Die Wunderwaffe
Ab 18. Februar 1915 verschärfte Deutschland den U-Boot-Krieg
Von Martin Seckendorf *
In den Schlachten im Herbst 1914 (s. jW-Thema, 5.9. und 16.10.2014) war der deutsche Plan gescheitert, eine schnelle Kriegsentscheidung im Westen zu erreichen, um dann die Truppen gegen Rußland zu wenden. Von der Nordseeküste bis an die Schweizer Grenze erstarrte die Front im Stellungskrieg. Die prekäre Lage der deutschen und österreichischen Truppen im Osten und Südosten verlangte laufend Verstärkung. Das Ende der Auseinandersetzung war nicht mehr abzusehen. Die Zeit arbeitete für die an Ressourcen überlegene Entente, die sich auf die wohlwollende Neutralität der USA stützte. Verschärft wurden alle Probleme der deutschen Kriegswirtschaft durch die seit August 1914 von Britannien verhängte Blockade gegen Deutschland. Am 2. November 1914 erklärte England die Nordsee zum Kriegsgebiet. Der deutsche Überseeimport – mehr als 40 Prozent der Gesamteinfuhr – wurde unterbunden. Bei den rüstungsrelevanten Metallen Wolfram, Chrom, Nickel, Aluminium, Zinn und Mangan war Deutschland vollständig auf Lieferung von außen angewiesen. Die chemische Industrie hing von eingeführtem Salpeter, Schwefel, Kautschuk und Rohöl ab. Ein großer Teil des deutschen Lebensmittelverbrauchs musste importiert werden. Die deutschen Militärs suchten intensiv nach Wegen, um Großbritannien auszuschalten.
Illusionäre Planung
Die Marineleitung, von Generalstabschef Erich von Falkenhayn wegen der bis dahin ungenügenden Mitwirkung am Krieg kritisiert, schlug vor, mit der neuartigen U-Boot-Waffe den Schiffsverkehr von und nach Großbritannien zu unterbinden und damit das vereinigte Königreich binnen sechs Monaten »in die Knie zu zwingen«. Diese Planung war angesichts der geringen Anzahl von Booten (die Marine hatte etwas mehr als 20 Fahrzeuge) und fehlender taktischer Einsatzerfahrung abenteuerlich und fand in den herrschenden Klassen auch wegen der möglichen politischen Auswirkungen auf die neutralen Staaten, deren Schiffe ebenfalls betroffen waren, nicht nur Zustimmung. Daraufhin entwickelte die Marineführung eine fragwürdige Abschreckungsstrategie: Man brauche nicht alle Fahrzeuge zu versenken, so die Argumentation. Schon der Verlust einiger großer Schiffe mit vielen Passagieren werde die Reeder davon abhalten, englische Häfen anzulaufen. Gegen Kriegsschiffe eingesetzt, könnten die U-Boote die übermächtige britische »Grand Fleet« schwächen und den in der Deutschen Bucht festgenagelten deutschen Großkampfschiffen eine Chance im offenen Seegefecht geben. Die Marineleitung stützte ihren Plan auf spektakuläre, unter günstigeren Umständen erzielte Versenkungsergebnisse, die die nationalistische Massenpresse aufgriff und entsprechenden politischen Druck aufbaute. Der U-Boot-Krieg sei das »einzige, das notwendige Mittel« zum Sieg, sagte der konservative Fraktionsführer im Reichstag, Kuno Graf von Westarp.
Am 4. Februar 1915 verkündete der Chef des Admiralstabs der Marine, Hugo von Pohl, »die Gewässer rings um Großbritannien und Irland einschließlich des gesamten Englischen Kanals« würden ab 18. Februar »als Kriegsgebiet erklärt«. Die U-Boot-Kommandanten hatten weitgehend freie Hand. Entsprechend fielen die Versenkungsergebnisse aus. Zwischen September 1914 und Januar 1915 wurden 23 Schiffe mit zirka 96.000 Bruttoregistertonnen (BRT) versenkt. In den fünf Monaten nach Verkündung des Kriegsgebiets wurden 265 Fahrzeuge mit fast 445.000 BRT versenkt. Trotzdem konnte der Schiffsverkehr zu den britischen Inseln nicht lahmgelegt werden. Von den mehr als 5.000 Handelsschiffen, die im März 1915 britische Häfen anliefen oder verließen, wurden 21 versenkt. Die Versenkung zweier Passagierdampfer, bei der auch US-Amerikaner starben, führte zu einer schweren Krise in den Beziehungen zu den Vereinigten Staaten. Nach Protesten der USA wurde der Krieg gegen Handelsschiffe in der Nordsee eingestellt und ins Mittelmeer verlegt.
