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"Münchner Konferenz für Sicherheitspolitik" (früher: "Wehrkundetagung")* tagte am 2./3. Februar

Friedensbwegung protestierte gegen "Sternenkrieger" Rumsfeld - Gemeinsame Erklärung




* Bei der Münchner Konferenz für Sicherheitspolitik kommen alljährlich Verteidigungsexperten aus aller Welt zusammen. Die Konferenz, früher Wehrkundetagung genannt, hat eine lange Tradition. 1963 wurde sie von dem früheren Widerstandskämpfer und Weltkriegsoffizier Ewald von Kleist aus der Taufe gehoben. Durch seine guten Verbindungen zur Politik verschaffte er dem Treffen internationales Renommee. Vor zwei Jahren übernahm die Herbert Quandt Stiftung der BMW AG die Organisation. Seither zeichnet Stiftungsvorstand Horst Teltschik, der frühere Berater von Ex-Bundeskanzler Helmut Kohl (CDU), für die Konferenz verantwortlich. Hauptgeldgeber ist auch unter der rot-grünen Bundesregierung das Bundespresseamt geblieben.




Es war ein riesiger Auftrieb hochkarätiger "Sicherheits"-Politiker (das sind Verteidigungsminister, Außenminister, hohe Militärs usw.) aus zahlreichen Staaten der Welt, insbesondere aus NATO-Ländern. Prominentester Gast: der frisch gebackene Verteidigungsminister des vom Gericht eingesetzten US-Präsidenten George Bush Jr. Der ließ sich auch nicht die Gelegenheit nehmen, das außenpolitische Credo seines Chefs in aller Deutlichkeit zu verkünden.

An erster Stelle steht dabei der Aufbau eines US-Raketenabwehrsystems, der so genannten Nationalen Raketenabwehr (NMD). Trotz westeuropäischer Bedenken und scharfer Proteste aus Russland und China hält die US-Administration an den umstrittenen Plänen fest. Rumsfeld versicherte zwar, der Raketenschild bedrohe niemanden, doch sehr überzeugend wirkte das nicht. Gebetsmühlenartig wiederholte er die Mär von "Terroristen-Staaten", "Kofferbomben" und "Cyberterroristen", die in absehbarer Zeit in der Lage wären, die USA mit Langstreckenraketen zu treffen. Kein amerikanischer Präsident könne sein Volk diesen Gefahren aussetzen. Rumsfeld sagte, US-Präsident George Bush werde mit dem Aufbau von NMD nicht warten, bis die Technik perfekt sei. Es sei seine "moralische Pflicht", das Volk vor Bedrohungen zu schützen.

Der Sicherheitsberater des russischen Präsidenten, Sergei Iwanow, sprach dagegen von einer "Gefahr" für den Weltfrieden. Die Installation der US-Raketenabwehr werde "zu einer neuen Rüstungsspirale führen" und untergrabe "das Fundament der globalen Stabilität". Außerdem werde der ABM-Vertrag "sinnlos". Dem entgegnete Rumsfeld, NMD könne lediglich ein Dutzend Raketen aus "Schurkenstaaten" abwehren. Das Abschreckungspotenzial der russischen Raketenstreitmacht werde also nicht in Frage gestellt. Deshalb gingen auch Befürchtungen, NMD verletze den ABM-Vertrag, "am Thema vorbei". Schon vor der Konferenz hatte sich Rumsfeld verschiedentlich zur Raketenabwehr geäußert und bei der Gelegenheit wiederholt die Auffassung vertrten, der ABM-Vertrag von 1972 sei eh von der Geschichte überholt ("Altertums-Geschichte"), zumal er mit einem Staat vereinbart worden sei, der damaligen Sowjetunion, die heute gar nicht mehr existiere. Außerdem habe sich die Sicherheitslage fundamental geändert. Kürzlich erläuterte Rumsfeld seine Sicht der Dinge vor dem US-amerikanischen Senat in einer Grundsatzerklärung. Er plädierte für ein neues Verständnis von Abschreckung. Abschreckung sei nicht allein darauf zu beschränken, den potenziellen Angreifer mit nuklearer Vergeltung treffen zu können, sondern sie müsse die Abwehrwaffen ins Konzept mit einschließen. Und hierbei spiele die Raketenabwehr und insgesamt die Einbeziehung des Weltraums in die Verteidigungsanstrengungen eine besondere Rolle.

Die Reaktionen der westeuropäischen Politikergarde fielen moderat aus. Bundeskanzler Schröder äußerte nur leise Kritik an NMD, wenn er vor "voreiligen Festlegungen" warnte. Eine abschließende Bewertung sei für ihn heute noch nicht möglich. Etwas deutlicher fiel die Kritik von Fischer und Scharping aus. Fischer wies auf die Gefahr eines neuen "Wettrüstens" hin. Beide verteidigten sie auch - zusammen mit dem EU-Generalsekretär Solana - die Initiative der EU zum Aufbau einer 60.000 Soldaten starken Eingreiftruppe. Damit werde der "europäische Pfeiler" der NATO gestärkt. Der Vorwurf Rumsfelds, damit würden "verwirrende Doppelstrukturen" geschaffen, wurde nicht gelten gelassen. Rumsfeld warf darüber hinaus Außenminister Fischer wegen dessen Warnung vor einem "Wettrüsten" vor, er argumentiere noch in der "Phraseologie" des Kalten Krieges. Der bayerische Ministerpräsident Stoiber (CSU) zeigte im Vorfeld der Konferenz "Verständnis" für die US-Raketenpläne.

