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"Raketen sind wie Messer"

Zur militärischen Nutzung des Weltraums

Von Regina Hagen

"Raketen sind wie Messer - man kann mit ihnen Menschen töten aber auch Brot schneiden!"
Prof. Rao, ehemaliger Chef der indischen Weltraumbehörde ISRO

"Wir können die Nutzung der Weltraumtechniken aus unserem Alltagsleben nicht mehr wegdenken. Bewusst oder unbewusst profitiert jeder Fernsehzuschauer, jeder Internetsurfer und Telefonierer sowie jeder, der den Wetterbericht in der Zeitung liest, von dieser modernen Technik. Wir benötigen die Weltraumtechnik auch, um die Probleme, die wir uns mit dem naturwissenschaftlich-technischen Fortschritt selbst geschaffen haben - wie z.B. Schädigung der Ozonschicht, Versteppung oder Bodenerosion -, besser erkennen und beurteilen zu können, um gezielter Abhilfe zu schaffen. Die Weltraumtechnik ist lebensnotwendig geworden. Dies ist die eine Seite. Auf der anderen Seite trägt sie dazu bei, effizientere militärische Einsätze zu ermöglichen, häufig unter Nutzung der gleichen Techniken und Geräte, die dem zivilen Leben dienen. Diese Möglichkeit der doppelten Nutzung ist für viele ein Gewissensproblem. Darüberhinaus werden neue weltraumgestützte Verteidigungs- und Angriffssysteme - mit hohem finanziellen Einsatz und ohne große öffentliche Debatte - entwickelt."
Prof. Wolfgang Bender, Eröffnungsrede der Tagung "Space Use and Ethics" in Darmstadt, 3.-5. März 1999

1 Weltraumtechnologie im Einsatz: Jugoslawienkrieg 1999

Um den Weltraum kreisen unterschiedliche Phatasien: Die einen reizt es seit Urzeiten, zu erfahren, was jenseits des Horizonts ist, jenseits der Erde, in den Tiefen des Weltraums. Für die anderen, die Militärs, erweitert der Weltraum den Aktionsradius. Das Air Force Space Command (Weltraumkommando der US-Luftwaffe) beschreibt seine Vision so: "Amerika verteidigen durch Kontrolle und Ausnutzung des Weltraums." Bezeichnenderweise findet sich dieser Satz in einer Broschüre mit dem Titel "Guardians of the High Frontier". Die Weltraumkrieger bezeichnen sich also als Wächter der High Frontier, der äußeren Grenze, und preisen den Weltraum als "ultimate high ground", als ultimativen Feldherrenhügel. Das streiktkräfte-übergreifende Weltraumkommando (US Space Command) der USA hat viel vor. Aber bereits heute nutzen die US-Militärs - und mit ihnen die NATO-Verbündeten - Weltraumtechnologie für ihre Zwecke: "Weltraum spielt bei Operation ALLIED FORCE wichtige Rolle - wirkungsvoller Einsatz PETERSON AIR FORCE BASE, Colorado/USA. - Etwaige Zweifel an der Rolle oder Wirksamkeit der Nutzung des Weltraums für militärische Operationen wurden durch die NATO-Operation ALLIED FORCE beantwortet. Die Weltraumoperationen im Rahmen von ALLIED FORCE bewiesen wieder einmal, dass die Kampfbereitschaft der allierten und US-Truppen zu Land und Wasser wie in der Luft durch die Nutzung von Satelliten gesteigert wird. Die Satelliten werden für Navigation, Kommunikation, Wettervorhersage, Bildaufklärung und Raketenfrühwarnung genutzt.

Die US-Einrichtungen im Weltraum sind immer strategisch stationiert, immer verfügbar und sind für die Land-, See- und Luftstreitkräfte der ultimative Feldherrenhügel. Aus dem Weltraum-Operationszentrum in Colorado Springs dirigierte das US-Weltraumkommando sämtliche militärischen Weltraumoperationen zur Unterstützung der Kämpfer in Jugoslawien."

