Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

US-Raketenabwehr soll mit höchster Priorität gebaut werden

Bundesregierung signalisiert überraschend Kooperationsbereitschaft

Die Amtsübernahme des von den Gerichten eingesetzten US-Präsidenten George Bush Jr. wirft ihre bedrohlichen Schatten voraus. Die Installierung der umstrittenen US-Raketenabwehr, von Clinton ebenfalls gewollt, aber nicht mit Hochdruck voran getrieben, wird zum Top-Thema der neuen Administration in Washington. Am zweiten Januarwochenende 2001 wurde ein Bericht bekannt, der unter Leitung des designierten neuen Verteidigungsminsietrs Rumsfeld angefertigt wurde und in dem in den schrillsten Tönen Gegenmaßnahmen gegen die Bedrohung Amerikas durch Schurkenstaaten wie (Nord)Korea, Irak oder Iran gefordert werden.

Fast noch interessanter als diese Meldung ist die Nachricht aus Berlin, wonach die Bundesregierung offenbar zu einer Kooperation mit den USA in Sachen Raketenabwehr bereit ist. Diese Kehrtwendung dürfte, wenn sie von der Bundesregierung durchgehalten wird, nicht nur in der NATO und in der EU zu Problemen führen, sondern auch zu einer Destabilisierung der Weltsicherheitspolitik beitragen.

Wir dokumentieren im Folgenden einen Artikel und einen Kommentar hierzu aus der Frankfurter Rundschau.


US-Experten malen Gefahr eines Pearl Harbour im Weltall aus

Kommission warnt vor Verlagerung kriegerischer Auseinandersetzungen in den Orbit und verlangt neue Waffensysteme
Von Dietmar Ostermann


Mit dramatischen Worten hat in Washington eine bis vor kurzem vom designierten Verteidigungsminister Donald Rumsfeld geleitete Expertenkommission vor der wachsenden Gefahr von Angriffen auf US-Satelliten gewarnt und die Notwendigkeit von Gegenmaßnahmen betont.

WASHINGTON, 12. Januar. In dem am Donnerstag (Ortszeit) vorgelegten Bericht kommt das Expertengremium zu dem Schluss, dass die USA zunehmend ein "attraktiver Kandidat für ein Weltraum-Pearl-Harbour" seien. Gefordert wird die Entwicklung von Konzepten, einschließlich solcher für "Waffensysteme, die im Weltraum operieren". Diese sollen Einrichtungen im Orbit schützen.

Obwohl der Bericht keine Empfehlung über Aufbau oder Stationierung weltraumgestützter Abwehrwaffen gibt, dürfte das Papier in den USA die Debatte über eine Weltraum-Verteidigung anheizen. 1998 hatte eine ebenfalls von Rumsfeld geleitete Kommission die Bedrohung durch Langstreckenraketen von Staaten wie Irak, Iran oder Nordkorea neu bewertet. Das hatte die Pläne der Clinton-Regierung zum Aufbau des umstrittenen Nationalen Raketenabwehrsystems maßgeblich beeinflusst.

Die im Mai 2000 gebildete "Weltraum-Kommission", die im Auftrag des US-Kongresses Management und Organisation der nationalen Sicherheit im Orbit untersuchen sollte, nannte die Aufmerksamkeit, die die Satelliten-Gefährdung bisher gefunden habe, unzureichend. Die Regierung habe versäumt, den Schutz im Weltraum zu einer vorrangigen Aufgabe zu machen. Dies mache die USA "verwundbar gegenüber Überraschungen im Weltraum".

"Wir wissen aus der Geschichte, dass es in jedem Element - Luft, Land und Wasser - Konflikte gegeben hat", zitierte die New York Times aus dem Papier: "Die Realität deutet darauf hin, dass es im Weltraum nicht anders sein wird." Nach Ansicht der Kommission sind die USA heute bei der Kommunikation, aber auch der militärischen Aufklärung und Navigation von High-Tech-Waffen stärker als jedes andere Land von weltraumgestützter Technik abhängig. Verwiesen wird etwa auf den Ausfall eines zivilen Satelliten vor zwei Jahren, der vorübergehend fast alle Pager (Funkrufempfänger) in den USA lahm gelegt hatte.

Rumsfeld, der nach seiner Nominierung im Dezember aus der Kommission ausgeschieden war, erklärte, er habe die Endfassung des Berichts noch nicht gelesen. Allerdings darf als sicher gelten, dass er die geäußerten Bedenken teilt. Bei seiner Vorstellung durch den künftigen Präsidenten George W. Bush hatte Rumsfeld angekündigt, er wolle die Verteidigung der Einrichtungen im Weltraum zu einer Hauptaufgabe machen.

Raketenabwehr Thema für Berlin
BERLIN (dpa). Das Bundesverteidigungsministerium schließt eine Zusammenarbeit mit den USA für eine Raketenabwehr nicht aus. In der Bundeswehr werde an einem Konzept für Aufklärung und Flugabwehr gearbeitet, sagte Ministeriums-Sprecher Ernst Joachim Cholin am Freitag in Berlin. "Wir arbeiten bei dem Konzept sehr eng zusammen", antwortete Cholin auf die Frage, ob er sich eine gemeinsame europäisch-amerikanische Raketenabwehr vorstellen könne.

"Diese Frage stellt sich jetzt nicht", sagte dagegen ein Sprecher des Auswärtigen Amtes. Die Nationale Raketenabwehr (NMD) sei ein US-Projekt, das internationale Auswirkungen habe. Man müsse abwarten, was die USA tun.

Destabilisierend

Es ist keineswegs überraschend, dass der designierte US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld sich noch vor seinem Amtsantritt für eine umfassende Nationale Raketenabwehr (NMD) ausgesprochen hat. Quer durch das politische Spektrum gibt es in den USA die Neigung, ein solches Projekt in die Tat umzusetzen, wenn es denn technisch möglich sein sollte. Rumsfeld und sein zukünftiger Präsident, George W. Bush, gehören seit langem zu den ausgesprochenen Protagonisten einer NMD und werden das Projekt extensiv verfolgen.

Neben den technischen Hürden, die sich ähnlich wie weiland bei Ronald Reagans Weltraum-Raketenabwehr SDI noch als unüberwindbar erweisen können, steht die neue US-Administration vor zwei großen außenpolitischen Problemen. Zum einen müssen sie ihren Bündnispartnern Partizipation zusichern und zum anderen verhindern, dass der gesamte Abrüstungsprozess mit Russland scheitert.

In der ersten Frage bahnt sich mehr Einvernehmen an. Dabei überrascht weniger das US-Angebot, die neue Technologie mit den Verbündeten zu teilen, als die deutsche Bereitschaft zur Zusammenarbeit. SPD wie CDU waren bisher aus guten Gründen der internationalen Zusammenarbeit und Stabilität mehr als zurückhaltend gegenüber NMD. Durch die Einbeziehung Europas in ein solches System ändert sich nichts an seiner destabilisierenden Wirkung für die Beziehungen gegenüber Russland und China. Es ist klar, dass das Thema zu erheblichen Spannungen in der Koalition führen wird. Aber auch der Nato stehen schwere Zeiten bevor. sie
Aus: Frankfurter Rundschau 13. Januar 2001

Zu weiteren Beiträgen zum Thema Raketenabwehr, ABM-Vertrag und Verwandtes

Zur Seite "Weltraumwaffen, "Krieg der Sterne"

Zurück zur Homepage