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Geschichte als Waffe

Dokumentation. Die Katastrophe nach 1918: Erinnerungspolitik, um den verlorenen Ersten Weltkrieg nachträglich zu gewinnen

Von Manfred Weißbecker *

Am 11. Juni fand in Berlin das Kolloqium »Vor 100 Jahren: Beginn des Ersten Weltkrieges. Ursachen und Wertungen« statt. Veranstalter waren die Berliner Gesellschaft für Faschismus- und Weltkriegsforschung sowie der Verein der Berliner Freunde der Völker Rußlands. Wir dokumentieren den um das erste Drittel gekürzten Vortrag von Professor Dr. Manfred Weißbecker. Weitere Beiträge der Veranstaltung werden auf den Themaseiten folgen. (jW)

Bei meinen Überlegungen zu den Deutungen des Ersten Weltkrieges in den zwanziger und dreißiger Jahren des vorigen Jahrhunderts möchte ich den Blick weniger auf den Bereich der persönlichen Erinnerungen lenken, weder auf individual-psychologische Merkmale noch auf das Verblassen und Verklären von Erinnerungen im Laufe der Zeiten. Schmerz und Trauer im individuellen Verarbeiten von Kriegserlebnissen sind nicht auszuklammern. Doch entgegen allen rein psychohistorischen und anthropologischen Deutungen erlangten sie Geschichtswirksamkeit wohl insbesondere durch eine richtungsweisende Überlagerung und Färbung, durch eine bewußt betriebene, umfangreich organisierte und außerordentlich folgenreiche Erinnerungspolitik.

Ich bestreite keineswegs die Existenz eines spannungsreichen Verhältnisses zwischen individuellem Trauerbedürfnis einerseits und einflußnehmender Erinnerungspolitik andererseits. Ich meine aber, daß es notwendig ist, wenn es um die Erfassung von Entwicklungslinien sowie um die Erklärung geschichtswirksamer Prozesse geht, den Blick mehr auf die geschichtspolitisch und propagandistisch instrumentalisierte Erinnerung an den Ersten Weltkrieg – also auf die »Brandstifter« in Friedenszeiten – zu richten.

Geht es um diesen »Boden«, sollte übrigens niemand die Tatsache übersehen, daß unmittelbar nach dem Ersten Weltkrieg vielen unter den Deutschen das Wort »Nie wieder Krieg!« als Lebensmaxime galt, daß sie in den neuen parlamentarisch-demokratischen Strukturen an die Möglichkeit entweder einer Überwindung des Kapitalismus oder zumindest an die seiner Begrenzung glaubten. Bei vielen Menschen dominierte eine Stimmung des Aufbruchs. Lautstark, nachdrücklich und unüberhörbar erscholl der Ruf nach einer Vergesellschaftung der Produktionsmittel, nach Sozialisierung von Bergbau und Schwerindustrie, und damit nach einer weitgehenden Entmachtung von Großindustriellen und Großagrariern. Selbst bürgerlich-demokratische Kreise erklärten: »Die bisherige Gesellschaftsordnung hat uns in den Abgrund geführt. (…) Nur die sozialistische Gesellschaft kann die Völker vor dem Verfall in die Barbarei retten.«[1]

Gegen »Nie wieder Krieg!«

Tatsächlich hatte sich zunächst ein neuer Trend bemerkbar gemacht. Auch im geistig-kulturelle Leben, das mannigfaltig die von Revolution und Weimarer Verfassung gebotenen Möglichkeiten nutzte wie auch verteidigte und so den kritischen Vorkriegs- und Antikriegsgeist weiterleben ließ. Aufbruchsideen regten sich und erfaßten Menschen aller Lebensbereiche. In zahlreichen Werken von Schriftstellern, Malern, Baumeistern usw. fand die historische Dimension des Wandels bemerkenswerten Niederschlag. Strikte Ablehnung von Monarchie, Krieg, Militarismus, Deutschtümelei und imperialem Großmachtstreben verband sich mit vehement vorgetragenen Gedanken an eine Zeit notwendiger Veränderungen der Gesellschaft. Nachdrücklich wurde eine »Menschheitserneuerung« verlangt, Neues gesucht und erkundet.