2 Raketen - eine Entwicklung des deutschen Militärs

Die Idee, den Weltraum militärisch zu nutzen, reicht allerdings mehr als 60 Jahre zurück. "Unter Leitung des genialen Technikers Wernher von Braun wird seit 1936 das Gerät ‚Aggregat 4' entwickelt. Eine 14 m hohe Rakete, die vollbetankt 12,9 t wiegt. Der Erstflug der A4 gelingt nach zwei Fehlversuchen am 3. Oktober 1942, praktisch die Initalzündung für die moderne Raumfahrt. ... Doch sehr bald wird der eigentliche Zweck dieser militärischen Entwicklung brutal deutlich: Ab September 1944 wird die A4 - inzwischen von der Goebbels-Propaganda in ‚Vergeltungswaffe 2' (V2) umbenannt - als Ferngeschoß gegen London eingesetzt. Etwa 5.500 V2-Raketen rasen mit Überschallgeschwindigkeit und deshalb nicht abwehrbar auf England und später Belgien nieder und verursachen dort schwere Verwüstungen." Schon die Produktion der V2 - zunächst in Peenemünde, später im Harz - forderte viele Menschenleben. "Mindestens 20.000 Sklavenarbeiter gingen unter den grauenhaften Bedingungen im Mittelwerk oder im nahegelegenen Konzentrationslager »Dora« zugrunde. Auch aus anderen Konzentrationslagern wurden Zwangsarbeiter eingesetzt."

Wernher von Braun verkörpert wie kein anderer die Ambivalenz der Weltraumtechnik. Besessen vom Wunsch, den bemenschten Flug zum Mond zu ermöglichen, "war [er] bereit, sich in den Dienst verschiedener Mächte zu stellen, wenn diese ihm die Mittel verschafften, die er für die Verfolgung seiner Vision benötigte". Im nationalsozialistischen Deutschland waren das die Militärs. Das Ergebnis war keine Mondrakete, sondern die erste auf Weltraumtechnologie basierende Vernichtungswaffe.

Die deutsche Raketentechnologie wurde nach Kriegsende 1945 in den USA (die in der Aktion "Paperclip" unter Umgehung sämtlicher Entnazifizierungsregeln Wernher von Braun mit vielen seiner Mitarbeiter aus Deutschland holten) und der Sowjetunion (die ebenfalls Mitarbeiter aus von Brauns Team zu einer Zusammenarbeit gewann) weiterentwickelt. Beide Seiten holten unbeschädigt gebliebene V2-Raketen, Einzelteile und Blaupausen in ihre Entwicklungslaboratorien und arbeiteten mit Hochdruck daran, unter den Vorzeichen des Kalten Krieges den prestigeträchtigen Wettlauf in den Weltraum zu gewinnen. Zunächst hatten die Russen die Nase vorne. Sie meldeten im August 1957 den Start einer mehrstufigen ballistischen Rakete über eine interkontinentale Distanz. Die Nachrichtenagentur TASS hob unüberhörbar den waffentechnischen Aspekt hervor. Und es sollte für die USA noch schlimmer kommen. "In der [] militärpolitischen Diskussion wurden offensichtlich Meldungen und Informationen aus der UdSSR überhört, die auf einen bevorstehenden Satellitenstart hinweisen. ... Der Start von Sputnik 1 am 4. Oktober 1957 löste zunächst Verwirrung und dann einen Schock aus. Es waren die erstaunliche Masse ... des kugelförmigen Satelliten ... und die relativ hohe Umlaufbahn, die auf eine entsprechend leistungsstarke Rakete hinwiesen. Mit einem solchen Aggregat war es durchaus mögich, eine Megatonnen-Wasserstoffbombe an jeden Punkt der Erde zu transportieren."