Demo gegen die Tagung

Rund 100 friedensbewegte Menschen protestierten unter grausligen Witterungsbedingungen (Schnee, Regen und Matsch) vor dem Tagungshotel ("Bayerischer Hof") gegen die "Wehrkundetagung". Regina Hagen (Darmstädter Friedensforum und Global Network Against Weapons and Nuclear Power in Space) befasste sich in ihrer Ansprache vor allem mit den Raketenabwehrplänen, Claus Schreer (Münchner Bündnis gegen Rassismus) thematisierte die Militärpolitik der USA, der NATO und der EU im Kontext der neoliberalen Globalisierung. Die Teilnehmer/innen verabschiedeten eine Erklärung, die wir im Folgenden dokumentieren.

Gemeinsame Erklärung zur Münchner Kundgebung am 3.2.2001

Wir protestieren gegen die heute stattfindende "Münchner Konferenz für Sicherheitspolitik", früher Wehrkundetagung.

Hier treffen sich Regierungsvertreter, hochrangige Militärs und Politiker der NATO-Staaten. Unter dem Begriff Sicherheitspolitik wird auf dieser Konferenz über gemeinsame Strategien und Pläne für zukünftige Militärinterventionen beraten. Es geht über Absprachen zur Aufstellung von Eingreiftruppen und neue milliardenschwere Rüstungsprogramme.

An der heutigen Konferenz nehmen auch die Verantwortlichen teil für den völkerrechtswidrigen Angriffskrieg gegen Jugoslawien, für den Bombenterror gegen die Bevölkerung, die Zerstörung der Infrastruktur, für chemische Kriegsführung und den Einsatz geächteter Uranwaffen.

Wieder einmal zeigte sich: Menschenrechte lassen sich nicht herbeibomben. Offensichtlich ging es um ganz Anderes, um Wirtschaftsinteressen, um Vorherrschaft und die Präsenz der NATO in dieser strategisch wichtigen Region.

Mit dem Amtsantritt der neuen US-Regierung hat aber ein weiteres Thema eine ganz neue Dringlichkeit bekommen: Raketenabwehr und Bewaffnung des Weltraums. Der neue US-Verteidigungsminister Rumsfeld hat vor der Presse am 26. Januar 2001 klar angekündigt: Er sieht keinen Hinderungsgrund, gemeinsam mit Präsident Bush möglichst rasch für die Stationierung eines Raketenabwehrsystems zu sorgen, auch gegen alle internationalen Proteste. Dieses System ist völkerrechts- widrig, destabilisierend uwürde jegliche Rüstungskontrolle untergraben.

Den US-Strategen geht es um die "Überlegenheit im Weltraum...die Kontrolle des Weltraums ...", um die Möglichkeit, jederzeit ungestraft Krieg führen zu können und die Fähigkeit, anderen bei Bedarf die Nutzung des Weltraums zu verwehren.

Deutschland ist die treibende Kraft bei der Militarisierung der EU. Die Bundeswehr wird mit modernsten Offensivwaffen, mit strategischen Luft- und Seetransportkapazitäten ausgerüstet. Die neue Bundeswehr wird zum Instrument der deutschen Außenpolitik, zum Instrument für die Durchsetzung des Anspruchs "auf ungehinderten Zugang zu Märkten und Rohstoffen in aller Welt", wie es bereits 1992 in den Verteidigungspolitischen Richtlinien formuliert wurde.

Die bekannt geordenen Texte zeigen: USA, Deutschland und die EU wollen ihre wirtschaftlichen Interessen und globalen Machtansprüche notfalls mit militärischer Gewalt gegen den Rest der Welt durchsetzen. Darum geht es auch auf dieser sogenannten Sicherheitskonferenz in München.

Bei allen Differenzen zwischen den USA und den europäischen Staaten, sie rüsten gemeinsam zum Krieg, denn rund 1.000 Milliarden Mark stecken die NATO-Mächte jährlich in ihre Rüstung. Was nutzt dieses Geld den Menschen?

Deshalb muß sich in der Bundesrepublik und auf internationaler Ebene Widerstand entwickeln.

Militär - Immer ein Problem
Nie eine Lösung!


Unterzeichner:
Arbeitskreis "Darmstädter Signal"
Bundesausschuss Friedensratschlag
Darmstädter Friedensforum
Deutsche Friedensgesellschaft - Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen (Bundesverband)
Global Network Against Weapons and Nuclear Power in Space
Munich American Peace Committee
Münchner Bündnis gegen Rassismus
Münchner Bürgerinitiative für Frieden und Abrüstung
NaturwissenschaftlerInnen-Initiative für Friedens- und Zukunftsfähigkeit

Zu weiteren Beiträgen zum Thema Raketenabwehr, ABM-Vertrag und Verwandtes

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