehr gemeint sein, ist man nicht nur an den Panzerkreuzer »Potemkin« und die große Freitreppe in Odessa, sondern in der Tat an Kaiser Wilhelm II. erinnert, der von seinen Rekruten verlangte gegebenenfalls auf den eigenen Vater, Bruder oder Mutter zu schießen.

Was vor 20 Jahren pazifistisch angehaucht erschien, erhält jetzt deutliche Konturen: Seitdem es keine sozialistischen Schwerter gibt, ist auch kein Bedarf mehr an bundesdeutschen Pflugscharen. Wir müssen die Kontinuität der Politik dieses »ganz anderen deutschen Staates« auf dem Weg zur Weltmacht stets im Auge behalten. Angefangen hat es 1871 mit der Reichsgründung im Spiegelsaal von Versailles, dem Flottenprogramm des Admirals Tirpitz, dem kaiserlichen Feldmarschall Paul von Hindenburg als Reichspräsidenten, dem Bau der Panzerkreuzer A und B in der Weimarer Republik, der Wiedereinführung der Allgemeinen Wehrpflicht 1934 und den darauffolgenden Feldzügen. Später, nach Kapitulation, Nürnberger Prozessen und dem Untergang der DDR ging es über zaghafte Brunnenbauprogramme in Somalia bis zum Export von Hightech-U-Booten und schließlich zur »Verteidigung deutscher Interessen am Hindukusch«. Als Sahnehäubchen stehen deutsche Generäle über NATO-Befehlsstrukturen wie am 22. Juni 1941 wieder am Bug.

Die Völker der Sowjetunion kämpften unter dem Motto: »Tod den Besatzern - die faschistische Bestie in ihre Höhle zurücktreiben«. Den Völkern der Welt bliebe, den Menschen zu danken, die das vollbracht haben. Statt dessen erlebten wir den Kalten Krieg gegen den gestrigen Bundesgenossen. »Menschenrechtler« forderten die Abschaffung der Todesstrafe, Pressefreiheit, Religions- und Versammlungsfreiheit; die Parteidiktatur wurde ins Visier genommen. All diese »Unfreiheiten« und Mißstände sind mit Michail Gorbatschow und Boris Jelzin über Nacht verschwunden, der Teufelsplan des Zbigniew Brzezinski zur Isolierung und Destabilisierung Rußlands von 1997 (siehe junge Welt vom 28./29. Juni 2008), mit »Raketenschild« und NATO-Erweiterung läuft dagegen munter weiter.

Nicht die Diktatur der Bolschewiki, das GULag-System, die fehlenden »freien Wahlen« etc. lagen den »Menschenrechtlern« am Herz, sie waren Vorwand, um weitreichende geopolitische und militärische Ziele durchzusetzen. Strategisch gesehen handelt es sich um eine Neuauflage des Antikominternpaktes, diesmal ohne Komintern.

Das friedliche Zusammenleben der Völker ist an diesem 1. September 2008 weiter ernsthaft von diversen »Koalitionen« und »Achsenmächten« bedroht. Brzezinski meinte dazu: »Der relative Frieden, der derzeit in der Welt herrscht, könnte kurzlebig sein«. Dem ist nichts hinzuzufügen.

* Walter Ruge (geb. 1915) emigrierte 1933 in die Sowjetunion, wurde dort 1941 zu zehn Jahren Lagerhaft verurteilt, 1954 rehabilitiert und lebte seit 1958 in der DDR

Aus: junge Welt, 1. September 2008



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