3 Von der V2 zum Krieg der Sterne

Auch Wernher von Braun war mit seinem Team wieder aktiv. Erneut entwickelte er Raketen im Auftrag der Militärs, diesmal für die USA und zum Transport von Kernsprengköpfen. "Die Redstone, deren Erstflug am 20. August 1953 stattfand, war die erste einsatzfähige atomare Mittelstreckenrakete der Welt, die nach etlichen Modifikationen 1958 schließlich in Europa stationiert wurde. Mit den ebenfalls in Huntsville entwickelten Jupiter- und Pershing-Raketen trug sie zu dem Gleichgewicht des Schreckens bei, das die Menschheit ... in Atem hielt."

Trotz aller Anstrengungen der USA behielt die Sowjetunion weiterhin die Nase vorn. "Die USA [konnten es nicht] verhindern, dass die Sowjetunion mit Juri Gagarin auch den ersten Menschen in den Weltraum brachte. Um in der Propagandaschlacht um den Weltraum nicht vollends zu unterliegen, verkündete der damalige US-Präsident John F. Kennedy 1961, Amerika wolle bis Ende des Jahrzehnts einen Menschen zum Mond und zurück bringen. In einer gewaltigen Kraftanstrengung, unter Einsatz enormer Mittel und Inkaufnahme großer Risiken gelang es den USA noch vor den Sowjets, deren geheimes Mondlandeprogramm erst in den neunziger Jahren bekannt wurde, mit Apollo 11 im Juli 1969 die Flagge der Vereinigten Staaten auf dem Mond zu hissen."

Finanziell verausgabt und von der Öffentlichkeit bald nur noch beiläufig zur Kenntnis genommen, schlitterte die bemenschte Raumfahrt in den USA trotz des Aufbaus der Weltraumstation Skylab danach in eine Krise. In einer Phase relativer Entspannung zwischen den USA und der Sowjetunion kam es kurzfristig noch zu einer vordem undenkbaren Kooperation der beiden Gegner: Im Mai 1975 startete eine Saturn-Rakete (es sollte die letzte sein, die je auf den Weg geschickt wurde), und die letzte Apollo-Kapsel dockte an das sowjetische Raumschiff Sojus an. Das wegbereitende Abkommen für dieses Manöver war wenige Jahre zuvor von Richard Nixon und Alexei Kossygin unterzeichnet worden.

Lange sollte dieses Tauwetter allerdings nicht anhalten. Einen über die Entwicklung und Optimierung von Kurz-, Mittelstrecken- und Interkontinentalraketen hinausreichenden Impuls für die militärische Nutzung des Weltraums gab Ronald Reagan in seiner berühmt gewordenen Star Wars-Rede von 1983. Er schlug vor, durch einen Abwehrschirm die Bedrohung durch strategische Nuklearraketen zu beseitigen. Die Strategische Verteidigungsinititiative (Strategic Defense Initiative, SDI) wurde in der Öffentlichkeit nach einem in den siebziger Jahren populären Film schnell mit dem Namen Star Wars (Krieg der Sterne) belegt. Letztlich scheiterte das Programm an seiner schieren Größe, an den technischen Schwierigkeiten, an den immensen Kosten, an weltweiten Protesten - und auch an den Bestimmungen des 1972 geschlossenen Anti-Ballistic Missile-Vertrags. In Artikel V(1) des ABM-Vertrags, der zur Eindämmung des Wettrüstens 1972 zwischen den USA und der damaligen Sowjetunion abgeschlossen wurde und mit geringen Änderungen noch heute zwischen den USA und Russland gültig ist, verpflichten sich die Vertragsparteien "keine ABM-Systeme oder Bestandteile zu entwickeln, zu erproben oder aufzubauen, die see-, luft- oder weltraumgestützt sind" . Als ABM-System wird gemäß Artikel II "ein System zur Bekämpfung anfliegender strategischer ballistischer Flugkörper oder ihrer Grundbestandteile" definiert. Er schließt somit den Aufbau eines Schutzschirms aus.

