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Anleitung zum Jubeln

Keineswegs herrschte »allgemeine Begeisterung« beim Ausbruch des Ersten Weltkriegs

Von Hagen Jung, Hannover *

Wie sah es vor 100 Jahren zu Beginn des Ersten Weltkriegs »zu Hause« aus? Waren alle Deutschen vom Krieg »begeistert«? Dieser und vielen anderen Fragen widmet sich eine Ausstellung in Hannover.

Wo die preußische Pickelhaube beim Sonntagsspaziergang ebenso häufig zu sehen war wie der Bürgerzylinder, in der mit Kasernen reich bestückten Garnisonsstadt Hannover, dort dürfte der oft zitierte »allgemeine Jubel« beim Ausbruch des ersten Weltkriegs besonders ausgeprägt gewesen sein. Eine Vermutung, der die Ausstellung »Heimatfront Hannover« im Historischen Museum der niedersächsischen Hauptstadt entgegen hält: Keineswegs war die Begeisterung für das bevorstehende »Völkerringen« allgemein.

Vortrefflich vermag dies die Präsentation aufzuzeigen mit Blick auf Hannover. War doch dessen lang vertrautes Bild einer brav bürgerlichen Soldaten- und Beamtenstadt in den Jahren vor Kriegsausbruch empfindlich gestört worden von einer immer größer werdenden Einwohnerschicht: von der Arbeiterschaft, die vom Säbelrasseln nicht Ruhm und Ehre, sondern eine Bedrohung ihrer Existenz, ihrer Familien erwartete. Parallel zu vielen neuen Fabriken war die Bevölkerung zwischen 1871 und 1912 von 87 000 auf 313 000 Einwohner gewachsen; der Zuzug von Industriearbeitern hatte beträchtlich dazu beigetragen.

Ein Großteil der Werktätigen bestätigte in Hannover durch Kundgebungen, was Franz Mehring Ende Juli 1914 in der »Sozialdemokratischen Korrespondenz« zu Papier brachte: Während die Bourgeoisie kriegslüstern ist, verabscheut das Proletariat den Krieg. Am 29. Juli, fünf Tage vor Kriegsbeginn, demonstrierten in Hannover zeitgleich rund 18 000 Menschen an neun verschiedenen Plätzen für den Frieden, so erfahren die Besucher der Ausstellung, die auch mit Publikationen jener Tage aufwartet. So etwa mit der SPD-Zeitung »Volkswille«. Sie warnte immer wieder vor dem Krieg, der »nur den kapitalistischen Interessen, nicht aber der internationalen Arbeiterklasse« diene.

Neben solchen Zitaten sind es Fotos und Berichte, die aufzeigen, dass Kaiser Wilhelms II. Postulat, er kenne »keine Parteien mehr, sondern nur noch Deutsche«, keineswegs die Klassenschranken aufgehoben hatte. So sind Damen der »besseren Gesellschaft« zu sehen, wie sie fein gewandet eine kriegswichtige Fabrik besichtigen – während auf anderen Bildern Arbeiterfrauen in Kittelschürze Straßenbahnwaggons waschen oder Granaten mit Sprengstoff füllen. Bilder aus Friedenszeiten unterstreichen das Gegensätzliche: Die Unternehmerfamilie, sonntäglich gekleidet im Salon, im Goldrahmen – ihr gegenüber Aufnahmen hannoverscher Arbeiterviertel. Deren Häuser, so erfährt der Betrachter, wurden bewusst mit »bürgerlichen« Fassaden ausgestattet, um nach außen hin zu verbergen, welch schlichte Behausungen sich hinter ihnen befanden. Und von Arbeitersportlern auf kahler Wiese wandert der Blick auf ein geschmücktes Gelände, auf dem Turnerinnen in weißen Kleidchen »Freiübungen für den Kaiser« vorführen.

Jener Kaiser fand für seinen Krieg einen prominenten Mitstreiter in Hannover: Der hoch dekorierte General Paul von Hindenburg verbrachte dort seinen Ruhestand. Ende August 1914 ließ er sich reaktivieren, avancierte zum Oberbefehlshaber, übernahm zusammen mit dem ultrarechten General Erich von Ludendorff die Oberste Heeresleitung.

Hindenburg wiederum hatte in Hannover an höchst einflussreicher Stelle einen treuen Verbündeten: den überaus selbstherrlich agierenden Stadtdirektor Heinrich Tramm, kaisertreu, stramm nationalistisch und eifriger Kriegstrommler.

Rücksichtslos kämpfte das spöttisch »König Heinrich« genannte Stadtoberhaupt gegen Friedensinitiativen, wo immer sie sich zu Wort meldeten. Und statt sich intensiv darum zu kümmern, dass Lebensmittel gerecht verteilt wurden, organisierte Tramm eine »Kriegsausstellung« und rief einen »Vaterländischen Ausschuss« ins Leben. Das »Volk« bejubelte den Krieg in den Augen des Stadtchefs offenbar nicht laut genug, appellierte er doch in Zeitungsannoncen und auf Plakaten: »Flaggenschmuck heraus! Fort mit jeder kleinmütigen und zweifelnden Stimmung – Lasst laut den Jubel heraustönen über die wunderbaren Taten unserer herrlichen Heere!« [Siehe Faksimile des Plakats] Wie kleinmütig er am Ende selbst war, zeigte Tramm 1918. Nach Ausbruch der Novemberrevolution stahl er sich aus Hannover davon, flüchtete nach Berlin.

Kriegsjubel, die Einstellung der Arbeiter zum Krieg und das Verhalten Tramms sind nur drei der vielen Themen, denen sich die Ausstellung widmet. Eingehend beleuchtet sie die Auswirkungen des Krieges auf die Zivilbevölkerung in der Heimat und stellt auch die Frage nach Kriegsgewinnlern und -opfern.

Mehrere Vorträge begleiten die Präsentation in diesem Monat. So wird beispielsweise am 11. November um 18 Uhr im Museum das Thema »Die hannoversche Arbeiterbewegung im Weltkrieg« behandelt.

Die Ausstellung ist noch bis zum 11. Januar 2015 zu sehen: Historisches Museum Hannover, Pferdestraße 6, geöffnet dienstags 10 bis 19 Uhr. mittwochs bis freitags 10 bis 17 Uhr, samstags und sonntags 10 bis 18 Uhr. Internet: www.historisches-museum-hannover.de

* Aus: neues deutschland, Samstag, 1. November 2014


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