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Türöffner für SDI

US-Raketenabwehrsystem NMD contra EU-Streitmacht. Von Claus Schreer*

Am 3. Februar 2001 wurden die »europäischen Bündnispartner« vor vollendete Tatsachen gestellt. Auf der 57. Münchner Sicherheitskonferenz gab der neue US- Verteidigungsminister Donald Rumsfeld die Entscheidung seiner Regierung für den Aufbau einer nationalen Raketenabwehr NMD bekannt. Die amerikanischen Konferenzteilnehmer, Senatoren der Republikaner ebenso wie der Demokraten, ließen keinen Zweifel aufkommen an der Entschlossenheit der USA, die Raketenabwehr aufzustellen - mit, ohne oder gegen die Europäer. Es sei »nicht mehr eine Frage, ob, sondern nur noch wann und wie«. NMD ist das amerikanische Kürzel für National Missile Defense. Derzeit sehen die Pläne für das Raketenabwehrsystem etwa so aus: Schrittweise sollen ab 2003 erst 20, dann 100 und schließlich bis zum Jahr 2011 insgesamt 250 Abfangraketen stationiert werden, zunächst in Alaska, später auch in Nord-Dakota. Infrarot-Satelliten im All spüren die feindlichen Raketen kurz nach dem Start auf; Radarstationen in den USA, Großbritannien und Grönland verfolgen die Bahn der Sprengköpfe und möglicher Attrappen. Im Fall eines Alarms nehmen höherfrequente Radarstationen die gegnerischen Raketen ins Visier und verfolgen sie. In der Gefechtszentrale berechnen Computer mögliche Abfangpunkte und geben die Befehle an eine mit einem sogenannten kill vehicle bestückte Abwehrrakete weiter. Diese vernichtet schließlich durch gezielten Zusammenstoß den feindlichen Gefechtskopf.

Parallel zur Entwicklung von NMD, dem Schutz amerikanischen Territoriums vor Interkontinentalraketen, arbeitet die US-Administration an einer Reihe regionaler Abwehrsysteme (Theater Missile Defense - TMD) zum Schutz eigener oder alliierter Truppen auf allen potentiellen Kriegsschauplätzen der Welt. Dazu gehört MEADS, ein mobiles Abwehrsystem gegen Kurz- und Mittelstreckenraketen. Dieses amerikanisch-europäische Projekt wird seit 1996 von den USA, Deutschland und Italien entwickelt und soll aus einer modernisierten Version der Patriot-Luftabwehrraketen (PAC-3) und dem seegestützten THAAD-System (Theater-Altitude Area Defense) bestehen. »Patriot«-Raketen stehen heute schon in Kuweit, Saudi- Arabien und Südkorea und wurden auch an Israel und Japan geliefert. Die THAAD-Abwehrraketen (Reichweite 3000 Kilomenter) sollen auf US-Kriegsschiffen im Mittelmeer, im Persischen Golf und Pazifik stationiert werden. Gleichzeitig entwickelt die US-Luftwaffe weltraumgestützte Kampflaser, mit denen gegnerische Raketen in der Startphase, Raketensilos und sonstige Bodenziele zerstört werden können. (Jürgen Scheffran, Regina Hagen: Europa und die Raketenabwehr. Blätter für deutsche und internationale Politik 4/2000) Die offizielle Begründung, daß sich die USA gegen Bedrohungen angeblicher »Schurkenstaaten«, etwa durch den Irak, den Iran oder Nordkorea schützen müssen, ist plumpe Propaganda. Die USA liegen weder im Trefferradius dieser Staaten noch werden sie von ihnen bedroht. Die sogenannte Raketenabwehr, die von der US-Regierung als Selbstschutz angepriesen wird, ist bei genauerer Betrachtung ein weltumspannendes Drohpotential, das bei Bedarf gegen jedes beliebige Land auf dem Globus eingesetzt werden kann.