Bekanntlich wurde dem allen massiv entgegengewirkt, und das nicht erst, als in den letzten Jahren der Weimarer Republik die kriegsverherrlichende und nationalistische Literatur zu dominieren begann. Bereits in den ersten Jahren der Weimarer Republik empfanden es Weimars Militärs und ihre geistigen Kopfflechter empörend, wie weit verbreitet die Vorstellung von einer Zukunft ohne Krieg unter der Bevölkerung war. Hans von Seeckt, Chef der Heeresleitung, bezeichnete ein solches »Friedensbedürfnis« und den Ruf »Nie wieder Krieg!« schlicht als »töricht«. Zwar ging von der Weimarer Republik kein Krieg aus, worauf zu verweisen in der heutigen Berliner Republik sehr sinnvoll ist. Hatte jedoch bis 1918 der Krieg vor allem als Fortsetzung von Politik gegolten, so wurde dieser nun direkt in die Politik einbezogen. Allen Ansätzen einer Friedenspolitik, selbst jenen Bemühungen, die hier mit den Stichworten »Rapallo«, »Locarno«, »Völkerbund« und »Abrüstung« angedeutet sein sollen, wurden schwere Steine in den Weg gelegt – innenpolitisch, rüstungswirtschaftlich, außenpolitisch und geistig. Nach meiner Auffassung bestand einer der dicksten Brocken in der zielorientierten Nutzung von menschlicher Trauer und Trost suchendem Gedenken an die Opfer des Krieges.

Transformation der Trauer

Von Anfang an bemächtigten sich konservative Kreise des politischen Erinnerns an den Krieg, mehr noch an die Niederlage, alles aber vielgestaltig, umfassend und zielorientiert und gegen alle menschlichen Friedensbedürfnisse gerichtet. Nach meinem Dafürhalten läßt sich das Konzeptionelle ihrer damaligen Erinnerungspolitik hauptsächlich in vier Punkte fassen.

Erstens zeichneten sich in allen breitgefächerten, inszenierten, medial intensiv und demonstrativ unterstützten Darlegungen solche erinnerungspolitischen Argumentationsmuster ab, die zwar den Frieden als erstrebenswert priesen, gleichzeitig jedoch den Krieg generell als unabänderlichen Teil der Menschheitsgeschichte werteten sowie die spezielle deutsche Kriegsniederlage – gleich ob direkt oder unterschwellig – mit der Frage verknüpften, wie in der Zukunft alles wettzumachen sei und was dafür in der Gesellschaft insgesamt und speziell auf den Gebieten Aufrüstung, Kriegführung und Kriegspsychologie unternommen werden sollte. Dabei wandelte sich das Entsetzen über den vergangenen Krieg rasch in eines über die unmittelbaren Kriegsfolgen.

Zweitens wurde konsequent eine Umwandlung von privatem Schmerz in »stolze Trauer« betrieben. Dem diente ständiges Lobpreisen von Opferbereitschaft und ein sich exzessiv steigernder Kult um die Opfer des Krieges, was einerseits Sakralisierung des soldatischen Todes und andererseits Säkularisierung des kirchlichen Märtyrerkultes bedeutete. Zunehmend wurden die auf den Schlachtfeldern Gefallenen, die Verwundeten und auch die Überlebenden zu »Helden« stilisiert. Auf dem damaligen »Schlachtfeld Erinnerung« verschoben sich deren Kennzeichen von Mut, Kühnheit und Tapferkeit hin zu Ausdauer, Beharrlichkeit, Treue und Gehorsam gegenüber den Befehlshabern sowie unerschütterlicher Bereitschaft zur Pflichterfüllung. Gern wurde »wahres« oder »echtes Heldentum« gepriesen. Im Kult um die toten »Helden« entfalteten sich – wie Sabine Behrenbeck in ihrer Arbeit über den der Nazis schreibt – destruktive Phantasien, die einer »Lizenz zum Töten« gleichkamen. Darüber hinaus diente der Heldenkult als Folie für das fordernde Herausstellen messianischer »Erlöser« und für das Entfalten eines zunächst allgemeinen, später jedoch vor allem auf Hitler bezogenen Führerkultes.[2]