Außerdem entspannte sich im Zusammenhang mit der Politik des sowjetischen Generalsekretärs Gorbatschow die Bedrohungssituation zusehends. Und nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion schließlich stand nicht mehr Konfrontation, sondern Kooperation zwischen den USA und Russland im Zentrum des Interesses. Damit schienen die Pläne der US-amerikanischen Falken, ihr Land für den Krieg der Sterne zu rüsten, ausgeträumt.

4 Ballistic Missile Defense Organization - Kontrolle und Dominanz im Weltraum

"Eines Tages werden wir Ziele auf der Erde - Schiffe, Flugzeuge, Ziele auf dem Land - aus dem All angreifen. Wir werden Ziele im All angreifen, aus dem All. ... Das ist politisch ein heißes Thema, aber so wird es sein. Manche Menschen wollen das nicht hören, und es ist sicherlich nicht populär... aber - so oder so - wir werden im All kämpfen. Wir werden vom All kämpfen, und wir werden den Kampf in das All hinein tragen."
General Joseph W. Ashy, ehemaliger Oberbefehlshaber des US Space Command

Die Militärs und mit ihnen die Rüstungsindustrie gaben allerdings nicht so schnell auf. Stolz verkündete die US-amerikanische Firma TRW auf dem National Space Symposium 1998, dass sie von der Ballistic Missile Defense Organisation (BMDO) den Auftrag erhalten habe, gemeinsam mit Boeing eine Machbarkeitsstudie auszuarbeiten. Diese soll in den nächsten sechs Monaten zur Entwicklung eines Space-Based Laser Readiness Demonstrator (SBLRD), also eines SBL-Prototyps führen. SBL - dahinter steht ein Satellitensystem, das frühzeitig vor einer feindlichen Rakete warnt und diese mit Hilfe eines Laserstrahls noch in der Startphase zerstört. Die Startphase ist bei der Raketenabwehr deshalb besonders interessant, weil bei der Zerstörung eventuell an Bord befindliche Massenvernichtungswaffen - also biologische, chemische oder Kernwaffen - noch in der Nähe des Startgeländes und damit über dem Gebiet des angreifenden Feindes freigesetzt würden.

Rhetorisch weniger zurückhaltend als die mit der Waffenentwicklung betraute Firma TRW ist das Militär. Das US-Verteidigungsministerium beschreibt in öffentlich zugänglichen Dokumenten ungeniert die kurzfristige "Vision für die Weltraumaktivitäten des Verteidigungsministeriums":
"Als erste Einheit, die vor dem Einsatz von Flugkörpern warnt, verwenden wir Technologien und Verfahren, die aufgrund der Erfahrungen mit [der Golfkriegsoperation von 1990/91] Desert Storm entwickelt wurden. ... Im Rahmen der Kontrolle des Weltraums ermöglicht die Überwachung des Weltraums es den Vereinigten Statten, den »Feldherrenhügel im Weltraum« zu halten und zu dominieren. ... Die Kontrolle des Weltraums führt zur Überlegenheit im Weltraum und garantiert damit die sichere und freie Nutzung des Weltraums durch unsere Streitkräfte sowie durch die Streitkräfte unserer Verbündeten. ... Die Kontrolle von Luft- und Weltraum ist entscheidend, da sie die U.S.-Streitkräfte vor Angriffen schützt und gleichzeitig die Möglichkeit zum Angriff offenhält [freedom from attack and freedom to attack]. ... Wir können es nicht zulassen, dass der Weltraum von unseren Feinden kontrolliert wird."

Mit diesem Bekenntnis geht der 21st Space Wing durchaus konform mit der allgemeinen Weltraumpolitik des Militärs: "US-amerikanisches Weltraumkommando - Dominiert zum Schutz US-nationaler Interessen und Investitionen bei militärischen Operationen die Weltraumdimension. Integriert die Weltraumstreitkräfte in die Kampffähigkeit über das komplette Konfliktspektrum." Oder: "Kontrolle des Weltraums bedeutet die Fähigkeit, den Zugang zum Weltraum zu gewährleisten, Operationen im Weltraum ungehindert duchführen zu können und nötigenfalls die Weltraumnutzung durch andere zu unterbinden."