Weltraumaufrüstung

Im Prinzip geht es um die schrittweise Realisierung der von Präsident Reagan 1983 angekündigten SDI-Pläne. Ein möglichst undurchdringlicher Raketenschutzschild soll die USA nach den Vorstellungen des Pentagon weitgehend unverwundbar machen. Die USA wollen jederzeit und gegen jeden denkbaren Gegner auf dem Globus Krieg führen können, ohne einen Gegenschlag auf amerikanisches Territorium befürchten zu müssen. Als potentielle Gegner sind China und Rußland im Visier. Ende Januar 2001 hielt die US-Air-Force eines der größten Weltraummanöver ihrer Geschichte ab: ein Planspiel, bei dem auch Angriffe auf Satelliten simuliert wurden. Dabei schlug sich die Supermacht »Blau« im Jahr 2017 mit einem aufstrebenden Konkurrenten »Rot«: der Volksrepublik China (Der Spiegel, 10/2001). Weltraumgestützte Waffensysteme sollen die Vorherrschaft der USA im All garantieren und Angriffe vom Weltraum aus ermöglichen. Die dafür notwendigen Technologien wurden in den letzten zwanzig Jahren ohne Unterbrechung weiterentwickelt und treten erst jetzt langsam in das Stadium der Realisierung. Hinzu kommt, daß heute auch der Weltraum zu einem Investitionsstandort geworden ist. Satelliten aller wirtschaftlich entwickelten Länder umkreisen die Erde. Von den rund 750 künstlichen Himmelskörpern gehören 80 Prozent den USA (Der Spiegel, 10/2001). Ohne diese Satellitensysteme, ohne funktionierende Satellitenkommunikation, ohne Kommando-, Kontroll- und Aufklärungstechnik aus dem Weltraum funktionieren heute weder die modernen Ökonomien noch die Kriegführung. Was US-Militärstrategen vor zwanzig Jahren gesagt haben, »daß diejenige Nation, die den Weltraum kontrolliert, auch die Erde kontrollieren wird«, wird jetzt relevant. US-Präsident Bush: »Die US-Streitkräfte müssen fitgemacht werden für die Schlachten des Informationszeitalters - anstelle der bisherigen Operationen des Industriezeitalters.«

1985 wurde vom Pentagon das US-Weltraumkommando (US-Space Command) als streitkräfteübergreifende Zentrale für Satellitenaufklärung und Weltraumwaffensysteme eingerichtet. Seit 1997 entwickelt das US-Weltraumkommando unter der Bezeichnung »Vision for 2020« Langzeitpläne und präzise operationelle Konzepte, die jährlich fortgeschrieben und aktualisiert werden. Ziel ist die Etablierung von Weltraumstreitkräften »zum Schutz militärischer und kommerzieller Interessen und Investitionen im Weltraum, weil diese immer mehr an Bedeutung gewinnen«. Den USA geht es um »die Fähigkeit, anderen bei Bedarf die Nutzung des Weltraums zu verwehren«. Die Kontrolle und die Überlegenheit im Weltraum wird als »entscheidend« angesehen, um die US-Streitkräfte zu schützen und gleichzeitig die »Freiheit zum Angriff« zu behalten. (»Vision for 2020« und »Long Range Plan - Implementing Vision für 2020«, übersetzt von Regina Hagen, INESAP Informations Bulletin November 1998) Das US-Space Command finanziert deshalb seit Jahrzehnten die Entwicklungen und Testprogramme für Antisatellitenwaffensysteme, weltraumgestützte Kampflaser, Hochleistungsmicrowellen-Waffen und die dazugehörigen Kommunikationssatelliten.

Bis heute haben die USA mehr als 100 Milliarden Dollar für Raketenabwehr- und Weltraumwaffensysteme ausgegeben. Unter Clinton wurden im Durchschnitt drei Milliarden Dollar pro Jahr für die Ballistic Missile Defense Organisation aufgewandt, nicht viel weniger als in den Hochzeiten von Reagans SDI. Das Congressional Budget Office (CBO) hat in einer neuen Studie für die erste Ausbaustufe bis zum Jahr 2007 bereits 30 Milliarden Dollar veranschlagt. Für die Ausbaustufe drei (250 Abwehrflugkörper im Jahr 2011) rechnet CBO mit zirka 50 Milliarden Dollar. (Götz Neuneck, Jürgen Scheffran in Blätter für deutsche und internationale Politik 6/2000)