Drittens verstärkte sich die Mystifizierung des deutschen Soldatentums und dessen angeblich vollständig gegebener Überlegenheit über Menschen und Militärs anderer Länder. Generell stand im Vordergrund ein ausschließlich auf die eigene Nation bezogenes, sich mehr und mehr rassistisch färbendes Selbstbild: der Deutsche als angeblich generell friedlicher, zu Kriegen stets nur gezwungener und kulturell, in Technik wie Wissenschaft, allen anderen Völkern überlegener Mensch. Ein solches Selbstbild hatte Existenz und Fortwirkung alter wie neuer Feindbilder zu legitimieren. Im Bild vom Fremden sahen sich diese auf eine niedere kulturgeschichtliche Stufe gesenkt, als schwach, niederträchtig und minderwertig charakterisiert. Aus biologistisch-rassistischen Denkstrukturen ergab sich später die Rechtfertigung des »Ausmerzens« von »unwertem Leben« sowie von »Untermenschen«, wie es in der Sprache der Faschisten hieß. Es erfolgte eine »Erziehung zum Krieg« – übrigens der Erziehung zum Krieg im Deutschen Kaiserreich vergleichbar, nur daß jetzt auch durch den Krieg, seine Darstellung, seine Deutung usw. »erzogen« werden sollte.

Schließlich bestand viertens die Erinnerungspolitik der damaligen Nachkriegszeit aus einer ausgesprochen nationalistisch-kriegerisch gefärbten und zudem religiöse Heilsvorstellungen nutzenden Orientierung auf eine als ideal dargestellte Zukunft. Um diese erreichen zu können, sei es in erster Linie notwendig, entsprechend dem Modell der (fiktiven!) Schützengrabengemeinschaft in einer wahren deutschen »Volksgemeinschaft« alle Spaltung in Klassen und Parteien zu überwinden.

Eigene Kriegsunschuld nachweisen

Realistisch-kritisch denkende Zeitgenossen erkannten das rasch. Heinrich Mann verglich die Wiederaufrüstung der Republik mit der Rüstung des Kaiserreichs und sprach von einer »Verschwörung des Staates mit den Konzernen, mit der Klasse der Verdiener« sowie von »Abneigung des regierenden Personals, irgend etwas unmittelbar mit dem Volk zu tun« haben zu wollen.

1922 meinte der aufrechte Demokrat und Kritiker der preußischen Polen-Politik, Hellmut von Gerlach, es sei in Deutschland zur entscheidenden Frage geworden: »Zurück zu 1914 oder los von 1914?« Zwar wüßten auch die Rechten, daß Deutschland keinen Krieg führen könne: »Aber sie wollen den kriegerischen Geist im Volke aufrechterhalten oder, soweit er nicht mehr existiert, ihn wieder wachrufen. Sie predigen Haß und Hoffnung auf Revanche.« Und es war Kurt Tucholsky, der sich darüber mokierte, weshalb in Deutschland der Segelflug – an sich ja, wie man denken sollte, ein harmloser Sport – als »ein stolzes Zeugnis deutschen Geistes« gepriesen werde. Er fragte, wozu müsse selbst in diese Betätigung »das Gift des Nationalismus hineingetragen« werden. Seine Antwort: »Weil in Deutschland keine Verdauungsstörung vor sich geht, ohne daß nicht einer dazu brüllt: ›Im Felde unbesiegt! Trotz allem!‹. (…) Es ist übelste Wichtigmacherei, Nationalismus, geistige Aufrüstung an allen Ecken und Enden und Reklame für den nächsten Krieg.«

Damit hatte der Publizist benannt, was inhaltlich im Mittelpunkt aller Erinnerungspolitik der Weimarer Republik stand: der Versuch, die eigene Unschuld am Krieg und die Schuld, zumindest aber die Mitschuld, der anderen nachzuweisen. Alles rankte sich um die Behauptung, die militärische Niederlage sei von meuternden Proletariern, hinterhältigen Juden, verantwortungslosen Pazifisten usw. verursacht worden. Das zu verbreiten, leistete für jene wirksame Schützenhilfe, die mit Waffengewalt gegen die als »innere Feinde« diskreditierten Streikenden und um revolutionäre Ziele kämpfenden Arbeiter vorgingen, für jene, die vor politischen Morden nicht zurückschreckten und die von Anfang an Pläne für einen neuen Waffengang schmiedeten.

