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Wettrüsten im Weltraum?

USA wollen auch den Kosmos zum militärischen Kampffeld machen

Von Wolfgang Kötter*

Bildet der Kosmos den Schauplatz künftiger Krieger? Das wird gegenwärtig von einer hypothetischen zur realen und unmittelbaren Gefahr. Darum steht die Verhinderung eines Wettrüstens im Weltall ganz oben auf der Agenda des für Abrüstung zuständigen UNO-Hauptausschusses, der heute (29.09.) in New York seine Arbeit beginnt.

In den USA verlangen Militärs und mit ihnen verbundene Denkfabriken immer aggressiver eine Stationierung von Waffen im Orbit. Der New York Times zufolge drängt die Luftwaffe Präsident Bush, den Kosmos als mögliches Kampffeld in seine neu zu formulierende Nationale Sicherheitsdoktrin einzubeziehen. Wer das Weltall beherrscht, bestimmt auch auf der Erde, so das Kalkül. Unter dem Codenamen "Global Strike" soll durch Hightech-Waffensysteme wie satellitengesteuerte Laserwaffen, Anti-Satelliten-Raketen und Radiowellen-Energiewaffen eine unangefochtene militärische Dominanz im Weltraum erreicht werden. Bereits seit längerem erforscht und testet das Pentagon weltraumgestützte Waffentechnologien. General Lance Lord, der das Luftwaffen-Weltraumkommando leitet, fordert, "eine amerikanische Überlegenheit im All zu errichten und aufrechtzuerhalten", wobei Überlegenheit die Freiheit bedeute, anzugreifen und selbst vor einem Angriff geschützt zu sein. „Global Strike“ würde die Fähigkeit verleihen, Kommandozentren oder Raketenbasen überall in der Welt zu zerstören. Damit gehen die USA einen weiteren großen Schritt weg vom klassischen Abschreckungskonzept hin zu einer Strategie der Kriegführung „im, vom und durch den Kosmos“. Die Verwirklichung der Rüstungspläne wird nach Einschätzung von Experten zwischen 220 Milliarden und einer Billion Dollar kosten.

Die sogenannte Nationale Raketenabwehr der USA „National Missile Defense“ (NMD) ist eine weitere gefährliche Entwicklung, die ebenfalls bereits über 100 Milliarden Dollar gekostet hat. Ihre Komponenten sollen teilweise im Weltall stationiert werden, um gegnerische Raketen abzuschießen. Trotz jahrzehntelanger Entwicklungsarbeit wird der angestrebte umfassende Abwehrschirm bis heute jedoch von zahlreichen technischen Mängeln geplagt. Zwar sind inzwischen bereits acht Abfangraketen in Alaska und Kalifornien aufgestellt, sechs weitere sollen zum Jahresende und zwanzig bis 2007 folgen. Aber statt vom ursprünglich angekündigten absoluten Schutz spricht selbst der Direktor der Raketenabwehrbehörde, Generalleutnant Henry Obering, nur noch von einer „größer als Null“ vorhandenen Abfangfähigkeit. Fünf von insgesamt zehn Tests schlugen fehl. Auch die übrigen Abschussversuche trafen allein dank massiv frisierter Daten ins Ziel. „Bisher können die USA nur eine feindliche Rakete im Flug abfangen, die sich an bestimmte Bedingungen hält“, mokiert sich die Süddeutsche Zeitung. Sie müsse langsamer als üblich fliegen, ihr Herkunftsort bekannt sein, sie müsse ein künstlich verstärktes Radarsignal aussenden und bei hellem Tageslicht anfliegen. Nach der jüngsten Pannenserie wurde der nächste Abschusstest auf den kommenden Sommer verschoben, bis dahin wird es lediglich eine Reihe von Versuchen mit Teilelementen des Systems geben. Tests mit weltraumstationierten Killerraketen sind für das Jahr 2010 vorgesehen.

Sollten die USA ihren Kurs auf die Militarisierung des Kosmos fortsetzen, scheint ein Wettrüsten im Weltraum unvermeidlich. Doch eine Waffenflut im All ist selbst aus Sicht amerikanischer Sicherheitsinteressen kontraproduktiv. Die USA sind das Land, das mit Abstand die meisten Weltraumobjekte unterhält, die dann hochgradig verwundbar würden. Als nicht nur "total ungerechtfertigt und äußerst verschwenderisch", sondern auch als "eine Bedrohung für die nationale Sicherheit", brandmarkte der demokratische Senator Jay Rockefeller im Geheimdienstausschuss des US-Senats deshalb ein streng geheimes Rüstungsprojekt, bei dem es sich vermutlich um die Entwicklung bewaffneter Satelliten handelt. Der russische Verteidigungsminister Sergej Iwanow warnte prompt, sollte "irgendein Land" Waffen im All stationieren, werde Russland "geeignete Vergeltungsmaßnahmen" ergreifen. Weitere konkurrierende Weltraumnationen wie China, Frankreich, Brasilien, Japan, Indien und Pakistan würden dann wahrscheinlich folgen. Abgesehen von der wachsenden Gefahr militärischer Auseinandersetzungen im Kosmos hätte eine solche Entwicklung auch verhängnisvolle Folgen für die friedliche Weltraumnutzung. Seit Beginn des Raumfahrtzeitalter vor einem halben Jahrhundert wurden nach Angaben der Europäischen Weltraumorganisation ESA etwa 5500 Satelliten in Erdumlaufbahnen geschossen. Der dabei angefallene Weltraummüll - z.B. Überreste von Raketen, Satelliten sowie Trümmer aus Explosionen und Kollisionen - rast mit hohen Geschwindigkeiten um die Erde. Wissenschaftlichen Experimenten zufolge können bereits zentimetergroße Teile Umkleidungen von Satelliten, Raketen und Raumstationen durchdringen. Kommt es jedoch zur massenhaften Stationierung und möglicherweise auch Anwendung von Waffen im Kosmos, droht das ohnehin schwierige Problem gänzlich unlösbar zu werden und die gesamte Weltraumfahrt zu paralysieren.

Um einen Rüstungswettlauf im All zu verhindern, fordern Wissenschaftler und Nichtregierungsorganisationen immer nachdringlicher einen waffenfreien Weltraum. Zu den vorgeschlagenen Schritten gehören unter anderem ein vertragliches Verbot von Stationierung und Einsatz aller Weltraumwaffen, eine Ächtung von Anti-Satelliten-Waffen und ein Verhaltenskodex für die friedliche Kosmosnutzung. Russland und China haben in der Genfer Abrüstungskonferenz den gemeinsamen Vertragsentwurf zur Verhinderung der Waffenstationierung und Gewaltanwendung im Weltraum unterbreitetet. Doch die Bush-Regierung verweigert entsprechende Verhandlungen kategorisch. Nun sollen die Diplomaten einen Ausweg aus der Sackgasse finden. Doch aus der jüngsten UNO-Gipfelerklärung wurde auf Betreiben der USA Abrüstung als Aufgabe vollständig gestrichen. Das lässt wenig Hoffnung auf Fortschritte zu.

Dieser Beitrag erschien - leicht gekürzt - im "Neuen Deutschland" vom 29. September 2005


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