Risse in der NATO

Deutlicher, als das sonst bei offiziellen Treffen zwischen den NATO-Mächten sichtbar wird, traten bei der Münchner Sicherheitskonferenz die konkurrierenden Interessen und die Rivalitäten zwischen den USA und den EU-Staaten zutage: »Schwere Gefechte in der NATO« titelte eine Münchner Zeitung. Wirklich gestritten wurde aber nicht über die amerikanische Raketenabwehr, nachdem Rumsfeld den Europäern das Angebot gemacht hatte, sie einzubinden und sie sogar aufforderte, sich »aktiv an der Entwicklung von NMD zu beteiligen«. Scharfe Kritik, verbunden mit der Warnung vor einer neuen »Rüstungsspirale«, äußerte nur der Gast aus Moskau, Putins Sicherheitsberater Sergej Iwanow. Für Zündstoff sorgte dagegen die Absicht der EU, sich neben den USA als eigenständige Militärmacht zu etablieren. Schärfer als in der Vergangenheit kritisierten die Konferenzteilnehmer aus den USA die Beschlüsse der EU zur Aufstellung einer eigenen, von der NATO unabhängigen Interventionsstreitmacht. Die USA sehen darin »eine schwerwiegende Veränderung der NATO und der amerikanischen Position in Europa«. (FAZ, 5.2.2001). Senator McCain sprach von einer »Krise der transatlantischen Beziehungen«, die Süddeutsche Zeitung sogar von einer »transatlantischen Kluft«, weil sowohl die USA als auch die EU »Projekte verfolgen, die gegen die Interessen des jeweils anderen gerichtet sind«. Beide Projekte, die EU-Streitmacht und die Raketenabwehr seien »Auftakt zu einem Machtkampf«, an dem die »NATO zerbrechen« könne. (SZ, 5.2. 2001)

Militärmacht Europa

Alle europäischen Treueschwüre für die NATO, alle Beteuerungen über die Unverzichtbarkeit der USA als Bündnispartner können nicht darüber hinwegtäuschen, daß der Machtkampf zwischen den USA und den europäischen Staaten voll im Gange ist. Die EU als imperialistischer Block unter der Dominanz Deutschlands entwickelt sich zum ernsthaften Rivalen der noch führenden Weltmacht USA. Die politischen Ambitionen der EU, als »globaler Akteur« eigene Interessen und Machtansprüche durchzusetzen, sind logischerweise unvereinbar mit dem von den USA beanspruchten Weltführungsanspruch. Mit dem Aufbau eigener Interventionsstreitkräfte, dem Zusammenschluß der europäischen Rüstungskapazitäten und der Beschaffung modernster Offensivwaffen verschafft sich die EU die Instrumente, um eigenständig und unabhängig von den USA militärisch handlungsfähig zu sein. Das ist der erklärte Wille Deutschlands seit 1992 und inzwischen offizielle Beschlußlage der Europäischen Union. Der Konsens innerhalb des NATO- Bündnisses bröckelt.

Der NATO-Krieg gegen Jugoslawien hat die Bestrebungen der Europäer, sich eigene militärische Machtinstrumente zuzulegen, enorm beschleunigt. Zu den Protesten der Friedensbewegung gesellten sich - aus ganz anderen Gründen - Kritiker aus der Regierungskoalition und dem konservativ- reaktionären Lager mit dem Tenor: Es handele sich um einen US-Krieg, Europa werde »für amerikanische Interessen mißbraucht«, alle Entscheidungen würden »ausschließlich in Washington« getroffen.