An vorderster Stelle muß in diesem Zusammenhang von der Dolchstoßlegende gesprochen werden, doch Bekanntes soll hier nicht wiederholt werden. Verweisen will ich indessen auf die Tatsache, daß der Staat eigene Ämter schuf, die einzig und allein auf ihr beruhende Propaganda betrieben und koordinierten. So hatte das Auswärtige Amt bereits Ende 1918 ein spezielles Büro eingerichtet, das seit 1919 als »Kriegsschuldreferat« fungierte und sich auch als »Zensur«-Behörde betätigte. Mit dem von ihm gesammelten Material wurde eine deutsche Kriegsschuld geleugnet und zugleich jenen Vorwürfen entgegnet, Deutschland habe im Krieg das Völkerrecht mißachtet.

Es lohnt an dieser Stelle allerdings ein kurzer Blick auf deutsche Historiker. Eine übergroße Mehrheit diente beflissen dem Mainstream. Nur wenige widersprachen, darunter vor allem Eckart Kehr, aber auch Hermann Kantorowicz und Arthur Rosenberg. Sie stießen zumeist nicht so sehr auf kritische Gegenargumente, eher auf haßerfüllte Ablehnung. Nur ein Beispiel sei erwähnt: Der konservative Gerhard Ritter diffamierte Kehr als einen »für unsere Historie ganz gefährlichen ›Edelbolschewisten‹« und empfahl ihm, er solle doch »gleich lieber in Rußland habilitieren«. Wäre es nicht, nebenbei gesagt, lohnenswert, gewisse Traditionslinien solcher Geisteshaltung aufzuspüren?

Im Grunde darf die Dolchstoßlegende auch als eine Folie gelten, vor deren Hintergrund es rasch nach Kriegsende Bemühungen um die Fürsorge für die Gräber deutscher Soldaten im Ausland gab. Dafür wurde Ende 1919 ein eigener Bund geschaffen, der »Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge« (VDK). Die Präsidentschaft übernahm Oberst Joseph Koeth, der 1918/19 für die Demobilisierung zuständig gewesen war und zugleich als ein führendes Mitglied im »Reichsverband der Deutschen Industrie« sowie bis 1930 auch als Vorsitzender der »Deutschen Weltwirtschaftlichen Gesellschaft« fungierte. Ihm folgte im Amt Pfarrer Fritz Siems, der den »Haß gegen den Erbfeind Frankreich« predigte und das Alte Testament zitierte: »Du sollst Deinen Freund lieben und Deinen Feind hassen, Auge um Auge, Zahn um Zahn.« Emmo Eulen, einer der Mitbegründer des VDK, nannte als Ziel seiner Organisation, es gelte, »die heldische Lebensauffassung im deutschen Volke wiederzuerwecken«. Später – da stand er schon den Nazis nahe – betonte er die Diskrepanz der Ziele des VDK zu denen der »art- und volksfremden Machthaber des Jahres 1919«.

Mit Recht erklärten Politiker der Arbeiterparteien, das Gedenken an die Toten des Weltkrieges werde »mißbraucht, um einen verderblichen Revanchegedanken zu wecken und wachzuhalten«. Schaut man heute in offizielle Darstellungen dieses Bundes, wird man selbst den leisesten Hauch einer selbstkritischen Rückschau vermissen und alles nur als »Dienst am Frieden« dargestellt sehen.

Erst 1926 führten die Bemühungen des VDK zur Einführung eines »Volkstrauertages«, der allerdings ohne eine gesamtstaatliche Regelung blieb. Eine Analyse der Redner und ihrer Ansprachen sowie der Gestaltung des jeweiligen »Ehrengedenkens« an die Gefallenen läßt – von wenigen Ausnahmen abgesehen – erkennen, daß Mitleid, Weinen, Trauern als unheroisch, als unvölkisch galt und regelrecht stigmatisiert wurde. Dem Volkstrauertag sollte daher wenig Bestand beschieden sein. Im Februar 1934 erhielt er die Bezeichnung »Heldengedenktag«, wobei davon mitunter schon Mitte der 20er Jahre getönt worden war.