Über das Space Command der Air Force schrieben Engels/Scheffran/Sieker 1985 in Die Front im All: "Seit dem 1. September 1982 hat auf der Peterson Air Base in Colorado Springs das neue militärische Oberkommando für »Weltraumaktivitäten« SPACECOM seine Arbeit aufgenommen. Es koordiniert die Weltraumaktivitäten der Air Force, die dort auch ihr Luftwaffenkommando NORAD unterhält. Derzeitige Aufgabe des SPACECOM sind die Katalogisierung und Überwachung von mittlerweile mehr als 5000 Satelliten(resten), der Schutz vor Kollisionen von US-Raumflugkörpern mit diesen 5000 Objekten und die Entwicklung von Anti-Satelliten-Waffen."

Und der Nachfolgeorganisation der SDI Organization, der Ballistic Missile Defense Organization (BMDO) geht es finanziell nicht schlecht. Neben der US Army erhält sie den größten Anteil des für Raketenabwehr vorgesehenen Etats. Für das Finanzjahr 2000 hatte Präsident Clinton US$ 4,5 Mrd. (knapp DM 9 Mrd.) für diese Zwecke vorgesehen. Der Senat und der Kongreß beschlossen allerdings, das sei nicht genug, und erhöhten den Haushaltsansatz um US$ 400 Mio. Hinzu kommen die Haushalte der Teilstreitkräfte, die unter dem Schlagwort "Joint Vision 2010" (Teilstreitkräfte-übergreifende Vision für 2010) in das Gesamtkonzept des US Space Command eingebunden sind und sich ebenfalls für den Krieg im und aus dem Weltraum rüsten. Zusammengenommen hat sich das Budget für den "Krieg der Sterne" - von einem kleinen ‚Einbruch' zu Beginn der 90er abgesehen - gegenüber den 80er Jahren keinesfalls verringert. Mit der aktuellen ABM-Debatte steigt der Etat sogar nochmals kräftig an.

5 Raketenabwehr gegen "Schurkenstaaten"

"Vieles in der heutigen SDI-Diskussion ist ohne Kenntnis der ersten ABM-Debatte der sechziger Jahre nur schwer zu verstehen, bei der es um die Stationierung nuklearer Raketenabwehrsysteme ging. Es ist erstaunlich zu sehen, dass die meisten der dort vorgebrachten Argumente und viele der damals handelnden Personen heute wieder eine Rolle spielen. Damals konnte sich die US-Regierung gegen die innen- und außenpolitischen ABM-Gegner nicht durchsetzen, die nicht nur die Gefahren einer erhöhten Destabilisierung betonten, sondern auch auf die fragwürdige technische Machbarkeit und die Kosten hinwiesen." - Diese Sätze stammen nicht aus der aktuellen ABM-Debatte, sondern von 1987, als die USA versuchten, Europa für den Aufbau eines - auch Westeuropa einschließenden - Raketenabwehrsystems zu gewinnen. An Gültigkeit haben sie aber nichts verloren. Im Februar 1999 betitelte die Zeitschrift Time einen Artikel wie folgt: "Krieg der Sterne: die Fortsetzung. Hey, was ist bloß mit der Rüstungskontrolle los? Well, jetzt tritt ein neuer Bill Clinton als Sternenkrieger auf". Nachfolgend einige Passagen aus dem Artikel:

"Jetzt geht's rückwärts in die Zukunft, nachdem Clinton in diesem Monat dem Kongress einen Militäretat übersandt hat, der im nächsten Jahr 6,6 Milliarden $ in die Entwicklung eines nationalen Raketen-Abwehr-Schirms pumpen soll, dessen Fertigstellung für das Jahr 2005 geplant ist. ... Man greift sich an den Kopf, aber militärische Falken wurden von Clinton noch übertrumpft, indem er ein schick verpacktes System aus weltraumgestützten Sensoren und landgestützten Raketen übernahm, das alle 50 [US-] Staaten bewachen würde, jederzeit bereit, eine Handvoll ankommender Raketen zu zerstören. ... Amerikas Rüstungsunternehmen lieben das System mit seinen veranschlagten Kosten von 11 Milliarden $ und werden mächtig Lobby dafür betreiben. In Russland jedoch treibt die Aussicht auf eine neue Ära kostspieliger Aufrüstung ... die politische Führung auf die Palme. Washington könnte mit seinem Plan den alten Vertrag von 1972 über Raketenabwehrsysteme (ABM-Vertrag) verletzen, jenen Grundpfeiler, auf dem alle nachfolgenden Abrüstungsverträge mit Moskau ruhen. ... Wenn Washington mit seinen Raketenabwehrplänen weitermacht, sagt Moskau, kann es sich von der Hoffnung auf einen Abbau des vollgestopften, aber rostenden russischen Arsenals verabschieden.

Die Clinton-Regierung betont, dass ihr Rechtsruck die einzige angemessene Antwort auf eine neue Bedrohung sei. ... [Der Bericht eines unabhängigen Gremiums] kam zu dem Ergebnis, dass innerhalb von fünf Jahren Interkontinentalraketen von Nordkorea und einigen anderen Staaten in der Lage sein könnten, das Gebiet der USA zu erreichen. ...

Mindestens ein Hauptproblem bleibt offen. Eine Menge Experten glauben nicht daran, dass der Raketenschirm funktionieren wird. Selbst wenn er einmal in der Lage wäre, ankommende Raketen abzuhalten, so wäre er nach ihrer Meinung nutzlos gegen den viel einfacheren Weg, den nukleare oder biologische Waffen eher nehmen könnten. Ein abtrünniger Staat könnte eine Atombombe nach New York in einem LKW oder dem Laderaum eines Schiffes einschmuggeln oder einfach eine Rakete ähnlich der Scud voller tödlicher Keime 30 km vor der Küste nach Manhatten abfeuern, knapp unterhalb des Radarschirms."

Inzwischen haben zwei Tests des ABM-Systems, über dessen Stationierung der US-Präsident im Sommer 2000 entscheiden soll, stattgefunden. Der erste Test betraf ein Teilsystem. Dabei zerstörte, wie das Militär inzwischen zugeben musste, die Abfangrakete die "angreifende" Rakete nur deshalb erfolgreich, weil sie zuerst irrtümlicherweise einen Ballon (!) anvisierte und so rein zufällig auf den rechten Weg geriet, bevor sie die eigentliche Rakete als richtiges Ziel erkannte. Der zweite, das Gesamtsystem umfassende Test, ging im Januar 2000 vollständig schief.

Und auch hier schließt sich der Kreis. Der Scientific American beschäftigte sich ebenfalls mit dem Thema Raketenabwehr. Der Artikel Warum die nationale Raketenabwehr nicht funktionieren wird trug den Untertitel Der aktuelle Plan zur Verteidigung der USA gegen ballistische Raketenangriffe trifft auf viele der Probleme, mit denen sich vor drei Jahrzehnten schon ein ähnlicher Plan herumplagte. Eine Grafik in dem Artikel zeigt auf, dass von 17 bisher unternommenen ABM-Tests nur drei erfolgreich verliefen. Allerdings war darunter kein einziger umfassender Systemtest. Und - wie oben erwähnt - der Test von 1999 gelang nur durch eine mächtige Portion Zufall.