Wegen der für Deutschland schlechter werdenden Kriegslage kam es im Sommer 1916 zu einer militärischen Führungskrise. Generalstabschef von Falkenhayn trat zurück. Mit Paul von Hindenburg und Erich Ludendorff gelangten skrupellose Militärs – wütende Annexionisten, wie oppositionelle Politiker meinten – an die Spitze der Obersten Heeresleitung (OHL). Sie wollten in Übereinstimmung mit dem mächtigsten Teil der herrschenden Klassen den Krieg, auch den U-Boot-Einsatz, noch rücksichtloser, noch totaler führen. Die OHL übernahm die aberwitzigen Prognosen der Marineleitung, der U-Boot-Krieg könne bei Versenkungsraten von monatlich 600.000 BRT Großbritannien binnen fünf bis sechs Monaten auf die Knie zwingen. Man war jetzt auch bereit, den Eintritt der USA in den Krieg hinzunehmen, da in grenzenloser Selbstüberschätzung die Ansicht weit verbreitet war, der U-Boot-Krieg führe zum Sieg, bevor deren Kriegsbeitrag in Europa wirksam werde.
Rücksichtsloser Einsatz
Im Februar 1917 erklärte Deutschland den uneingeschränkten U-Boot-Krieg. Reichskanzler Theobald von Bethmann Hollweg sagte am 31. Januar 1917 im Reichstag dazu: »Auch das rücksichtsloseste Mittel, das uns zum Siege führt, muß angewandt werden.« Die Sperrzonen wurden erheblich ausgedehnt. Alle angetroffenen Schiffe konnten ohne Vorwarnung bekämpft werden. In den »freien Gewässern« kontrollierte man die Boote und versenkte sie nach Evakuierung der Besatzung. Die Versenkungszahlen schnellten in die Höhe. Die für 1917 ins Auge gefasste Versenkungsrate von 600.000 BRT pro Monat wurde zunächst sogar überschritten. England bekam kapitulierte nicht. Die USA nahmen die Eskalation zum Anlass, die Pläne für eine Intervention in Europa zu verwirklichen. Im April 1917 erklärten sie Deutschland den Krieg. Damit hatte sich das Kräfteverhältnis kriegsentscheidend zugunsten der Entente verändert.
Durch Verbesserungen der U-Boot-Abwehr fielen im zweiten Halbjahr die deutschen Versenkungsraten. Im ersten Halbjahr 1917 wurden 2.323 Schiffe versenkt, im zweiten Halbjahr waren es 1.399. Auch der Einsatz stark bewaffneter U-Kreuzer seit September 1917 konnte den Trend nicht umkehren. Große Schäden für die Entente verursachte der Einsatz spezieller U-Boote als Minenleger. Die zunehmende Ineffizienz der deutschen U-Boote zeigte sich bei der Verlegung amerikanischer Truppen nach Europa. Bis Mitte 1918 hatten die USA über eine Million Soldaten in Westeuropa gelandet, ohne daß auch nur ein Truppentransporter versenkt wurde.
Von 1914 bis 1918 waren 375 U-Boote in Dienst gestellt worden, 202 gingen verloren. Über 5.000 deutsche Soldaten im U-Boot-Dienst, fast die Hälfte der Besatzungen, starben. Auf der Gegenseite wurden mehr als 7.000 Handelsschiffe feindlicher oder neutraler Staaten mit etwa zwölf Millionen BRT versenkt oder schwer beschädigt. Außerdem verlor die Entente 103 Kriegsschiffe.
* Aus: junge Welt, Samstag, 21. Februar 2015
Quellen zum U-Boot-Krieg
Konteradmiral Reinhard Scheer, Befehlshaber des II. Geschwaders, Ende 1914:
»Und da kann es gar keinem Zweifel unterliegen, dass es einen ungeheuren Eindruck machen würde, wenn in kurzer Folge mehrere große Handelsschiffe mit wertvollen Ladungen dicht vor dem sicheren Hafen auf unerklärliche Weise verlorengingen ... Die Schiffahrt wird mit solchen Gefahren verknüpft sein, dass sie das auf ihr lastende Risiko nicht zu ertragen vermag. Dabei liegt die Wirksamkeit nicht einmal in der tatsächlichen Vernichtung, sondern mehr noch in der Abschreckung.«
Aus den Erinnerungen Kuno Graf von Westarps:
»Durch seine glänzenden Erfolge gegen englische Kriegsschiffe hatte das U-Boot freilich sich sofort das Herz der Nation erobert, und der Gedanke, es gegen den englischen Seehandel einzusetzen. war in unseren Kreisen, besonders in den gemeinsamen Besprechungen der (konservativen) Partei mit dem Bund der Landwirte den Industriellen und den Alldeutschen schon seit Ende September 1914 lebhaft erörtert worden.«
Aus einem Brief des Generaldirektors der Hamburg-Amerika-Linie, Albert Ballin, an Admiral Eduard v. Capelle vom 21.1.1915:
»Ich habe früher geglaubt, dass es uns schnell möglich sein würde, bis nach Calais durchzudringen und dass … dieser Umstand auf England einen solchen ungeheuren moralischen und auch praktischen Druck ausüben würde, dass die Engländer zu einem Frieden … sich bereitfinden lassen würden. Inzwischen sind wir nicht nach Calais gekommen und haben auch vorläufig kaum eine Aussicht dazu. ... Gelingt es uns nicht, eine starke Pression auf England auszuüben, so werden wir zu dem erwünschten baldigen Ende dieses mörderischen Krieges nicht kommen. Deshalb bin ich für die brutalste Durchführung einer U-Boot-Blockade.«
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