Indoktrination der Jugend

Stichwortartig sei noch verwiesen auf weitere Erscheinungsformen politischer Erinnerungsarbeit in der Weimarer Republik. Zu erwähnen wären:
  • das Wirken jener Vielzahl an Organisationen, die unmittelbar nationalistisch-revanchistische Propaganda gegen den Versailler Vertrag auf ihre Fahnen geschrieben hatten: »Deutscher Schutzbund«, »Deutscher Ostbund« usw. Als zentrale Einrichtung zur Finanzierung und Koordinierung aller Deutschtumsorganisationen und -institutionen in den Gebieten, die dem Versailler Vertrag entsprechend von Deutschland abgetrennt worden waren, gründete die Regierung am 22. November 1920 die halbstaatliche »Deutsche Stiftung«. Im Frühjahr 1921 trat mit dem »Arbeitsausschuß Deutscher Verbände« ein neuer Dachverband in Erscheinung. Ihm gehörten zunächst etwa 500, später sogar fast 2000 Organisationen an, die sich alle propagandistisch mit dem Vertrag von Versailles und insbesondere mit dessen Artikel 231 [3] befaßten. Eines der Ziele des Ausschusses bestand darin, die »deutsche Volksbewegung« für eine Revision des Versailler Vertrags zu einer »Weltbewegung« zu erweitern. Da paßte es, daß 1924 mit Heinrich Schnee, der ehemalige kaiserliche Gouverneur der Kolonie Deutsch-Ostafrika und bald der NSDAP angehörig, die Präsidentschaft übernahm. Hans Draeger, seines Zeichens Geschäftsführer des Verbands, wurde 1933 Abteilungsleiter beim Wehrpolitischen Amt der NSDAP;
  • das Wirken von Kriegervereinen und paramilitärischen Verbänden, von denen u.a. der »Kyffhäuserbund« über 2,5 Millionen und der »Stahlhelm-Bund der Frontsoldaten« über fast eine halbe Million Mitglieder verfügte;
  • die überall aufgestellten Kriegerdenkmale;
  • das vor allem unter Studenten grassierende Langemarck-Gedenken;
  • die ungeheuer große Zahl von Publikationen aus der Generalstabshistoriographie und der sogenannten Regimentsgeschichten;
  • die Tätigkeit der trotz aller Krisen stets finanziell geförderten Stuttgarter Weltkriegsbücherei;
  • die Verbreitung der zu Beginn des Krieges entstandenen Frontliteratur und der literarischen Lobpreisungen des Soldatentums. Letzterem dienten u.a. Werke von Gorch Fock, Hermann Löns und Walter Flex als im Ersten Weltkrieg gefallener Dichter, die weit verbreitet waren und deren Wirkung kaum zu überschätzen ist. Neben den Büchern von Werner Beumelburg, Edwin Erich Dwinger, Ernst Jünger, Franz Schauwecker, Georg Schmückle und Hans Zöberlein gehörten auch sie in den letzten Weimarer Jahren zu einem bildungsbürgerlichen Kanon. In ihm manifestierte sich ein zeittypisches Kondensat aus nationalistischem Idealismus, sozialdarwinistisch-vitalistischer Kriegsbejahung, Sehnsucht nach Volkseinheit, bedingungsloser Hingabe des einzelnen für das Vaterland und opfermythischem Heldenkult;
  • Eigenständige und umfassende Kapitel wären ferner auch klerikaler Kriegsrechtfertigung und jenen Bemühungen zu widmen, den Krieg mit einer religiösen Aura zu versehen.
  • Ebenso dürfen die Schulen nicht unerwähnt bleiben. Der Weltkrieg war noch nicht zu Ende, da veröffentliche der Altenburger Schuldirektor Christian Ufer ein Buch mit dem Titel: »Schulerziehung nach dem Krieg«. Aus ihm sei ein einziges Zitat angebracht: Die »Vorbereitung auf einen künftigen, hoffentlich in weiter Ferne liegenden Krieg (…) muß unser ganzes Volkstum erfassen. (…) Es gilt erneut und zweifellos in noch höherem Grade als schon bisher die Schaffung eines Volkes in Waffen, und ein ganz wesentlicher Teil an der Lösung dieser Aufgabe fällt unstreitig der Schulerziehung zu.«
Hauptadressat politischer Erinnerungsarbeit war die Jugend, sozusagen das »Menschenmaterial« eines künftigen Krieges. Sowohl unter den männlichen, aber auch unter den weiblichen Jugendlichen sollte Bereitschaft zum Selbstopfer in weiteren Kriegen geweckt werden. Dazu trugen nicht zuletzt auch die Jugendverbände der meisten Parteien bei.