6 Und was setzt die Friedensbewegung dagegen?

Das Militär - vor allem in den USA - und die Rüstungsindustrie haben ein massives Interesse an den oben geschilderten Plänen. Ähnlich wie vor knapp 20 Jahren wird die Absicht der USA, ein Raketenabwehrsystem gegen die vermeintliche Bedrohung sogenannter "Schurkenstaaten" aufzubauen, in der Öffentlichkeit heftig und sehr kontrovers diskutiert. Der deutsche Außenminister Josef Fischer beklagte sich über die Pläne der US-Regierung - nicht etwa, weil er ein Wiederaufflammen des Wettrüstens fürchtet und die Beschwerden Russlands und Chinas ernst nimmt. Nein, er ist besorgt, dass sich die USA von Europa abkoppeln und die Bündnispartner ohne einen gleichwertigen Schutzschild lassen könnten. Auch die britische Regierung hat inzwischen vorgeschlagen, ABM-Systeme nicht nur in den USA, sondern auch in Europa aufzubauen. Abgesehen von den technischen Problemen und dem finanziellen Kraftakt, der mit einer solchen Technologie verbunden wäre, wiegt nach wie vor schwer, dass ein entsprechendes (vermeintliches) Schutzsystem den ABM-Vertrag verletzen und die Instabilität auf der Erde vergrößern würde.

Auch die Umsetzung der weiterreichenden Weltraumpläne der USA - und im Gefolge davon auch Europas - hätten zur Folge, dass Länder wie Russland und China, aber auch Indien, versuchen würden, gleichzuziehen. Die Friedensbewegung sollte daher unbedingt auf mehreren Ebenen Stellung gegen jegliche Pläne zur weiteren Militarisierung des Weltraums beziehen. Bereits heute ist gemäß dem 1967 abgeschlossenen Weltraumvertrag (Outer Space Treaty) die Stationierung von Massenvernichtungswaffen im Weltraum untersagt. Diese völkerrechtliche Vereinbarung sieht darüber hinaus ausdrücklich vor, dass der Weltraum als Erbe der gesamten Menschheit nur zu friedlichen Zwecken genutzt werden darf. Es ist unbedingt einzufordern, dass dieses Versprechen eingelöst wird. Seit mehreren Jahren wird bei der Abrüstungskonferenz in Genf - dem einzigen multilateralen Verhandlungsorgan für (Ab-) Rüstungsdiskussionen - ergebnislos versucht, über ein Abkommen zur Verhinderung eines Wettrüstens im Weltraum zu verhandeln (siehe UN-Resolution von 1999 am Ende dieses Artikels). Nach einstimmiger Aussage sämtlicher Verhandlungsdelegationen verhindert nur eine Nation konstruktive Gespräche: die USA. Wir müssen daher unbedingt darauf drängen, dass diese Tatsache breiter bekannt wird, und Druck auf die USA ausüben, sich endlich zu diesen Verhandlungen bereitzuerklären.

Gleichzeitig sollten wir uns an unsere eigene Regierung wenden. Deutschland beteiligt sich über das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt e.V. (DLR) und die European Space Agency (ESA, Europäische Weltraumagentur) mit erheblichen finanziellen Beiträgen an unterschiedlichen Weltraumprojekten. Folglich müssen wir von der Bundesregierung die Offenlegung der Pläne und eine offene Debatte der vorgesehenen Projekte einfordern.

Hilfreich für die eigene Einschätzung von Weltraumprojekten und für Debatten in der Öffentlichkeit wie mit Politikern können Kriterien- und Forderungskataloge sein. Als Anregung sollen die beiden nachfolgend vorgestellten, aber nicht näher erläuterten Kataloge dienen.

