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Rußlands Antwort

Putin: Stationierung von US-Raketen in Polen und Tschechien löst neuen Rüstungswettlauf aus

Von Tomasz Konicz, Poznan *

Zumindest die westliche Öffentlichkeit zeigte sich überrascht, als am 29. Mai die Strategischen Raketentruppen der russischen Armee den erfolgreichen Test einer neuen Interkontinentalrakete (ICBM) meldeten. Laut einer Erklärung des russischen Verteidigungsministe­riums ist die als RS-24 bezeichnete ICBM in der Lage, mit ihrem nuklearen Mehrfachsprengkopf (MIRV) bis zu zehn Ziele gleichzeitig anzugreifen. Rußlands Präsident Wladimir Putin betonte nur zwei Tage nach dem Raketentest, daß Rußland mit den neuen ICBM eine »Antwort auf die US-Pläne zum Aufbau einer Raketenabwehr in Europa« gegeben habe. Washington verfolge eine imperialistische Politik und löse damit einen neuen Rüstungswettlauf aus, doch Rußland werde weiterhin sein militärisches Potential stärken, um die »globale strategische Balance zu erhalten«, versicherte der Kremlchef. In einem Interview mit Korrespondenten der G-8-Mitgliedsländer sagte Putin am vergangenen Freitag, die russischen Raketen würden neue Ziele in Europa bekommen, wenn dort ein Teil des strategischen Nuklearpotentials der USA stationiert werden sollte, das Rußland bedrohen wird.

Seit dem Raketentest sind westliche Sicherheitskreise bemüht einzuschätzen, ob die RS-24 tatsächlich als eine adäquate asymmetrische Antwort auf die Raketenabwehr der USA gelten kann. Der stellvertretende Ministerpräsident Sergej Iwanow erklärte gegenüber der Nachrichtenagentur ITAR-TASS, daß es sich bei der RS-24 um eine »neue Version der Topol-M handelt... aber eine, die Mehrfachsprengköpfe tragen kann«. Dem US-Nachrichtendienst Global­Security zufolge wurden 2005 und 2006 bereits Versionen der Topol-M mit drei Sprengköpfen von den russischen Raketentruppen getestet. Sollte die neue RS-24 tatsächlich dieselben Eigenschaften wie die Topol-M aufweisen, wäre selbst auf mittlere Sicht eine Abwehr gegen diese Klasse von ICBM kaum denkbar. Die amerikanischen Abwehrraketen, die in Nordostpolen stationiert werden sollen, könnten theoretisch russische ICBM in einer Flughöhe von 50 bis 150 Kilometern noch über Rußland vernichten. Hierzu müßten US-Satelliten den Raketenstart möglichst schnell orten, in Sekundenbruchteilen die ballistische Flugbahn der ICBM berechnen und die Daten an die Abwehrraketenbasis senden, die einen entsprechenden Abfangkurs berechnen würde. Genau dieses Vorgehen wird bei einer Topol-M erschwert, da diese Rakete eine »semiballistische Flugbahn« einschlagen kann: Steuerflossen und kleine Triebwerke am Raketenrumpf erzeugen zufällige Abweichungen von der ballistischen Flugbahn, die Berechnung des Abfangkurses für die Abwehrraketen wird so nahezu unmöglich gemacht.

Rein theoretisch wäre eine Zerstörung des Topol-M-Gefechtskopfes beim Wiedereintritt in die Atmosphäre – also bereits über dem Zielgebiet – am einfachsten zu bewerkstelligen, doch auch hier sind bei der Topol-M Gegenmaßnahmen in Form von Täuschkörpern ergriffen worden. Zudem wäre es selbst auf lange Sicht unmöglich, gleichzeitig zehn Sprengköpfe abzufangen – selbst wenn sie sich nur auf einer ballistischen Flugbahn zum Ziel bewegen. Überdies testete das russische Militär vor wenigen Tagen noch die neue R-500 Cruise Missile, eine voll manövierfähige Flügelrakete mit einer Reichweite von 280 Kilometern. Nach Ansicht westlicher Militärexperten würde dieses System aus der Region um Kaliningrad die in Nordostpolen geplante Raketenbasis innerhalb weniger Minuten ausschalten können.

Rußland scheint somit tatsächlich in der Lage, die von den USA bedrohte volle atomare Abschreckungsfähigkeit mit asymmetischen Mitteln wiederherstellen zu können.

Aus: junge Welt, 5. Juni 2007

Putin: Russlands Raketen bekommen neue Ziele in Europa bei Stationierung eines Teils strategischen US-Potentials

MOSKAU, 04. Juni (RIA Novosti). Die russischen Raketen werden neue Ziele in Europa bekommen, wenn dort ein Teil des strategischen Nuklearpotentials der USA stationiert werden sollte, das Russland bedrohen wird.
Das erklärte Russlands Präsident Wladimir Putin in einem Interview, das er am 1. Juni Korrespondenten von Printmedien der G8-Mitgliedsländer gewährte.

„Wenn ein Teil des strategischen Nuklearpotentials der Vereinigten Staaten nach Europa kommen und nach Ansicht unserer Militärexperten uns bedrohen wird, so werden wir zu entsprechenden Gegenzügen gezwungen sein. Was für Züge werden es sein? Natürlich müssen bei uns dann neue Ziele in Europa entstehen.“

Auf die Zukunft des Vertrags über die Raketen mittlerer und kurzer Reichweite angesprochen, sagte Putin, dies sei ein größeres Problem, das in keinem direkten Zusammenhang mit dem amerikanischen Raketenabwehrsystem steht.
„Es sind nämlich nur die Vereinigten Staaten und die Russische Föderation, die die Verpflichtung tragen, keine Mittelstreckenraketen zu entwickeln, während sehr viele Länder das tun“, führte der Präsident weiter aus. „Das sind Israel, Pakistan, Iran und Korea. Obgleich diese Vereinbarung einen umfassenden Charakter hatte und obgleich es damals klar war, dass alle diese Vereinbarung einhalten müssten. Wenn aber alle Länder der Welt das praktisch tun bzw. zu tun planen, verstehe ich nicht ganz, warum gerade die Vereinigten Staaten und Russland sich einschränken sollen.“

Quelle: Russische Nachrichtenagentur RIA Novosti, 4. Juni;



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