Überschaut man dieses Feld, ergibt sich ein ernüchternder, zugleich erschreckender Gesamteindruck von Umfang und Wirkung zielorientiert betriebener Geschichtspolitik. Und es fällt auf, in welch hohem Maße nahezu alle Jugendorganisationen nationalistisch orientiert gewesen sind, keineswegs also nur die am rechten Rand der Gesellschaft angesiedelten.

Die große Zahl der Schnittmengen zwischen rechtem und rechtsradikalem, zwischen nationalliberalem, deutschnationalem, völkischem und nationalsozialistischem Kriegsgedenken berechtigt zu der Aussage, daß in dieser Hinsicht der 30. Januar des Jahres 1933 keine besonders tiefgreifende Zäsur darstellt. Vielmehr wurden schon vorher weitgehend die hauptsächlichen Elemente des Kriegs- und Heldengedenkens der Faschisten als konsensfähig betrachtet. Man könnte auch sagen, sie wurden nahezu als selbstverständlich hingenommen und für bündnispolitische Erwägungen genutzt. Dem darf, nein, dem muß für die Zeit bis 1933 eine systemzerstörende, für die Zeit danach eine systemstabilisierende Wirkung zugesprochen werden. Der verlorene Krieg, der sollte gleichsam rückwirkend gewonnen werden. Dafür wurde indoktriniert und mobilisiert, mit anderen Worten, eine »kriegsadäquate Konditionierung« betrieben. Als des »Daseins Sinn« verkündete Baldur von Schirach 1929: »uns hat der Krieg behütet für den Krieg!« Behütet für den Krieg – das hieß auch, der geistigen und mentalen Vorbereitung die körperliche »Ertüchtigung« folgen zu lassen, entsprechend einer nicht erst seit 1933 geltenden Devise, alles Denken und Handeln der künftigen Krieger so auszurichten, als ob ein neuer Krieg unmittelbar bevorstehe oder sogar schon da sei. Und das alles in Friedenszeiten!

Historiker als Bombenfabrikant

»Worte müssen rollen für den Krieg«, so titelte Ende Januar dieses Jahres Die Welt. Die Geschichte, so sagte Eric Hobsbawm, sei einsetzbar als eine gefährliche Waffe. Die Arbeitszimmer der Historiker könnten zu »Bombenfabriken« konvertieren. Das gilt wohl generell – auf jeden Fall aber und in jeder Hinsicht für die hier behandelte kriegsfördernde Erinnerungspolitik, die weitgehend menschliches – oder sollte man besser sagen: unmenschliches – Verhalten steuerte, die kriegsfördernden Charakter trug. Die Erinnerungspolitik Weimarer Regierungen, rechter Parteien und die der deutschen Faschisten muß als eine verheerende Nachkriegskatastrophe bewertet werden.

Zugleich handelte es sich um eine Vorkriegsbrandstiftung. Sie mißachtet alle Menschenrechte, und das allein verlangt, generell geächtet zu werden. Zu überlegen wäre, wie ihr nicht allein politisch und geistig zu widerstehen ist, sondern auch, wie sie sogar als straffähiges Verbrechen behandelt und geahndet werden kann, bevor es zu spät ist.

Anmerkungen der Redaktion
  1. Zitat aus dem Text des Plakats des »Bundes Neues Vaterland«, unterschrieben von Rene Schickle, Magnus Hirschfeld, Helene Stöcker und Kurt von Tepper-Laski
  2. Sabine Behrenbeck: Der Kult um die toten Helden. Nationalsozialistische Mythen, Riten und Symbole 1923–1945. SH-Verlag, 2. Auflage 2011
  3. »Die alliierten und assoziierten Regierungen erklären, und Deutschland erkennt an, daß Deutschland und seine Verbündeten als Urheber für alle Verluste und Schäden verantwortlich sind, die die alliierten und assoziierten Regierungen und ihre Staatsangehörigen infolge des Krieges, der ihnen durch den Angriff Deutschlands und seiner Verbündeten aufgezwungen wurde, erlitten haben.«
* Manfred Weißbecker schrieb auf diesen Seiten zuletzt am 28.1.2014 über die Strategie der Nazis nach dem ersten Jahr ihrer Herrschaft.

Aus: junge Welt, Mittwoch, 18. Juni 2014



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