Als einer der ersten formulierte Rudolf Augstein die euronationalistische Position: »Die USA denken, daß sie die geborene Führungsmacht sind. Das mag bisher so gewesen sein, aber bleiben darf es so nicht. ... Es geht um eine weltpolitische Strömung, an der wir teilhaben und in der wir mitrudern müssen.« (Der Spiegel 14/99). Bereits vier Wochen nach Beginn der NATO-Bombenangriffe forderte der deutsche General Klaus Naumann, damals Vorsitzender des NATO-Militärausschusses in Brüssel, »daß die Europäer aus der Balkan-Krise endlich die richtigen Schlußfolgerungen ziehen. Daß sie für kritische Situationen die Grundlagen für eigene Entschlüsse besitzen und zu eigenem Handeln fähig werden«. (Interview in der SZ, 23.4.99).

Auf dem Kölner EU-Gipfel am 3. Juni 1999 wurden schließlich (auf Grundlage der von der Bundesrepublik Deutschland eingebrachten Vorschläge) die entscheidenden Beschlüsse gefaßt. In der Erklärung des Europäischen Rates heißt es: Die EU »muß die Fähigkeit zu autonomem Handeln, gestützt auf ein glaubwürdiges Militärpotential, sowie die Mittel und die Bereitschaft besitzen, um - unbeschadet von Maßnahmen der NATO - auf internationale Krisensituationen zu reagieren«. Die EU muß »zur uneingeschränkten Wahrnehmung ihrer Aufgaben ... über entsprechende Fähigkeiten und Instrumente verfügen«. Die Zeit schrieb: »Erst der Krieg hat Europa aufgerüttelt: Es muß auch ohne die USA gehen.« Die FAZ bezeichnete den NATO-Krieg gar als einen »europäischen Einigungskrieg«.

Kostenkooperation

1990 verkündete der damalige US-Präsident Bush eine »Neue Weltordnung« unter der Führung der USA. Seitdem verteidigen die USA hartnäckig ihren Weltmachtsstatus und ihre globale Vorherrschaft. 1992 veröffentlichte die New York Times Auszüge aus dem »No-Rivals-Plan«, den strategischen Leitlinien des Pentagon. Dort hieß es: »Unser Ziel ist es, den Aufstieg eines globalen Rivalen zu verhüten ... wir müssen unsere Strategie jetzt darauf konzentrieren, dem Aufstieg jedes möglichen Konkurrenten globaler Dimension zuvorzukommen.« Auch die von der neuen US-Regierung angekündigte Raketenabwehr ist Teil dieser Globalstrategie. Den USA geht es nicht um eine gemeinsame Strategie mit den NATO-Bündnispartnern, sondern ausschließlich um die Aufrechterhaltung der eigenen weltweiten militärischen Überlegenheit. Insofern ist NMD eher ein Konkurrenzprojekt zum neuen Militärpakt der EU. Den USA geht es aber nicht um die Abkoppelung von Europa oder gar um einen neuen isolationistischen Kurs, wie das häufig in den Medien und selbst von deutschen Friedensforschern dargestellt wird. Genau das Gegenteil ist der Fall. NMD soll die europäischen NATO-Staaten zu transatlantischer Kooperation zwingen. Die europäischen NATO-Staaten sollen selbstverständlich beteiligt werden - vor allem an den Kosten. Auch, wenn sie etwas mitreden dürfen, die strategische Kontrolle werden die USA behalten.

Die USA haben nicht die Absicht, sich aus Europa freiwillig zurückzuziehen. Zbigniew Brzezinski, Sicherheitsberater unter US-Präsident Carter, schreibt in seinem Buch »Die einzige Weltmacht - Die amerikanische Strategie der Vorherrschaft«: »Europa ist Amerikas unverzichtbarer Brückenkopf auf dem eurasischen Kontinent.« Die NATO »verankert den politischen Einfluß und die militärische Macht Amerikas unmittelbar auf dem eurasischen Festland«. Solange »die verbündeten europäischen Nationen ... auf die USA angewiesen sind, erweitert sich mit jeder Ausdehnung des Geltungsbereiches (der NATO) automatisch die Einflußsphäre der Vereinigten Staaten«. »Umgekehrt«, schlußfolgert Brzezinski, »wäre ohne die transatlantischen Bindungen Amerikas Vormachtstellung in Eurasien schnell dahin«. (S. 91)