6.1 Kriterien zur Beurteilung von Weltraumprojekten

Anläßlich der internationalen und interdisziplinär ausgelegten Tagung Weltraumnutzung und Ethik, die im März 1999 an der Technischen Universität Darmstadt stattfand, stellte Jürgen Scheffran acht Kriterien zur Beurteilung künftiger Weltraummissionen vor. In seinem Vortrag bezeichnete er die ersten vier dieser Kritieren als "harte" Kriterien. Das heißt, diese Kriterien sollten unbedingt erfüllt sein, andernfalls ist eine Weltraummission abzulehnen. Von den letzten vier, von ihm als "weich" bezeichneten Kriterien, sollten möglichst viele erfüllt sein.
  • Die Gefahr einer folgenschweren Katastrophe muss ausgeschlossen sein.
  • Militärische Nutzung, Waffenverbreitung und gewaltsame Konflikte sollen vermieden werden.
  • Negative Auswirkungen auf Gesundheit und Umwelt sind zu minimieren.
  • Die wissenschaftlich-technische Qualität, Funktionalität und Zuverlässigkeit der eingesetzten Technologie muss gewährleistet sein.
  • Das Projekt sollte zur Lösung von Problemen und zur nachhaltigen und zeitgerechten Bedürfnisbefriedigung beitragen.
  • Es ist die Alternative mit dem besten Nutzen-Kosten-Verhältnis zu wählen.
  • Die soziale Verträglichkeit und die Förderung von Kooperation ist sicherzustellen.
  • Das Projekt muss in einer öffentlichen Debatte gerechtfertigt werden, unter Einschluss der davon Betroffenen.

6.2 Forderungen an Weltraumforschung und -politik

Als Ergebnis der mehrjährigen Beschäftigung mit dem Thema Weltraum und der Schwierigkeit, mit der europäischen und der deutschen Weltraumagentur (ESA und DLR) über ethische Aspekte der Weltraumnutzung ins Gespräch zu kommen, formulierte das Darmstädter Friedensforum anlässlich der oben erwähnten Tagung Weltraumnutzung und Ethik die folgenden Forderungen an Weltraumforschung und -politik:
  • Transparenz und offener Dialog über die Weltraumnutzung
  • Keine Nutzung von Kernenergie für Weltraummissionen
  • Verbot militärischer Weltraumprojekte
  • Einhaltung und Ergänzung des ABM-Vertrags
  • Stärkung des internationalen Weltraumrechts
  • Interdisziplinärer Dialog über Weltraumnutzung und Verantwortung
  • Offenlegung des Nutzens oder Werts von Weltraumprojekten
  • Recht auf umfassende und verständliche Information
  • Weltraumagenturen müssen sich an die politischen Leitlinien halten
  • Rechenschaftspflicht des Managements der Weltraumagenturen gemäß ethischer Kriterien
  • Gerechte Aufteilung der Finanzmittel
  • Unvoreingenommene Prüfung möglicher Alternativen

Empfohlene Literatur
Engels/Scheffran/Sieker, Die Front im All, Pahl-Rugenstein, Köln, 3. Auflage 1986
Engels/Scheffran/Sieker (Hrsg.), SDI - Falle für Westeuropa, Pahl-Rugenstein, Köln, 1987
Federation of American Scientists (FAS), homepage zu Weltraumthemen unter http://www.fas.org/spp Global Network Against Weapons and Nuclear Power in Space, homepage unter http://www.globenet.free-online.co.uk
George and Meredith Friedman, The Future of War. Power, Technology, and American World Dominance in the 21st Century, St. Martin's Griffin, New York, 1998; dort vor allem das Kapitel Space and Precision War in the American Epoch
Karl Grossman, The Wrong Stuff. The Space Program's Nuclear Threat to Our Planet, Common Courage Press, 1997
US Air Force, New World Vistas. Air and Space Power for the 21st Century (13 Bände), herausgegeben vom USAF Scientific Advisory Board, 1995
UN Office of Outer Space Affairs (OOSA), homepage unter http://www.un.or.at/OOSA/index.html; die vom offiziellen deutschen Übersetzungsdienst bearbeiteten Dokumente finden sich unter http://www.un.org/Depts/german/h2-d.htm; allerdings ist Deutsch keine offizielle UNO-Sprache, auf dieser homepage findet sich also nur eine Auswahl übersetzter UN-Dokumente
US Space Command, homepage unter http://www.spacecom.af.mil/; dort vor allem Long Range Plan. Implementing USSPACECOM Vision for 2020, Peterson Air Force Base, 1998
Johannes Weyer, Wernher von Braun (Monographie), Rowohlt Taschenbuch Verlag, 1999

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