Rüstungswettlauf

Nachdem der Hauptfeind der NATO - die Sowjetunion - nicht mehr existiert, werden die zwischenimperialistischen Rivalitäten immer offener ausgetragen. Die Rivalitäten zwischen den USA und der EU eskalieren in einem gigantischen Rüstungswettlauf. Mit der geplanten Raketenabwehr und der Aufrüstung im Weltraum haben die USA den Startschuß für die nächste Runde des Wettrüstens gegeben. Der ABM-Vertrag, der einen umfassenden Schutz durch Raketenabwehrsysteme verbietet, wird von US- Verteidigungsminister Rumsfeld als »Schnee von gestern« bezeichnet. Im Februar blockierten die USA bei der Genfer Abrüstungskonferenz weitere Verhandlungen über eine Verhinderung des Wettrüstens im Weltall.

Bundeskanzler Gerhard Schröder pocht inzwischen auf Teilhabe. NMD sei ein »Sprungbrett für neue Technologien«. Deutschland habe ein eminentes wirtschaftliches Interesse, sich an dem Projekt zu beteiligen. (SZ, 3. und 13. März 2001). Ähnlich äußerte sich 1985 Helmut Kohl: »Ein hochindustrialisiertes Land wie die Bundesrepublik Deutschland und die übrigen europäischen Verbündeten dürfen nicht technologisch abgehängt werden.« (SZ, 13.3.01) Ziviler Nutzen ist jedoch nicht der Grund dafür, daß Deutschland an NMD beteiligt werden will. Auch nicht Vasallentreue gegenüber den USA. Deutschland und die EU- Staaten wollen von der neuen Militärtechnologie profitieren. Sie werden sich an dem US-Projekt beteiligen und gleichzeitig über die Europäische Raumfahrtbehörde ESA die eigenen Weltraumrüstungsaktivitäten vorantreiben. Die europäische Kommission in Brüssel plädiert dafür, das geplante Satellitennavigationssystem GALILEO den »politischen Erfordernissen Europas« und der neuen Militärstrategie anzupassen. Der Aufbau eigener Fähigkeiten der Navigation, der Aufklärung und Kommunikation durch weltraumgestützte Systeme sei die Konsequenz aus den Beschlüssen der EU für »Friedenseinsätze von europäischen Streitkräften, an denen die NATO nicht beteiligt ist«, heißt es in einer Studie der Bundeswehr-Universität München über die sicherheitspolitische Bedeutung von GALILEO.

NMD ist eine Provokation

Offensichtlich gehört es zum Kalkül der US-Strategie, eine weltweite Rüstungsspirale in Gang zu setzen und insbesondere Rußland und China zu Gegenmaßnahmen und teuren Aufrüstungsprogrammen zu zwingen, die diese sich gar nicht leisten können. Diejenigen Staaten, die sich von den USA bedroht sehen, werden nicht abwarten oder darüber spekulieren, ob die Raketenabwehr jemals funktioniert. Rußland hat bereits »asymmetrische Gegenmaßnahmen« angekündigt. Chinas begrenztes Nukleararsenal von rund zwanzig Interkontinentalraketen wird durch die amerikanische Raketenabwehr praktisch entwertet. Die beste Rückversicherung - nach militärischer Logik - sind deshalb der zügige Ausbau und die Weiterentwicklung der eigenen strategischen Atomwaffenpotentiale. Die Aufstellung taktischer Abwehrwaffen in Europa, im Nahen Osten und in Asien provoziert aber nicht nur eine Kettenreaktion der Aufrüstung in Rußland und China, sondern ebenso bei Indien und Pakistan, oder bei Ländern, die heute als »Schurkenstaaten« diffamiert werden. Das Ergebnis der US- Provokation ist: Rüstungsbegrenzungs- und Abrüstungsmaßnahmen werden damit auf Dauer torpediert.

Aus: junge welt, 12. April 2001

* Claus Schreer ist Aktivist der Friedens- und antirassistischen Bewegung in München. Er war maßgeblich beteiligt bei der Vorbereitung der Proteste gegen die "Wehrkundetagung" in München Anfang Februar 2001.

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